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Luftfahrtforschung

Was zu einer Wasserstoff-Infrastruktur in der Luftfahrt alles dazu gehört

Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion um den Klimawandel ist der Flugverkehr. Wie kann die Branche es schaffen, klimaneutral zu fliegen?

Im vergangenen Jahr habe ich im Rahmen dieser Kolumne bereits ausführlich über Chancen und Herausforderungen von Wasserstoff in der Luftfahrt geschrieben. In dem Text befassten wir uns unter anderem mit den unterschiedlichen Möglichkeiten, wie Flugzeuge mit Wasserstoff betrieben werden können, mit der Historie der Forschung sowie mit den Hürden, die für die Realisierung eines wasserstoffbetriebenen Luftverkehrs noch überwunden werden müssen. Im heutigen Text soll ein wesentlicher Teil der «H2-Economy» nun noch einmal bewusst vertieft werden – denn er wird ein Schlüsselbaustein zur Realisierung sein: die Infrastruktur.

Was als Fragestellung innerhalb der Luftfahrt-Community begann, ist längst zu einem gesellschaftlichen Mainstream-Thema aufgestiegen: «Wie können wir es schaffen, klimaneutral zu fliegen?» Insbesondere in Europa lautet eine der Top-Antworten darauf: «Mit Wasserstoff!» H2, so der chemische Begriff, ist nicht nur bei unserem europäischen Flugzeugbauer Airbus, sondern auch in der politischen Diskussion längst auf dem höchsten «Flightlevel» angekommen. Der Aufbau eines Wasserstoff-Ökosystems ist eine Säule des Europäischen «Green Deals». Sowohl Frankreich als auch Deutschland haben nationale Wasserstoffstrategien verabschiedet und auch führende Industrie-Metropolen wie Rotterdam und Hamburg haben Wasserstoff in den letzten Jahren zu einem Schlagwort mit höchster Priorität gemacht.

Mangelnde Verfügbarkeit

Das ist gut so und deshalb so wichtig, weil Wasserstoff zwar viele spannende Potenziale mit sich bringt, gleichzeitig aber das berühmte «dicke Brett» ist, das man nun anfängt zu bohren. Dafür braucht es politischen Willen und eine entsprechende finanzielle Rückendeckung, ohne die ein Markt nicht wird entstehen können. Insbesondere einer, in dem auch eine belastbare Zulieferkette mit Perspektiven für kleine und mittlere Unternehmen erwächst. Um eine wasserstoffbetriebene Luftfahrt zu realisieren, werden wir zudem viele Entwicklungen gleichzeitig anstoßen müssen: Wir benötigen sowohl neuartige Flugzeuge als auch die Infrastruktur am Boden – ein klassisches Henne-Ei-Problem.

Was es heißt, wenn diese Bereiche nicht von Anfang an zusammen gedacht werden, erlebe ich seit Längerem im persönlichen Alltag. Seit mehreren Jahren habe ich die Ehre, in meiner Rolle als ZAL-Geschäftsführer eines der wenigen brennstoffzellengetriebenen Testfahrzeuge von Mercedes-Benz fahren zu dürfen. Ein tolles Auto – bis auf die Reichweite von 200-250 Kilometern. Theoretisch wäre dies verschmerzbar, wenn es ein gut ausgebautes Tankstellennetz gäbe. Doch selbst in der Wasserstoff-Hauptstadt Hamburg sind derzeit nur noch drei solcher Tankstellen in Betrieb, davon keine mehr im Innenstadtbereich. Im 120 Kilometer entfernten Großraum Bremen gibt es seit Kurzem sogar nur noch eine einzige H2-Tankstelle. Habe ich dort einen Termin, darf diese also unter keinen Umständen ausfallen, sonst komme ich nicht mehr zurück. Destinationen wie Berlin und Amsterdam sind von Hamburg aus gar nicht erst erreichbar. Als Privatmensch muss man also schon sehr H2-affin sein, um sich ein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug zuzulegen.

Die Luftfahrt ist weiter als die Automobilindustrie

Der Automobilindustrie kann man zumindest noch zugutehalten, dass Wasserstoff dort im Gegenzug zum Batterieantrieb stets eine untergeordnete Rolle eingenommen hat. In der Luftfahrt stellt sich dies anders dar. Wenn wir zumindest in Europa ein ernst zu nehmendes Wasserstoff-Ökosystem aufbauen möchten, darf uns eine vergleichbare Situation nicht passieren. Das mag sich trivial anhören, ist aber dennoch recht komplex. So werden wir beispielsweise deutlich mehr für die Wasserstoffbetankung ausgerüstete Flughäfen benötigen, als auch wirklich angeflogen werden. Der Grund sind die strengen Sicherheitsauflagen in der kommerziellen Luftfahrt, bei denen für jede Route Ausweichflughäfen benannt sein müssen. Ein schönes Beispiel hierfür kommt von der schottischen Loganair, die einen Großteil der britischen Regionalstrecken bedient und eine der umtriebigsten Fluggesellschaften ist, wenn es um die Erprobung neuer Technologien gibt. Loganair bedient zahlreiche Routen wie die «Inselhüpfer» auf den Orkneys, welche sich von der reinen Flugdistanz hervorragend für voll-elektrisch betriebene Regionalflugzeuge eignen würden, die noch vor den H2-Modellen in Serie gehen sollen. Doch der Ausweichflughafen für die Orkney-Hauptstadt Kirkwall ist das über 200 Kilometer Luftlinie entfernte Aberdeen – und damit außerhalb der Reichweite, die sich in absehbarer Zeit vollelektrisch fliegen lassen wird.

Wenn ein ähnliches Infrastruktur-Dilemma im Wasserstoffbetrieb verhindert werden soll, müssen Implementierung und Betrieb nicht nur für die Airlines, sondern auch für Flughäfen in der Praxis so unkompliziert und wirtschaftlich wie möglich gemacht werden. Diese entscheidende Rolle der Infrastruktur wurde inzwischen auch politisch erkannt. In Deutschland wird das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) so den Aufbau von vier Innovations- und Technologiezentren für Wasserstoff (ITZ) fördern, von denen jedes eigene Forschungsschwerpunkte erhalten wird. Im sogenannten ITZ Nord – noch Arbeitstitel – haben sich drei norddeutsche Länder zusammengeschlossen und werden zusammen etwa 70 Millionen Euro an Fördergeldern aus Berlin erhalten. Über 24 Millionen Euro davon werden nach Hamburg fließen, explizit um diese Infrastruktur-Fragen für Luftfahrt und maritime Logistik zu erschließen.

Den Weg aus dem Dilemma erkannt

Dass Luftfahrt und Schifffahrt zusammen gedacht werden, macht dabei nicht nur geografisch Sinn. Beide Branchen sind systemrelevante Elemente der Weltwirtschaft, verzeichnen ein stetiges Verkehrswachstum und sind bislang gleichermaßen abhängig von fossilen Treibstoffen – was bei einem fortschreitenden Klimawandel langfristig zu einer existenziellen Bedrohung heranwachsen kann. Genau wie die Luftfahrt hat daher auch die Schifffahrt die Nutzung von Wasserstoff (oder wasserstoffbasierten Treibstoffen wie Ammoniak oder Methanol) als einen möglichen Weg aus diesem Dilemma erkannt.

Des Weiteren eint die zwei Branchen, dass sie vor ähnlichen Fragestellungen stehen. Etwa was das Betanken angeht: So steht an fast jedem Flugplatz dieser Welt Jet-A1-Kerosin zur Verfügung und an jedem größeren Hafen eine Infrastruktur mit Schiffsdiesel und/oder Schweröl. Die Wasserstoff-Infrastruktur müsste in beiden Fällen parallel aufgebaut und betrieben werden. Dabei wird es nicht reichen, am Flughafen einen zweiten Tankwagen anzuschaffen, der dann mit Wasserstoff befüllt ist. Denn für die Befüllung eines Flugzeugs oder Schiffs mit dem neuartigen Treibstoff wird es neuartige zertifizierte Stutzen und Verschlusssysteme benötigen, die überall in der Welt genutzt werden können und gleichzeitig den Sicherheitsanforderungen entsprechen.

Sinnvolle Verwendung von Wasserstoff

Für die Luftfahrt heißt dies konkret: Zumindest Easa und FAA werden sich auf gemeinsame Standards für Wasserstoffsysteme einigen müssen und für diese Standards wird es aufwändige Versuchsreihen und Forschungsvorhaben benötigen. Durch das deutlich höhere Volumen von H2 wird sich Wasserstoff im Flugzeug nur in flüssiger Form sinnvoll anwenden lassen. Der Treibstoff muss damit dauerhaft unter seinem Siedepunkt von -253°C gekühlt sein, also auch bei der Betankung. Doch auch in der Lagerung? Oder wäre es sinniger, bestehende Gaspipelines für die Logistik mit in Betracht zu ziehen, den Wasserstoff in großen Gastanks am Airport zu lagern und erst vor der Betankung zu verflüssigen? Wie aufwändig und zuverlässig wäre so ein Verflüssiger dann und wie müsste er für eine tägliche industrielle Nutzung aussehen? Welche zusätzliche Hardware, die es heute vielleicht noch gar nicht gibt, müsste dann an den Betriebsstätten aufgebaut werden? Eine Frage führt hier schnell zur nächsten. Sie zu sammeln und versuchen zu beantworten, wird zentraler Gegenstand der ITZ-Forschung werden. Tatsächlich auch ganz physisch bei uns im ZAL, wo wir einen Verflüssiger aufbauen werden, der täglich bis zu 100 kg Wasserstoff zu Versuchszwecken umwandeln können wird.

Einige dieser Fragen werden auch schon erforscht, etwa im Hydrogen Aviation Lab, an dem neben dem ZAL auch der Hamburger Flughafen sowie das DLR und Lufthansa Technik als Konsortialführer betätigt sind. Kern des Hydrogen Aviation Labs ist ein ehemaliger Airbus A320 der Lufthansa, der in Hamburg zum weltweit ersten Demonstrator für Betankungsvorgänge mit Wasserstoff dieser Größenordnung umgerüstet wird.

Ist die Lösung Universal Hydrogen?

Mit der Betankung von Wasserstoff befasst sich auch das kalifornische Unternehmen Universal Hydrogen, gegründet vom ehemaligen Airbus-Technologiechef und «Silicon Valley» Gewächs Paul Eremenko. Universal Hydrogen verfolgt einen anderen, ebenfalls hochspannenden Ansatz und möchte den Wasserstoff in nachrüstfähigen, kartuschenähnlichen Containern ins Flugzeug laden und dort zum Einsatz bringen. Der Vorteil der Umsetzung wäre somit, dass die Flughäfen keine eigene Infrastruktur aufbauen müssten und die Wasserstoff-Container per Zug oder LKW zum Platz gebracht werden könnten. Ein wesentlicher Nachteil ist die weitere Komplexität in der Logistikkette und vor allem in der Flugzeugausrüstung, die damit einherginge.

Unabhängig davon müsste auch die Lösung von Universal Hydrogen natürlich erst von FAA und Easa zertifiziert werden, um einen Markt überhaupt erst zu erschließen. Der regulatorischen Seite kommt damit – wie so oft in der Luftfahrt – eine Schlüsselrolle zu, die auch im Aufbau des ITZ Nord berücksichtigt wird. Die angewandte Forschung und die Erarbeitung der regulatorischen Voraussetzungen sollen in diesem Projekt Hand in Hand gehen, um mögliche «Fallstricke» und Komplikationen in der Praxis schneller zu identifizieren und zu beheben.

Vieles ist noch Neuland

Bleibt noch ein Verweis auf die wirtschaftliche Komponente der Wasserschafts-Infrastruktur: Hier könnten die Bodendienste am Ende eine entscheidende Rolle für den Erfolg von H2 spielen. Denn wenn der Treibstoff erstmal vor Ort ist, ließe er sich natürlich auch für weitere Einsatzfelder nutzen – beispielsweise Ground Power Units oder Flugzeugschlepper. Emissionsfreies Fliegen wird schließlich auch eine Bodenkomponente haben und ein gewichtiger Teil der Flughäfen hat sich bereits dazu verpflichtet, in absehbarer Zeit CO2-neutral zu werden. Die Erarbeitung von weiteren Anwendungsfeldern ist damit hoch relevant. Auch weil Umsetzungen am Boden in vielen Fällen deutlich einfacher und schneller erfolgen könnten als mit fliegendem Gerät. Insbesondere, wenn man hier dauerhaft mit gasförmigem Wasserstoff arbeiten könnte, der nicht auf die erwähnten -253°C heruntergekühlt werden muss. Auch diese Forschungsfrage teilt sich die Luftfahrt übrigens mit der maritimen Logistik, denn in den Häfen existierenden ebenfalls umfangreiche «Ground Operations», die ein spannendes Potenzial für Wasserstoffanwendungen bieten.

Als Akteur des Standorts Hamburg freuen wir uns daher sehr auf den Schulterschluss zwischen Luftfahrt und Schifffahrt. Je gewichtiger die Gruppe der potenziellen Anwender, desto höher die Chance, dass am Ende wirklich etwas daraus entsteht. Erst recht in einer Region wie Norddeutschland, in der momentan noch viel Windstrom ungenutzt bleibt, der potenziell als grüner Wasserstoff zu den (Flug-)Häfen geleitet werden könnte. Dafür wird man natürlich noch viele Schritte gehen müssen (wie dem Aufbau einen Gasnetzes im Projekt HH-WIN, dem Wasserstoff-Industrie-Netzes oder dem Bau einen Elektrolyseurs im Megawatt-Bereich). Sie werden aber essenziell sein, um die Erfahrungen zu machen, die man später für die Entscheidungsfindungen braucht. Der Begriff «Neuland begehen» mag in vielen Bereichen mittlerweile abgedroschen sein. Beim Thema Wasserstoff passt er – für eine Institution wie unser ZAL genauso wie für die FAA und Easa.

Roland Gerhards ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung ZAL in Hamburg. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.