Letzte Aktualisierung: um 17:40 Uhr

Vladimir Semenchenko, Odesa Airport

«Wir haben Strategien zur Verteidigung des Flughafens angepasst»

Im Ukraine-Krieg wurde der Airport am Schwarzen Meer bereits zwei Mal von russischen Raketen getroffen. Trotz der Sperre des Luftraums denkt der Flughafen Odesa über einen Neustart nach, wie Chef Vladimir Semenchenko im Interview verrät.

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Wie stand es vor Beginn des Krieges um Ihren Flughafen?
Vladimir Semenchenko*: Wir hatten uns sehr schnell von der Pandemie erholt und im Jahr 2021 hatten wir unser bestes Ergebnis der Geschichte mit mehr als 2,1 Millionen Passagieren. Wir haben kurz davor unseren neuen Terminal, unseren Pistenneubau und unsere neuen Abstellpositionen in Betrieb genommen. Wir waren eigentlich bereit für eine massive Expansion, die Airlines haben nahezu monatlich bei uns nachgefragt, weil Sie neue Verbindungen aufbauen wollten.

Sie hatten erst kurz davor ihr neues Terminal eröffnet, für welche Kapazitäten ist das ausgelegt?
Das Gebäude wurde für zunächst vier Millionen Passagiere ausgelegt. Wir hatten aber bereits Pläne, das Gebäude im Jahr 2026 noch einmal zu erweitern. Die Nachfrage war einfach so groß vor dem Krieg. Über 20 Fluglinien haben den Flughafen Odesa regelmäßig angeflogen. Wir hatten mit Ukraine International Airlines eine Fluglinie die Inlandsflüge nach Kiew anbot und mit Turkish Airlines, Lot, Ryanair, Wizz Air und Pegasus sind sowohl Netzwerk- als auch Billigfluglinien zu uns gekommen. Sogar Qatar Airways hatte Flüge ab Doha nach Odesa angeboten. Für uns wurden Träume wahr. Swiss hatte bereits die Aufnahme von Flügen nach Odesa im Jahr 2022 ins Auge gefasst und ständig kamen neue Anfragen, sodass wir uns dazu entschlossen haben bereits 2025 mit einer Terminalerweiterung zu beginnen, die bis 2027 hätte abgeschlossen werden sollen. Übrigens hat uns das Beratungsunternehmen des Flughafens Wien dabei unterstützt, einen Masterplan für unseren Flughafen zu erstellen. Wir waren also sehr optimistisch, was unsere Zukunft betraf.

Und dann kam der Krieg. Waren Sie überrascht?
Um ehrlich zu sein, drei oder vier Monate vor dem Beginn des Krieges haben wir uns auf den Tag X vorbereitet. Niemand glaubte daran, aber wir waren vorbereitet, was zu tun wäre, wenn es tatsächlich dazu kommen sollte. Ich bin sehr zeitig in der Früh von einem sehr lauten Einschlag einer Rakete am Flughafen wach geworden, das Radarsystem wurde dabei getroffen. Das sollte es unmöglich machen, herannahende Flugzeuge frühzeitig zu erkennen. So wie wir es zuvor trainiert hatten, haben meine Mitarbeiter die Landebahn blockiert und die Infrastruktureinrichtungen innerhalb von 30 Minuten unbenutzbar gemacht. Als ich knapp 15 Minuten später zum Flughafen kam, war alles im Laufen, niemand wartete auf meine Anweisungen und das war auch gut so. Es hatte sich gezeigt, dass sich unsere Vorbereitungen ausgezahlt hatten.

Die Landebahn hat nicht mehr die oberste Priorität.

Schlussendlich kam es aber zu keiner Invasion des Flughafens Odesa?
Wir haben viel dazu gelernt. Vor dem Krieg dachten wir, die Piste zu beschützen, sie unbrauchbar zu machen für die Landung militärischer Flugzeuge im Falle einer Invasion, habe oberste Priorität. Wie man aber am Angriff russischer Truppen am Kyiver Flughafen Hostomel gesehen hat, sind diese mit Helikopter gekommen und haben den Flughafen von allen Seiten her angegriffen Deshalb haben auch wir unsere Strategien zur Verteidigung des Flughafens angepasst haben. Die Landebahn hat nicht mehr die oberste Priorität.

Waren zu diesem Zeitpunkt Passagiere am Flughafen?
Das war der lustige Teil, wenn man das überhaupt so sagen kann. Wir hatten den ersten Abflug umsieben Uhr morgens nach Kiew mit Ukraine International Airlines, weshalb um fünf Uhr bereits die ersten Passagiere am Flughafen Odesa eingetroffen waren. Die Rakete war bereits eingeschlagen und die Passagiere wollten den Flughafenterminal nicht verlassen – sie glaubten immer noch das ihr Flug in zwei Stunden abfliegen würde. Wir mussten die Passagiere förmlich aus dem Terminal hinausdrängen.

Wie ist die Situation heute, was passierte mit den Mitarbeitenden?
Wir haben ihre Verträge ausgesetzt, aber natürlich haben sie alle das Recht, wiederzukommen. Wir haben daraufhin beschlossen, diese Mitarbeitenden an anderen Flughäfen unterzubringen, so gut wir können. Es ist uns auch gelungen, gut ausgebildetes Sicherheitspersonal an deutsche Flughäfen zu vermitteln. Ich möchte mich auch bei Menzies Aviation und insbesondere dem Flughafen Chisinau bedanken, die uns sehr geholfen haben. Das hat uns gezeigt, dass Europa uns nicht vergessen hat.


Das Terminal des Flughafens von Odesa. Bild: Odesa International Airport

Falls Flüge ab Odesa wieder möglich wären: Wie lange würde es dauern, den Flughafen wieder für kommerzielle Flüge zu aktivieren?
114 Tage. Wir haben eine präzise Kalkulation, wie viele Tage es dauern würde, bis wir den Flughafen gereinigt, Inspektionen am Gelände wie zum Beispiel bei den Einrichtungen der Flugnavigation durchgeführt haben und vieles weitere. Wir gehen aber davon aus, dass ein neuerlicher Flugbetrieb erst sehr langsam starten würde mit einigen wenigen Flügen pro Tag. Die Abfertigung würde zunächst einmal mit möglichst einfachen Mittel ohne Betankungsmöglichkeiten, ohne Catering oder Putztrupps ablaufen.

Die Piste des Flughafens wurde von einer russischen Rakete getroffen. Hat man die Schäden wieder repariert?
Es gibt Fragen die kann und soll ich nicht beantworten.

Welche Bedeutung hat heute der nur rund 200 Kilometer entfernte Flughafen Chisinau für die Bevölkerung rund um Odesa?
Es gibt einen Flughafenbus nach Chisinau. Die ursprüngliche Idee war, einen direkten Flughafenbus anzubieten, nachdem bereits vor Ort in Odesa alle Formalitäten wie Check-In und Passkontrolle durchgeführt werden. Dazu kam es aber bisher nicht, da die Ausreiseformalitäten für Ukrainer aufgrund der derzeitigen Lage sehr komplex sind. Ich benötigte für meine Ausreise nach Moldawien heute rund 3,5 Stunden an der Grenze.

* Nach dem Abschluss seines Luftfahrtstudiums in der Ukraine und verschiedenen Tätigkeiten innerhalb der ukrainischen Luftfahrt, begann Vladimir Semenchenko bei Swissport, wo er für 10 Jahre in der Ukraine tätig war, bevor er als Vice President Ground Operation bei Ukraine International bis September 2022 arbeitete. Seit Herbst des gleichen Jahres ist Vladimir Semenchenko als Direktor des Odesa International Airport im Einsatz.