Letzte Aktualisierung: um 22:29 Uhr

Michael Hupe, Flughafen Nürnberg

«Von Nürnberg mit Airbus A321 XLR an die Ostküste der USA, das schauen wir uns an»

Michael Hupe, Chef des Flughafens Nürnberg, spricht im Interview über Langstreckenflüge, die Zuverlässigkeit von Ryanair, neue Ziele in Russland und einen Ausbau im Frachtgeschäft.

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Deutschland hat eine neue Regierung. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wünschten Sie sich von ihr?
Michael Hupe*: Ich war vom Koalitionsvertrag und auch von der Besetzung des Verkehrsministerpostens positiv überrascht. Ich begrüße insbesondere den Ansatz, anstatt einer im schlechtesten Falle nationalen Kerosinsteuer die Luftverkehrsteuer im Sinne gleicher Wettbewerbsbedingungen in Europa zu vereinheitlichen, wenn sie schon nicht abgeschafft werden kann. Das wäre für die deutschen Flughafenstandorte sehr hilfreich, da wir durch diese in Deutschland überdurchschnittlich hohe Steuer aktuell einen immensen Wettbewerbsnachteil haben.

Bayern und die Stadt Nürnberg mussten den Flughafen Nürnberg in der Pandemie stützen. Sie trugen mit je 25 Millionen zu einer Kapitalerhöhung bei. Sind Sie dadurch abhängiger geworden von der Politik?

Wir waren ja nicht der einzige Flughafen, der in dieser außergewöhnlichen Krise solche Unterstützung bekommen hat. Wir sind einerseits ein betriebswirtschaftlich agierendes Unternehmen, andererseits müssen wir eine öffentliche Infrastruktur bereit stellen. Wir hätten viel Geld sparen können, wenn wir am 20. März 2020 den Flughafen einfach geschlossen hätten. Ich hätte alle Mitarbeitenden nach Hause schicken können. Das durften wir aber nicht, weil wir eine Betriebspflicht haben. Das wurde inzwischen anerkannt und wir wurden dafür, zumindest teilweise, vom Bund und den Anteilseignern entschädigt. Das Geld vom Freistaat Bayern und der Stadt Nürnberg war Hilfe im schlimmsten Moment der Krise. Beide wissen, wie wichtig der Flughafen für die ganze Region ist. Mehr Einfluss durch die Politik befürchte ich daher nicht.

Wir liegen für November, Dezember und, so wie es aussieht, auch Januar unter Plan.

Spüren Sie die vierte Welle?
Die vierte Welle wirft uns leider wieder zurück. Die letzten Wochen sind schlechter als erwartet. Vor allem die gerne von Geschäftsreisenden benutzten Verbindungen zu Drehkreuzen liefen nicht so wie erhofft. Wir liegen für November, Dezember und, so wie es aussieht, auch Januar unter Plan. Ich hoffe daher sehr, dass nun viele einsehen, dass es im Sinne aller ist, sich impfen zu lassen, damit wir kommenden Frühling nicht mehr wieder in eine solche Situation kommen. Für uns ist sehr wichtig, dass die Feiertage nicht zu viel höheren Infektionszahlen und neuen Einschränkungen führen. Ab Ende Januar, Anfang Februar finden in Nürnberg wichtige Messen statt, und die sind für uns als Flughafen von großer Bedeutung in der ansonsten verkehrsarmen Zeit. Ich bin aber insgesamt optimistisch, dass wir im Frühjahr und Sommer ein sehr attraktives Angebot in Nürnberg haben werden.

Sie haben das Jahr 2020 mit tiefroten Zahlen von 40 Millionen Euro abgeschlossen, auch 2021 werden Sie trotz Abgeltung für die Offenhaltung des Airports während der Pandemie Verlust schreiben. Wann macht der Flughafen Nürnberg wieder Gewinn?
Gewinn ist für einen Flughafen unserer Größe ein hehres Ziel. Dass wir das in den fünf Jahren vor der Pandemie hinbekommen haben, ist schon ein Erfolg. Wir hatten vor der Corona-Krise 4,1 Millionen Fluggäste. Dies werden wir erst in sechs, sieben, acht Jahren wieder erreichen. Unser Nahziel ist deshalb, dass wir unsere Betriebskosten decken können. 2021 ist das nicht machbar, 2022 könnten wir es gerade so hinbekommen.

Ihre Planung ist recht pessimistisch, andere warten eine Rückkehr auf das Niveau von 2019 schon 2024 oder 2025…
Der Luftverkehr wuchs vor der Pandemie ungefähr immer doppelt so stark wie das Bruttoinlandsprodukt. Zwei Dinge führen dazu, dass es künftig nicht mehr so sein wird. Das eine ist, dass Geschäftsreisen vermehrt durch digitale Meetings ersetzt werden. Das gilt vor allem auch für interne Veranstaltungen von Großkonzernen. In unserem Einzugsgebiet sitzen internationale Unternehmen wie Adidas oder Siemens. Die werden viel mehr digital kommunizieren. Das zweite ist der European Green Deal, also die Klimamaßnahmen auch für die Luftfahrt. Das bringt Kostensteigerungen mit sich und dadurch wird es für uns ebenfalls schwieriger, das Verkehrsaufkommen zu steigern.

Es muss am Ende jede Region für sich entscheiden, ob sie einen Flughafen braucht.

Was ist denn in Ihren Augen der Zweck eines mittelgroßen Flughafens?
Wir müssen die Konnektivität der Region sicherstellen. Wir haben in Franken viele international tätige Unternehmen. Sie haben weltweit Kunden. Sie müssen reisen können. Zudem gibt es in Nürnberg viele Messen, auch sie sind zwingend auf Flugverbindungen angewiesen. Zudem will unsere Region auch Fachkräfte aus dem Ausland anziehen, die dann und wann nach Hause fliegen wollen. Nicht zuletzt können wir auch den Tourismus fördern. Früher wurden die Hotels nur an Messen gefüllt, inzwischen schaffen wir es, genug Reisende zu uns zu fliegen, damit die Hotels sich in den meisten Monaten füllen können.

Kritiker sagen, es gäbe in Deutschland viel zu viele Flughäfen. Was sagen Sie ihnen?
Es muss am Ende jede Region für sich entscheiden, ob sie einen Flughafen braucht. Für unsere Region sieht man eindeutig positive Effekte. Eines muss man aber sehen: Wenn es weniger regionale Flughäfen gibt, fördert man die Zentralisierung mit allen negativen Effekten. Es würde sich noch mehr Geschäft, wie zum Beispiel internationale Messen, auf die großen Städte konzentrieren.

Bei der Erholung in Nürnberg hilft Ihnen ein Kunde besonders. Ryanair eröffnet wieder eine Basis in Nürnberg. Was bedeutet das für den Flughafen?
Es ist ein positives Zeichen für uns. Wir kämpfen uns alle so langsam aus der Pandemie. Jeder Flughafen versucht deshalb, mehr Verkehr anzuziehen. So ein Erfolg motiviert alle Beschäftigten.

Was mussten Sie der Billigairline denn bieten?
Ryanair hat den Riesenvorteil, als Billigairline nicht an Drehkreuze gebunden sein. Sie können ihre Flugzeuge dort hinstellen, wo es sich für sie am meisten lohnt. Sie spielen das Spiel mit dem Markt daher intensiv und schauen, wo es die besten Opportunitäten gibt. Ryanair fliegt ja schon seit acht Jahren nach Nürnberg. Wir mussten ihnen dennoch die Region nochmals schmackhaft machen. Zweitens war wichtig, dass der Betrieb reibungslos funktioniert. Hier haben wir einen großen Vorteil, weil wir 24 Stunden lang offen sind. Auch wenn Ryanair hier grundsätzlich nachts nicht fliegt, kann die Airline dennoch hier landen, falls es tagsüber bei einem Flug zu einer Verspätung kommt. So muss das Flugzeug nicht ausweichen, Reisende in Hotels unterbringen, neue Crews disponieren und hat am folgenden Morgen das Flugzeug wieder am richtigen Ort. Das spart Kosten. Und letztlich mussten wir attraktive Konditionen bieten.

Flughafen Nürnberg. Bild: aeroTELEGRAPH

Mussten Sie finanziell große Zugeständnisse machen?

Wir haben während der Pandemie unsere Entgeltordnung überarbeitet. Das zentrale Ziel war, dass sie einfach ist. Sie ist im April 2021 mit dem Start des Sommerflugplans in Kraft getreten. Wir haben transparente Anreizsysteme eingebaut, die jede Fluggesellschaft nutzen kann. Es gibt da z.B. eine Neustreckenförderung oder eine Volumenförderung. Davon profitiert Ryanair als künftig größte Fluggesellschaft in Nürnberg natürlich.

Und der Flughafen Nürnberg verdient noch daran?

Absolut, und zwar gut.

Ryanair war allerdings bereits einmal hier. 2019 schlossen die Iren Knall auf Fall ihre Basis und reduzierten das Angebot um zwei Drittel. Was macht Sie sicher, dass dies nicht wieder passieren wird?
So etwas wie Ewigkeit gibt es in der Luftfahrt nicht. Wir mussten zuschauen, wie Air Berlin, oder Germania verschwanden, die alle bei uns wichtige Kunden waren. Damit müssen wir leben. Ryanair ist natürlich ein ganz anderer Fall: Sie gehört zu den erfolgreichsten europäischen Fluggesellschaften. Der Grund für die Schließung der Basis 2019 war der Mangel an Flugzeugen, weil die bestellten Boeing 737 Max nicht ausgeliefert wurden. Das traf kleine Basen wie Nürnberg in ganz Europa. Dieses Mal ist die Ausgangslage anders. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es sich nicht wiederholen wird.

Wir glauben, dass wir in der Türkei und der Ukraine noch die eine oder andere Destination gewinnen können.

Werden wir noch andere Zugänge in Nürnberg sehen?
Was bisher bei uns komplett im Angebot fehlt, sind Flüge nach Russland. Das lag lange an fehlenden Verkehrsrechten. Das hat sich aber geändert und kurz vor der Pandemie hatten wir es geschafft, eine russische Fluggesellschaft für Flüge nach Nürnberg zu gewinnen. Sie wollte im Sommer 2020 starten. Corona machte das zunichte. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das nachgeholt wird und wir Flüge nach Moskau und St. Petersburg sehen werden. Wir glauben zudem, dass wir in der Türkei und der Ukraine noch die eine oder andere Destination gewinnen können, die vor allem durch ethnischen Verkehr, dem so genannten visiting friends and relatives Geschäft, funktionieren kann.

Sehen Sie sonst noch weiße Flecken?
Skandinavien fehlt uns ganz, ebenso können wir in Großbritannien neben London nichts anbieten, ebenso in Frankreich nichts außer Paris. Auch auf der iberischen Halbinsel könnten wir noch die eine oder andere Destination gebrauchen, vor allem in Portugal.

Und wie sieht es mit Langstrecken aus – etwa Sommer- oder Wintercharter in die Ferne?
Wir hatten vor zwei Jahren Flüge von FTI nach Dubai, die mit einer Boeing 757 von Condor durchgeführt wurden. Das hat gut funktioniert. Solche Strecken sind inzwischen mit Boeing 737 Max oder Airbus A320 Neo machbar. Da sehen wir Potenzial, vor allem in Richtung Naher Osten. Zudem erreichen sie von Nürnberg aus mit einem Airbus A321 XLR die Ostküste der USA, das schauen wir uns mittelfristig an.

Aktuell ist die Lounge sicher ein Verlustgeschäft.

Einen Abgang musste Sie aber verzeichnen, Lufthansa hat den Flug nach München aufgegeben. Bedauern Sie das?
Der Flug war für Umsteiger wichtig. Denen muss die Lufthansa-Gruppe Alternativen bieten. Die haben wir mit Frankfurt und Zürich.

Sie mussten auch die Lounge von Lufthansa übernehmen. Warum haben Sie das getan?

Lufthansa baut alle Stationen an dezentralen Flughäfen ab und dadurch auch die Lounges. Wir entschlossen uns, die Lounge zu übernehmen und sie allen Fluggesellschaften anzubieten. Air France und KLM waren sehr schnell als Kunde da. Auch Lounge-Zugangsanbieter machen bereits mit. Allerdings bremst uns auch da die Pandemie.

Muss man eine Lounge haben oder verdienen Sie auch Geld damit?
Gewisse Dienstleistungen muss ein Flughafen haben. Wir versuchen aber, dass es wirtschaftlich Sinn macht. Aktuell ist es sicher ein Verlustgeschäft, das wird sich aber ändern, sobald der Geschäftsreiseverkehr wieder anzieht.

Wir haben die Flughafenentgelte in der Nacht in den letzten Jahren ordentlich erhöht.

Haben Sie keine Angst, dass auch in Nürnberg einmal ein Nachtflugverbot kommen könnte, das Sie ja zuvor als großen Standortvorteil genannt haben?
Es ist sicher ein Argument für den Standort. Man hat ja im Sommer 2018 gesehen, wie anfällig der Luftverkehr für Störungen ist. In Nürnberg kann eine Fluggesellschaft Verspätungen gut abbauen, weil sie auch spät noch landen kann. Eine Umleitung ist für sie sehr teuer. Natürlich gibt es dadurch auch einen Konflikt mit Anwohnerinnen und Anwohnern. Deshalb haben wir die Flughafenentgelte in der Nacht in den letzten Jahren ordentlich erhöht.

Hat das etwas bewirkt?
Teilweise. Eine Charterairline schafft im Sommer bis zu drei Umläufe pro Tag in die Türkei, wenn sie einen Flughafen mit 24h-Betriebsgenehmigung in Streckennetz hat, weil sie den ersten beziehungsweise letzten Flug noch in der Nacht durchführen kann. Das führt zu einer hohen Produktivität und ist entsprechend lukrativ. Sie können also beispielsweise mit einem Flugzeug erst Köln – Türkei und zurück, dann Düsseldorf – Türkei und zuletzt Nürnberg – Türkei und zurück fliegen.

Viele Flughäfen haben während der Pandemie von einem Frachtboom profitiert. Nürnberg nicht, im Gegenteil. Sie zählten nur noch halb so viele Tonnen wie 2019. Warum?
Wir sehen Chancen und konnten auch einige Sondercharter mit medizinischem Material abwickeln. Andere Standorte sind da aber besser positioniert, weil sie auch von Langstreckenflugzeugen angeflogen werden, die Fracht im Bauch mitnehmen können. Das bringt mehr Flexibilität.

Wir sind zuversichtlich in den kommenden Monaten den einen oder anderen Erfolg mit Frachtairlines vorweisen zu können.

Aber mit dem fehlenden Nachtflugverbot hätten Sie doch ein starkes Argument für Frachtairlines…
Der 24-Stunden-Betrieb ist sicher ein Vorteil, allerdings nur im Hinblick auf die Expressdienstleister im Europaverkehr. Bei klassischen Frachtflügen kann das anders gesteuert werden. Zudem ist unsere Start- und Landebahn nur 2700 Meter lang. Das bringt gewisse Einschränkungen mit sich. Große Frachter wie Boeing 747, 777 F oder McDonnell Douglas MD-11 bekommen bei längeren Flügen von mehr als zehn Stunden Probleme und könnten nur mit reduzierter Beladung starten. Dennoch arbeiten wir daran, Frachtairlines anzuziehen. Wir glauben, mit den internationalen Konzernen in der Region, die einen großen Teil ihrer Produktion ins Ausland versenden, ein weiteres gutes Argument zu haben. Bisher wird ihre Fracht oft in Frankfurt oder München in die Flugzeuge geladen.

Sind Sie zuversichtlich?
Wir haben eben erst angefangen, sind aber zuversichtlich in den kommenden Monaten den einen oder anderen Erfolg mit Frachtairlines vorweisen zu können. Einige Konkurrenten schwächeln ja gerade.

Auch Flughäfen müssen sich Gedanken machen zum Klima. Was tut der Flughafen Nürnberg hier?
Wir werden wie alle anderen deutschen Flughäfen bis 2045 klimaneutral sein. Wir haben bereits auf Ökostrom umgestellt, womit wir das Zwischenziel für 2030 bereits erreichen könnten. Das ist uns aber nicht genug. Wir werden große Teile unseres Fuhrparks auf Elektroantrieb umstellen. Bei den Flugzeugschleppern ist das einfach, bei den Gepäckfahrzeugen auch. Schwierig wird es bei den Winterdienstgeräten und bei den Bussen, da unsere Busse nur sehr kurze Strecken zurücklegen und die meisten Angebote auf große Reichweiten ausgelegt sind, die wir gar nicht brauchen. Daher gibt es derzeit noch keine passenden Produkte am Markt. Bei der bestehenden Flotte setzen wir bereits seit einiger Zeit wesentlich emissionsärmeres und klimaneutral zertifiziertes GtL ein. Zudem verbinden wir derzeit unsere beiden Energienetze, wodurch wir die Nutzung von Wärme aus nachwachsenden Rohstoffen ausweiten können. Demnächst bauen wir eine weitere Solaranlage auf unserem größten Parkhaus und prüfen weitere Hallendächer auf deren Nutzbarkeit. Dadurch können unseren ökologischen Fußabdruck kontinuierlich verringern.

Bisher hat der Luftverkehr seine Infrastruktur stets selbst bezahlt, ob das künftig noch möglich sein wird, ist fraglich.

Es wird in der Luftfahrt bei Kurz- und Mittelstrecken über Wasserstoff und Elektro diskutiert. Kann sich Nürnberg überhaupt leisten, zwei Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen?
Momentan ist noch völlig unklar, was genau wann für ein Transportangebot und daraus abgeleiteter Infrastrukturbedarf entsteht. Klar ist aber schon jetzt: Es wird teuer. Bisher hat der Luftverkehr seine Infrastruktur stets selbst bezahlt, ob das künftig noch möglich sein wird, ist fraglich.

* Michael Hupe ist seit November 2013 Geschäftsführer des Flughafens Nürnberg. Zuvor leitete er während fast elf Jahren den Flughafen Dresden und arbeitete davor als Leiter Konzernfinanzierung bei Fraport. Er studierte an der Technischen Hochschule Darmstadt Wirtschaftsingenieurwesen und danach auch BWL.