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60 Jahre Baade 152

Wie ein Testpilot den Start des DDR-Jets erlebte

Im Dezember 1958 hob in Dresden der erste deutsche Passagierflieger mit Düsenantrieb ab. Ein damaliger Testpilot erinnert sich an Start und Scheitern der Baade 152.

Gerhard Güttel ist die Freude ins Gesicht geschrieben, als er mit seinem Flugzeug vereint ist. In einer großen Halle neben dem Terminal des Dresdener Flughafens steht der ehemalige Testpilot neben dem silber glänzenden, unlackierten Rumpf der «Hundertzweiundfünfzig», wie der 94-Jährige die Baade 152 nennt.

Das erste deutsche Verkehrsflugzeug mit Düsenantrieb war am 4. Dezember 1958 in Dresden zum ersten Mal abgehoben. 60 Jahre später erinnern nun Flughafen, Verkehrsmuseum und die örtliche Luftfahrt-Industrie mit einem frisch restaurierten Rumpf an den Meilenstein des damals wichtigsten Flugzeugprojektes der DDR. «Das war unglaublich», sagt Güttel. «Wenige Jahre vor dem Start des Programms war hier am Flughafen herum alles grün und plötzlich hatten wir wieder eine Flugzeug-Industrie.»

Prototyp stürzte ab

Noch zu Anfang der 1950er-Jahre war es um den ostdeutschen Flugzeugbau durchaus nicht gut bestellt. Während in England mit der BOAC Comet bereits ein erstes europäisches Düsenverkehrsflugzeug durch die Lüfte flog und auch die französische Aerospatiale Caravelle mehr und mehr zur Wirklichkeit wurde, erholte sich Luftfahrt-Industrie der DDR noch von den Kriegsfolgen und musste sich mit Lizenzbauten sowjetischer Flugzeuge begnügen. Mit der Entwicklung der Baade 152 wollte die DDR Anschluss an das Jet-Zeitalter finden, SED-Chef Walter Ulbricht leitete das Projekt höchstpersönlich ein.

Den Jungfernflug der Baade 152 blieb Güttel verwehrt, sein persönlich erster Flug auf dem neuen Muster sollte aber ein sehr schwieriger werden. Noch während der junge Testpilot in der Sowjetunion seine Flugberechtigung für düsengetriebene Flugzeuge erwarb, stürzte der Prototyp der 152 auf seinem zweiten Flug unweit vom Flughafen Dresden ab.

«So ist das eben in der Erprobung»

Beim nächsten Flug mit dem zweiten Prototypen wurde Güttel eingesetzt. Mulmig wurde ihm aber nicht: «Bei der Vorbereitung steckten wir dafür zu sehr im Stress. Wir waren uns bewusst, dass es Gefahren birgt, ein neues Flugzeug zu testen, und auf die Gefahr bereiteten wir uns eben bestmöglich vor», so der 94-Jährige. «Dass die Zelle flugfähig ist, war ja bekannt und damals mussten wir dann weiterschauen, ob alle anderen Teile funktionieren, so ist das eben in der Erprobung.» Man sei durchgegangen, was habe schiefgehen können. «Im Ernstfall hätte wir automatisch das Richtige getan», glaubt Güttel.

Testflug Nummer drei meisterte Güttel nach einer knapp 20 minütigen Testrunde problemlos, viele Stunden hinter dem Steuer der Baade 152 konnte er aber nicht mehr sammeln. Nach einem weiteren Erprobungsflug wurde das Programm 1961 eingestellt. «Durch den Absturz des ersten Prototypen hinkten wir den Flugzeugprogrammen aus dem Ausland bereits zu sehr hinterher», sagt der damalige Testpilot. «Während die Sowjets, Engländer Franzosen ihre Maschinen bereits weiterentwickelten, waren wir noch dabei unsere Maschine als tauglich zu beweisen. Wir hätten die Baade 152 auf jeden Fall zur Serienreife bekommen können, jedoch hätte sie kein Geld mehr gebracht.»

Bis heute große Bedeutung

Der Programmabbruch der Baade 152 bedeute auch das Ende des Traums der DDR, eigene Flugzeuge zu entwickeln und zu bauen. Dort, wo regelmäßig neue 152 aus den Werkshallen rollen sollten, wurden in den Jahren danach nur noch Flugzeuge und Hubschrauber aus sowjetischer Produktion gewartet oder repariert. Auch der Lizenzbau der Propellermaschine Iljuschin Il-14 wurde beendet. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung etablierten sich mit den Elbe Flugzeugwerken EFW wieder ein ostdeutscher Luftfahrt-Fabrikant, der heute Teile für Airbus herstellt und Passagier-Flieger zu Frachtern umbaut.

Obwohl die Baade 152 früh scheiterte und nie im Liniendienst durch die Lüfte kreuzte, hat das Flugzeug für viele Menschen in der sächsischen Luftfahrt eine große Bedeutung. Bei einer Podiumsdiskussion im Anschluss der Jubiläumszeremonie ziert ein großes Bild die Bühne, welches die Baade 152 Seite and Seite mit einem Airbus A380 zeigt – die Elbe Flugzeugwerke führen dort, wo der DDR-Jet früher gebaut wurde, heute unter anderem Wartungen für den A380 in Dresden durch. Nicht wenige der Branchenvertreter, welcher in der Gesprächsrunde über die Aussichten der ostdeutschen Luftfahrtindustrie sprechen, haben Eltern, Verwandte oder Bekannte, die damals an dem Projekt mitgearbeitet haben.

«Dafür hatte ich zu lange Pause»

Auch für Gerhard Güttel wird das Flugzeug immer einen besonderen Stellenwert haben. Nachdem er im Cockpit des neu-restaurierten Rumpfes mit der Nummer 11 hinaustritt, zeigt er sich ein wenig wehmütig: «Ich dachte mir gerade: Hoffentlich geht die Zeit hier vorne nicht um. Das Fliegen war ja damals mein Leben.» Glücklicherweise ging Güttels fliegerische Laufbahn über die Baade 152 hinaus. Nach dem Projektende arbeitet er als Testpilot noch fast zehn Jahre weiter. Auf die Frage hin, ob er sich heute nochmal gerne ans Steuer einer 152 setzen würde, dringt bei Güttel aber klar wieder die rationale Seite seines ehemaligen Jobs durch: «Dafür hatte ich zu lange Pause, da müsste ich mir vorher wieder eine Trainingsmaschine buchen und dann erstmal Prüfungen ablegen.»

Sehen Sie in der oben stehendes Bildergalerie Fotos des einzig erhaltenen Rumpfes einer Baade 152 sowie der Festzeremonie zum 60-jährigen Jubiläum des Jungfernflugs.