Letzte Aktualisierung: um 23:25 Uhr

Luftfahrt und Politik

Was eine realistische Verkehrspolitik der Zukunft benötigen würde

Eine rationale, klimafreundliche, zukunftsfähige und resiliente Verkehrspolitik ist möglich. Doch es braucht dazu einige Voraussetzungen.

Wenn wir eine rationale, klimafreundliche, zukunftsfähige und resiliente Verkehrspolitik wollen, sollte man sich erst auf Grundsätze einigen: 1. Der Verkehr ist in verkehrspolitischer Sicht in erster Linie Mittel zum Zweck der Befriedigung des Mobilitätsbedarfes von Personen, Gütern und Dienstleistungen und kein Selbstzweck. Zugleich muss er unserem Staat und seinen Organen ermöglichen, in kürzester Zeit von jeder Region unseres Landes in jede andere zu gelangen.

2. Der Mobilitätsbedarf in einer demokratischen Gesellschaft wächst kontinuierlich (auch bei reduziertem Wirtschaftswachstum, veränderten Arbeitsformen und in Krisen) durch die Tendenzen zur Emanzipation und Individualisierung, durch Arbeitsteilung und Globalisierung, sowie eine Tendenz zur wachsenden Mobilität bei der Arbeitsplatzsuche. 3. Eine gelingende Klimapolitik sollte ein Management sein,
dass alle Zukunftspotentiale zur Emissionsreduzierung erkennt und fördert und möglichst viele Akteure der Luftverkehrswirtschaft mobilisiert. Eine zu starke Konzentration auf wenige Stakeholder der Großluftfahrt stabilisiert ausschließlich den Status quo.

Strategische Infrastruktur für Resilienz-Strategie

4. Neben einer Strategie zur Emissionsreduktion bedarf es einer Resilienz-Strategie für kritische Sicherheitslagen durch internationale Krisen, sowie Schwerstwetterereignisse und Katastrophen. 5. Die Haushaltsmittel, die für den Erhalt der deutschen Infrastruktur ausgegeben werden, sind größer als die für den Neubau vorgesehenen Mittel. Diese Tendenz wird sich verstärken. Deshalb gilt es, die vorhandene Infrastruktur optimaler zu nutzen, etwa durch eine bessere Verknüpfung aller Verkehrsträger. Die Umwidmung zum Beispiel der Infrastruktur von Flugplätzen ist kontraproduktiv, weil sie nicht erkennt, dass diese strategische Infrastruktur für eine Resilienz-Strategie darstellen (nebenbei auch für unsere Verteidigungsfähigkeit), und als Teil eines Netzwerkes eine exponentielle Konnektivität ermöglichen.

6. Eine rationale, nicht ideologische Verkehrspolitik zur nachhaltigen Erreichung der Klimaziele berücksichtigt in der Klimabilanz nicht nur die reine Transportleistung. Vielmehr rechnet sie den CO2- Ausstoß durch Bau und Erhalt der landgestützten Verkehrsinfrastruktur sowie deren Naturzerstörung durch Flächenversiegelung mit ein. Ein Ausspielen der Verkehrsträger gegeneinander übersieht deren Zukunftspotential in ökologischer und verkehrspolitischer Hinsicht. 7. Verkehrspolitik sollte bei jeder Neuerung immer nach dem gesellschaftlichen Mehrwert von Innovationen fragen und sich nicht allein an deren technischer Machbarkeit ausrichten. 8. Neben dem ständig wachsenden Mobilitätsbedarf auch in der Fläche, stellt der anhaltende Urbanisierungsprozess, der zu einer Spaltung unserer Gesellschaft führen könnte, eine der großen verkehrspolitischen Herausforderungen dar.

Die Perspektiven erweitern

Bisher stand der einzelne regionale Flughafen/-platz im Mittelpunkt von Wirtschaftlichkeitsberechnungen und europäischen Beihilferegelungen. Diese Perspektive sollte um einen systemischen Ansatz, der Verbindungen im jeweiligen Netzwerk in den Vordergrund stellt, ergänzt werden. Wir sprechen deshalb nicht mehr vom regionalen, sondern vom Dezentralen Luftverkehr. Jede Vergrößerung oder Verringerung eines Netzwerkes erweitert beziehungsweise verringert die Konnektivität exponentiell. Ein Vergleich mit dem Verkehrsträger Bahn zeigt, dass dort auch nicht die Bahnhöfe/ -steige im Fokus stehen, oder gar sich selbst finanzieren müssten, sondern die Verbindungen von A nach B und so weiter.

Wir sollten politisch lernen, stärker von der Zukunft her zu denken. Die politisch vereinbarten Klimaziele, die wissenschaftlich von den Kipppunkten der Erwärmung deduziert werden, sind gesamtgesellschaftlich einzuhalten. Dazu müssen alle Zukunftspotentiale realistisch (nach je aktuellem Wissensstand) erfasst und ermöglicht werden. Deshalb brauchen wir ein politisches Möglichkeitsmanagement, dass nicht nur das Vorhandene umrüstet, sondern auch Optionen ermöglicht, die einen künftigen verkehrspolitischen und gesellschaftlichen Mehrwert versprechen. Infrastrukturerfordernisse von Flugplätzen (etwa Bodenstrom, PV- Anlagen, dezentrale Pwer-to-liquid- oder Wasserstoffproduktion und so weiter), sowie innovative Betreibergesellschaften brauchen Förderung für Forschungs- und Demonstrationsprojekte. Der europäische Ansatz: vorrangig Projekte zu fördern, die die größte CO2- Ersparnis/ pro Fördermittel versprechen sollte erweitert werden. Ansonsten wird viel Potential und Engagement verschenkt.

Föderalismus als Vorteil

Die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer für die dezentralen Flugplätze ihres Territoriums hat den Vorteil, dass ihre regionale Einbettung und ihr Potential realistisch eingeschätzt werden können. Was die angesprochenen Perspektivenerweiterungen betrifft, besteht allerdings die Notwendigkeit auf der Ebene der Verkehrsministerkonferenz zu gemeinsamen Regelungen für die Bedingungen des Flugbetriebs zu kommen, soweit diese nicht in der Hoheit des Bundes liegen. Noch gibt es weder eine einheitliche Linie bei der Grenzabfertigung noch beim Status der Feuerwehren.

Auch gilt es die erforderliche Förderkulisse zwischen den Bundesländern abzustimmen. Für eine Resilienz-Strategie angesichts von künftiger Schwerstwetterereignisse und einer erhöhten Verteidigungsfähigkeit sollte der Bund ausgewählte Flugplätze (nach Krisenszenarien des BBK und des Verteidigungsministeriums) zu strategischer Infrastruktur im Bundesinteresse erklären und angemessen ausstatten.

Chance nicht verspielen

Aber es gibt zahlreiche politische Herausforderungen. Ab 2025 gibt es in Europa verbindliche Beimischungsquoten für nachhaltigem Kerosin von 2 Prozent, die in Fünfjahresschritten deutlich angehoben werden. Der Riesenbedarf der Passagierairlines wird absehbar zu einer Mangelsituation von sauberem Kraftstoff (im Jargon: SAF) führen. Wir brauchen für den Dezentralen Luftverkehr eigene Warenhäuser und die Möglichkeit eines Book and Claim- Verfahren. Die Bereitschaft bei Teilen der Business Aviation mit höheren Quoten zu beginnen, sofern die Emissionseinsparungen angerechnet werden, liegt auch an der niedrigen Preisdifferenz zwischen nachhaltigem Kerosin und dem versteuerten Kerosin für die Gebrauchsluftfahrt. Diese leichtere Markteinführung sollte nicht vertan werden.

Die Eigenversorgung der Flugplätze mit regenerativer Energie durch PV -Anlagen sollte durch den Abbau von Bürokratie erleichtert und beschleunigt werden. Zusätzlich sollten wieder Förderprogramme für (zunächst) Demonstrationsprojekte zur Effizienzsteigerung von dezentraler Pwer-to-liquid- und Wasserstoffproduktion aufgelegt werden. Auch die Förderung zur Ausstattung von Flugplätzen mit Bodenstrom sollte wiederbelebt werden.
Im Vorfeld gilt es einheitliche Ladeschnittstellen für Elektrobatterie-Flugzeuge und Kraftfahrzeuge zu erarbeitet, die zugleich die Möglichkeit die Batterien von Elektrofahrzeugen als Speicherkapazität für die Verstetigung von grünem Strom, zu nutzen.

Es braucht einen Modellflugplatz

Sinnvoll wäre ein Modellflugplatz, an dem die komplexen Zusammenhänge bei einer grünen Infrastrukturausstattung erprobt werden. Mit der Umstellung auf klimafreundlichere Flugzeuge, die zunächst nur Kurz-, und Mittelstrecken bedienen können, wird sich eine neue Wettbewerbssituation im Personenverkehr auf dem Markt des Dezentralen Luftverkehrs entwickeln. Dazu benötigen wir zum Beispiel für das angebotsorientierte, genossenschaftliche Betreibermodell ÖPSV, das einen gesellschaftlichen- und verkehrspolitischen Mehrwert verspricht, eine Förderung für eine Machbarkeits- und Marktstudie.

Neben der politischen Lösung aktueller Konfliktthemen, sollten wir uns auf die Unterstützung von Flughäfen/-plätze beim Transformationsprozess durch eine kontinuierliche Diskussion über die Umsetzbarkeit von Best-Practice-Beispielen konzentrieren. Infrastrukturmaßnahmen als eine Bedingung für ein klimafreundliches Fliegen, sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das gilt für den dezentralen Luftverkehr, wie für alle anderen Verkehrsträger.

Ulrich Stockmann ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er war von 1989 bis 2009 als Parlamentarier in der Volkskammer, im Bundestag und im Europaparlament. Seitdem ist er für Verbände des Luftverkehrs tätig. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.