Letzte Aktualisierung: um 23:38 Uhr

Absage an Embraer

Was der gescheiterte Deal für Boeing bedeutet

Boeing hatte kaum eine andere Wahl, als die Embraer-Übernahme abzusagen. Dennoch sind die strategischen Folgen für den US-Flugzeugbauer niederschmetternd.

Die Hochzeit ist abgesagt: Boeing hat den Vertrag zur Übernahme von Embraers Zivilflugzeugsparte gekündigt. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen für das Scheitern des Deals haben bereits begonnen. Doch was bedeutet der Schritt nun für Boeing?

Zuerst einmal spart sich der amerikanische Flugzeugbauer den Kaufpreis von 4,2 Milliarden Dollar. Das ist wohl auch der Hauptgrund für die Absage, auch wenn Boeing offiziell angebliche Versäumnisse von Embraer anführt. Denn ob der Flugzeughersteller die Übernahme finanziell noch hätte stemmen können, ist höchst fraglich. Und selbst wenn: Wie hätte Boeing argumentieren sollen, in den USA Staatshilfen zu beantragen und Mitarbeiter zu entlassen, während man eine riesige Investition im Ausland tätigt?

Kein Zugriff auf Embraers Ingenieure

Bei dieser milliardenschweren Einsparung dürften selbst mögliche Vertragsstrafen verkraftbar sein, sollte Embraer sich damit vor Gericht durchsetzen können. Die Rede ist von im Vertrag festgeschriebenen 100 Millionen Dollar. Die Frage ist, ob die Brasilianer noch weitere Ansprüche geltend machen, und wie erfolgreich sie damit sind.

Was die strategischen Folgen angeht, lohnt sich ein Blick auf die Vorteile, die Boeing sich einst von der Übernahme erhoffte. Zum einen wollte der amerikanische Flugzeugbauer etwas entgegensetzen, als Airbus die C-Series von Bombardier übernahm und daraus den Airbus A220 machte. Embraers neue E2-Familie eignete sich perfekt. Zum anderen wollte sich Boeing auch Zugriff auf Embraers hoch gelobte Forschung und Entwicklung sichern –  sowie auf die günstigeren Produktionskosten in Brasilien. Aus all dem wird nun nichts.

Boeing 737 Max entscheidender denn je

So wird Boeing Embraers Ingenieursfähigkeiten nicht für die Entwicklung eines New Middle of the Market Aircraft, eines Future Small Airplane oder eines anderen neuen Flugzeuges einsetzen können. Zugleich ist klar, dass der Flugzeughersteller ohne Embraers Regionalflieger auf absehbare Zeit nur drei zivile Passagierjets im Angebot hat: für die Kurz- und Mittelstrecke die Boeing 737 Max und für die Langstrecke die 787 und 777.

Dabei ist unklar, was aus der neuen Generation 777X wird, für die Boeing erst etwas mehr als 300 Bestellungen eingesammelt hat. Dazu kommt, dass die Erholung im Geschäft mit Langstreckenfliegern nach der Corona-Krise generell langsam ausfallen dürfte. So wird Boeing – und das ist wohl die wichtigste Konsequenz des gescheiterten Embraers Deals – mehr denn je von einer erfolgreichen Rückkehr der 737 Max abhängig sein.

Profitieren chinesische Hersteller?

Im Wettrennen mit Airbus wird Boeing aller Voraussicht nach zurückfallen. Der Hersteller aus den USA kann momentan weder dem Airbus A220 etwas entgegensetzen, noch den reichenweitenstarken Versionen LR und XLR des A321. Und gerade kleinere Flugzeuge könnten nun besonders wichtig sein. «Es wird immer deutlicher, dass die Erholung bei den kleinsten Flugzeugen – Turboprops und Regionalflugzeugen – beginnt. Das kleinste Flugzeug von Boeing ist die Max 7, die niemand will. Daher wird Boeing am längsten auf eine Erholung warten» sagen die Analysten von Air Insight. Im Vorteil ist der US-Konzern lediglich bei Frachtfliegern, bei denen er Boeing 767-300 F, 777 F und 747-8 F im Angebot hat.

Unter diesen Vorzeichen prognostiziert das Analyseportal Leeham: «Die 2020er werden Boeings verlorene Dekade.» Sollte es wirklich so kommen, stellt sich die Frage, ob das neben Airbus noch ein anderer Hersteller nutzen kann. Schon jetzt gibt es Spekulationen, die chinesischen Flugzeugbauer Comac oder Avic könnten ein Auge auf Embraer werfen.

Was der gescheiterte Deal für Embraer bedeutet, lesen Sie hier.