Luftfahrtforschung
Sustainable Aviation Fuels – zu Recht ein Hoffnungsträger?
In dieser Kolumne schreibe ich regelmäßig über Forschungs- und Innovationsthemen in der Luftfahrt. Eines der aktuell absoluten Top-Themen unserer Branche ist SAF.
SAF: Die Abkürzung regt zu Diskussionen an.
SAF: Die Abkürzung regt zu Diskussionen an.
Die Abkürzung steht für Sustainable Aviation Fuel und wird mittlerweile so heiß diskutiert, dass selbst der normale Passagier dem Begriff zunehmend begegnet. Die Diskussion um SAF hat noch eine Besonderheit: Sie ist eigentlich keine Debatte, die in der Luftfahrtforschung verankert ist. Denn Technologien und Herstellungsverfahren sind in ihrem Grundsatz bekannt.
SAF bezeichnet das Ergebnis eines chemischen Prozesses, in dem aus verschiedenen Ausgangsstoffen – vom alten Frittenfett bis zu erneuerbaren Energien sind die Optionen vielfältig – ein synthetischer Kraftstoff erzeugt wird, der dann für den Einsatz in der Luftfahrt veredelt wird. Zwar entstehen bei der Verbrennung weiterhin CO2- Emissionen, jedoch werden sie nur in die Atmosphäre rückgeführt und ihr nicht dauerhaft neu zugefügt (wenn der Prozess mit Carbon Capture unterstützt wird, was wiederum den Gesamt-Wirkungsgrad verschlechtert und die Kosten erhöht). SAF ist damit ein «Net-Zero»- Treibstoff, läutet aber nicht das Zeitalter des völlig emissionsfreien Fliegens ein. Dieses Ziel kann nur mit dem Einsatz von (flüssigem) Wasserstoff als Energieträger erreicht werden, hierzu müssen dann allerdings die Flugzeuge grundsätzlich umdesignt werden. An diesem Ziel wird parallel zu SAF intensiv gearbeitet (siehe auch Airbus ZeroE-Strategie).
Herausforderungen bei der Erhöhung des SAF-Anteils in der Luftfahrt
Dennoch besitzt die Technologie einen äußerst attraktiven und entscheidenden Vorteil: SAF lässt sich als so genannter «Drop-In»-Treibstoff dem fossilen Kerosin beimischen, wobei sich der Anteil sukzessive erhöhen lässt. Ähnlich funktioniert es beim Auto, wo beim Super- Benzin zwischen E5 und E10 unterschieden wird und dieser Wert den maximalen Anteil des beigemischten Bioethanols angibt.
Mit geringen Beimischungsmengen zu starten, macht in der Luftfahrt nicht nur logistisch und kostentechnisch, sondern auch technologisch Sinn. Zwar gab es in den letzten Monaten immer wieder medienwirksame Versuchsflüge von Airlines und Herstellern, wo mit 100% SAF geflogen wurde – dies jedoch stets nur mit einem Triebwerk. Einen Flug mit einem SAF- Anteil von über 50% am Gesamttreibstoff durchzuführen oder gar beide Triebwerke mit 100% SAF zu speisen, ist derzeit schlicht noch nicht zugelassen. Dies zu erreichen ist Gegenstand der derzeitigen Forschung. Hintergrund der Limitierung ist, dass fossile Kraftstoffe aromatische Komponenten enthalten, die für die einwandfreie Funktion und die Leistungsfähigkeit existierender Triebwerke von Bedeutung sind. Sie verbrennen jedoch unvollständig und erzeugen dabei Rußpartikel in der Atmosphäre, was die gezielte Beimischung dieser Komponenten nicht praktikabel macht.
Skalierung und Finanzierung der SAF-Produktion
Theoretisch wäre es sogar denkbar, SAF-Mischungen für einzelne Triebwerke gezielt zu optimieren. Einige Experten glauben, dass mit diesem Prozess noch weitere 10% an Treibstoffersparnissen möglich wären. Jedoch müsste man dann unterschiedliche Kraftstoffsorten für unterschiedliche Triebwerke an den Flughäfen vorrätig halten. Es ist daher unwahrscheinlich, dass dieses Szenario schnell Realität werden könnte.
Die größte Fragestellung in der SAF-Sphäre dreht sich somit darum, wie sich die Produktion künftig skalieren lässt und vor allem, wer den «Ramp Up» bezahlen wird.
SAF als Schlüssel zur Luftverkehrstransformation und politischer Wandel
Dafür hat es diese Frage an sich, denn SAF soll den Großteil der Wandlung des Luftverkehrs hin zu «Net-Zero» im Jahr 2050 stemmen. Genau genommen zu 65%, wenn es nach der Weltluftverkehrsorganisation IATA geht. Momentan liegt der SAF-Anteil am globalen Kerosinmix bei etwa 0,1 Prozent – ja, das Komma ist an der richtigen Stelle. Dabei gab es schon vor 15 Jahren große Pläne, den Anteil von SAF deutlich zu erhöhen, auf etwa 10% im Jahr 2017. Passiert ist dann fast nichts. Ein schlechtes Omen für die jetzt gesteckten Ziele?
Ich meine Nein. Denn inzwischen herrscht ein anderer Zeitgeist, in der Welt wie auch in der Luftfahrt. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat unserer Industrie aufgezeigt, dass „«Black Swan Events», die den Luftverkehr weltweit beeinträchtigen, mehr als nur ein theoretisches Szenario sind. Entscheidungen wie die der niederländischen Regierung, die Anzahl der Bewegungen am Drehkreuz Schiphol auch aus Emissionsgründen dauerhaft zu begrenzen, oder die der französischen Regierung hin zu einem Kurzstreckenverbot für Linienflüge, zeugen von der politisch fundierten Zeitenwende.
SAF als Schlüssel zur Transformation des Luftverkehrs hin zu Net-Zero-Emissionen
Gleichzeitig wird der Ausbau der SAF-Produktion nun massiv gefördert. Durch Förderquoten, durch Förderprogramme wie den Inflation Reduction Act in den USA oder ReFuelEU in der Europäischen Union, aber auch durch die öffentlichkeitswirksame Förderung von SAF als PR- und Marketinginstrument. Kaum eine Airline, die derzeit keine Pressemitteilung versendet, indem sie ihr Commitment zur «Einflottung» des neuen Treibstoffs bekundet. Bereits 2030 möchten einige Fluggesellschaften 10% ihres Treibstoffs aus SAF zusammensetzen.
Diese vielen Initiativen sind gut und wichtig und doch nur ein erster Schritt. Denn den Anteil von SAF im weltweiten Luftverkehr von 0,1% auf deutlich zweistellige Prozentzahlen zu erhöhen ist eine gewaltige Mammutaufgabe, die selbst mit gutem Willen und Kapital nicht so einfach umsetzbar sein wird. Neben dem Ausbau der Produktionskapazitäten selbst stellt sich vor allem die Frage, welche Rohstoffe für die Generierung von SAF überhaupt langfristig verfügbar sind – und in welchen Mengen.
Derzeit lassen sich hierfür drei grundlegende Arten von Rohstoffen unterscheiden:
- HEFA (englisch für «Hydroprocessed Esters and Fatty Acids»): Um es salopp auszudrücken, handelt es sich hierbei um das Segment der Öle und Fette. Der große Vorteil an HEFA-Kraftstoffen ist, dass sie bereits recht umfangreich für die Luftfahrt zertifiziert und damit prinzipiell schnell skalierbar sind. Ein wesentlicher Nachteil liegt in der langfristigen Eignung: Aus altem Frittenfett allein lässt sich die Luftfahrt nicht transformieren und der großflächige Ausbau von ölhaltigen Agrarflächen wie Rapspflanzen stünde in Konkurrenz zur Lebensmittel-Landwirtschaft – von der etwaigen Umwandlung von zuvor naturbelassenen Räumen ganz zu schweigen.
- Biomasse: Dieser Rohstoff beinhaltet nicht nur Abfälle aus Land- oder Forstwirtschaft, sondern auch aus dem urbanen Raum wie Haushaltsmüll. Zertifiziert ist sowohl die Weiterverarbeitung zu Isobutanol oder Ethanol und anschließend in synthetische Kraftstoffe, als auch der Weg über Vergasung und Fischer-Tropsch- Synthese.
- Erneuerbare Energien: Die langfristig sicherlich spannendste Option, bei der Wind- oder Solarstrom für die Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyseverfahren genutzt werden und dem Prozess anschließend CO2 zugeführt wird, um so – ebenfalls mittels Fischer-Tropsch-Synthese – synthetisches Kerosin zu generieren. Dieses Verfahren ist als «Power-to-Liquid» bekannt, sein Endprodukt klassischerweise als «e-fuel».
Diversifizierung der SAF-Produktionswege für eine nachhaltige Luftfahrt
Heute stammt über 90 Prozent der weltweiten SAF-Produktion aus der erstgenannten Methode, HEFA. Zudem wird erwartet, dass dieser sich Rohstoff aufgrund von Verfügbarkeit und zertifizierten Produktionsmöglichkeiten auch bis 2030 für mehr als 80% der weltweiten Produktion auszeichnen wird. Deutlich geringer, aber ebenfalls wachsend, ist der Anteil von Biomasse – auch, weil die Kapazitäten für die Umwandlung der Rohstoffe für die Luftfahrt derzeit in noch deutlich kleinerem Maßstab existieren. An diesem Ausgangsstoff scheiden sich zudem die (geopolitischen) Geister. Während insbesondere in den USA aus Biomasse generiertes SAF viel Aufmerksamkeit erhält, konzentriert man sich in Europa stark auf den «Power-to-Liquid»-Weg. Jedoch existiert derzeit weltweit noch keine einzige Anlage, die e- fuels aus erneuerbaren Energien im größeren Stil industriell produzieren kann. Signifikante Produktionsmengen werden erst in den 2030er Jahren erwartet.
Für die Luftfahrt heißt dies, dass wir nun alle Produktionswege gleichzeitig ausbauen müssen. Wenn wir über die Beimengung von SAF sprechen, sprechen wir zumindest in den nächsten Jahren also von HEFA-basierten Kraftstoffen. In ein paar Jahren könnte unsere Branche dann sichtbaren zusätzlichen Rückenwind durch den Ausbau der Produktionskapazitäten und Rohstoff-Generierung aus Biomasse bekommen. Gleichzeitig muss massiv in Forschung und Entwicklung von «Power-to-Liquid» investiert werden, um möglichst früh in die Serienreife und Massenproduktion zu kommen. Nur in diesem Fall wird SAF aus «grünen Energien» überhaupt zu einem konkurrenzfähigen Preis angebotsfähig sein. Eine jüngst veröffentliche Analyse des Sustainable Aero Labs bringt diese Dringlichkeit hervorragend auf den Punkt.
Preisliche Herausforderungen und Wahrnehmung von «grünem Fliegen» in der Luftfahrt
Was uns zur zweiten bereits erwähnten großen Fragestellung bringt: dem Preis. Zwar ist die Faustregel, dass man für einen Liter SAF ungefähr das vier- bis fünffache eines Liters fossilen Jet-A1-Treibstoff rechnen kann, mittlerweile schon etwas überholt. Doch zumindest in den nächsten 10 bis 15 Jahren kann man davon ausgehen, dass der Preis für synthetische Kraftstoffe über dem von fossilem Kerosin bleiben wird – selbst unter der Berücksichtigung einer CO2-Besteuerung von fossilen Treibstoffen, bei denen ebenfalls eine Preissteigerung antizipiert wird.
Unterm Strich bleibt die Prognose, dass Fliegen insgesamt teurer werden wird. Sei es durch entsprechende CO2-Steuern oder durch festgelegte SAF-Beimengungsquoten, bei denen die Preisaufschläge an die Passagiere weitergereicht werden. Bei beiden Optionen sehe ich ein grundsätzliches Problem: Wieder einmal verkaufen wir uns als Luftfahrtindustrie ziemlich schlecht. «Grünes Fliegen» würde in erster Linie mit Steuern und Regulatorik in Verbindung gebracht. Man schaue sich nur die in Deutschland hochgekochte Diskussion um Heizungen und Dämmvorschriften der letzten Wochen an, um zu realisieren: Kein Bürger freut sich jemals über ein Mehr an Gebühren und Vorschriften, egal wie hehr das Ziel. Auch ein preislicher CO2-Ausgleich zur Linderung der persönlichen «Flugscham» kann so schnell das Geschmäckle eines modernen Ablasshandels erhalten.
Passagiermotivation und Belohnungen für die Wahl von SAF in der Luftfahrt
Wenn es um die Transformation unserer Branche geht, sollten wir den Passagier stärker mitnehmen. Die eingeführte «Green Fares» Buchungsoption des Lufthansa-Konzerns ist unterstützenswert, wird aber von weniger als 5% der Reisenden in Anspruch genommen.
Sich bewusst für SAF zu entscheiden, sollte honoriert werden, um so viel Passagiere wie irgend möglich zu diesem Schritt zu motivieren. Ansatzpunkte gäbe es viele: Warum keine dreifachen Meilen für jede SAF-Buchung, Priority Boarding, Freigepäck oder einfach nur einen kostenlosen Drink an Bord? Ich kann mir vorstellen, dass solche sichtbaren Symbole entlang der «Customer Journey» mehr Fluggäste dazu bewegen würden, über einen SAF- Aufpreis nachzudenken. Ergänzend muss jede Art von Greenwashing vermieden werden, da insbesondere Geschäftskunden intensiv über Wege zur eigenen Klimaneutralität nachdenken und hier Early Adopter sein können (wenn der Weg passt). Und über SAF nachdenken müssen wir alle, wenn wir unsere hoch gesteckten Ziele bis 2050 auch wirklich erreichen möchten.
Roland Gerhards ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung ZAL in Hamburg. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.