Letzte Aktualisierung: um 10:24 Uhr

European Flight Academy

Wie aus jungen Menschen Pilotinnen und Piloten werden

Jedes Jahr bildet die Flugschule von Lufthansa Group 300 Frauen und Männer aus. Wie kommt man dahin und was erleben Studierende wie Dusan Vlatkovic auf ihrem Weg ins Cockpit?

Dusan Vlatkovic wuchs in einem Außenquartier von Genf auf, das unweit des internationalen Flughafens liegt. «Ich sah immer zum Himmel hoch, wenn die Flugzeuge starteten», sagt der 26-Jährige. Das war nicht sein einziger Bezug zur Luftfahrt. Seine Mutter arbeitete früher bei der serbischen Flugsicherung, bevor sie in die Schweiz auswanderte. «Für mich war deshalb früh klar, dass ich Pilot werden wollte.»

Doch bevor er sich seinen Berufswunsch Pilot bei Swiss erfüllen konnte, musste Vlatkovic über zwei spezielle Hürden springen. Die Ausbildungssprache für die Schweizer Studentinnen und Studenten der Lufthansa-Group-Flugschule European Flight Academy ist Deutsch. Und das konnte der junge Mann mit Muttersprache Französisch und Serbisch anfänglich zu wenig gut. So riet man ihm trotz attestierter Eignung, zuerst einen Sprachaufenthalt zu machen.

Zuerst Sicherheitsangestellter, dann Lokführer

Zurück von drei Monaten Sprachschule in Berlin hatte sich allerdings eine neue Hürde aufgebaut. Die Covid-19-Pandemie war über die Welt hereingebrochen. Lufthansa Group hatte alle Kurse für angehende Pilotinnen und Piloten gestoppt. Und so konnte Vlatkovic schon wieder nicht wie geplant mit seiner Traumausbildung beginnen.

Er arbeitete deshalb zuerst als Sicherheitsangestellter und fand danach noch eine bessere Zwischenlösung, die ihn näher zu seinem Ziel brachte, einmal im Cockpit eines Flugzeuges von Swiss zu sitzen. Er ließ sich zum Lokführer ausbilden. Anderthalb Jahre lang fuhr er danach im Führerstand der kleinen Regionalbahn Compagnie du chemin de fer Nyon-St-Cergue-Morez. «Ich habe das genossen», sagt Vlatkovic. Doch sein eigentliches Ziel hatte er nicht aufgegeben. Und so bewarb er sich nach der Pandemie erneut und wurde angenommen.

Ausbildung ist begehrt

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn die Ausbildung bei der European Flight Academy von jungen Menschen aus Deutschland und der Schweiz ist begehrt. Kein Wunder, denn wer die rund zweijährige Ausbildung erfolgreich abschließt, bekommt danach ein Angebot für einen Job bei einer Fluggesellschaft von Lufthansa Group, sofern die auch gerade Pilotinnen und Piloten braucht.

Wer sich bewirbt, muss nicht nur den sogenannten DLR-Test bestehen, der Fähigkeiten wie Merkfähigkeit, Raumvorstellung, Leistungs- und Persönlichkeitsanforderungen, Englisch, Technik, Mathematik, Aufmerksamkeit, Psychomotorik, Mehrfacharbeit und auch Teamarbeit und Persönlichkeit überprüft. Danach muss er sich auch in einem Assessment Center bewähren, in dem Persönlichkeit und Psychomotorik vertieft analysiert werden. Und zuletzt muss er die medizinische Überprüfung überstehen.

Fliegen in Arizona hat viele Vorteile

Nur wenige der Kandidierenden ergattern am Ende einen der rund 300 begehrten Plätze pro Jahr. Vlatkovic ist einer von ihnen. Inzwischen hat er bereits zwei Theoriemodule in Zürich hinter sich und die erste, zweimonatige praktische Schulung am Schweizer Flugplatz Grenchen, wo er lernte, wie man ein Kleinflugzeug fliegt. Jetzt lebt er für viereinhalb Monate in Goodyear im amerikanischen Bundesstaat Arizona, wo die European Flight Academy die Flugfähigkeiten der angehenden Pilotinnen und Pilotinnen verfeinert.


Eine Cirrus SR20, die Studierenden in Goodyear für Flüge zur Verfügung steht. Bild: aeroTELEGRAPH

Die Wahl von Goodyear kommt nicht von ungefähr. «Der Standort hat viele Vorteile», sagt Raymond Obst, Chef der Lufthansa-Group-Flugschulen. «Der wichtigste Grund ist wohl, dass das Wetter hier viel besser ist. Wir können praktisch an jedem Tag fliegen» so der Manager, der selbst auch nach als Pilot arbeitet und regelmäßig im Cockpit eines Airbus A320 von Lufthansa sitzt. Zudem gebe es in der Region sehr viele Flugplätze, an denen die Schülerinnen und Schüler trainieren könnten. «Und Start- und Landegebühren gibt es hier nicht.»

Lernen, mit Notsituationen umzugehen

Auch Fluglehrerinnen und – lehrer gibt es in den USA markant mehr als in Europa. Das alles führt dazu, dass die Studierenden in Goodyear sehr viel und unter optimalen Voraussetzungen fliegen können. Die jungen Frauen und Männer sind täglich bis zu drei Stunden in der Luft und üben dabei auch immer wieder, wie sie auf Notsituationen reagieren müssen.


Wassertaufe eines Studenten aus Deutschland nach dem ersten Soloflug in Goodyear. Video: aeroTELEGRAPH

Der eigentliche Flug ist jedoch nur der kleinste Teil der Arbeit. «Nach dem Flug ist vor dem Flug», sagt Obst. Die Schülerinnen und Schüler bereiten sich am Vorabend in ihrer Unterkunft am Phoenix Goodyear Airport jeweils auf den Flug am nächsten Tag vor. Am Morgen besprechen sie den Flug dann mit ihrer Fluglehrperson. Und nach dem Flug wird besprochen, was gut war und was verbessert werden muss. «So erkennen wir persönliche Schwachpunkte und können sie gezielt austrainieren», sagt Obst.

Cockpit der Cirrus SR20 ähnelt dem der Airbus-Jets

Für die Flüge stehen eigene Flieger und die Flotte der United Aviate Academy zur Verfügung, die aus Dutzenden Cirrus SR20 besteht. «Ihr Cockpit ähnelt dem von Airbus-Jets», so Obst. So haben die einmotorigen Flugzeuge ein Glascockpit – also digitale Anzeigen und einen Sidestick zur Steuerung.


Blick ins Cockpit einer Cirrus SR20, auf denen due Studierenden in Goodyear trainieren. Bild: aeroTELEGRAPH

Mit dem Aufenthalt in Goodyear endet die Ausbildung von Vlatkovic und seinen Kolleginnen und Kollegen noch lange nicht. Es folgen Simulatortraining in Zürich, Flüge mit zweimotorigen Fliegern in Grenchen, ein weiterer Theorieblock und das Training im Simulator für Cockpits mit zwei Besatzungsmitgliedern sowie eine Diplomarbeit. Die Schülerinnen und Schüler aus Deutschland durchlaufen die Schritte in einer anderen Reihenfolge, der Inhalt ist aber im Wesentlichen gleich (siehe oben stehende Grafik).

Es braucht viel Erspartes

Nicht nur Talent und Durchhaltevermögen brauchen die Studentinnen und Studenten, bis sie am Ende im Cockpit einer Fluglinie von Lufthansa Group Platz nehmen können. Sie brauchen auch Erspartes. Viel Erspartes. In der Schweiz kostet die Ausbildung 140.000 Franken, in Deutschland 120.000 Euro.


Grafik: LAT/Adaption aeroTELEGRAPH

Die Studentinnen und Studenten in der Schweiz müssen 35.000 Franken selbst beisteuern, 45.000 Franken erhalten sie als verzinstes Darlehen von Swiss, das sie künftig mit Lohnabzügen zurückzahlen müssen und 60.000 Franken als Subvention vom Staat. In Deutschlandmüssen die Studentinnen und Studenten 10.000 Euro zu beginn bezahlen und 110.000 Euro erhalten sie als verzinstes Darlehen, das sie später während rund elf Jahren über einen Lohnabzug zurückzahlen.

Wunsch Airbus-A220-Cockpit

Die jungen Frauen und Männer in Goodyear haben diese Hürden bereits genommen. Sie freuen sich auf den Tag, an dem sie erstmals im Cockpit eines Passagierflugzeuges Platz nehmen können. Und mit welchem Modell möchte Vlatkovic dereinst gerne fliegen? «Der Airbus A220 ist ein tolles Flugzeug und Swiss fliegt mit ihm ab meiner Heimatstadt Genf. Daher würde ich gerne auf ihm fliegen.»

In der oben stehenden Bildergalerie mit Video sehen Sie, wie ein Schulungsflug der Flugschülerin Carla Kache aussieht. Ein Klick aufs Foto öffnet die Galerie im Großformat.