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Bilal Eksi, Turkish Airlines

«Wir sehen uns bei Turkish Airlines die Boeing 777X an»

Wie wird Turkish Airlines künftig heißen? Wie ist das mit den Flügen nach Russland? Will sie neue Frachter von Airbus oder Boeing? Und findet sie die 777X interessant? Im exklusiven Interview gibt Vorstandsvorsitzender Bilal Ekşi Antworten.

Turkish Airlines bietet mehr Flugziele als andere Fluggesellschaften in der Welt. Warum?
Bilal Ekşi: Auch vor der Pandemie flogen wir bereits mehr Länder und internationale Ziele an als andere Fluggesellschaften. Das haben wir uns während der Corona-Krise zunutze gemacht. Wenn ein Zielort problematisch wurde, konnten wir auf einen anderen ausweichen, um das Netz zu stützen. Die Flexibilität, die wir dank unseres Netzes haben, hat es uns ermöglicht, die Kapazitäten je nach Nachfrage und Einschränkungen effizient zwischen verschiedenen Zielen zu verschieben. So blieben wir vergleichsweise agiler als unsere Konkurrenten, nutzten unsere geografische Reichweite und deckten die Nachfrage ab, wo immer dies möglich war. Unsere Kapazität lag 2021 bei 68 Prozent des Niveaus von 2019, was Turkish Airlines zum am meisten fliegenden Netzwerk-Anbieter im europäischen Luftraum gemacht hat.

Haben Sie viele neue Kunden gewonnen?
Ja, ein Drittel unserer Fluggäste sind neue Passagiere, weil andere Fluggesellschaften ihre Flüge eingestellt haben. Wir waren also die Fluggesellschaft, die die Konnektivität unterstützte, und Passagiere aus aller Welt lernten uns näher kennen. Aus diesem Grund haben wir neue Kunden gewonnen, und wir hoffen, dass wir sie halten können.

Wo stehen Sie im Vergleich zum Stand vor der Pandemie?
Dieses Jahr im Mai haben wir das Niveau von 2019 erreicht. Wir gehen davon aus, dass wir am Ende des Jahres das Kapazitätsniveau von 2019 vielleicht um etwa fünf Prozent übertreffen werden.

Wenn wir mehr Cockpitpersonal und mehr Flugzeuge hätten, könnten wir sogar noch mehr erreichen.

Viele Fluggesellschaften würden ihre Flugpläne gerne ausweiten. Aber es fehlt ihnen an Personal oder sie haben Probleme mit den Flughäfen, an denen sie operieren. Erleben Sie das auch?
Wir hatten während der Pandemie sehr gute Vereinbarungen mit unserer Gewerkschaft, und sie hat ein sehr gutes Verständnis gezeigt und unseren Vorschlag akzeptiert. Er bestand darin, die Gehälter zu kürzen, aber keine Mitarbeitenden zu entlassen. Als der Betrieb wieder anlief, war unser Personal bereit und unsere Flugzeuge standen bereit, so dass wir uns sehr schnell anpassen konnten. Im Jahr 2021 haben viele Fluggesellschaften Verluste gemacht, aber wir hatten ein sehr positives Ergebnis von 1,4 Milliarden Dollar. Und das liegt daran, dass unsere Mitarbeitenden und Flugzeuge bereit waren und sind.

Also überhaupt keine Engpässe?
Wenn wir mehr Cockpitpersonal und mehr Flugzeuge hätten, könnten wir sogar noch mehr erreichen. Aber noch haben wir mehr Glück als viele andere Fluggesellschaften in Europa.

Es sind aber Flugzeuge verfügbar. Sie haben vor kurzem sechs Airbus A350 White Tails gekauft, Flugzeuge also, die ursprünglich für eine andere Airline gedacht waren. Sie wurden verfügbar, weil Aeroflot sie nicht mehr abnehmen kann. Wegen des Streits zwischen Airbus und Qatar Airways könnten noch einige weitere Flieger frei werden. Sind Sie daran interessiert?
Wir sprechen so gut wie jede Woche mit Airbus und Boeing. Die Nachfrage ist groß, und wir brauchen Flugzeuge und haben unsere Boeing 787 aufgrund von Lieferproblemen nicht erhalten. Wir mussten uns nach Großraumflugzeugen umsehen, und deshalb haben wir uns für die White Tails entschieden.


Airbus A350 von Turkish Airlines. Bild: Turkish Airlines

Wollen Sie die Boeing 787 immer noch, oder haben Sie die Verzögerungen satt?
Boeing plant, Ende dieses Jahres mit der Auslieferung der Flugzeuge zu beginnen, und das erwarten wir auch. Denn sonst erleiden wir finanzielle Verluste.

Ihre Vorgänger sprachen vom Kauf eines Airbus A380 für den Einsatz auf besonders beliebten Strecken. Das Flugzeug wird nicht mehr gebaut, aber gebrauchte A380 könnte es geben.
Das ist für uns nicht machbar. Der Airbus A380 wird nicht für Turkish Airlines fliegen.

Und was ist mit der 777X? Die hat ebenfalls eine große Kapazität, ist aber effizienter.
Wir haben die Triple-Seven in unserer Flotte, also schauen wir uns die neue Version an. Wir haben den Airbus A350 und die Boeing 787, warum also nicht ein weiteres Flugzeug? Ja, wir sehen uns die 777X an.

Wir sind auf der Suche nach neuen Frachtflugzeugen.

Letzte Woche hatte der A321 XLR seinen Jungfernflug. Airbus vermarktet ihn auch mit Blick auf Istanbul. Wäre das eine sinnvolle Ergänzung für Ihre Flotte?
Wir haben keine Probleme, diese Art von Zielen zu erreichen. Im Moment versuchen wir, mit der Boeing 737 Max Subsahara-Afrika anzufliegen. Aber der Airbus XLR ist nach wie vor ein interessantes Flugzeug, und wir sehen uns an, welche Vorteile er bringen kann.

Fracht wurde in der Pandemie ein immer wichtigeres Standbein für viele Airlines. Wollen Sie dort die Flotte ausbauen? Der Airbus A350 F und die Boeing 777X F wurden gerade angekündigt.
Ja, wir sind auf der Suche nach neuen Frachtflugzeugen, aber es sind nicht so viele verfügbar.

Aber Sie wollen mir nicht sagen, welche Flugzeuge Sie kaufen wollen?
Unser Ansatz ist, dass wir uns immer Airbus- und Boeing-Flugzeuge ansehen. Und wenn Sie sich unsere Flottenzusammensetzung ansehen, dann besteht sie zu 50 Prozent je aus Airbus und Boeing.

Wird dieses Verhältnis so bleiben?
Wir sind damit sehr zufrieden.

Wir haben die Zahl der Linienflüge nach Russland nicht erhöht.

Die White Tails wurden aufgrund des Krieges in Russland verfügbar, ein Nebeneffekt einer eigentlich sehr furchtbaren Situation. Viele Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Russland wegen der Sanktionen eingestellt. Turkish Airlines hat das Angebot dorthin ausgeweitet.
Das ist richtig, aber gleichzeitig auch nicht richtig. Wir haben unsere Linienflüge nach Russland nicht erhöht. Wir respektieren, was unsere EU-Partner tun. Aber auch sie sind in gewisser Weise von Russland abhängig, da sie Öl und Gas benötigen. Wir haben mit unseren Partnern gesprochen und wir müssen unsere Tourismusindustrie unterstützen. Sie ist sehr wichtig für die Wirtschaft des Landes. Deshalb haben wir die Zahl der Charterflüge erhöht. Aber wir haben die Zahl der Linienflüge nicht erhöht, obwohl es tatsächlich eine höhere Nachfrage gibt.

Planen Sie also, auf diese Nachfrage zu reagieren?
Nein. Die Nachfrage ist groß, aber wir haben nicht vor, die Zahl der Linienflüge nach Russland zu erhöhen.

Gab es negative Reaktionen von westlichen Partnern oder Kunden?
Die Welt braucht Konnektivität. Und einige Leute müssen weiter mit Russland reden. Unser Präsident hat deutlich gemacht, dass wir die Ukraine unterstützen. Aber wir sprechen auch mit Russland. Und wir sorgen für Konnektivität. Viele EU-Organisationen verlassen sich zum Beispiel auf uns, wenn es darum geht, ihre Leute aus Russland herauszubringen. Nichts weiter verbirgt sich hinter alldem.

Hatten Sie auch Mitarbeitende in der Ukraine?
Wir hatten 49 ukrainische Angestellte in der Ukraine. Als der Krieg begann, brachten wir sie alle mit ihren Familien nach Istanbul oder Antalya und quartierten sie für zwei Monate in Hotels ein. Sie erhielten ihr volles Gehalt, und nach zwei Monaten begannen wir, sie an unsere anderen europäischen Büros zu vermitteln.

In unserer Economy Class ist der Service genauso gut wie in der Premium Economy Class anderer Fluggesellschaften.

Wie ist aktuell Ihre Auslastung, außerhalb des russischen Marktes?
Unsere Auslastung liegt bei über 80 Prozent, was besser ist als 2019, und auch die Auslastung unserer Business Class ist im Vergleich zu 2019 gestiegen.

Sehen Sie, dass auch der Geschäftsreiseverkehr wieder anzieht?
Im Moment ist es mehr der Freizeitverkehr. Aber ich hoffe und bin überzeugt, dass sich das ändern wird. Die Menschen wollen sich wiedersehen und die Hände schütteln.

Eine Klasse, die viele Fluggesellschaften eingeführt haben, ist die Premium Economy. Fast alle zeigen sich sehr zufrieden mit den Verkäufen dort. Turkish Airlines flog schon mit Premium Eco, hat aber beschlossen, sie 2016 wieder abzuschaffen.
Wir haben sie zwei Jahre lang getestet und beschlossen, sie nicht weiterzuführen. Wir sind mit der Economy Class und der Business Class zufrieden. Aber wir sind sehr dynamisch. Wenn wir sehen, dass der Markt eine Premium Eco braucht, können wir sie anbieten.

Also keine Pläne für den Moment?
Nein. Ich denke, in unserer Economy Class ist der Service genauso gut wie in der Premium Economy Class anderer Fluggesellschaften.

Sind Sie mit der bisherigen Leistung des neuen Istanbul Airport zufrieden?
Er ist strategisch sehr wichtig. Der Flughafen Atatürk war ein sehr überlasteter Flughafen und es war uns nicht möglich, zu wachsen. Es gab maximal 70 Flugbewegungen pro Stunde. Jetzt sind es 120. Auch während der Pandemie schätzten die Passagiere den Flughafen sehr, weil er so groß ist und ihnen die Möglichkeit gab, Abstand zu halten.

Natürlich werden wir versuchen zu verstehen, was unser Präsident genau meint.

Präsident Erdogan kündigte vor Kurzem an, dass Turkish Airlines einen türkischen Namen auf den Flugzeugen anbringen wird, Türkiye Hava Yolları, eine Marke, die die Ihre Airline inzwischen eingetragen hat. Später hieß es, es werde die bereits im Inland verwendete Marke Türk Hava Yollari sein. Welche Marke werden Sie also verwenden?
Lassen Sie mich so beginnen: Unser Präsident ist ein Visionär. Er hatte die Vision, mehr afrikanische Ziele anzufliegen. Zuerst war das nicht rentabel, aber dann haben wir gesehen, dass die Vorteile groß waren. Und das war einer der Gründe, warum es uns in der Krise besser ging als anderen. Natürlich werden wir also versuchen zu verstehen, was unser Präsident genau meint. Turkish Airlines ist ein sehr bekannter Markenname. Wenn Türk Hava Yollari auf unseren Flugzeugen steht, wird das die Marke Turkish Airlines daher nicht beeinträchtigen.

Sie glauben also, dass die Marke Turkish Airlines nicht verschwinden wird?
Ganz genau. Details zu dem Prozess werden noch ausgewertet, aber Turkish Airlines ist eine dynamische Fluggesellschaft, die in der Lage sein wird, dies optimal zu gestalten.

Ihr Modell als Drehkreuz-Airline mit vielen Transitpassagieren ist den Golf-Airlines zumindest ähnlich. Wie grenzen Sie sich von ihnen ab?
Waren Sie schon einmal in Istanbul?

Ja.
Sie wissen es also. Es ist eine historische Stadt. Sie hat eine sehr tiefe und umfassende Kultur. Es ist eine erstaunliche Stadt und eine weltbekannte, einzigartige Metropole. Und wir haben 84 Millionen Einwohner in der Türkei, also haben wir einen großen Inlandsmarkt und wir sind auch ein Tourismusziel mit einer sehr vielfältigen Kultur. Außerdem ist unsere Kostenstruktur viel besser als die der Golfgesellschaften. Sie operieren irgendwo und wir operieren irgendwo. Es ist ein anderes Universum.


Boeing 787 von Turkish Airlines. Bild: Turkish Airlines

Es gab Pläne, aus Ihrer Marke Anadolujet eine eigene Tochtergesellschaft zu machen.
Dazu haben wir noch keine Entscheidung getroffen. Aber wir haben beschlossen, dass Anadolujet wachsen soll. Wir haben jetzt 60 Flugzeuge, und wir wollen die Flotte um eine zweistellige Zahl wachsen lassen.

Anadolujet und Sun Express ähneln sich sehr in Bezug auf die Zielkunden.
Das Hauptdrehkreuz von Anadolujet ist der Flughafen Sabiha Gökçen, der sich auf der asiatischen Seite von Istanbul befindet, und der Flughafen von Ankara. Das Hauptdrehkreuz von Sun Express ist Antalya, von wo aus hauptsächlich Passagiere aus Deutschland in die touristischen Zentren der Türkei wie Bodrum, İzmir und Antalya befördert werden; außerdem gibt es eine begrenzte Zahl von Inlandsflügen. Anadolujet und Sun Express sind in unterschiedlichen Kundensegmenten und auf unterschiedlichen Märkten tätig. Während Sun Express sich hauptsächlich auf Punkt-zu-Punkt-Strecken zwischen Europa und der Türkei konzentriert, nutzt Anadolujet seine beiden Drehkreuze Istanbul-Sabiha Gökçen und Ankara für die Anbindung an die anderen Inlandsstrecken und baut derzeit sein Anschlussflugnetz zwischen Europa und dem Nahen Osten und Nordafrika weiter auf.

Sind Sie mit dem Joint Venture mit Lufthansa bei Sun Express zufrieden?
Unsere Beziehung ist gut. Im Großen und Ganzen sind wir zufrieden. In jeder Familie gibt es natürlich ein paar Reibereien, aber im Großen und Ganzen sind wir zufrieden.

Ich lade auch Lufthansa und andere europäische Fluggesellschaften ein, nach Istanbul zu fliegen.

Planen Sie, in Deutschland, Österreich und die Schweiz neue Ziele anzufliegen?
Diese Märkte sind für Turkish Airlines sehr wichtig. Und wir investieren dort auch viel, und wollen natürlich entsprechend präsent sein. Mit unserer Hauptmarke haben wir die Auswirkungen der Pandemiezeit in diesen Ländern überwunden. Etwa, indem wir Deutschland, Österreich und die Schweiz in die internationale Expansion von Anadolujet einbezogen haben. Wir haben aktuell genügend Ziele, aber wir könnten die Flugfrequenzen erhöhen. Ich lade übrigens auch Lufthansa und andere europäische Fluggesellschaften herzlich ein, nach Istanbul zu fliegen.

Warum denn das? Das sind doch Konkurrenten.
Es ist an der Zeit, dass europäische Fluggesellschaften nach Istanbul fliegen. Ich habe mich mit verschiedenen Airlines getroffen. Und ich habe alle eingeladen, nach Istanbul zu fliegen. Und wenn sie damit anfangen, hätten wir mögliche neue Codeshare-Verbindungen. Ich habe auch ITA Airways und Finnair gefragt. Davon können wir wirklich profitieren.

* Bilal Ekşi (56) studierte Elektronik und Kommunikationstechnik. Danach arbeitete er bei den Türkischen Staatsbahnen als Ingenieur. Später wurde er zum Werkstattleiter der Metro Istanbul ernannt. 2003 kam er zu Turkish Airlines. Er arbeitete dort zuerst im Bereich Wartung in verschiedenen Führungspositionen. 2010 wurde er zum Chef der Schwestergesellschaft Cyprus Turkish Airlines ernannt. 2011 verließ Ekşi Turkish Airlines und wurde Generaldirektor der türkischen Luftfahrtbehörde Directorate General of Civil Aviation. Im Oktober 2016 kehrte er zurück und wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats und sowie zum Vorstandsvorsitzenden von Turkish Airlines ernannt. Er löste Temel Kotil ab.