Boeing Bust in den 70ern
Was Boeings erste schlimme Krise und einen weltbekannten Spruch verbindet
Mitte April 1971 bespielten zwei Immobilienmakler aus Seattle Werbetafeln in der Nähe des Flughafens, die den Niedergang Seattles ironisch kommentierten. Auslöser war die erste schlimme Boeing-Krise.
Die ikonische Werbetafel 1971 und Demonstranten: Es war Boeings erste große Krise.
Die ikonische Werbetafel 1971 und Demonstranten: Es war Boeings erste große Krise.
«Es hört einfach nicht mehr auf», sagte Jim Youngren, einer der Initiatoren von 1971 im Jahr 2009 zur Seattle Times. Was Youngren meinte: Jedes Mal, wenn es schlechte Wirtschaftsnachrichten gibt, erscheint wieder ein Hinweis auf die beiden Werbetafeln, die er und Bob McDonald am 16. April 1971 aufstellten.
Die beiden Billboards waren zwar nur kurz in der Nähe des Flughafens Seattle zu sehen, aber der Inhalt blieb für immer in den Köpfen. «Will the Last Person Leaving Seattle – Turn Out the Lights» auf deutsch «Die letzte Person, die Seattle verlässt, – macht das Licht aus» ist heute zum geflügelten Begriff geworden.
Spruch weltweit bekannt
Die Botschaft – Der Letzte macht das Licht aus – wurde weltweit kopiert, wobei Seattle wahlweise durch jeden Stadtnamen ersetzt werden kann. Selbst, als die DDR Ende der 1980er-Jahre in ihren Endzügen lag, hieß es auch in Ostdeutschland: Der Letzte macht das Licht aus.
McDonald und Youngren wollten mit ihrer Aktion auf den Niedergang Seattles Anfang der 1970er-Jahre hinweisen. Die Arbeitslosigkeit lag bei 13,5 Prozent und war damit die höchste in den USA. Die Geburtenrate ging zurück, während die Suizidrate stetig stieg. Der Grund: Der größte Arbeitgeber der Region, die Boeing Company, steckte in ihrer bis dahin schwersten Krise.
Jahrzehnts des Aufstiegs
Historiker sprechen heute vom Boeing Bust. Innerhalb von vier Jahren verloren 60 Prozent der Beschäftigten ihren Job. Arbeiteten 1967 noch 100.800 Menschen bei Boeing, erreichte die Zahl der Angestellten im April 1971 mit 38.690 ihren historischen Tiefststand. Heute arbeiten laut Boeing «mehr als 140.000» Menschen weltweit für den Konzern.
Den ersten Boom hatte Boeing zwischen 1959 und 1969 erlebt. Das Jet-Zeitalter begann mit der Indienststellung der ersten 707 im Jahr 1958. Der Vierstrahler wurde schnell zum Verkaufsschlager. Flughäfen auf der ganzen Welt passten ihre Infrastruktur an, um das neue Flugzeug abfertigen zu können.
Immer neue Muster folgten
Die 707 wurde zum Arbeitstier für transkontinentale und transozeanische Reisen. Schnell wollten die Fluggesellschaften einen ähnlich modernen, aber kleineren Jet, um regionale Flughäfen mit kürzeren Start- und Landebahnen anfliegen zu können. Boeing reagierte mit der Entwicklung der 727. Kurze Zeit später wurde die 737 präsentiert. Beide Maschinen wurden ein kommerzieller Erfolg.
Die erste Boeing 747-100 in der Produktion. Bild: Boeing
Die Flugzeugverkäufe liefen stabil, aber Boeing wollte mehr. Auf Drängen von Pan American World Airways startete die Entwicklung des bis dato größten Passagierflugzeugs der Welt, der 747. 1966 bestellte Pan Am 25 Jumbo Jets. 1969 wurden die ersten Maschinen in Rekordzeit ausgeliefert. Boeing setzte dabei fast alles aufs Spiel.
Düstere Wirtschaftsaussichten
Denn Ende der 1960er-Jahre stand der Konzern vor zwei Problemen. Der Markt für zivile Verkehrsflugzeuge in den USA war gesättigt. Zwar lieferte das US-Unternehmen weiter Flugzeuge im großen Stil aus, aber die Neubestellungen gingen zurück. Zudem waren die Entwicklungskosten der 747 und auch der 737 höher als erwartet. Die Wirtschaftsaussichten waren düster.
Und der Flugzeugbauer stand vor einem weiteren Problem. Anfang der 1960er-Jahre waren Überschallflugzeuge en vogue. US-Präsident John F. Kennedy gab 1963 den Startschuss für ein staatlich hoch subventioniertes Überschallprogramm. Die Hersteller Lockheed und Boeing konkurrierten um die staatliche Milliardenunterstützung – Boeing setzte sich mit seinem Entwurf durch.
Boeings große Träume
In Everett sollte unter dem Projektnamen Supersonic Transport, abgekürzt SST, ein Überschallflugzeug für 250 bis 300 Passagiere entstehen. Der Triebwerkshersteller GE, der die vier riesigen Motoren für den Jet namens Boeing 2707 liefern sollte, schreibt in einem historischen Rückblick, Boeing habe später sogar 350 Sitze eingeplant. Bei der Geschwindigkeit visierte man Mach 2,7 bis Mach 3,0 an.
Die nicht flugfähige Vorführattrappe der Boeing 2707. Bild: Boeing
Das Projekt entwickelte sich jedoch nicht wie vorgesehen. Die ersten Pläne mussten mehrfach überarbeitet werden. All das kostete Geld und Zeit und der geplante Start wurde immer weiter nach hinten verschoben. Zugleich stiegen die Treibstoffpreise und in den USA wurden Bedenken wegen des Überschallknalls laut.
US-Kongress entzieht die Förderung
1971 zog der Kongress die Reißleine und untersagte dem Projekt die weitere Finanzierung. Der Traum vom amerikanischen Überschallflieger platzte. Boeing befand sich in einer Finanzkrise und es kam zu der Entlassung von 60 Prozent der Beschäftigten.
In dieser Gemengelage und um auf ironische Weise auf den Niedergang der Region hinzuwiesen, mieteten Youngren und McDonald die Werbeflächen. Die Kosten hielten sich dabei in Grenzen. Die vermietende Werbeagentur wollte für vier Wochen 160 Dollar – in heutigen Preisen 1192 Dollar.
80 Dollar Retour
Die Reaktionen waren extrem unterschiedlich, erinnerte sich Bob McDonald gegenüber der Seattle Times 2008: «Es kam erst gut an, sobald die Leute die Motivation dahinter verstanden hatten». Insgesamt war die Resonanz extrem negativ.
Nach 15 Tagen wurde dem Anbieter der Werbetafeln das Unterfangen zu heiß und er ließ die Tafeln wieder entfernen. Kurze Zeit später erhielten McDonald und Youngren Post. Im Umschlag lagen 80 Dollar.