Letzte Aktualisierung: um 7:21 Uhr

Produktion von 787 und 777

Boeing-Whistleblower: «Leute sprangen auf die Teile des Flugzeugs»

Ein Whistleblower erhebt detaillierte Vorwürfe gegen den Flugzeugbauer. Es geht um Mängel in der Produktion von 787 und 777. Boeing weist die Kritik zurück.

Das Problem stammt aus dem Jahr 2020 und holt Boeing nun ein. Damals wurde bekannt, dass in der Produktion der Boeing 787 bei der Verbindung von hinteren Rumpfsektionen Lücken nicht sachgemäß geschlossen wurden. Der Hersteller hatte die Auffüllstücke teilweise in der falschen Größe produziert.

Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA kritisierte, dass der Konzern die Herstellung dieser sogenannten Shims nicht validiert habe, bevor sie Teil des Produktionsprozesses wurde. Zudem habe eine qualitativ hochwertige Prüfung gefehlt. In der Folge traten Shim-Probleme auch an anderen Stellen der 787 auf, Boeing musste die Auslieferungen des Dreamliners aussetzen und die Fehler beheben.

«Anschein erwecken, dass die Lücken nicht vorhanden waren»

Die Federal Aviation Administration gab im Sommer 2022 wieder grünes Licht und kontrolliert seither jedes produzierte Exemplar. Dennoch erhebt ein Boeing-Ingenieur nun öffentlich Vorwürfe in diesem Zusammenhang. Der Mann namens Sam Salehpour gab am Dienstag (9. April) zusammen mit seinem Anwalt eine virtuelle Pressekonferenz, hat einen Brief an die FAA geschrieben, die die Vorwürfe prüft, und soll nächste Woche auch im Senat der USA angehört werden.

Salehpour sagte laut der Zeitung Seattle Times, dass Boeing schon ab 2012 zuließ, dass Rumpfteile bei der Endmontage mit übermäßiger Kraft zusammengeschoben wurden, bevor sie auf Lücken gemessen wurden, um «den Anschein zu erwecken, dass die Lücken nicht vorhanden waren». Auch nach dem Stopp der Auslieferungen 2020 habe sich dies fortgesetzt, behauptete Salehpour, basierend auf seiner Arbeit im 787-Programm im Jahr 2021.

Bohrspäne in Verbindungsstellen der Boeing 787

«Ich habe wiederholt Berichte für meine Vorgesetzten und das Management erstellt, die auf Boeings eigenen Daten basierten und zeigten, dass die Lücken in der 787 nicht richtig gemessen wurden», sagte Salehpour. Infolgedessen seien die Shims in vielen Fällen nicht eingesetzt worden. Die potenzielle Gefahr: Der Rumpf aus Verbundwerkstoffen und Befestigungselemente aus Metall dehnen sich bei Temperaturänderungen unterschiedlich aus und ziehen sich unterschiedlich zusammen – und könnten sich durch nicht gefüllte Lücken verschieben und verschleißen, so Salehpour. «Das kann zu katastrophalem Versagen führen.»

Der Ingenieur und Whistleblower behauptet zudem, dass Boeing beim Bohren von Löchern in der Nähe von Verbindungsstellen der Rumpfsektionen davon ausgegangen sei, dass die Lücken zu klein gewesen seien, als dass Bohrspäne hätten hineingeraten können. Ein aufwändiges Auseinandernehmen und Säubern wäre so nicht nötig.

Versetzung in die 777-Produktion – und ebenfalls Probleme

Allerdings hätten die Annahmen auf ungenauen Messungen beruht und außer Acht gelassen, dass weiter entfernte Lücken größer gewesen seien. Das habe dazu geführt, «dass in etwa 80 Prozent der Verbindungsstellen im vorderen und hinteren Rumpfteil der 787 Bohrspäne zurückgeblieben sind», heißt es in Salehpours Schreiben an die FAA. Diese Zahl beruhe auf Tests und Inspektionen von 28 Flugzeugen, die nach 2020 gebaut worden seien.

Salehpour wirft seinen Vorgesetzten vor, diese hätten ihm nach seinen Hinweisen den Mund verbieten wollen und ihn von Besprechungen ausgeschlossen. Einer habe ihm sogar mit körperlicher Gewalt gedroht. Schließlich sei er ins 777-Programm versetzt worden – und habe gehofft, dass es dort keine Probleme gebe. «Es stellte sich heraus, dass das nicht wahr ist», so der Ingenieur. Denn große, aus Japan gelieferte Rumpfteile für die Boeing 777 hätten nicht perfekt in die Vorrichtungen der Endmontage von Boeing gepasst.

Boeing sagt, die Vorwürfe seien unzutreffend

«Als das Flugzeug zusammengebaut wurde, sah ich schwere Fehlausrichtungen, die durch den Einsatz von nicht gemessener und unbegrenzter Kraft behoben wurden, um die falsch ausgerichteten Löcher und Teile zusammenzufügen», sagte Salehpour. «Ich habe wortwörtlich gesehen, wie Leute auf die Teile des Flugzeugs sprangen, um sie dazu zu bringen, sich auszurichten.» Dann seien Verbindungselemente eingehämmert worden.

Boeing wehrt sich. Die Behauptungen «über die strukturelle Integrität der 787 sind unzutreffend», so der Konzern. Umfangreiche Tests und Analysen, die mit der FAA geteilt worden seien, hätten gezeigt haben, dass es keinen Anlass zu Sicherheitsbedenken gebe.

Keine Auswirkung auf Lebensdauer

Lücken zwischen 787-Rumpfteilen würden korrekt aufgefüllt und kein Flugzeug könne ausgeliefert werden, das nicht die geforderten Standards erfülle. Bei den knapp 1000 Dreamlinern, die vor Lieferstopp und Fehlerbehebung ausgeliefert wurden, sieht Boeing nach umfangreichen Tests keine Gefahr. «Basierend auf den bisherigen Tests der Rümpfe mit bis zu 165.000 Zyklen und den umfangreichen Datenerhebungen, Tests, Modellierungen und Analysen von Boeing von 2020 bis heute – die transparent mit der FAA geteilt wurden – geht Boeing derzeit davon aus, dass diese Probleme die erwartete Lebensdauer der 787-Rümpfe nicht verändern oder beeinflussen werden», so der Flugzeugbauer.

Zur 777-Kritik erklärt Boeing: «Wir haben volles Vertrauen in Sicherheit und Lebensdauer der 777-Familie. Die Behauptungen sind unzutreffend.» Weiter im Detail äußerte sich der Flugzeugbauer nicht. Zu den Vorwürfen Salehpours gegen seine Vorgesetzten erklärt der Konzern lediglich: «Vergeltungsmaßnahmen sind bei Boeing strengstens verboten.»