China wollte Informationen zum GE9X
Spionagekrimi um Triebwerk der Boeing 777X
Chinesische Spione interessierten sich für das aktuell stärkste Triebwerk der Welt. Doch statt an die Wirtschaftsgeheimnisse von GE zu kommen, gaben sie ihre eigenen preis.
Das GE9X an der Boeing 777-9: Zieht Aufmerksamkeit auf sich.
Das GE9X an der Boeing 777-9: Zieht Aufmerksamkeit auf sich.
Es hat die Schubkraft von ungefähr 400 VW Passat. In weniger als zwei Sekunden saugt es beim Start den Raum eines Olympia-Schwimmbeckens durch seine großen Schaufelblätter ein. Und sein Umfang ist größer als der eines Airbus A320 oder eine Boeing 737.
Das Triebwerk GE9X, das bald die Boeing 777X antreiben soll, ist derzeit der stärkste Flugzeugmotor auf dem Markt. Und es steht im Zentrum eines realen Spionagekrimis, der im November vor Gericht ein Ende finden soll. Eines, das man in den USA ziemlich sicher als Happy End bezeichnete dürfte.
Lehren über chinesische Wirtschaftsspionage
Ein chinesischer Geheimdienstagent steht kurz vor der Verurteilung zu bis zu 50 Jahren Haft in den USA, nachdem er versucht hatte, über einen GE-Mitarbeiter an Daten zum GE9X zu kommen, die selbst innerhalb des Unternehmens vor den meisten Angestellten geheimgehalten werden. Auf seinem Iphone hatte der Spion detailliert Tagebuch über seine Befindlichkeiten und seinen Job geführt – alle wichtigen Dokumente hatte er in die Cloud geladen. Und die wurden vor Gericht ausgebreitet.
Das Magazin Bloomberg Businessweek hat die Gerichtsdokumente durchgeschaut. Aus ihnen ließe sich ziemlich sicher auch ein Blockbuster machen, der die Art und Weise, wie chinesische Wirtschaftsspionage funktioniert, detailliert offenlegt.
Verbundwerkstoffe im Zentrum
Im Zentrum steht der chinesische Geheimdienstagent Xu, der schon seit mehr als zehn Jahren für den chinesischen Geheimdienst arbeitete. Die Dokumente zeigen, dass er die Leute, von denen er sich Informationen erhoffte, durch Hilfe eines Kollegen an der Nanjing University of Aeronautics and Astronautics kontaktierte. So auch einen Ingenieur von GE mit chinesischen Wurzeln – einen Experten für Verbundwerkstoffe.
Denn diese Werkstoffe spielen beim GE9X eine zentrale Rolle. Fanschaufeln und Gehäuse des Triebwerks bestehen aus Verbundwerkstoffen: gehärtete, mit Harz durchtränkte Kohlenstofffasern von großer Leichtigkeit und Stärke. Denn leichtere Triebwerke bedeuten, dass Flugzeuge mehr Passagiere oder mehr Fracht befördern und mit weniger Treibstoff weiter fliegen können. Hinzu kommt die Sicherheit: Materialermüdung tritt später ein.
Liegt Ihre Arbeit hauptsächlich in der Konstruktion der Verkleidung oder im Bereich der Schaufeln?
Xus Kontakt bei der Universität lud Mitte 2017 den GE-Experten ein, einen Vortrag über seine Arbeit zu halten. Der fühlte sich geschmeichelt und nahm dankend an. Auf Chinesisch tauschten der Universitätsmitarbeiter und der Ingenieur Details zu Reise und Vortrag aus. Doch irgendwann begannen die Fragen, technischer zu werden. «Liegt Ihre Arbeit hauptsächlich in der Konstruktion der Verkleidung oder im Bereich der Schaufeln?», hieß es etwa. Den Email-Verkehr hatte Xu irgendwann von seinem Universitätskollegen übernommen.
Der Ingenieur wies wiederholt darauf hin, dass er keine nicht öffentlichen Informationen über sein Unternehmen teilen dürfe. Nach dem Vortrag traf er sich mit Xu in seinem Hotel. Der überreichte dem GE-Mann zwei Kisten Tee, zusammen mit einem Honorar von 3500 Dollar für den Vortrag und einer Reisekostenerstattung. Die beiden blieben in Kontakt.
Plötzlich wollte er Geheimnisse preisgeben
Doch plötzlich änderte sich etwas. Nachdem der Ingenieur zunächst keine Geheimnisse hatte preisgeben wollen, zeigte er sich plötzlich mehr als bereit dazu, fragte sogar, was genau Xu brauchen könne. Es sei eilig, schrieb er unter anderem. GE habe ein Sparprogramm angekündigt, und er wisse nicht, wie lange er seinen Job noch innehabe. Daher wolle er helfen, solange es noch möglich sei.
In China muss man gedacht haben, dass man in dem Mitarbeiter einen Hauptgewinn gefunden hat. Endlich kam man an die Informationen, nach denen man so lange gesucht hatte. Misstrauisch machte der Meinungsumschwung Xu nicht. Doch das wäre angebracht gewesen. Denn bereits kurz nach der China-Reise hatte das FBI den GE-Ingenieur kontaktiert.
Gibt es noch andere Informationen, die euch interessieren könnten?
Bei der Vorbereitung seiner Präsentation hatte der Ingenieur fünf Schulungsdateien von GE Aviation, die unter Exportkontrollschutz standen, auf seinen Laptop übertragen. Er hatte die Dateien zwar nicht an andere Personen in China weitergegeben, aber dass er sie ins Land mitgenommen hatte, verstieß gegen das US-Gesetz. Außerdem hatte er gegen die Unternehmensrichtlinien verstoßen, da er GE Aviation nicht über den Vortrag informiert hatte. Seinen Job war er also los.
Nachdem das FBI ihn bei einem ersten Treffen darüber informiert hatte, nahm er sich einen Anwalt und erklärte sich im Rahmen einer Vereinbarung mit dem US-Justizministerium bereit, bei den Ermittlungen zu kooperieren. So gelang es den Behörden, den chinesischen Agenten Xu aus China herauszulocken. Der GE-Mitarbeiter drängte ihn zu einem Treffen, um wichtige Informationen direkt zu übergeben – all das in Telefonaten, bei denen das FBI auch anwesend war. «Gibt es noch andere Informationen, die euch interessieren könnten?», fragte in einem der Gespräche. «Ich meine, ich kann mich umsehen und vorbereiten.»
Verhaftung in Brüssel
Schließlich kam es am Ostermontag 2018 zu einem Treffen in Brüssel. Zwischen der EU und den USA besteht ein umfassendes Auslieferungsabkommen, das es dem FBI ermöglichte, Xu bei dem Treffen in Gewahrsam zu nehmen. Dabei hatte er sein Iphone, auf dem er jahrelang detailliert dokumentiert hatte, wie er und seine Kollegen arbeiten. Für die USA sind diese Informationen enorm wertvoll.
Und auch für die Anklage sind die Tagebucheinträge des Agenten sowie die von ihm gespeicherten Dokumente und Konversationen Gold wert. In der Anklageschrift beschuldigt ihn das Justizministerium der Verschwörung und des Versuchs, Wirtschaftsspionage zu begehen und Geschäftsgeheimnisse zu stehlen. «Die Beweise in diesem Fall, fast alle, stammen aus seinen eigenen Worten. Es gibt kaum einen anderen Fall wie diesen», sagte der stellvertretende US-Staatsanwalt Timothy Mangan in seinem Schlussplädoyer vor der Jury.
Auch anderer Fall gelöst
Als sie Xus digitales Sammelsurium durchsuchten, lösten die Ermittler auch einen anderen Spionagefall. Auch das von GE gemeinsam mit Safran entwickelte Leap-Triebwerk ist mit vielen Verbundwerkstoffen gebaut. Es treibt inzwischen unter anderem den Airbus A320 Neo und die Boeing 737 Max an. Schon 2013 hatte Xu versucht, über einen Trojaner, der den Computer eines Mitarbeiters von Safran auslas, an Informationen zu kommen. Der Versuch missglückte allerdings, der Trojaner wurde entdeckt.
Am 5. November 2021 verurteilte die Jury Xu in allen Anklagepunkten. Ihm droht eine Höchststrafe von 50 Jahren Gefängnis und 5 Millionen Dollar Geldstrafe, wenn am 15. November 2022 das Strafmaß bekannt gegeben wird.