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Emirates-Manager Martin Gross

Vom ersten Computer bis zur Pandemie – ein Luftfahrtleben

Von Reservierungen auf Karteikarten, Fusionen, der Liberalisierung bis zur Corona-Krise. Martin Gross hat alles erlebt. Jetzt geht der Landeschef von Emirates in Rente.

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Als Martin Gross seine ersten Gehversuche in der Luftfahrtbranche unternahm, existierte sein letzter Arbeitgeber noch nicht einmal auf dem Papier. Vom Einzug des Computerzeitalters bis zum Stillstand wegen der Coronapandemie samt den anschließenden Wiederbelebungsversuchen – Gross hat alle wichtigen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte hautnah miterlebt. Jetzt geht der Österreich-Chef von Emirates in Rente.

Das Kerosin im Blut hat Gross von seinem Vater. Aufgewachsen in der Nähe des Flughafens München-Riem nahm dieser ihn Sonntag für Sonntag mit auf die Besucherterrasse des Flughafens. Dort trank er Apfelschorle und wusste bereits mit fünf Jahren, dass Sabena die belgische Fluglinie war. «Kerosingeruch habe ich immer schon gemocht», so Gross im Gespräch mit aeroTELEGRAPH.

Am Abend im Selbststudium gelernt

«Zum ersten Mal geflogen bin ich erst mit 18 Jahren. Das Interesse für Flugzeuge und die Luftfahrt war aber immer groß.» Diese Leidenschaft verhinderte, dass Gross seinen ursprünglichen Berufswunsch, nämlich Lehrer zu werden, weiterverfolgte. Stattdessen studierte er Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Tourismus, absolvierte Praktika in Reisebüros und bei Reiseveranstaltern.

Endgültig den Pfad Richtung Luftfahrt nahm Gross 1981, als er sich bei Sri Lankan Airlines in Frankfurt für seinen ersten Job bewarb und als stellvertretender Reservierungsleiter eingestellt wurde. Der Campingbus seiner Eltern diente ihm in der ersten Zeit als Unterkunft. «Ich hatte keine Erfahrung, und so habe ich mir am Abend alles im Selbststudium beigebracht, was ich wissen musste.

Mitarbeitende im Lokal gefunden

So hat niemand bemerkt, dass ich noch nie bei einer Fluggesellschaft gearbeitet habe.» Er muss eine Mischung aus Talent und Überzeugungskraft besessen haben, denn als man seinen Chef versetzte, wurde er Leiter der Reservierung bei Sri Lankan Airlines. Diese hatte übrigens als eine der ersten Fluggesellschaften einen Reservierungscomputer.

Martin Gross zog es schon bald weiter. Im Oktober 1982 wechselte er in den Verkauf bei Canadian Airlines und blieb zehn Jahre. Zum Schluss war er Verkaufsleiter für Zentraleuropa, also Deutschland, Österreich, Schweiz und den Niederlanden. «Computer gab es in Frankfurt keinen, die Buchungen wurden auf Karteikarten gesammelt und am Abend per Telex in die Zentrale nach Kanada geschickt und dort in die vorhandenen Computer von Canadian eingegeben», erzählt Gross.

Als einer der Ersten ein tragbares Telefon erhalten

Heute undenkbar scheinen Erlebnisse, wie sie Gross bei der Suche nach einem neuen Büroleiter für Österreich hatte. «Ich war in Wien und habe mich erkundigt, wie man am besten eine geeignete Person dafür findet. Die Antwort war:  da gehst du am Dienstagnachmittag einfach zum Königsbacher [ein Lokal im 1. Bezirk in Wien, Anmerkung der Redaktion], da kommen die ganzen Airlineangestellten hin, da findest du dann schon einen. So ist das damals gelaufen.»

Dienstort war zu diesem Zeitpunkt immer noch Frankfurt. Der Arbeitgeber aber ab März 1992 Northwest Airlines, die damals viertgrößte Fluglinie der Welt, machte Gross zum General Manager für Deutschland. Er war verantwortlich für den Flugbetrieb, Verkauf, Fracht und die Außenstelle am Flughafen. Als einer der Ersten bekam er ein tragbares Telefon, damals noch in der Größe eines kleinen Koffers. Später abgelöst durch Handys mit mehreren Bandbreiten für die Nutzung in den USA und Europa.


Erinnerungen an Northwest. Bild: Martin Gross

Keine E-Mail, dafür einen Pager

In dieser Zeit hat Gross in London seine Frau kennengelernt, die Französin Isabelle, Reservierungsmanagerin bei Northwest in Paris. Ein Jahr pendelten die beiden fast jedes Wochenende zwischen Paris und Frankfurt. Dann hatte Isabelle genug, zog nach Frankfurt und gründete eine Firma, die unter anderem Reservierungstrainings anbot.

Als Gross 1997 von Northwest nach Manila versetzt wurde, wo er neben den Philippinen auch für Mikronesien und Guam verantwortlich war, traf seine Frau das Los vieler Partnerinnen von Managern damals. Sie ging mit ihm, musste aber ihren Job aufgeben. Sie engagierte sich in der Wohltätigkeit und brachte in Guam die erste Tochter zur Welt. Northwest flog von Manila über Tokio und Osaka täglich in die USA. Es gab noch keine E-Mail, immerhin hatte Gross einen Pager.

Er dachte, der Job sei weg

Der private Teil in Manila ist Gross als sehr schön in Erinnerung geblieben, der berufliche als sehr stressig. «Der Job war anstrengend, die Korruption war extrem, und wir hatten ständig irgendwelche Probleme. Der Druck war groß, besonders vom Hauptsitz», erinnert sich Gross. In dieser Zeit passierte Gross auch sein größter Fauxpas. Im Rahmen einer Pressekonferenz in Manila erwähnte er einen möglichen Verlust von Northwest von 300 Millionen Dollar.

Die Folge war ein Kurssturz der Aktie und ein Anruf aus der Firmenzentrale. «Ich sitze da in meinem dunklen Hotelzimmer und denke, der Job ist weg. Doch mein Chef sagte nur, don′t worry. So ist meine schwärzeste Stunde gut ausgegangen.»

Mehrere Länder in seinem Verantwortungsbereich

Schon zu Zeiten bei Canadian Airlines hatte Gross seine Liebe zu Kanada entdeckt. Im Jahr 2000 kam die Chance, als Regionaldirektor für Northwest und KLM nach Toronto zu wechseln. Zuständig für Verkauf, Reservierung und Marketing, und für zwölf Destinationen von Northwest und vier von KLM.

Die Kinder – in Toronto kam das zweite zur Welt – und die Frage nach der Schulbildung waren Anlass für die Familie, zu entscheiden, ob man in Nordamerika bleiben will oder ob man zurück nach Europa geht. «Ich habe zufällig gehört, dass Emirates plant, nach Wien zu fliegen», erinnert Gross sich. Und er bekam den Job als Manager würden Standort. Im März 2004 zog er nach Wien, der erste Flug Dubai – Wien fand am 1. Mai 2004 statt.

«Ich konnte mich gut entfalten»

Anfangs war Gross nur für Österreich zuständig, später auch für Tschechien, die Slowakei und Ungarn. In Tschechien und Ungarn gibt es mittlerweile eigene Organisationen, dafür hat Gross im Lauf der Jahre auch Serbien, Kroatien, Bosnien, Slowenien und Montenegro in seine Verantwortung bekommen. «Ich konnte mich gut entfalten.»

Wenn er Ende Juli mit zwei Jahren Verspätung in Pension geht, blickt Gross auf eine Branche, «die sich zu 100 Prozent verändert hat». Von den technischen Fortschritten über das explosionsartige Wachstum des Flugverkehrs bis hin zum sich ändernden Wettbewerb. Preisabsprachen waren früher nichts Unübliches, und Gross hatte seine liebe Not, den Menschen in Österreich später verständlich zu machen, «dass Antitrust-Regeln kein Spaß sind».

Schwierige Verhandlungen mit dem Ministerium

Auf welche Zeit, auf welchen Arbeitsplatz blickt er am liebsten zurück? «Ich habe die Zeit in Österreich sehr genossen. Wir haben ein tolles Team. Obwohl wir in den 18 Jahren hart gearbeitet haben, hatten wir nie ein Problem. Nicht mit den Gewerkschaften, nicht mit den Mitarbeitenden und keine mit dem Haupsitz in Dubai.»

Da war wohl hilfreich, dass das Büro in Wien immer gute Ergebnisse geliefert hat», so Gross. An seine Grenzen gestoßen ist er nur bei Verhandlungen über Verkehrsrechte im Verkehrsministerium. Da sei immer Austrian Airlines geschützt und Emirates blockiert worden, erinnert er sich. Dafür Verständnis aufzubringen war schwer.

Reisen, golfen. fischen

Mit zweijähriger Verzögerung, auch pandemiebedingt, startet Anfang August Nachfolgerin Elisabeth Zauner. Gross blickt zufrieden zurück auf sein Berufsleben. «Ich hatte eine spannende Zeit, und mir ist es erspart geblieben, in meiner Karriere abzustürzen und meinen Job zu verlieren. Und es war gut, während der Pandemie mit meiner Erfahrung noch helfen zu können.» Er bleibt mit seiner Frau Isabelle in Österreich, «weil ich mich wohlfühle».


Martin Gross mit Modellen zwei seiner Arbeitgeber.  Bild: aeroTELEGRAPH

Und weil das vor ein paar Jahren bezogene Haus am kleinen See das sei, was man immer gesucht habe. Weil sich seine Pensionierung um zwei Jahre verzögert, hält sich sein Bedürfnis, in seiner Pension den einen oder anderen Job anzunehmen, in Grenzen. «Durch Kurzarbeit und Homeoffice bin ich jetzt auf die Pension viel besser vorbereitet.» Jetzt steht Reisen auf der Tagesordnung, denn seine Familie lebt weit verstreut. Dazu Golf spielen und Fischen. Und natürlich in die Luft schauen. Denn die Liebe zur Luftfahrt geht nicht in Pension.