Letzte Aktualisierung: um 18:44 Uhr

Flugsicherheit

Pilotinnen und Piloten fürchten um Sicherheit an Europas Himmel

Schwere Anschuldigungen an Billigairlines: Eine neue Dokumentation prangert die Sicherheit in der europäischen Luftfahrt an. Und sieht auch die Aufsichtsbehörde Easa in der Schuld.

«Ich nenne das eine Mafiaorganisation, die als Airline verkleidet ist». Es ist ein ziemlich heftiger Vorwurf, den ein Pilot einer europäischen Lowcost-Airline in der Dokumentationssendung Zembla des niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks BNNVARA erhebt. «Es gibt eine Omerta», sagt er – also ein Redeverbot wie bei der Kriminellen Organisation. «Wenn Sie reden, sterben Sie.»

Die Filmemacher haben mit Pilotinnen und Piloten europäischer Billigairlines gesprochen. Zitieren lassen wollen sich nur elf von ihnen. Und auch die wollen nicht ihre Stimme, ihren Namen oder ihren Arbeitgeber kenntlich im Beitrag sehen. Aus Angst vor Konsequenzen.

Sicherheitsproblem?

Natürlich denke er nicht, dass er tatsächlich um die Ecke gebracht werde, wenn rauskomme, dass er geredet habe, so der Pilot in der Dokumentation weiter. «Aber man könnte mich auf administrative Weise ruhig stellen», fügt er an. «Ich wäre in der Luftfahrt für immer auf der schwarzen Liste», so eine andere Pilotin.

Doch es geht in der Dokumentation um mehr als ein Redeverbot. Die Crews und auch zitierte Verbände prangern an, dass es in Europas Luftfahrt ein Sicherheitsproblem gebe. Er sei schon mal im Cockpit eingeschlafen und da sei er nicht der Einzige, berichtet etwa ein Pilot. Doch sich wegen Müdigkeit nicht dienstfähig zu nennen, trauen sich die Mitarbeitenden nicht.

«Sie sehen nur, dass du einen Fehler gemacht hast. Und dann bestrafen sie dich dafür»

«Du machst einen Bericht. Aber sie sehen das Problem nicht. Sie sehen nur, dass du einen Fehler gemacht hast. Und dann bestrafen sie dich dafür. Das ist nicht das, was man als Just Culture bezeichnet», erzählt ein Pilot. Just Cultur» beschreibt die Sicherheitskultur in der Luftfahrt. Das Personal ist ermutigt, bestehende und neu auftretende Sicherheitsprobleme durch freiwillige Meldeprogramme zu identifizieren und zu melden – ohne sich um die eigene Zukunft sorgen zu müssen.

Doch das sei nicht der Fall. Es herrsche eine Kultur der Angst. Fehler würden nicht gemeldet. Denn durch die atypischen Beschäftigungsverhältnisse, in denen Crews teilweise arbeiten, seien diese auch jederzeit einfach kündbar. Konkret läuft das so: Eine Lowcost-Airline heuert einen Großteil der Piloten über eine Drittfirma an. Bei Ryanair ist das unter anderem Brooksfields. Sie befindet sich in einem tristen Backsteingebäude im Industrieviertel der britischen Stadt Epsom.

Müde fliegen als Folge

Die Fachleute von Brookfields gründen Mini-Firmen, bei denen die Piloten dann Geschäftsführer werden. Als solche gehen sie dann einen Vertrag mit Brookfields ein, gemäß dem ihre Mini-Firma die Pilotendienste anbietet. Diese Dienste wiederum bietet dann Brookfields Ryanair an. Die Piloten arbeiten meist Vollzeit – einfach unter anderen Bedingungen als Festangestellte und sind nur scheinbar selbstständig.

Teilweise könne es dadurch auch passieren, dass man, wenn man krank ist oder sich nicht flugfähig fühlt, nicht bezahlt wird. Und daher fliege man müde. «Sie beten, dass nichts wirklich Schlimmes passiert, denn in diesem Stadium sind Sie zu müde, um im Zweifel richtig zu entscheiden», heißt es.

Trinken Sie einen Kaffee, essen Sie etwas, machen Sie fünf Minuten Pause

Wenn sich Crews dann trotzdem trauen, von ihrer Erschöpfung zu berichten, werden sie offenbar teils nicht ernst genommen. Die Dokumentation spielt eine Audioaufnahme ab, in der ein Pilot berichtet, man habe den ganzen Tag unter sehr anstrengenden Bedingungen gearbeitet. Bei 40 Grad am Boden warten müssen, in der Luft Gewitter nach Gewitter umfliegen müssen, dann wieder bei 40 Grad warten. Das Gegenüber rät schlicht: «Trinken Sie einen Kaffee, essen Sie etwas, machen Sie fünf Minuten Pause.»

Wenn man Fatigue, also Erschöpfung melde und deshalb Not fit to fly (Nicht fit, um zu fliegen) sei, gebe es immer einen Anruf, eine Untersuchung. Und dann würde die Airline versuchen, andere Gründe zu finden, das Familienleben oder Sozialleben, nur um die Schuld von sich zu weisen.

Auch Vorwürfe an Easa

Die Vorwürfe in der Dokumentation richten sich allerdings nicht nur gegen die Billigairlines. Gewerkschaftsvertretende kritisieren in der Dokumentation die Europäische Luftfahrtbehörde Easa. Diese würde den Berichten der Pilotinnen und Piloten nicht genügend Aufmerksamkeit schenken. Von der Easa selbst heißt es, es gebe in den Daten keine Beweise, dass es einen Zusammenhang zwischen atypischer Anstellung und Sicherheit gebe.

Ein weiterer Vorwurf: Billigairlines würden informiert, bevor sicherheitsrelevante Überprüfungen stattfinden. In Emails, die Zembla vorliegen, werden Führungskräfte von Wizz Air angewiesen, wie sie sich dann verhalten sollen. Easa-Vorstandsmitglied Jesper Rasmussen räumt ein, dass Inspektionen manchmal im Voraus angekündigt werden: «Aber dann nur aus praktischen Gründen. Zum Beispiel wollen wir sicherstellen, dass bestimmte Personen anwesend sind. Aber die Fluggesellschaft hat keinen Einfluss darauf, mit wem wir während der Inspektion sprechen möchten.»

Aufruhr bei Wizz Air im vergangenen Jahr

Die Airlines hätten keinen Einfluss darauf, was die Crews der Easa bei diesen Überprüfungen mitteilen, so Rasmussen. Sie würden sich sicher fühlen, weil dann keine Vertreter der Airline im Raum seien. Bei Wizz Air kam es erst vergangenes Jahr zu Aufruhr, weil Geschäftsführer József Váradi sich gegen die Meldungen von Übermüdung aussprach.

«Wir können dieses Geschäft nicht betreiben, wenn sich jede fünfte Person einer Basis krankmeldet, weil die Person übermüdet ist», sagte er. «Wir sind alle übermüdet, aber manchmal ist es notwendig, die Extrameile zu gehen. Der Schaden ist riesig, wenn wir einen Flug absagen.» Es gebe dann sowohl einen Imageschaden für die Marke als auch einen finanziellen Schaden.

Easa sieht kein Sicherheitsproblem

Unklar ist, wo, wann und in welchem Zusammenhang das Video aufgenommen wurde, das nur 44 Sekunden dauert. Was Váradi davor und danach sagt, ist nicht bekannt. Zudem sagt der Wizz-Air-Chef im gezeigten Ausschnitt nicht, um wen es ihm genau geht. Er nennt weder Cockpit- noch Kabinencrews explizit.

Die Easa betont, man sei eine unabhängige Organisation, der die Sicherheit als oberstes Gut am Herzen liege. «Wir sehen Wizz Air und andere Airlines in Europa als sicher an», betont Rasmussen. «Es gibt keinen Grund, unsere Unabhängigkeit und Professionalität infrage zu stellen.» Es gebe keinen Grund, sich um die Luftfahrtsicherheit in Europa zu sorgen.

Sehen Sie sich die Dokumentation (auf Englisch) oben im Video an.