Letzte Aktualisierung: um 14:29 Uhr

Hypothese zu Voepass-Unglück

Wie Eis Flugzeuge gefährdet – und was dagegen getan wird

Eis ist ein Risiko in der Luftfahrt und wird auch im Rahmen des ATR-Absturzes in Brasilien diskutiert. Wie werden Flugzeuge geschützt und wie reagieren Pilotinnen und Piloten?

Beim tragischen Unglück in Brasilien starben 62 Menschen. Nur durch Glück wurde niemand am Boden verletzt, als die ATR 72-500 von Voepass um die Gierachse trudelnd nach unten fiel und in den Garten zwischen mehreren Häusern einer Wohnsiedlung in Vinhedo fiel.

Dort brannte sie aus. Am Unglücksort zeigte sich danach ein völlig zerschelltes Wrack. Die Blackbox, bestehend aus Cockpit-Stimmenrekorder und Flugdatenschreiber, wurde inzwischen geborgen. Die Ermittlerinnen und Ermittler haben ihre Arbeit aufgenommen, um herauszufinden, weshalb es zum Absturz kam.

Eisbildung erst eine Hypothese

Eine oft genannte Hypothese ist, dass Eisbildung einen Kontrollverlust verursacht haben könnte. In der Region herrschte im Zeitpunkt des Absturzes instabiles Wetter mit der Gefahr von Gewittern, Turbulenzen und Vereisung. Auf der Flughöhe herrschten Temperaturen zwischen minus elf und minus neun Grad. Um zu sagen, ob das wirklich ein Grund für das Unglück ist, dafür ist es aktuell noch viel zu früh. Zu wenige Informationen sind öffentlich.

Doch wie gehen Fluggesellschaften und vor allem Pilotinnen und Piloten mit einer solchen Situation um, die in vielen Regionen nicht unüblich ist? Schließlich verringert Eisbildung vor allem auch den Auftrieb oder reduziert unter anderem den Wirkungsgrad von Propellern und damit den verfügbaren Schub.

Enteisung vor dem Start

Zuallererst informieren sich Cockpitcrews vor ihrem Flug eingehend über die Wetterbedingungen auf ihrer Route. Dazu konsultieren sie verschiedene offizielle Berichte für die Luftfahrt. Im Jargon werden sie als Metar (Meteorological Aviation Routine Weather Report), Taf (Terminal Aerodrome Forecast) oder Speci (Aviation selected special weather report) genannt. Im Flug gibt es zudem sogenannte Sigmet-Warnungen (significant meteorological phenomena). Das sind von der Flugsicherung verschickte Hinweise auf besondere Fluggefahren für ein bestimmtes Fluginformationsgebiet.

Vor dem Start wird zudem in der kalten Jahreszeit Eis entfernt und/oder vorsorglich eine Enteisungsflüssigkeit auf die besonders gefährdeten Teile gesprüht – Rumpfoberseite, Tragflächen und Höhenleitwerke. Sie bestehen normalerweise aus Ethylenglykol oder Propylenglykol. Andere Bestandteile sind Verdickungsmittel, Tenside oder Korrosionsschutzmittel.

Wirksamkeit schwindet rasch

Werden Enteiser aufgetragen, muss das Flugzeug danach zeitnah starten. Denn nach rund 30 Minuten verlieren sie spätestens ihre Wirksamkeit. Je nach Wetter verlieren sie ihre Kraft aber noch deutlich schneller, manchmal innerhalb weniger Minuten. Im Jargon wird die Wirksamkeitszeit als Holdover time bezeichnet.

Im Cockpit werden die Pilotinnen und Piloten bei Eisbildung durch diverse Warnlichter benachrichtigt – zudem können sie es oft selbst wahrnehmen, etwa durch Eis auf der Windschutzscheibe. Sie müssen dann idealerweise die Gefahrenzone verlassen.

Elektrische und pneumatische Hilfsmittel

Zudem gibt es diverse Vorrichtungen, um Eis im Flug zu entfernen. Die einen sind elektrisch. Gefährdete Flächen werden geheizt, damit sich kein Eis auf ihnen bilden kann. So geschützt werden die Propeller, die Flügelspitzen, die großen Windschutzscheiben oder diverse wichtige Sonden (siehe Grafik).


Die Anti-Eis-Systeme einer ATR 72-500. Bild: ATR

Die anderen funktionieren bei Turbopropfliegern pneumatisch und befinden sich zum Beispiel an der Vorderkante der Tragflächen oder beim Lufteinlass der Triebwerke (leading edge). Sie bestehen aus zwei Kammern, die sich automatisch abwechselnd aufblasen. Dadurch kann sich Eis nicht bilden, beziehungsweise es werden Eisschichten aufgebrochen, damit sie abfallen.

Pilotinnen und Piloten werden auf solche Ereignisse vorbereitet

Über allem steht aber die Ausbildung der Pilotinnen und Piloten. Dabei lernen Sie eingehend und wiederholt, wie sie mit solchen Situationen umgehen müssen und wie sie ihr Flugzeug sicher aus der Eiszone steuern. Dennoch kam es immer wieder zu Unfällen, bei denen Eis zumindest eine Rolle spielte – etwa beim Absturz eines Airbus A320 von XL Airways Germany im Jahr 2008, dem Unfall einer Fokker 100 von Bek Air im Jahr 2019 oder dem Unglück einer ATR 42 von American Eagle im Jahr 1994.