Law Is In The Air
Was bietet eigentlich die fünfte Freiheit genau?
Üblicherweise dürfen Fluglinien ab einem fremden Land keine Flüge in ein drittes Land aufnehmen. Selbst dort, wo die fünfte Freiheit der Luft gilt und das erlauben würde, ist Drittstaatenverkehr noch immer rar.
Blick aus dem Fenster eines Dreamliners: Für Airlines ist die Freiheit über den Wolken nicht grenzenlos.
Blick aus dem Fenster eines Dreamliners: Für Airlines ist die Freiheit über den Wolken nicht grenzenlos.
Staaten genießen im Luftraum oberhalb ihres Territoriums uneingeschränkte Souveränität, die sogenannte Lufthoheit. So sieht es das das Völkgewohnheitsrecht seit jeher vor, aber auch Artikel 1 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, das Chicagoer Abkommen von 1944:«The contracting States recognize that every State has complete and exclusive sovereignty over the airspace above its territory.» Für die kommerzielle Luftfahrt folgt daraus ein unmittelbares Hindernis. Denn aufgrund des Prinzips der Lufthoheit ist es nicht ohne Weiteres möglich, internationale Flugdienste auszuführen.
Vielmehr sind Linienflüge über dem oder in das Hoheitsgebiet eines Staates nur mit dessen besonderer Erlaubnis oder sonstigen Ermächtigung und stets nur in Übereinstimmung mit dieser Erlaubnis oder Ermächtigung zulässig, so Artikel 6 des Chicagoer Abkommens: «No scheduled air service may be operated over or into the territory of a contracting State, except with a special permission or other authorization of that State, and in accordance with the terms of such permission or authorization.» Eine entsprechende Zustimmung gewähren sich Staaten in Gestalt von sogenannten Verkehrsrechten.
Bilaterale Luftverkehrsabkommen
Ein Verkehrsrecht gestattet die Nutzung des Luftraums mit einem Luftfahrzeug zu einem bestimmten Zweck. Erst das Vorhandensein solcher Rechte ermöglicht somit die Aufnahme und Durchführung grenzübergreifenden Flugverkehrs und somit die Inanspruchnahme zeit- und kostensparender Flugrouten, den Zugang zu fremden Luftverkehrsmärkten sowie eine bessere Auslastung und damit Wirtschaftlichkeit eingesetzten Fluggeräts durch zum Beispiel die Mitbedienung von Teilstrecken. Erteilt werden Verkehrsrechte für den Einzelfall oder – üblicher Staatenpraxis entsprechend – allgemein für eine Vielzahl von Fällen mittels zwischenstaatlicher Vereinbarungen, den sogenannte. Luftverkehrsabkommen.
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich ein hochkomplexes Netzwerk bilateraler Luftverkehrsabkommen (Englisch: Bilateral Air Services Agreement) entwickelt. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich bei ihnen um völkerrechtliche Verträge im Sinne des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969 zwischen mindestens zwei Staaten. Für die – heute: 193 –Unterzeichnerstaaten des Chicagoer Abkommens sieht dieses in seinem Artikel 83 vor, dass solche Abkommen bei dem Rat (als Exekutivorgan) der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation, der Iicao zu hinterlegen sind. Weil dieser Verpflichtung nicht immer oder jedenfalls nicht immer zeitnah und vollständig nachgekommen wird, schwanken Angaben zur Gesamtzahl gegenwärtig existierender Luftverkehrsabkommen: Die Anzahl dürfte aber zwischen zirka 4.000 und 5.000 liegen.
Abhängig von der eigenen Regierung
Bilaterale Luftverkehrsabkommen bestehen typischerweise aus einem Hauptteil, dem Vertragstext im engeren Sinne mit üblicherweise 15 bis 20 Artikeln, sowie einem oder mehreren Anhängen, die hierzu korrespondierend detaillierte Regelungen enthalten. Kernstück ist die wechselseitige Gewähr von Verkehrsrechten. Dabei wird Berechtigter eines durch ein Luftverkehrsabkommen vermittelten Verkehrsrechts zunächst einmal der jeweils begünstigte Vertragsstaat. Dieser wiederum darf gegenüber dem gewährenden Staat das (oder die) Luftverkehrsunternehmen benennen (designieren), das (beziehungsweise die) diese vereinbarten Verkehrsrechte ausüben darf (beziehungsweise dürfen). Fluggesellschaften sind damit die Nutznießer der ihrem Heimatstaat zugestandenen Rechte, ohne ihrerseits unmittelbar Rechte aus einem Luftverkehrsabkommen herleiten zu können.
Damit entsteht eine unmittelbare Abhängigkeit der Airlines von Verhandlungsergebnissen ihres Heimatlandes mit anderen Staaten, die die Hoheitsrechte über bestimmte Flugrouten besitzen. Diese Verhandlungsergebnisse wiederum werden erheblich durch Faktoren wie die wirtschaftliche und luftverkehrspolitische Macht eines Staates, dessen Luftverkehrsaufkommen, der Stärke im Staatsgebiet beheimateter Fluggesellschaften, aber auch seiner geostrategischen Lage und der Attraktivität für Tourismus und ausländische Investitionen geprägt.
Die Freiheiten der Luft
Mittels bilateraler Luftverkehrsabkommen wechselseitig gewährte Verkehrsrechte folgen traditionell den sog. Freiheiten der Luft (Englisch: Freedoms of the Air). Üblicherweise werden dabei die ersten vier dieser Freiheiten der jeweils anderen Vertragspartei eingeräumt. Dabei handelt es sich um
- die erste Freiheit: das Recht, das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ohne Landung zu überfliegen (Recht des Überflugs);
- die zweite Freiheit: das Recht zur Landung im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates zu nicht gewerblichen Zwecken (Recht zur technischen Landung);
- die dritte Freiheit: das Recht, Passagiere, Fracht und Post aus dem Heimatstaat des Luftfahrzeugs in einen anderen Vertragsstaat zu befördern und dort abzusetzen (sogenannter Direktverkehr);
- die vierte Freiheit: das Recht, Passagiere, Fracht und Post in dem anderen Vertragsstaat aufzunehmen und in den Heimatstaat des Luftfahrzeugs zu befördern (sogenannter Direktverkehr).
Die ersten zwei – technischen – Freiheiten der Luft sind grundsätzlich erforderliche Verkehrsrechte, ohne die ein funktionierender internationaler Flugverkehr praktisch nicht denkbar erscheint. Schließlich bedarf es im internationalen Flugverkehr regelmäßig des Überflugs eines anderen Staates, aber auch der Möglichkeit, zum Beispiel aufgrund von Schäden am Fluggerät oder wegen Treibstoffmangels außerplanmäßig zu landen. Auch deshalb werden diese Rechte nicht nur bilateral, sondern auch multilateral durch eine Komplementärvereinbarung zum Chicagoer Abkommen, die Transitvereinbarung von 1944 ausgetauscht, wenngleich bedeutende Flächenstaaten wie China, Russland, Brasilien oder Indonesien keine Vertragsstaaten sind.
Die seltenste Freiheit
Die dritte und vierte Freiheit, die gemeinsam den sog. Direktverkehr (auch: Nachbarschaftsverkehr) ermöglichen, stellen wiederum die eigentlichen Eckpfeiler internationalen Fluglinienverkehrs dar und spiegeln den der internationalen Zivilluftfahrt zugrundeliegenden Gedanken wider, dass das Flugaufkommen zwischen zwei Staaten von Luftverkehrsunternehmen eben dieser Staaten abgewickelt werden soll. Sie erst erlauben es, dass eine Fluggesellschaft eine Verbindung von ihrem Heimatland in einen anderen Staat aufnimmt, um dorthin Passagiere zu befördern und zugleich am Zielort Fluggäste aunimmt und an den Ausgangsort transportiert.
- Die Fünfte Freiheit der Luft: Jenseits der typischerweise mittels bilateraler Luftverkehrsabkommen ausgetauschten vier Freiheiten der Luft bestehen weitere Verkehrsrechte, einschließlich der fünften Freiheit der Luft. Diese bezeichnet das Recht, Passagiere, Fracht und Post zwischen dem anderen Vertragsstaat und dritten Staaten zu befördern, soweit Start- und Endpunkt des Flugs im Heimatstaat des Luftfahrzeugs liegen (sogenannter Drittstaatenverkehr).
Aus wirtschaftlicher Sicht galt das Recht der fünften Freiheit lange als am interessantesten, da Luftfahrtunternehmen hiermit die Möglichkeit gegeben wird, unternehmerische Aktivitäten nicht auf den Verkehr zwischen Heimat- und Drittstaat zu begrenzen, sondern darüber hinaus auf andere Staaten auszudehnen. Schließlich ermöglicht der Drittstaatenverkehr einer Airline, von A nach B zu fliegen, in B sodann weitere Passagiere aufzunehmen, um diese sodann nach C zu transportieren. Eine gewichtige Einschränkung liegt allerdings darin, dass zur Umsetzung dessen die Gestattung seitens aller durch einen solchen Flugverkehr betroffenen Staaten erforderlich ist, somit auch des jeweiligen (End-)Ziellandes.
Staaten sind zurückhaltend
Die Gewähr der fünften Freiheit der Luft hat in bilateralen Luftverkehrsabkommen bis heute Seltenheitswert. Mitunter wird ein solcher Drittstaatenverkehr sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Ein Beispiel dessen findet sich in Artikel 2 Absatz 4 Satz 1 des Deutsch-Kapverdischen Luftverkehrsabkommen vom 19. Juni 2001:
«Die Gewährung von Verkehrsrechten […] umfasst nicht auch die Gewährung des Rechts, Fluggäste […] zwischen Punkten im Hoheitsgebiet der die Rechte gewährenden Vertragspartei und Punkte im Hoheitsgebiet eines dritten Staates sowie umgekehrter Richtung zu befördern (5. Freiheit).»
Der Grund für die zurückhaltende Gewähr des Drittstaatenverkehrs ist darin zu sehen, dass ein solcher unmittelbar mit der Ausübung eigener Rechte der dritten und vierten Freiheit des Ziellandes gegenüber dem Drittstaat kollidiert. Im o.g. Beispiel bleibend: Wenn die Airline des Staates A nicht nur Fluggäste von A nach B befördert, sondern anschließend auch von B nach C, so geht dies – jedenfalls potentiell – zu Lasten der wirtschaftlichen Chancen der in B und C beheimateten Fluggesellschaften.
Staaten sind zurückhaltend
In der Praxis bemühen sich Staaten daher darum, die Inanspruchnahme der fünften Freiheit durch Luftfahrtunternehmen fremder Staatszugehörigkeit zu kontrollieren und allenfalls auf Ad-hoc-Basis zu erlauben, zum Beispiel um einen kurzfristigen oder saisonalen Bedarf zu decken. Insoweit entsprechende Verkehrsrechte im Rahmen bilateraler Luftverkehrsabkommen zugestanden werden, gehen sie häufig mit Kapazitäts- bzw. Frequenzbeschränkungen einher. Nicht selten führt deren Verhandlung zu erheblichen und langwierigen Auseinandersetzungen zwischen beteiligten Regierungen, deren Luftfahrtbehörden und Luftfahrtunternehmen.
Wenngleicht also traditionell Zurückhaltung bei der Gewähr der fünften Freiheit der Luft zu beobachten ist, finden sich durchaus auch Ausnahmen von diesem luftverkehrsrechtlichen Grundsatz. Das gilt vor allem für modernere Luftverkehrsabkommen des Typs Open Skies. Ein prominentes Beispiel dessen ist das Luftverkehrsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten vom 24./30. April 2007, das es Airlines beider Parteien ausdrücklich erlaubt, Drittstaatenverkehr durchzuführen. Das mag auch Ergebnis dessen sein, dass die lange mit Argwohn betrachtete fünfte Freiheit der Luft heute eine weniger verlockende Rolle in der Luftverkehrspraxis einnimmt: Aufgrund der technologischen Entwicklung hin zu Langstreckenflugzeugen mit größerer Reichweite, ohne dass Zwischenstopps erforderlich wären, sowie zunehmend der Nutzung auch von (kleineren) Schmalrumpflugzeugen mit geringerer Sitzplatzkapazität für Interkontinentalverbindungen ist Drittstaatenverkehr schlicht weniger vorteilhaft als noch in der Vergangenheit.
Nicht mehr so attraktiv
Hinzu treten gute Auslastung sowie die stetig wachsende Verfügbarkeit von Direktflügen, selbst zwischen dezentralen Verkehrsflughäfen. Entscheidend aber dürfte die heute weitverbreitete branchentypische Zusammenarbeit von Luftfahrternehmen, vor allem durch Code Sharing oder die Bildung von Allianzen bzw. Metal Neutral Joint Ventures sein: Anstatt eigene Flugstrecken durch ein zusätzliches Ziel zu verlängern, lassen sich Partnerairlines und deren Zu- beziehungsweise Abbringerflüge in das eigene Netzwerk integrieren, regelmäßig bei geringerem Aufwand und niedrigeren Kosten als im Falle der Eigendurchführung.
Wohl auch deshalb wird in solchen Verkehrsmärkten, in denen der Drittstaatenverkehr – wie unter Geltung des oben genannten. Luftverkehrsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten – zugelassen ist, von dieser Möglichkeit kein nennenswerter Gebrauch gemacht. Somit dürfte ein Flug zwischen Berlin und Athen mit einer – wie Scoot – in Singapur beheimateten Airline auch zukünftig ein seltenes Erlebnis sein.
Moritz G. Heile ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei GOODVICE in Berlin. Er berät und vertritt schwerpunktmäßig Unternehmen der Luftfahrtbranche und unterrichtet als Lehrbeauftragter für Luftverkehrsrecht an der Universität zu Köln. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.