Letzte Aktualisierung: um 20:02 Uhr

Michael Niggemann, Lufthansa Group

«Halten uns Möglichkeit offen, bei City Airlines englischsprachige Piloten einzustellen»

Lufthansa-Vorstand Michael Niggemann erzählt, wo es bei den Verhandlungen mit der Vereinigung Cockpit hakt, warum die Einstellungsbedingungen bei einigen Airlines sich ändern müssen, und wagt einen Blick auf den kommenden Sommer.

Nachdem Sie mit der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit VC fünf Monate im Stillen verhandelt haben, sah es zuletzt wieder mehr nach Konfrontation aus. Wie geht es jetzt weiter?
Die Gespräche wurden in einem vertraulichen Rahmen geführt, deshalb äußern wir uns nicht zu den Inhalten. Wir konzentrieren uns jetzt bei den Tarifgesprächen für das Cockpitpersonal der Lufthansa Airline und der Lufthansa Cargo auf die Verhandlungen zum Vergütungstarifvertrag (VTV, Anm. d. Red.) und Manteltarifvertrag (MTV). Wir haben hervorragende Piloten, die einen sehr guten Job machen und übrigens auch in der Krise einen relevanten Beitrag geleistet haben. Auch deshalb wollen und müssen wir in den anstehenden Tarifgesprächen gute Lösungen finden.

Wie realistisch schätzen Sie es denn ein, bis zum Sommer noch eine Lösung zu erreichen? Kommt es zum Streik? 
Streik kann immer nur Ultima Ratio sein. Wir wollen und müssen deshalb eine Einigung mit unserem Sozialpartner VC erreichen. Sonst gibt es nur Verlierer. Etwaige Arbeitskämpfe wären eine große Belastung für unsere Kunden und alle Mitarbeitenden unseres Unternehmens. Aufgrund von Streiks außerhalb unseres Unternehmens sind bei uns in den ersten Monaten dieses Jahres bereits mehr als 4000 Flüge ausgefallen. Jeder Streiktag bedeutet, dass wir zigtausende Gäste nicht an ihr Reiseziel fliegen können. Und ohne Einigung könnte Lufthansa Airlines ihre ambitionierten Wachstumspläne nicht verwirklichen. Karrieren im Cockpit würden dann nicht beschleunigt, sondern verzögert.

Wo hakt es denn gerade noch?
Wir liegen bei den Forderungen noch auseinander und Maximalforderungen helfen nicht. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, berechtigte gewerkschaftliche Anliegen mit dem Erfordernis der Wettbewerbsfähigkeit der Airlines in Einklang zu bringen. Wir haben schließlich ein gemeinsames Interesse an der Entwicklung und dem Wachstum von Lufthansa Airlines.

Ich gehe bei der VC von der gleichen Lösungsbereitschaft aus, die auch uns in den Verhandlungen leitet.

Ganz so einfach, wie das jetzt klingt, ist das aber sicher nicht.
Einfach nicht, aber lösbar. Wir haben im letzten Jahr zum Beispiel bei der Vergütung bereits gemeinsam mit der VC gehandelt – und zwar ohne formalen Abschluss eines Vergütungstarifvertrages. Jeder Pilot und jede Pilotin bei Lufthansa und Lufthansa Cargo bekommt inklusive Schichtzulage seit dem 1. April dieses Jahres über 1000 Euro mehr pro Monat – eine deutliche Gehaltserhöhung. Davon profitieren insbesondere die Eingangsgehaltsstufen, also ein First Officer mehr als ein Kapitän in der Endstufe. Allein in unseren Heimatmärkten haben wir seit letzten Sommer 20 Tarifverträge mit insgesamt zehn Gewerkschaften in fünf Ländern für nahezu alle Berufsgruppen abgeschlossen. Jüngstes Beispiel: Eine Eckpunktevereinbarung für den Manteltarifvertrag für das Cockpitpersonal der Eurowings. Das Statistische Bundesamt hat errechnet, dass die Tarifabschlüsse in Deutschland vergangenes Jahr zu Lohnsteigerungen von durchschnittlich 2,2 Prozent geführt haben. Bei der Deutschen Lufthansa AG waren es für die drei Beschäftigtengruppen Cockpit, Kabine und Boden im Schnitt über zehn Prozent, auch wenn die volle Wirkung erst in diesem Jahr eintritt, und es nach der Coronakrise besonderen Nachholbedarf gab. Das zeigt jedenfalls, dass wir für unsere Mitarbeitenden sehr gute Lösungen mit unseren Sozialpartnern erreichen wollen – und auch können.

Wie optimistisch sind Sie denn, dass Sie sich einigen?
Ich gehe bei der VC von der gleichen Lösungsbereitschaft aus, die auch uns in den Verhandlungen leitet. Auch wenn wir noch auseinander liegen, so haben wir zum Beispiel bereits Einigungsbereitschaft bei einer Kernforderung der VC signalisiert, nämlich der Abschaffung der 2017 eingeführten 2. Tarifschiene.

Cockpitcrew im Simulator. Bild: Lufthansa/Patrick Kuschfeld

Die Piloten stören sich daran, dass Sie ein weiteres AOC (Luftverkehrsbetreiberzeugnis) wollen und eine neue Airline gründen – City Airlines. Der Vorwurf: Sie machen das, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verschlechtern.
Im Gegenteil: Wir möchten unbedingt mit zwei erfolgreichen Tarifabschlüssen – VTV und MTV – die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch unsere Kern-Fluggesellschaft Lufthansa Airline deutlich wachsen kann. Das war vor der Pandemie mit unserer Perspektivvereinbarung möglich. Wir hatten ein Mindest-Flottenwachstum und auch wettbewerbsfähige Kosten vereinbart. Aufgrund der großen Ungewissheit in der Krise konnten wir diese Vereinbarung damals nicht aufrechterhalten. Das hat sich jetzt glücklicherweise wieder geändert, so dass wir offen für eine neue Verständigung sind. Wir haben schließlich ein gemeinsames Ziel: zusammen mit den Mitarbeitenden die Lufthansa Airline stärken und auch eine Lösung für die Zukunft der Lufthansa Cityline finden.

Etwa zwei Drittel der Passagiere für einen Langstreckenflug kommen über Zubringer.

Dann brauchen Sie City Airlines doch gar nicht.
Es gibt zwei Herausforderungen, die wir angehen müssen. Zum einen fehlen Lufthansa Cityline Perspektiven. Ohne Einigung mit der VC würde der alte Konzerntarifvertrag wieder greifen. Dann könnte Lufthansa Cityline beispielsweise keine Airbus A319 oder A320 mehr einsetzen. Zum anderen haben wir mit der VC ein gemeinsames Interesse, die ambitionierten Wachstumspläne der Lufthansa Airline zu fördern. Dazu bedarf es wettbewerbsfähiger Zubringerverkehre in ausreichender Menge an unseren Drehkreuzen in Frankfurt und München. Nur dann schaffen wir neue Arbeitsplätze auf der Langstrecke, denn etwa zwei Drittel der Passagiere für einen Langstreckenflug kommen über solche Zubringer, teilweise sogar noch mehr. Auch wenn wir eine Weiterentwicklung von Lufthansa Airline und Lufthansa Cityline präferieren, so ist City Airlines mit ihren wettbewerbsfähigen Strukturen eine der Optionen für einen Teil der Zubringerverkehre und damit auch eine mögliche Zukunft für die Kollegen und Kolleginnen der heutigen Lufthansa Cityline. Daher ist es das Ziel, dass auch eine City Airlines unter der Marke Lufthansa fliegt.

Überall spricht man von einer Pilotenknappheit. Werden Sie denn für City Airlines überhaupt genügend Crews finden?
Aktuell stellen wir dort noch keine Piloten ein, sondern machen nur das, was für den Erhalt des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses gegenüber dem Luftfahrt-Bundesamt erforderlich ist. Das haben wir der VC für die Dauer der gemeinsamen Gespräche zugesagt. Sollten wir Cockpitpersonal einstellen, sind wir zuversichtlich, ausreichend Piloten gewinnen zu können. Zumal wir uns die Möglichkeit offenhalten, englischsprachige Piloten einzustellen. Das Bewerberinteresse für einen Platz im Cockpit bei unseren Konzernairlines ist unverändert groß: Jüngst gab es bei Brussels Airlines auf nur 30 offene Stellen weit mehr als 1000 Bewerbungen.

Die Vereinigung Cockpit plant eine einzige, starke Tarifkommission für die Lufthansa-Gruppe – Airline-übergreifend. Sie nennt das «suchthafte Neugründen» immer weiterer Töchter von Lufthansa als Grund dafür. Was halten Sie von den Plänen?
Allein die VC und ihre Mitglieder entscheiden, wie sie sich aufstellen wollen. Nach unserem derzeitigen Verständnis ändert sich wenig, denn bereits heute agieren die Tarifkommissionen der VC eng abgestimmt. Für uns bleibt es das Ziel, mit dem Sozialpartner für jede Airline im Konzern gute Lösungen für die jeweilige Fluggesellschaft und ihre Beschäftigten zu finden. Diese Herausforderungen bleiben unabhängig davon, wie sich die Sozialpartner organisieren. Denn jede unserer Fluggesellschaften hat eine andere Wettbewerbssituation und auch operativ gibt es große Unterschiede. Darauf müssen wir gemeinsam kluge Antworten finden.

Es kann auch mal intensiver werden, aber die Form wird auf beiden Seiten stets gewahrt.

Können Sie da ein Beispiel geben?
Eine Punkt-zu-Punkt-Airline wie Eurowings ist in einem völlig anderen Umfeld unterwegs und ist operativ anders aufgestellt als eine Netzwerk-Fluggesellschaft wie Lufthansa. Und bei einer Zubringerairline wie Lufthansa Cityline im Hubverkehr sieht es noch einmal anders aus.

Ist also eine einzige Tarifkommission nicht im Interesse der Crews der verschiedenen Betriebe?
Es bleibt abzuwarten, ob alle Beschäftigten sich hierdurch gut repräsentiert fühlen. Die große Stärke der Lufthansa Group ist die Vielfalt ihrer Airlines und deren ‚individuelle’ Qualitäten. Obwohl wir anders als die großen anderen europäischen Langstrecken-Airlines nicht über ein ausreichend großes Einzugsgebiet wie Paris oder London verfügen, konnten wir hierdurch die Nummer Eins in Europa werden und uns weltweit unter den fünf größten Airline Gruppen platzieren. Es gibt also nicht nur die eine Cockpit-Stimme im Konzern, sondern unterschiedliche Interessen, Herausforderungen und Sichtweisen.

Sie wirken sehr ruhig. Regen Sie sich nicht auch manchmal furchtbar auf, wenn die Verhandlungen so festgefahren sind?
Es kann auch mal intensiver werden, aber die Form wird auf beiden Seiten stets gewahrt. Das zeichnet eine gute Sozialpartnerschaft aus – auch die mit der VC. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in den Verhandlungen gemeinsam gefordert sind, gute Lösungen für unsere Pilotinnen und Piloten zu finden. Sie und auch alle anderen Beschäftigungsgruppen haben es schlicht verdient.

Cockpitfenster eines Airbus A350 von Lufthansa. Bild: Lufthansa/Oliver Roesler

Sie suchen in allen Bereichen wieder Personal. Ist das schwieriger als früher?
Wir waren wegen Corona zwei Jahre lang als Unternehmen überwiegend mit negativen Nachrichten in den Medien. Bewerber dann wieder zu überzeugen, dass wir vernünftige Rahmenbedingungen und eine Zukunft bieten, ist anspruchsvoll. Deshalb bin ich stolz, dass es wieder gut läuft: Lufthansa als Arbeitgebermarke ist enorm beliebt. Menschen wollen in der Luftfahrt und insbesondere bei uns arbeiten. Die Begeisterung für unsere Branche und für unser Unternehmen ist nach wie vor groß. Die Zahlen belegen es: Allein in diesem Jahr haben wir als Lufthansa Gruppe bereits mehr als 6000 Menschen eingestellt, 2022 waren es mehr als 10.000. Von 2022 bis Ende 2023 werden wir dann über 20.000 neue Kolleginnen und Kollegen und damit – nach einem Ausscheiden der LSG Gruppe – 20 Prozent neue Mitarbeitende im Konzern begrüßen. Ich kenne kein anderes Unternehmen, dass etwas Vergleichbares in so kurzer Zeit erreicht hat. Ich glaube auch daran, dass wir dieses Jahr wieder zu den Top-Ten-Arbeitgebermarken Deutschlands gehören werden.

Wenn man schon einen festen Dienstplan hat, muss man sich darauf auch verlassen können, dass die Freizeit planbar ist.

Wo mangelt es Ihnen denn am meisten an Fachkräften?
Bei der IT ist die Suche anspruchsvoll, aber das ist auch in anderen Branchen der Fall. Wir suchen darüber hinaus auch sehr viele Mechanikerinnen und Mechaniker und Pilotenschüler.

In den USA spricht man von einem Renten-Tsunami bei den Jobs für Kapitäninnen und Kapitäne. Kommt sowas auch hier in Deutschland?
Wir passen bereits unsere Planung für den Pilotennachwuchs an, den wir über unsere Flugschule bekommen. Ursprünglich wollten wir 300 Absolventen pro Jahr. Jetzt haben wir zusammen mit Partnerschulen Kapazität für deutlich mehr. Gerade im Cockpit streben wir mehr Diversität an, denn zum Beispiel der Frauenanteil ist immer noch zu niedrig. Auch deshalb wollen wir in Zukunft in einigen Flugbetrieben englischsprachige Bewerber akzeptieren, um so den Pool an qualifizierten Bewerbern vergrößern zu können.

Jüngere Männer und Frauen legen inzwischen größeren Wert auf Dinge wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist für Arbeitgeber ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Wie flexibel kann man da beim fliegenden Personal überhaupt sein?
Ein wichtiges Thema, das auch uns intensiv beschäftigt. Nehmen wir die Home-Office-Debatte: Für das Cockpit und Kabinenpersonal stellt sich diese Frage gar nicht. Damit trotz strikter Arbeitszeiten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich ist, müssen wir bestimmte Dinge adressieren, um weiterhin attraktiv für Mitarbeitende zu sein. Wir haben bereits heute gute Teilzeitmodelle für Cockpit und Kabine, die wir weiterentwickeln können und wollen.

Welche Themen sind dem Cockpitpersonal noch wichtig?
Dienstplanstabilität und Planbarkeit bei freien Tagen. Zuletzt fehlte die Stabilität aufgrund der operationellen Herausforderungen im gesamten Luftverkehr. Der Wunsch vieler Pilotinnen und Piloten: Wenn man schon einen festen Dienstplan hat, muss man sich darauf auch verlassen können, dass die Freizeit planbar ist. Das haben wir verstanden und arbeiten deshalb intensiv daran, damit dies besser wird – allen voran durch eine verlässliche Operations.

Und das gelingt Ihnen?
Ich bin optimistisch, dass es spürbar besser wird als im vergangenen Sommer. Wir haben als Unternehmen jedenfalls alles dafür getan, damit der Flugbetrieb stabil bleibt. Der erste echte Härtetest war zu Ostern, der aber insgesamt erfolgreich verlief. Dennoch kann es im flugintensiven Sommer an einzelnen Tagen wieder anspruchsvoll werden, allen voran für die operativen Kolleginnen und Kollegen. Das Gesamtsystem Luftfahrt mit all seinen Systempartnern ist in Deutschland, aber auch Europa leider noch nicht so widerstandsfähig, wie es eigentlich sein müsste. Dennoch bleibe ich zuversichtlich, dass es deutlich besser wird als letztes Jahr. Warum? Weil wir uns in den vergangenen Monaten eine stabilere Operations erarbeitet haben – darauf können wir aufbauen.

Michael Niggemann ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Lufthansa AG. Er verantwortet das Ressort «Personal und Infrastruktur» und übernimmt zudem die Funktion des Arbeitsdirektors. Zuvor agierte er im selben Konzern als Finanzchef bei Swiss International Airlines in Zürich. Der 1974 in Dortmund geborene Jurist startete seine Karriere 2004 als Anwalt.