Letzte Aktualisierung: um 18:34 Uhr

Coole Pflaster

Wo in Mailand das nächste große Ding entsteht

Ganz in der Nähe des Kanal-Viertels Navigli Milano liegt das Kraftwerk der kreativen Köpfe Mailands. In der Zona Tortona lässt man sich gerne anstecken.

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Hinter dem Bahnhof Porta Genova von Mailand ist mehr: Ein Viertel mit großer Industrie-Vergangenheit. Und großer Kreativ-Zukunft: Die Zona Tortona. Früher war sie eine eher unfeine Ecke von Milano. Lange Zeit prägten Schwerindustrie und Fabriken das Viertel. Als sich die Unternehmen Ende des letzten Jahrhunderts aus der Zona Tortona zurückzogen, wurde das Viertel zum unsicheren Quartier – eine ganze Gegend schien sich selber überlassen. Und das nicht zu ihrem Vorteil, denn die ganze Zone wurde zum dunklen, gefährlichen Loch.

Ende der 80er-Jahre wurde die Zona Tortona von kreativen Köpfen entdeckt. Zuerst etablierte sich das Superstudio. Im ehemaligen Lokomotivdepot entstand eine weitverzweigte Location mit Fotostudios, Showrooms und Event-Räumen. Viele andere Kreative sind seither nachgezogen, die Mode-Riesen Armani und Zegna haben ihren Hauptsitz in der Zona Tortona. Wer durch die Via Tortona geht, kann links und rechts in Hinterhöfe spähen, wo möglicherweise das nächste große Ding entsteht.

Auf einen Kaffee im roten Chesterfield-Ledersessel

Der Spirit ist ansteckend. Wobei nie ganz klar ist, ob die Lokalitäten öffentlich, halböffentlich oder nur für die Eingeweihten zugänglich sind. Was ich mit Sicherheit sagen kann: Das Kulturzentrum Base ist offen für Neugierige, die (noch) nicht zur kreativen Crowd der Tortona gehören. Aber jetzt: Rein in die Zone, die übrigens neben der Via Tortona auch die nicht weniger spannenden Straßen Via Andrea Solari und Via Savona umfasst.

Gleich am Anfang der Via Tortona befindet sich die von Einheimischen hochgelobte Osteria Del Binari. Was ich hier dagegen hochloben will: Das Cafè Del Binari gleich daneben. Hier eine kleine Kaffeepause einzulegen, ist ein Hochgenuss. Im roten Chesterfield-Leder zu sitzen, umgeben von Holz und Marmor – wunderbar. Manchmal kann Milano ganz schön kühl sein, nass und unfreundlich. Wer trotzdem draußen Kaffee trinken will, wählt da mit Vorteil eine Variante, die halb outdoor und halb indoor spielt.

Schuhe auf der Höhe der Zeit

Nein, das Cafè Sudan ist nicht die hübscheste Koffein-Tankstelle auf unserem Erdenrund. Aber mit dem verglasten Außenbereich bietet er eine gute Gelegenheit, den Elementen zu trotzen. Optimale Aussicht auf die Straße inklusive. Sowie Sitzgelegenheiten, die designmäßig einiges hermachen.

Gleich gegenüber vom Cafè Del Binari befindet sich die entzückende Bottega Tre. Ein kleiner Laden für Damenmode, gut bestückt mit Schuhen und textilen Einzelstücken. Wie wir uns von kundiger Damenseite sagen lassen, ist das, was in der Bottega Tre ausliegt, auf der Höhe der Zeit. Was man hier nicht kann: Unbemerkt in den Laden eindringen. Worauf man zählen kann: Beratung.

Rein in den Hinterhof

Wir hatten es hier schon einmal von Hinterhöfen, die verlocken. Und bei denen nicht ganz klar ist, ob man dort als nicht lokal verankerter Kreativkopf reindarf. Orissa liegt in einem Hinterhof. Du darfst rein. Man muss sich zunächst etwas vortasten an der Via Tortona Nummer 36. Muss vielleicht ein paar argwöhnische Blicke aushalten beim Gang durch den Innenhof. So etwas lohnt sich fast immer. Hier lohnt es sich ganz bestimmt. Orissa ist ein herrliches Stöber-Kabinett, angelegt auf zwei Etagen. Sagen wir es doch in der Sprache der Hiesigen: Mobili Coloniali, Etnici Shabby Chic.

In der Zona Tortona ging es mir etwa so wie in München, das scherzhaft als nördlicheste Stadt Italiens bezeichnet wird. War ich dort am Gärtnerplatz fast etwas überfordert mit der Ballung von coolen Straßen, so musste ich mich auch in der Zona Tortona für eine Straße entscheiden, was nicht einfach war. Zur Ehrenrettung der ganzen Zone bewegen wir uns nun also etwas weg von der Via Tortona, hin zur Via Savona.

Und nun zum Essen

Das Ristorante Al Fresco ist eine wahre Oase mitten in der Zona Tortona. Innen sehr hübsch und hell eingerichtet, draußen mit einem prächtigen Garten ausgestattet. Wer hier einen schönen Pasta-Teller oder ein Costoletta di vitello alla Milanese bestellt, macht gar nichts falsch. Das einzige, das man falsch machen kann: Nicht vorher reservieren.

Kommst Du noch einmal kurz mit zu Orissa? Wir haben uns dort für ein Zinnbecher-Duo als Mitbringsel entschieden. Ein klangvolles Geschenk. Das Zinnbecher-Duo sieht nämlich nicht nur hübsch aus, es ist auch mit einem Ton ausgestattet. Eine kleine Kugel im doppelten Boden drin gibt jedes Mal laut, wenn man einen Schluck nimmt. Gebaut für Kinder, aber auch für jene Großen ganz munter, die das Kind in sich selber drin noch dann und wann spüren. Preis: Pro Becher fünf Euro.

Und noch ein Mitbringsel

Wer in der Gegend der Kreativköpfe unterwegs ist, wird vielleicht selber mal von einem genialen Geistesblitz durchzuckt. Den man unbedingt festhalten sollte. Da empfiehlt es sich natürlich, einen Schreibblock dabei zu haben. Was zu unserem zweiten Mitbringsel führt. Im Shop des Kulturmuseums Mudec ist uns ein Ananas-besetztes Teil aufgefallen. Mit 12.50 Euro nicht ganz billig. Aber wenn da auch nur ein superguter Einfall notiert wird, ist die Kladde ihren Preis bestimmt wert.

Im markanten Kulturzentrum Base an der Via Tortona läuft immer etwas. Was sowieso immer läuft: Der Zapfhahn. Am schönsten ist es natürlich im Innenhof, wo allerlei Kreative und Zugereiste Pause machen. Manchmal auch im Liegestuhl.

Auf einen Drink in der Zona Tortona

Einer, der sich an der Via Tortona so richtig austoben konnte, ist der Architekt Matteo Thun. Sein Werk hier: Das verspielte und recht ausgeflippte Hotel Nhow Milano. Eine hübsche Gelegenheit für einen Drink, auch im überdachten Habitat, bietet sich im Hinterhof des Hotels. Er ist zwar nicht ganz einfach zu finden, aber so sollte es klappen: Auf die Rezeption zusteuern, dann links halten, darauf rechts und dann zur Tür raus.

Auch ein Instagram-Moment gibt es in der Zona Tortona: In der Zona Tortona hat sich entlang der Bahnlinie eine wahre Künstler-Meile etabliert. Auf der Mauer, welche die Zone von den Bahngeleisen abgrenzt, verewigen sich lokale und zugereiste Künstler, was eine breite Palette von Insta-Motiven hergibt.

Spannendes in der Nähe

Nun wird hier von Beginn weg von Navigli gesprochen, doch bisher hatte der große Kanal von Milano noch gar keinen Auftritt. Shame on me. Der Kanal ist natürlich eine der Hauptattraktionen in diesem Stadtviertel. Am Abend ist besonders viel los, dann werden die Quais auf beiden Seiten zur Partymeile. Viel ruhiger und auch malerischer gibt sich der Kanal am frühen Morgen. Im Kulturmuseum Mudec wird der Bogen gespannt von den alten Meistern bis zu den jungen Wilden. Wechselnde Ausstellungen sorgen für Abwechslung. Das Cinema Mexico ist eine Institution in der Zona Tortona. Eine der letzten Kino-Revolverküchen. Und ein Ort, wo immer noch regelmäßig dem Rocky-Horror-Kult gehuldigt wird.

Boccia ist ein Nationalsport, der in Italien sehr ernst genommen wird. So ernst, dass mitten in der Zona Tortona ein Spielfeld steht. Es verhält sich hier so wie mit den vielen Hinterhöfen? Ob man dort rein darf, ist ungewiss. Ebenso ungewiss ist, ob Zugereiste mitspielen dürfen beim Boccia. Kleiner Rat: Zuerst einmal zuschauen. Lange zuschauen. Dann vielleicht fragen. Vielleicht. Nein, der Giardino Bazzega e Padovani ist kein Central Park. Und auch kein Englischer Garten. Aber eine hübsche kleine Oase zum Ausspannen und alle Kreativ-Ideen zu sortieren: Ja, das ist er.

So kommt man hin

Zur Zona Tortona gelangt man vom Flughafen Malpensa mit dem Zug zum Bahnhof Milano Centrale. Von dort geht es weiter mit der Metrolinie 2, Haltestelle Porta Genova. Das war der einfache Teil. Der etwas mühsamere Teil: Von Porta Genova aus muss man sich entlang der Bahnlinie bewegen, vorbei an einer grünen Brücke, die genau zum Ziel führen würde. Aber wohl aus Gründen der Baufälligkeit gesperrt ist. Stattdessen gehst Du der Via Ventimiglia entlang und machst dort eine scharfe Linkskurve, wo eine Überführung die Geleise quert. Das war jetzt wohl etwas mühsam, aber dafür kommt man durch eine Art Triumphbogen in die Zona Tortona hinein.

Das wärs. Wobei ich für dieses Gebiet noch eine Warnung loswerden muss: Wann immer in Milano eine Großveranstaltung der Creativi läuft, etwa die Fashion Week, dann wird die Zona Tortona sehr belebt, teuer und auch etwas eng. Manche Menschen lieben das, dann sage ich: Avanti! Allen anderen sage ich: Die Zona Tortona ist wirklich eine Reise wert. Aber eher nicht dann, wenn sie geflutet wird vom Konvoi der Kreativen aus aller Welt.

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In «Coole Pflaster» porträtieren wir städtische Straßen aus aller Welt, die nicht globalisiert sind. Kein Starbucks, kein H&M, kein McDonald’s – sondern lokale und regionale Anbieter aus Gastronomie, Hotellerie, Shopping und Kultur. Hier werden Straßen geehrt, die Einheimische und Zugereiste gleichermaßen glücklich machen.

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