Dokumentation zur Boeing 737 Max

Ein Skandal, für den eine Stunde und 26 Minuten nicht ausreichen

Eine neue Dokumentation widmet sich dem Skandal um die Boeing 737 Max. Zu Wort kommen Menschen, die berühren, und solche, die Bescheid wissen. Dennoch fehlt etwas.

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Schlechter könnte das Timing wohl kaum sein. Die Boeing 737 Max heben längst wieder ab, die dunkle Geschichte mit zwei Abstürzen und schwerer Nachlässigkeit vieler Beteiligter begann langsam in den Hintergrund zu rücken. Und dann kam Netflix. Am Freitag (18. Februar) veröffentlichte der Streaminganbieter die Dokumentation «Downfall».

Und die ruft schmerzlich ins Gedächtnis, wie viel bei der Boeing 737 Max falsch lief. Noch dramatischer ist aber der Blick in die Zukunft. Den roten Faden der eineinhalbstündigen Dokumentation bilden Kommentare des Journalisten Andy Pasztor. Er hatte immer wieder neue erschreckende Entdeckungen über Nachlässigkeiten bei Boeing als einer der ersten veröffentlicht.

Viele Aspekte, wenig Zeit

Das ist einerseits eine Stärke des Films – Pasztor kann erzählen, einordnen und schafft das mit Worten, die auch für Laien verständlich sind. Doch andererseits ist es, je nach Publikum, auch eine Schwäche.

Denn: Alle Neuigkeiten zum Skandal um die Boeing 737 Max waren vor ein paar Jahren überall nachzulesen. Auch die breite Öffentlichkeit interessierte sich für jede Kleinigkeit, die man über die Abstürze der Flieger von Lion Air und Ethiopian herausfand. Für Menschen, die sich in der Freizeit oder beruflich intensiv mit dem Thema Luftfahrt auseinandersetzen, sind aber viele Passagen des Films etwas redundant.

Aktienkurs vs. Sicherheit

Wirklich stark sind andere Teile der Dokumentation von Regisseurin Rory Kennedy. Etwas zu wenig Zeit widmet sie den Auswirkungen der Fusion von McDonnell Douglas und Boeing. Mitarbeitende erheben Vorwürfe, dass der Zusammenschluss 1996 die Unternehmenskultur drastisch zum Schlechten verändert hat. Vorher, so berichten mehrere ehemalige Angestellte, sei die Sicherheitskultur beispiellos gewesen.

Sicherheit, so berichtet eine ehemalige für die Qualitätskontrolle zuständige Mitarbeiterin, sei wichtiger gewesen als Gewinn. Doch das änderte sich mit der Fusion. «Plötzlich war unser aller Ziel, den Aktienkurs zu steigern», beklagt ein Ex-Boeing-Mitarbeiter.

Schneller Sprung

Er und ehemalige Kollegen sehen auch den Wegzug von Boeings Hauptsitz aus Seattle nach Chicago als Indiz, dass man den Ingenieuren weniger Macht geben wollte, wenn es um wichtige Unternehmensentscheidungen ging. Die Fertigung bliebt im Staat Washington. Der Film macht dann einen ziemlich schnellen Sprung. Plötzlich geht es um die Produktion der Dreamliner – und die Pannen, die bereits da vorkamen.

Stichwort vergessene Werkzeuge und Müll in gebauten Fliegern. Doch in die Tiefe geht der Film auch hier nicht. Dass ein großes Stück der Geschichte ausgelassen wird, ist wohl der begrenzten Zeit geschuldet. Könnte man sich als Luftfahrtinteressierte Zuschauerin etwas wünschen, wäre es wohl, das Ganze in eine Serie auszudehnen. Eine Stunde und 26 Minuten reichen schlicht nicht für eine wirklich komplexe Thematik wie diese.

Auch Angehörige kommen zu Wort

Denn was auch noch in dieser kurzen Zeit Platz haben muss: Die beiden Unfälle, die aufgrund des MCAS, kurz für Maneuvering Characteristics Augmentation System, ausgelöst wurden. Das System war beim neuen Flugzeug nötig, da die größeren Triebwerke der 737 Max den Schwerpunkt des Jets verlagerten. Die Folge: In gewissen Situationen drohte ein Strömungsabriss.

Das MCAS war darauf ausgelegt, das zu verhindern, und die Nase des Flugzeugs im Zweifel nach unten zu drücken. Das Problem: Die Piloten wussten nichts davon, weil Boeing es in der Boeing-737-Max-Weiterbildung nicht erwähnte. Die Folge waren zwei tragische Abstürze.

Spannender Aspekt, nur angetippt

Im Film kommen die Angehörigen der Opfer zu Wort, so etwa auch die Ehefrau des Kapitäns von Lion Air. Auch hier wird ein Aspekt erwähnt, der - im Auge einer Luftfahrtbegeisterten - eigentlich eine ganze Stunde Sendezeit hätte füllen können: Zunächst wurden von Boeing und den Ermittlern die Piloten von Lion Air beschuldigt. Weil sie keine amerikanischen Piloten waren.

Wie sich das auf die Angehörigen auswirkte, ist eindrücklich, und es berührt. Dennoch gelingt es Kennedy, eine Balance zu halten zwischen Emotionen und harten Fakten.

Ratlos zurückgelassen

Der Film lässt die Zuschauenden ein bisschen ratlos zurück. Wer Flugangst hat, wird sie weiterhin haben, ziemlich wahrscheinlich noch schlimmer. Wer bislang nicht drauf achtete, in was für ein Flugzeug er oder sie steigt, wird nach dem Film vielleicht aufmerksamer.

Was fehlt: Ein «wie weiter» – und Antworten darauf, welche Lektionen Boeing und die Aufsichtsbehörde bereits lernten. Oder auch nicht. Denn, und auch das fehlt in der Dokumentation: Gerade jetzt kämpft der Flugzeugbauer wieder mit Problemen mit einem neuen Jet, dieses Mal ist der Dreamliner betroffen. Wir fühlen uns in unserem Wunsch bestärkt: Eine Serie wäre toll.

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