Letzte Aktualisierung: um 16:03 Uhr

Airbus A320 D-AICP

Was vor Condors Kavala-Zwischenfall alles schief lief

Der Unfall geschah im Sommer 2021, anschließend stand Condors Airbus A320 ein Jahr im griechischen Kavala. Mittlerweile liegt der Abschlussbericht vor. Er zeigt, wie wichtig der subjektive Eindruck der Pilotinnen und Piloten bei einem Startabbruch ist.

Es dauerte rund ein Jahr lang: Von Juli 2021 bis Juli 2022 stand ein Airbus A320 von Condor in Kavala. Das Flugzeug mit dem Kennzeichen D-AICP musste an dem griechischen Flughafen aufwändig repariert werden. Noch während dieses Jahres veröffentlichte die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU einen 43-seitigen Zwischenbericht.

Der Bericht zeigte: Bei einem Startabbruch am 10. Juli 2021 in Heraklion wurde der A320 stärker beschädigt, als die dortigen Mechaniker bemerkten. Die Maschine flog ohne Fluggäste nach Düsseldorf und von dort mit Fluggästen am 11. Juli nach Kavala. Nach dem erneuten Start Richtung Düsseldorf war es den Piloten nicht möglich, das Fahrwerk einzufahren. Der Jet kehrte zurück nach Kavala, wo ein druckloser Bugfahrwerksdämpfer sowie schwere Beschädigungen an der vorderen Rumpfstruktur festgestellt wurden.

Plötzlich nach rechts

Der mittlerweile veröffentlichte BFU-Abschlussbericht bestätigt auf 86 Seiten die Erkenntnisse des Zwischenberichtes und geht weiter ins Detail. «Grund für den Startabbruch in Heraklion, knapp unterhalb der Entscheidungsgeschwindigkeit V1, war das Ausbrechen des Flugzeugs nach rechts in Richtung Pistenrand, das ursächlich durch einen Ruderpedalinput nach rechts, ausgelöst wurde», so die BFU. Der Input kam vom Kopiloten.

Der Kopilot, der das Flugzeug steuerte, hatte zuvor «die geringe Seitenwindkomponente von zwölf Knoten durch einzelne Ruderpedalinputs nach links ausgeglichen», heißt es im Bericht. Nach jedem dieser Inputs bewegte er die Ruderpedalen zurück in die neutrale Stellung. Doch bei einer Geschwindigkeit von 133 Knoten (umgerechnet rund 246 Kilometer pro Stunde) gab der 28-Jährige auf einmal einen Predalinput nach rechts.

Der erste Slip

Die BFU ordnet diese Handlung als sogenannten Slip ein. «Es handelt sich dabei um eine Fehlhandlung, die ungewollt, vorher ungeplant und in einem prinzipiell richtigen, bekannten Handlungsablauf ausgeführt wird.» Der Bericht betont, dass der Kopilot zuvor einzelne Inputs nach links nutzte, «statt mit einem kontinuierlichen sich anpassenden Ruderpedalinput das Flugzeug beim Startlauf auf der Mittellinie zu halten».

Das habe immer wieder dazu geführt, dass der A320 bei neutraler Ruderstellung nach rechts wegdriftete. «Dies kann möglicherweise mit dazu beigetragen haben, den Eindruck zu erwecken, beim Startlauf bislang ins falsche Ruder getreten zu haben», schreibt die BFU.

Start abgebrochen

In dem Moment, als das Flugzeug begann nach rechts auszubrechen, überprüfte die Kapitänin kurz die Triebwerksparameter und der Kopilot sagte laut Aussagen beider sinngemäß: «Sorry, das Flugzeug zieht nach rechts». Dann brach die Pilotin den Start ab.

«Dabei zog sie nach eigenen Angaben die Schubhebel auf Leerlauf und anschließend in die Stellung Full Reverse», heißt es im Bericht. «Des Weiteren gab sie einen Ruderpedalinput nach links in Richtung Startbahnmittellinie und zog den Side Stick nach hinten.» An die Bedienung des Side Sticks konnte sich die 40-Jährige später nicht mehr erinnern.

Der zweite Slip

Die BFU hält fest: «Beim Ziehen des Side Sticks handelte es sich ebenfalls um einen Slip und damit um eine Fehlhandlung, die unbewusst, ungewollt und vorher ungeplant war.»

Im nächsten Moment hob das Bugfahrwerk ab. Als die Kapitänin das bemerkte, drückte sie den Side Stick nach vorne und das Bugfahrwerk berührte wieder den Boden. Der Kopilot erinnerte sich später an einen Knall, den er dem Aufsetzen des Bugfahrwerks zuordnete.

Sehr große Kräfte

«Da sich das Flugzeug im Moment, als das Bugfahrwerk wieder den Boden berührte, in einer Drehbewegung um die Hochachse nach links in Richtung der Startbahnmitte befand, wurde das Bugfahrwerk nicht nur durch vertikale, sondern auch durch seitliche Kräfte belastet», erklärt die BFU. Nach dem Aufkommen kam es zu einer weiteren seitlichen Belastung.

Der Abschlussbericht spricht von einer «sehr hohen De-rotation Rate beim Wiederaufsetzen des Bugfahrwerks». Dies habe zur Deformation des Kolbens des Bugfahrwerksdämpfers und zum Beginn eines Risses im Kolben geführt. «Die Lastanalyse des Luftfahrzeugherstellers zeigte zusätzlich, dass die kritische Last, die zur Deformation des Kolbens führen kann, beim Startabbruch überschritten wurde.»

Informationen fehlten

Nach dem Vorfall informierte die Kapitänin die Mechaniker einer von Condor beauftragten Wartungsfirma nach deren Angaben darüber, dass der Start abgebrochen wurde, da das Flugzeug nach rechts weggezogen sei. Die Mechaniker standen während ihrer Arbeit am Flugzeug im Austausch mit dem Wartungskontrollzentrum der deutschen Fluggesellschaft, von dem sie auch ihren Auftrag für die durchzuführenden Arbeiten erhielt.

Dennoch wurde laut BFU nicht alles Wichtige übermittelt: «Den Mechanikern in Heraklion fehlten die Informationen durch die Flugbesatzung über die dynamische Rotation/De-Rotation und über die hohen seitlichen Beschleunigungen beim Startabbruch.»

«After a hard Landing»

So tauschten sie die vier Hauptfahrwerksreifen aus. Sie führten die Inspektionsroutinen «AMM Inspection 05-51-15 after a Tire Burst or Tread Throw or Wheel Failure» und «AMM Inspection 05-51-16 after Brake Emergency Application or Overheat» durch.

Doch das waren nicht die richtigen Inspektionen. «Wenn hohe seitliche Beschleunigungen bei einem Startabbruch aufgetreten sind, soll zunächst die ‘AMM 05-51-44 Inspection after Aircraft Operation with high Lateral Acceleration’ angewendet werden», so die BFU. «Falls die seitlichen Beschleunigungen den Wert von 0,42 g überstiegen haben, soll zur ‘AMM 05-51-11 Inspection after a hard Landing’ gewechselt werden.». Die seitliche Beschleunigung bewegte sich während des Startabbruchs des A320 zwischen -0,36 g und +0,53 g.

Subjektiver Eindruck entscheidend

So ging der A320 in einem nicht lufttüchtigen Zustand wieder in Betrieb. Die Deformation des Kolbens des Bugfahrwerksdämpfers vergrößerte sich während der darauffolgenden Flüge, der Riss im Kolben öffnete sich. Auch eine Dichtung war beschädigt. All das fiel zunächst nicht auf. Doch schließlich kam es zu einem Druckverlust im Dämpfer. Dieser ließ sich sich nach dem Start in Kavala am 11. Juli nicht mehr vollständig ausfahren.

Riss und Deformation des Kolbens. Bild: BFU

Zu der Frage, warum der anfängliche Schaden nicht bemerkt wurde, hält die BFU fest, dass es nach einem Startabbruch keine generelle Inspektion gibt, die durchzuführen ist. Die Entscheidung richte sich «im Wesentlichen nach den Informationen beziehungsweise Schilderungen durch die Piloten». Der «subjektive Eindruck der Piloten» sei entscheidend.

Condor ergreift Maßnahmen

Condor hat nach dem Unfall eine Information für die Cockpitcrews herausgegeben. Diese weist darauf hin, dass nach dem Auftreten von hohen seitlichen Beschleunigungen am Boden eine Inspektion erforderlich ist, für die der Eindruck der Crew entscheidend ist. Zudem hat die Fluggesellschaft ihren Pilotinnen und Piloten im Betriebshandbuch eine Richtlinie «für den Fall eines High Load Events» an die Hand gegeben, die die Weitergabe der Informationen von der Cockpitcrew an das technische Personal regelt.

Zudem hat Condor auf Grundlage des Vorfall in Heraklion, bei dem der A320 durch Seitenwind immer wieder nach rechts wegdriftete, eine Flugdatenanalyse durchgeführt. «Dabei wurde festgestellt, dass es in der Vergangenheit vergleichbare Fälle mit anderen Besatzungen gegeben hatte», so die BFU. Diese hatten ebenfalls versucht, mit einzelnen Ruderpedalinputs statt mit einem sich anpassenden Input auf der Mittellinie zu bleiben. «Daraufhin ließ das Luftfahrtunternehmen in den nachfolgenden Simulator-Sessions unter anderem Starts bei Seitenwind trainieren, um zu gewährleisten, dass bei Seitenwind die Mittellinie von den Piloten während des Startlaufs kontinuierlich gehalten wird.»

Empfehlung an die Easa

Die BFU gab zudem eine Empfehlung ab an die Europäische Agentur für Flugsicherheit Easa. Diese soll Fluggesellschaften auffordern, sicherzustellen, dass die Pilotinnen und Piloten über klare Leitlinien dazu verfügen, wie im Falle eines «High Load Events» die wichtigsten Informationen ans Wartungspersonal weitergegeben werden.

Lesen Sie den Abschlussbericht der BFU selber hier im PDF.

In diesem mobilen Hangar in Kavala wurde die D-AICP schließlich repariert. Bild: Condor