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Thierry Gharib, Novespace Air Zero G

«Airbus ist tatsächlich einmal Parabeln mit einem A380 geflogen»

Novespace betreibt das einzige Flugzeug für Parabelflüge in Europa. Im Interview spricht Chef Thierry Gharib über Schwerelosigkeitsflüge für Privatpersonen, die Herausforderung bei Wartung und Instandhaltung und zukünftige Bestellungen.

Wer in Schwerelosigkeit schweben will, der muss eigentlich in den Weltraum fliegen. Aber es gibt eine Ausnahme. Mit sogenannten Parabelflügen kann im einem Flugzeug Schwerelosigkeit simuliert werden. Das funktioniert durch einen Steigflug, gefolgt von einem steilen, parabelförmigen Sinkflug, bei dem die Triebwerke fast auf null heruntergefahren werden.

Das Manöver ist kompliziert und kann nur von speziell trainierten Piloten gesteuert werden. Nur wenige Unternehmen und Flugzeuge führen solche sogennanten Zero-G-Flüge durch. Das einzige davon in Europa ist Novespace, eine Tochter der französischen Raumfahrtagentur CNES, die mit ihrem Airbus A310 vor allem Forschungsprojekte unterstützt. Inzwischen können aber auch Privatpersonen Schwerelosigkeitsflüge buchen.

Wir haben uns mit Novespace-Chef Thierry Gharib unterhalten.

Novespace zu leiten, hat das mehr etwas von einer Airline oder einer Forschungseinrichtung?
Thierry Gharib*: Eigentlich nichts davon. Unser Geschäft bei Novespace ist es, eine Dienstleistung für Forscher bereitzustellen. Das Flugzeug ist im Prinzip ein Labor, ein Werkzeug für Forschungsprojekte. Unser Ziel ist es, dieses Werkzeug mit dem bestmöglichen Service denen zur Verfügung zu stellen, die an Bord sind. Wir sind also keine herkömmliche Airline. Aber auch keine Forschungseinrichtung, weil wir die Forschung ja nicht selber durchführen.

Warum die Vermarktung als Air Zero G? Das lässt es so aussehen, als würden Sie gerne als Airline wahrgenommen werden.
Eigentlich kam dieser Name heraus, als wir zum ersten Mal nicht Forscher flogen, sondern reguläre Passagiere. Wir fliegen 10 Prozent unserer Flüge mit normalen Passagieren. Wenn wir das 2013 nicht gestartet hätten, wären amerikanische oder russische Unternehmen gekommen, die sich mit europäischen Partnern zusammengetan hätten, um solche Flüge in Europa durchzuführen. Also wollten wir uns diesen Markt sichern, anstatt ihn anderen internationalen Unternehmen zu überlassen. Ein weiterer Grund, warum wir diese Flüge der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben, ist, dass wir viele Trainingsflüge brauchen, um die bestmögliche Parabel-Qualität zu erreichen.

Wie funktioniert das?
Die Forscher wollen so nah wie möglich an null herankommen. Und wenn wir mehr Flüge für die Öffentlichkeit anbieten, können wir, ohne leer fliegen zu müssen, unsere Zero G Piloten besser trainieren. Wir können mit Passagieren fliegen und werden dafür bezahlt, und wir geben viel davon an unsere Hauptkunden, die Raumfahrtbehörden, zurück. Wenn man also ein Ticket kauft, geht ein Drittel des Ticketpreises an die Raumfahrtagenturen, die dann mehr Flüge für die Forscher durchführen oder Ausrüstung für die Forscher kaufen können. Die öffentlichen Flüge helfen uns also, einen besseren Service zu bieten, weil unsere Piloten besser trainiert sind, und wir können den Raumfahrtagenturen Geld für die Forschung zurückgeben. Wir sind kein privates kommerzielles Unternehmen, sondern eine Tochtergesellschaft der französischen Raumfahrtagentur CNES, die eine öffentliche Einrichtung ist.

Können Interessierte Personen einfach in ein Reisebüro laufen und sagen: Ich würde gerne einen Zero-G-Flug buchen, oder wie läuft das ab?
Öffentliche Interessenten können das Ticket zum Beispiel einfach über das Internet kaufen. Wir haben dieses Jahr sechs Flüge für die Öffentlichkeit. Sie sind alle ausgebucht. Für 2025 sind noch einige Plätze für August 2025 zu haben.

Warum führen Sie nicht mehr Flüge mit Passagieren durch?
Wir führen nur 10 Prozent unserer Aktivitäten für reguläre Passagiere durch, weil wir das Potenzial des Flugzeugs für die wissenschaftliche Nutzung erhalten wollen. Jedes Flugzeug ist durch eine bestimmte Anzahl von Zyklen in seinem Leben begrenzt, zum Beispiel 40.000 Zyklen mit Start und Landung. Wenn wir Parabel fliegen, müssen wir deutlich mehr Zyklen zählen.

Wie teilen sich denn Ihre Einnahmen für den Betrieb des Zero-G-Flugzeugs auf?
Das Verhältnis liegt bei 90 Prozent aus Forschungsprojekten zu 10 Prozent aus den öffentlichen Flügen.

Warum haben Sie sich für einen Airbus A310 entschieden, der zuvor für die deutsche Regierung flog?
Wir hatten die Unterstützung des DLR, um dieses Flugzeug von der deutschen Regierung zu kaufen. Es ist ein A310, also sehr ähnlich zu unserem vorherigen Flugzeug, dem A300. Es war einfacher, dieses Modell zu erproben und zu zertifizieren. Wir waren ziemlich sicher, dass es im Parabelflug gut funktionieren würde, denn nicht alle Flugzeugtypen sind für Parabelflüge geeignet. Es befand sich in einem sehr guten Zustand, und es war daher eine großartige Gelegenheit für uns.

Wie lange wollen Sie den aktuellen A310 noch betreiben?
Ich denke wir werden ihn mindestens noch bis 2030 fliegen, maximal aber bis 2035.

Der A310 ist kürzer als der Vorgänger A300. Ist das nicht ein Nachteil, weil er weniger Platz hat?
Das hätte zum Nachteil werden können. Aber es ist wichtig, dass das Flugzeug so viel Platz wie möglich für Schwerelosigkeitsexperimente bietet. Also haben wir im hinteren Teil des Flugzeugs den Abstand der normalen Sitze verringert. So konnten wir den selben Raum für den Experimentierungsbereich des Flugzeugs schaffen.

Sie erwähnten vorhin die Lebenszyklen des Flugzeugs. Wie gestaltet sich denn die Wartung, verglichen zu einem normalen Passagierflugzeug?
Es ist dieselbe Wartung. Aber wir müssen für viele Teile des Flugzeugs, wie zum Beispiel die Triebwerke, eine deutlich häufigere Wartung durchführen. Nach drei bis sechs Jahren müssen die Teile mit begrenzter Lebensdauer der Triebwerke ausgetauscht werden. Für einen Parabelflug müssen wir 30 Zyklen des Flugzeugs und der Triebwerke zählen, weil jede Parabel einen Zyklus darstellt. Der Austausch von Teilen mit begrenzter Lebensdauer erfolgt also 30-mal häufiger als bei einem normalen Betrieb.

Wie viele Leute, sowohl am Boden, als auch in der Luft, braucht es, um einen Parabelflug durchzuführen?
Ungefähr 30 Leute. Darunter 20 Personen im Flugzeug, zwei im Management und drei Wartungstechniker.

Wie viele Forscher oder Passagiere sind in der Regel an Bord?
40. Wenn es sich um Forscher handelt, haben wir Experimente, die Platz in Anspruch nehmen, die Leute hingegen schweben nicht herum. Sie sind normalerweise angeschnallt, außer bei einigen Versuchspersonen, die frei schweben können. Man könnte meinen, dass wir bei öffentlichen Flügen ohne Experimente mehr Leute unterbringen könnten. Aber in diesem Fall schweben die Leute frei herum, und wir wollen nicht, dass sie sich gegenseitig anrempeln. Deshalb ist die Anzahl der Personen bei beiden gleich.

Ein einzelnes Mikrogravitationsereignis dauert etwa 22 Sekunden, ist das nicht ziemlich kurz für Experimente?
Ja, das stimmt. Es ist eine kürzere Zeit als auf der Raumstation. Aber viele Experimente können bereits in 22 Sekunden durchgeführt werden. Wir haben sogar Projekte, die brauchen nur eine oder zwei Sekunden. Zum Beispiel ein Experiment, bei dem es darum ging, ein Atom zu kühlen. Die Idee ist, mit diesen Atomen eine Art Uhr zu bauen. Und wenn Sie es auf dem Boden machen, gewinnen die Atome an Geschwindigkeit durch das Fallen. Wenn wir die Parabel fliegen, bewegen sich die Atome viel langsamer, und erzeugen eine kühlere Temperatur, weil die Temperatur von der Bewegung abhängt. Das Ergebnis ist bereits in Satelliten im Einsatz. Wenn man eine sehr präzise Uhr hat, kann man eine Menge Dinge damit bauen: Beschleunigungssensoren, Positionsmeter, und vieles mehr. Es gibt aber auch Experimente, für die 22 Sekunden nicht ausreichen, etwa viele biologische Experimente.

Arbeiten Sie neben Esa, DLR und CNES auch mit anderen Forschungsinstitutionen zusammen?
Im Juni 2023 ist die Nasa zu uns nach Frankreich gekommen. Wir haben eine umfassende Kampagne für die Nasa durchgeführt, weil sie den Service schätzt, den wir den Wissenschaftlern bieten. Es gibt zwar ein Flugzeug in den USA, aber das ist nicht auf die Wissenschaft konzentriert, sondern mehr auf die Öffentlichkeit. Wir hatten von Zeit zu Zeit auch mal chinesische und japanische Experimente. Manchmal ist es ein Rennen zwischen dem DLR und zum Beispiel der chinesischen oder der japanischen Raumfahrtbehörde um die Experimente. Wir begrüßen Raumfahrtagenturen aus allen Teilen der Welt.

Sind Sie lieber auf den Zero-G-Flügen, oder bevorzugen Sie es, am Boden zu bleiben?
Ich bevorzuge es, auf den Flügen zu sein. Aber es gibt natürlich auch andere Kollegen bei Novespace, die gerne mal mitfliegen wollen. Wir müssen uns also drum streiten.

Wie oft fliegen Sie denn bei den Schwerelosigkeitsflügen mit?
Ungefähr zehnmal im Jahr. Ich muss natürlich auch andere Leute mitfliegen lassen, ansonsten wäre ich jedes Mal dabei.

Wie wird Novespace den Airbus A310 ersetzen, wenn er das Ende seiner Lebenszeit erreicht?
Wir setzen uns bereits mit dem Ersatz des Flugzeugs auseinander, und haben mehrere Typen im Auge. Es wird ein Airbus sein, weil wir für unseren Betrieb eine große Unterstützung durch den Hersteller benötigen und wir nahe an Airbus dran sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ein anderer Hersteller da in Frage käme. Wir wissen jedoch noch nicht, welchen Typ von Airbus wir wählen werden.

Gibt es bei der Größe eine Beschränkung?
In Vergangenheit haben wir uns sogar den Airbus A380 angeschaut, aber er war zu teuer. Airbus ist tatsächlich einmal Parabeln mit einem A380 geflogen, um zu zeigen, dass es möglich ist. Das war fabelhaft. Der Hersteller wollte uns das Flugzeug anbieten, aber wir konnten uns nicht auf einen wirtschaftlichen Preis für die Wartung einigen. Es war zu teuer und die Organisation wäre ein Alptraum geworden. Denn mit einem Flug kann man ungefähr so viel fliegen wie wir hier in einem Jahr. Unser Betriebsmodell wäre völlig anders geworden.

Also – welche Flieger kommen in Frage?
Wir haben A320, A330, A340 und A350 als Optionen. Aktuell wäre es eher eine Wahl zwischen A320 und A330. Der A340 ist noch nicht ganz aus dem Rennen, aber er hat vier Triebwerke. Wirtschaftlich gesehen ist er teurer, und wir müssen ihn noch genauer untersuchen, weil es sich bei ihm um eine andere Art von Triebwerken handelt, die deutlich weniger leistungsstark sind. Nach unseren Gesprächen mit den Raumfahrtagenturen könnte es mehr Chancen für einen A320 geben. Oder einen A330, wenn wir die gleiche Größe beibehalten wollen, an die die Experimentatoren gewöhnt sind. Mit einem A320 hingegen könnten wir häufiger fliegen und mehr Flugmöglichkeiten im Jahr anbieten.

Warum würde der A320 zu mehr Flugmöglichkeiten führen?
Er ist günstiger, andererseits passen weniger Experimente rein. Um alle Experimente, die in einem Jahr anstehen, durchzuführen, müssten wir also mehr Flüge absolvieren. Ein Vorteil wäre dann, dass eine Firma oder Institution leichter das gesamte Flugzeug selbst beauftragen kann, wenn sie nur drei oder vier Experimente haben, und nicht zehn. Aktuell brauchen Unternehmen oder Forschungseinrichtungen normalerweise eine Raumfahrtbehörde, die sie unterstützt und ihnen den Raum an Bord zur Verfügung stellt. Es ist derzeit zu teuer, für wenige Experimente den ganzen Flug zu buchen.

* Thierry Gharib ist seit 2011 Vorsitzender und Geschäftsführer von Novespace. Sein Unternehmen gehört zur französischen Raumfahrtagentur CNES und führt als einziges in Europa Parabelflüge für Experimente in der Schwerelosigkeit durch. Gharib studierte in Toulouse Ingenieurwesen und machte später einen Abschluss auf der Lyon Business School. Schon lange ist er bei Novespace aktiv. Vor seiner Tätigkeit als Führungskraft arbeitete er unter anderem in den Bereichen Marketing, Unterstützung der Forschungsprojekte und der Organisation des Flugprogramms. Außerdem arbeitet er eng mit der französischen CNES und der europäischen ESA zusammen.