Letzte Aktualisierung: um 8:46 Uhr

Regierungskritiker an Bord

Weißrussland zwingt Ryanair-Flug zur Landung

Ein Flugzeug von Ryanair war auf dem Weg nach Litauen. Bei der Durchkreuzung des weißrussischen Luftraums änderte sich plötzlich die Destination.

Aktualisiert vor 4 Jahren

Ryanair-Flug 4978 sollte am Sonntagmittag (23. Mai) eigentlich von Athen nach Vilnius fliegen. Doch beim Durchkreuzen des Luftraums von Weißrussland änderte sich das Ziel. Das Flugzeug wurde zur Landung in Minsk gezwungen. An Bord befand sich ein Regierungskritiker.

Laut Flugtracking-Seiten meldete die Boeing 737 um 12:48 lokaler Zeit einen Squawk von 7700, der in der Luftfahrt für einen allgemeinen Notfall steht. Das Flugzeug befand sich allerdings schon kurz vor Litauen, bei einem tatsächlichen Notfall wäre es demnach schneller gewesen, am Ziel zu landen, statt die Umleitung nach Minsk zu nehmen.

Einsatz von Geheimdienst und Kampfflugzeug

Der regierungskritische Nachrichten-Kanal Nexta meldet, dass sich Agenten des weißrussischen Geheimdienstes KGB an Bord befanden. Chefredakteur Tadeusz Giczan zufolge starteten diese während des Fluges eine Auseinandersetzung mit der Crew und zwangen die Piloten, einen Notfall zu melden.

Staatsmedien sprachen zunächst von einer Bombendrohung. Sie berichten außerdem, dass ein Kampfflugzeug vom Typ Mikojan Mig-29 zur «Begleitung» der 737 eingesetzt wurde. 171 Passagiere befanden sich auf dem Flug, so Litauens Außenminister. Nach über sechs Stunden am Boden hob die Maschine mit dem Kennzeichen SP-RSM um 20:47 Uhr lokaler Zeit wieder ab, um nach Vilnius zu fliegen. Wer alles an Bord ist, und wer nicht, ist unklar.

Weißrussland nimmt Regierungskritiker fest

Auf dem Ryanair-Flug aus Athen befand sich Roman Protasevich. Der zwischenzeitlich aus Weißrussland geflohende Blogger und Journalist war zuvor Chefredakteur vom Nachrichten-Kanal Nexta, und hatte 2020 eine wichtige Rolle in der Demokratie-Bewegung des autokratischen Landes gespielt.

Protasevich wurde nach der erzwungenen Landung des Ryanair Sun Flugzeugs in Minsk festgenommen. Der staatliche Geheimdienst wirft ihm Terrorismus vor und drohte zuvor bereits mit der Todesstrafe.

Politiker und Aktivisten fordern Konsequenzen

Binnen kurzer Zeit haben sich sämtliche Mitglieder der Demokratiebewegung in den sozialen Netzwerken gemeldet. Die weißrussische Oppositionspolitikerin Sviatlana Tsikhanouskaya, die letztes Jahr ebenfalls aus dem Land fliehen musste, forderte eine sofortige Freilassung des Journalisten, sowie Sanktionen gegen die Regierung. Wegen des schweren Eingriffs in den Luftverkehr ruft sie die ICAO zu einer Ermittlung auf.

EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte in einem Tweet am Sonntag Nachmittag eine sichere Weiterreise für alle Passagiere, sowie Konsequenzen für Weißrusslands Verstoß gegen internationale Luftfahrt-Regeln. Auch Ingrida Šimonytė, die Premierministerin von Litauen, forderte eine Freilassung und Weiterreise des Flugzeugs und aller Passagiere. Weißrussland habe die Fluggäste und Crew in Gefahr gebracht. Polens Außenminister beschrieb die Situation als einen Akt von Staatsterrorismus.

Verstoß gegen die Chicago Konvention

Mit dem gezielten Eingriff in die kommerzielle Luftfahrt hat Weißrussland gegen die Konvention der internationalen Zivilluftfahrt (bekannt als Chicago Konvention) von 1944 verstoßen. Auch die zivile Luftfahrtorganisation ICAO schreibt in einem ersten Statement: «Die ICAO ist sehr besorgt über die offensichtlich erzwungene Landung eines Ryanair-Fluges und seiner Passagiere, die einen Verstoß gegen das Abkommen von Chicago darstellen könnte. Wir warten auf weitere offizielle Informationen von den betroffenen Ländern und Betreibern.»

Der Airline-Dachverband Iata verlangt eine «kompetente» Ermittlung internationaler Behörden zu dem Vorfall. «Wir verurteilen jede Einmischung in den zivilen Flugbetrieb oder gezwungene Landung, die nicht mit den Regeln des Völkerrechts vereinbar ist, aufs Schärfste.» In einem Statement am Montag (24. Mai), beschrieb Ryanair den Vorfall als «einen Akt von Luftfahrt-Piraterie». Am selben Tag nutzt die Airline aber weiterhin weißrussischen Luftraum für manche ihrer Flüge.

Litauen verbietet Nutzung weißrussischen Luftraums

Am Montagnachmittag (24. Mai) verkündeten die Außen- und Transportminister von Litauen, dass alle Flüge von und zu dem EU-Land ab Dienstag (25. Mai) nicht mehr den Luftraum von Weißrussland nutzen dürfen. Außerdem rufen die Minister ihre Bürger dazu auf, nicht nach Weißrussland zu reisen.

In Reaktion auf den Ryanair-Vorfall hatte die lettische Fluggesellschaft Air Baltic bereits am gleichen Tag vorsichtshalber Weißrussland umflogen. Auch am Montag und Dienstag wird das Land weiterhin nicht durchflogen. «Air Baltic hat sich entschieden den weißrussischen Luftraum zu vermeiden, bis die Situation klarer wird oder die Behörden eine Entscheidung treffen.»