Olga Tolstykhina, Windrose Airlines
«Würden gerne mehr Flugzeuge aus der Ukraine ausfliegen»
Die ehemals größte ukrainische Charterfluggesellschaft betreibt derzeit nur drei Flugzeuge für internationale Wet-Lease-Einsätze. Kommerzchefin Olga Tolstykhina spricht im Interview über die Perspektiven für Windrose Airlines.
Olga Tolstykhina und die Boeing 737-900, mit dem Kennzeichen UR-PSI, die einst für Ukraine International Airlines flog: Jetzt für Windrose unterwegs.
Olga Tolstykhina und die Boeing 737-900, mit dem Kennzeichen UR-PSI, die einst für Ukraine International Airlines flog: Jetzt für Windrose unterwegs.
Werfen wir einen Blick zurück auf den Beginn des Krieges in der Ukraine: Welche direkten Auswirkungen hatte er auf Windrose Airlines?
Olga Tolstykhina*: Um ehrlich zu sein, hat niemand wirklich geglaubt, dass ein Krieg ausbrechen würde. Natürlich waren wir nervös, wir hatten viele Informationen von unseren Partnern, Informanten und Versicherungsgesellschaften erhalten und wurden regelmäßig über die neuesten Entwicklungen informiert, aber die Schwere des Konflikts und seine Auswirkungen auf Windrose Airlines haben uns überrascht.
Haben Sie Vorbereitungen für den schlimmsten Fall getroffen?
Das haben wir. Nach jeder Landung eines unserer Flugzeuge haben wir es für einen mindestens einstündigen Flug aufgetankt und Besatzungen in Bereitschaft gehalten, falls das Flugzeug kurzfristig ausgeflogen werden musste. Dass Bomben und Raketen auch auf ukrainische Städte im Westen des Landes wie Kyiv fallen würden und sich der Krieg nicht auf den Osten beschränken würde, war jedoch für uns alle unerwartet.
Haben Sie bis zum Beginn des Krieges regelmäßig Flüge durchgeführt?
Wir haben regelmäßige Inlandsflüge mit unseren ATR 72-600 durchgeführt sowie internationale Linienflüge von Boryspil nach Bulgarien, Montenegro, Kroatien, Albanien und Serbien. Außerdem haben wir in Zusammenarbeit mit den führenden ukrainischen Reiseveranstaltern Charterflüge durchgeführt und sind von großen Flughäfen wie Boryspil, Lviv, Kharkiv, Odessa, Zaporizhzhia und Dnipro zu beliebten Urlaubszielen geflogen.
Wie groß war die Flotte und welche Pläne hatten Sie für die Zukunft?
Wir hatten uns gerade von den Auswirkungen der Covid-Pandemie erholt und wollten mit vier weiteren Flugzeugen wachsen, um in diesem Jahr mit jeweils acht Airbus- und acht ATR-Flugzeugen in die neue Saison zu starten.
Was ist aus den Flugzeugen geworden?
Bisher haben wir es nur geschafft, eine ATR 72-600 von Lviv auszufliegen, während der Rest unserer Flotte in Kyiv-Boryspil und Dnipro geparkt bleibt, wo wir auch Hangars unterhalten. Obwohl die Flugzeuge langfristig eingelagert sind, führen unsere Techniker Inspektionen durch, um ihre Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die Flugzeuge schnell verlegen zu können, sobald wir grünes Licht erhalten.
Derzeit werden unsere Boeing-Flugzeuge in England einem C-Check unterzogen, während unsere E190 im Wet-Lease mit XE Jet in Nigeria unterwegs ist.
Aber Sie betreiben heute drei Flugzeuge. Woher kommen sie?
Es handelt sich um ehemalige Flugzeuge von Ukraine International Airlines, eine Boeing 737-800, eine 737-900 sowie eine Embraer E190, die nach Einstellung des Flugbetriebs in unser Luftverkehrsbetreiberzeugnis überführt wurden. Glücklicherweise waren sie im Ausland geparkt, als der Krieg ausbrach.
Und von wo aus betreiben Sie heute Ihre Flugzeuge?
Unser Hauptbüro befindet sich nach wie vor in Kyiv, wo wir unsere aktuellen Wet-Lease-Aktivitäten verwalten. Als wir im letzten Winter keine Aufträge hatten, haben wir unsere Flugzeuge vorübergehend in Bratislava in der Slowakei geparkt. Nachdem wir technisch bereit waren, übernahmen wir im vergangenen Jahr unsere ersten ACMI-Verträge in Ägypten und Tunesien. Diesen Sommer haben wir Flüge für Air Montenegro und Fly One in Moldawien durchgeführt. Derzeit werden unsere Boeing-Flugzeuge in England einem C-Check unterzogen, während unsere E190 im Wet-Lease mit XE Jet in Nigeria unterwegs ist.
Wie sieht es für den kommenden Sommer aus?
Dafür liegen uns noch keine unterzeichneten Verträge vor. Wir sondieren aktiv die besten Möglichkeiten und verhandeln derzeit mit mehreren potenziellen Partnern. In diesem Geschäft gibt es zwei Hauptstrategien: Entweder etwas länger warten, um profitablere Last-Minute-Verträge abzuschließen, oder sich rechtzeitig langfristige Mietverträge sichern.
ATR 72 von Windrose. Bild: Windrose Airlines
Es wäre also praktisch, wenn Sie mehr Flugzeuge in Ihrer Flotte hätten?
Natürlich würden wir gerne mehr Flugzeuge aus der Ukraine ausfliegen, denn wir müssen am Leben bleiben, und es macht einen Unterschied, wie viele Flugzeuge man vermieten kann, um Einnahmen für einen Neustart zu erzielen. Die Nachfrage nach Wet-Lease-Flugzeugen ist derzeit aus verschiedenen Gründen hoch, weshalb wir hoffen, im nächsten Jahr zumindest einen Teil unserer geparkten Flotte aus der Ukraine fliegen zu können.
Ukrainische Fluggesellschaften wie Skyup Airlines haben inzwischen europäische Luftverkehrsbetreiberzeugnisse. Hat Windrose diese Art von Überlegungen bisher nicht angestellt?
Nein, denn mit unserer kleinen Flotte außerhalb der Ukraine wäre das nicht sinnvoll gewesen. Im Gegensatz zu uns war die genannte Fluggesellschaft in der Lage, fast ihre gesamte Flotte ins Ausland zu bringen.
Die Schlüsselfrage wird die Betriebsbereitschaft der Flughäfen sein.
Ging mit dem Krieg nicht viel Fachwissen verloren?
Vor dem Krieg hatten wir etwa 700 Angestellte, die für uns arbeiteten. In den ersten Monaten haben wir ihre Gehälter weitergezahlt, danach aber nur noch einen Teil. Allerdings sind viele hochqualifizierte Mitarbeiter inzwischen zum Militär gegangen oder in andere Bereiche gewechselt, so dass viel Know-how verloren gegangen ist. Ein Teil – ich würde sagen, ein strategischer Teil – der Mitarbeitenden arbeitet jedoch weiter für das Unternehmen, um für den Neuanfang gerüstet zu sein.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Unternehmens? Was wird passieren, wenn eines Tages in der Ukraine wieder Frieden herrscht und Flüge wieder möglich sind?
Die Schlüsselfrage wird die Betriebsbereitschaft der Flughäfen sein, die Optionen, die den lokalen Fluggesellschaften zur Verfügung stehen. Und die Versorgung mit dem notwendigen Kerosin, da die Industrieanlagen zur Herstellung von Flugbenzin in der Ukraine zerstört wurden. Zudem stellt sich die Frage, welche Bedingungen die Versicherungsgesellschaften stellen werden. Und es gibt viele andere Unwägbarkeiten. Zunächst wird die E190 sicherlich wieder den regulären Flugbetrieb in den Nachbarländern aufnehmen und dabei wahrscheinlich Regionen bedienen, in denen sich in den letzten Jahren ukrainische Flüchtlinge niedergelassen haben. Natürlich hoffen wir auch, als größte ukrainische Charterfluggesellschaft mit unserer Boeing-737- und unserer A321-Flotte wieder Urlaubsflüge durchführen zu können.
Wann könnte dies Wirklichkeit werden?
Natürlich wäre es schön, wenn dies schon 2025 geschehen könnte. Wir müssen einfach optimistisch bleiben. Aber wenn jede Nacht der Luftalarm losgeht und Raketen in ukrainische Städte einschlagen, ist es schwer, optimistisch zu bleiben.
*Olga Tolstykhina begann nach Beendigung ihrer wirtschaftlichen Ausbildung ihre Karriere in der Luftfahrtindustrie im Jahr 2002 bei Ukrainian Mediterranean Airlines. Dort stieg sie in der kaufmännischen Abteilung bis zur kaufmännischen Direktorin auf. Seit dem Jahr 2007 ist sie beim ehemals größten ukrainischen Charterfluganbieter Windrose als Commercial Director verantwortlich.