Fragen Sie den Piloten
«Warum steuert am Boden der Kapitän?»
Warum darf beim Rollen nur der Kapitän steuern? Starten und landen darf ja auch der Pilot, fragt Leser Michael Kloid. Ein Linienpilot antwortet.
Blick aus dem Cockpit: Bei vielen Airlines steuert am Boden der Kapitän.
Blick aus dem Cockpit: Bei vielen Airlines steuert am Boden der Kapitän.
Für die Frage gibt es keine pauschale Antwort und sie stellt sich auch nur wenn das Flugzeug von beiden Pilotensitzen aus rollbar ist. Im Folgenden möchte ich Ihnen gerne darstellen, warum meine Airline das handhabt :
Sobald das Flugzeug einmal in der Luft ist kann man – im Fall eines Falles – zur Problemlösung nicht mehr «rechts ranfahren». Daher sind Ausbildung, Weiterbildung, Checkflüge und Anforderung für alles, was mit der Tätigkeit der Piloten in der Luft zu tun hat, absolut gleich – für Kapitäne und für Kopiloten. In der Regel werden auch alle Flugstrecken immer abwechselnd geflogen – damit beide Piloten gleich viel tägliche Übung im Flieger haben.
Abschätzen von Distanzen mitunter nicht trivial
Wenn der Flieger aber nicht in der Luft sondern am Boden bewegt wird, führt der Kapitän das Flugzeug. Denn er hat, trotz fachlich gleicher Ausbildung, in der Regel deutlich mehr Erfahrung als sein Kopilot. Der Kapitän wird daher – so blöd das klingt – statistisch weniger Rollunfälle verursachen. Das Abschätzen der Spannweite und Länge von mehreren zig-Metern auf wuseligen Airports und Vorfeldern ist mitunter nicht trivial.
Wenn der Kapitän am Boden ausfällt, kann der Kopilot jederzeit einfach anhalten, und dann um ein Follow-Me-Fahrzeug oder einen Schlepper bitten. Das geht in der Luft nicht. Weil es am Boden also operativ nicht notwendig ist dieses statistisch höhere Risiko einzugehen, wird es nicht gemacht. Der Kapitän rollt den Flieger. Letztendlich sind es die Risikomanager und Agenten, die mit der Airline die Versicherungsprämien verhandeln, die das durchsetzen.
Geübt wird es trotzdem
Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass Kopiloten nicht rollen können. Während des Line-Trainings mit Fluglehrern wird in meiner Airline durch jeden Kopiloten gerollt und der Flieger an allen gängigen Docking-Systemen geparkt. Gerollt und geparkt hat also jeder Pilot schon mal.
Nur später im Linienbetrieb verzichtet man in der Regel wegen oben genannter Gründe zur Risikominimierung darauf. Da ist der Kapitän dran, in jeglicher Hinsicht. Bei anderen Airlines oder Flugzeugherstellern mit anderen Cockpitlayouts kann das anders gehandhabt werden.
Was Sie schon immer übers Fliegen wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Ein Pilot einer großen europäischen Fluglinie beantwortet exklusiv für aeroTELEGRAPH die Fragen der Leser. Er bleibt dabei anonym, um unabhängig antworten zu können. Schicken Sie uns einfach eine E-Mail an pilot@aerotelegraph.com. Unter den eingesandten Fragen werden die spannendsten jeweils auf aeroTELEGRAPH beantwortet. Dabei wird der Name des Einsenders veröffentlicht. Ein Recht auf Beantwortung besteht nicht. Es gelten die AGB von aeroTELEGRAPH.