Müssen Piloten nicht fliegen, um ihre Lizenz zu behalten? Was passiert, wenn alle Flugzeuge am Boden sind? Das möchte Leser Roland Ehrmüller wissen. Ein Linienpilot antwortet.
Mehr und mehr Flugzeuge stehen am Boden, wenn überhaupt bedienen Airlines nur noch ausgewählte Strecken, wöchentliche Hauptstadtverbindungen oder «Rückholer» für gestrandete Staatsbürger. Der übliche Crewfaktor, mit dem große Airlines ihre Flieger betreiben, lautet auf ca. 1 zu 6 bis 1 zu 8 - bei uns bleiben für jeden Flieger demnach zwischen sechs bis acht Crews am Boden.
Meine Erlaubnis, als Pilot Passagiere um die Welt zu fliegen, ist an verschiedene Berechtigungen gebunden, die ohne regelmäßige Wissens- und Fähigkeitsnachweise verfallen. Die Vorgaben dazu werden von den Luftfahrtbehörden erlassen, und teilweise von meiner Airline durch selbstauferlegte Qualitätsstandards noch verschärft.
Die wichtigsten Berechtigungen, die ich zum Fliegen in meiner Airline benötige – und die auch und ablaufen können – sind folgende :
Alle oben genannten Ablaufdaten sind kreuz und quer über das Jahr verteilt. Sie verfallen also nicht zu einem einzigen Stichtag. Piloten arbeiten also einen Punkt nach dem anderen ab. Kein Kollege gleicht dem anderen, jeder hat verschiedene Reihenfolgen und verschiede Ablaufdaten – alles läuft neben der eigentlichen Tätigkeit Linienflug. Wenn im laufenden Jahr alles erledigt ist, beginnt im nächsten Jahr alles wieder von vorne.
Wenn, wie aktuell, eine Störung in diesem «Uhrwerk Airline» auftritt, kommt natürlich das sorgsam abgestimmte Abarbeiten all dieser Zulassungen ins Stocken. Im kleinen Rahmen ist das kein Problem. Bricht man sich zum Beispiel kompliziert den Fuß, und wird nach einem halben Jahr Pause wieder eingespult, kann man verpasste Nachweise nachholen, bevor es wieder «auf Line» geht.
Bei Störungen im größeren Umfang wie aktuell sieht das anders aus. Die Arbeit in der Administration für die Teams der Lizenzierung und des Trainings wird dabei sehr schnell komplex und nimmt exponentiell zu.
Aber bei genauer Betrachtung kann man erkennen, daß bis auf den Punkt Line-Check kein echtes Flugzeug benötigt wird. Alles außer dem Line-Check kann im Simulator erledigt werden, oder es handelt sich um Veranstaltungen am Boden. Auch die drei Landungen in 90 Tagen können in einem zugelassenen Simulator nachgewiesen werden.
In früheren Wirtschaftskrisen war das schon Praxis: Jede volle Stunde werden dann jeweils ein Kapitän und ein Kopilot zusammen im Simulator mit sechs Landungen beauftragt, jeder absolviert drei Stück. Dann kommen die nächsten Crews dran. Pro Simulator und Tag bekommt man so notfalls wieder 20 Crews «verarztet».
Doch aktuell gibt es noch eine weitere Herausforderung. Um die Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen, sollen möglichst wenige Menschen zusammenfinden. Und dieses Problem ist ein stark limitierender Faktor. Das Training im Simulator und in den Trainingszentren, wo Face to Face trainiert wird, ist jetzt nicht mehr möglich.
Einige Kollegen überschreiten bereits ihre Ablaufdaten, andere haben Glück und ihre zufällig gerade erneuert, wieder andere haben ihre konzentrierter im späteren Jahresverlauf geplant. Damit bleibt ein gewisser Prozentsatz der Crews erstmal lizensiert. Aber je länger Covid-19 uns beschäftigt, um so mehr Crews müssen mit erheblichen Aufwand wieder «current» gehalten oder gemacht werden – also die Möglichkeit erhalten, ihre Checks nachzuholen.
Wir erkennen: eine einfache Lösung ist nicht verfügbar. Zur Zeit wird viel manuell von den entsprechenden Abteilungen abgearbeitet, und auch die Behörden sind in diesen Prozess eingebunden. Hier helfen unsere robusten Strukturen, Erfahrung der Airlinekollegen am Schreibtisch mit den richtigen Kontakten, und Reserven, die wir vorher schon geschaffen haben.
Was Sie schon immer übers Fliegen wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Ein Pilot einer großen europäischen Fluglinie beantwortet exklusiv für aeroTELEGRAPH die Fragen der Leser. Er bleibt dabei anonym, um unabhängig antworten zu können. Schicken Sie uns einfach eine E-Mail an pilot@aerotelegraph.com. Unter den eingesandten Fragen werden die spannendsten jeweils auf aeroTELEGRAPH beantwortet. Dabei wird der Name des Einsenders veröffentlicht. Ein Recht auf Beantwortung besteht nicht. Es gelten die AGB von aeroTELEGRAPH.