Letzte Aktualisierung: um 19:58 Uhr

Wechsel auf die Schiene

Löst der Zug den Flug noch schneller ab?

In Europa verschwinden etliche Kurzstreckenflüge zugunsten von Zugverbindungen. In manchem Fall treibt die Corona-Krise den Trend weiter voran.

Vor der Corona-Krise war die Umweltdebatte eines der großen Themen in Europas Luftfahrt, vor allem mit Blick auf die Kurzstrecke. So verriet KLM aeroTELEGRAPH im November 2019, dass man nicht mehr nur Amsterdam und Brüssel per Zug verbinden will.

«Wir werden ein Produkt entwickeln, um nach London zu fliegen und zurück den Zug zu nehmen», sagte Boet Kreiken, der bei der niederländischen Airline für das Kundenerlebnis zuständig ist. «Ich denke, langfristig werden kurze Distanzen mit Zügen gefahren.»

Swiss setzt auf mehr Zubringerzüge

Im Februar beschlossen der Airline-Dachverband Iata und der internationale Bahnverband Uic, Standards zu erarbeiten, um die Verknüpfung von Flügen und Zugfahrten in Zukunft einfacher zu gestalten. So sollen auch international mehr Zubringer-Zugverbindungen möglich werden, wie etwa Lufthansa, Swiss und Austrian sie schon anbieten.

Dann kam die Corona-Pandemie. Und Swiss erklärte Mitte August zur Ankündigung eines Zubringerzuges von Genf zum Flughafen Zürich: «Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Anzahl der Swiss-Flüge zwischen den Landesflughäfen Zürich und Genf reduziert.»

Air France streicht viele Inlandsflüge

Ob Corona die Entwicklung vom Flug hin zum Zug beschleunigt, oder ob ein Ausbau von entsprechenden Bahnverbindungen auch ohne das Virus ähnlich schnell gekommen wäre, ist generell aber schwer zu sagen. Man muss sich die Einzelfälle anschauen.

So verpflichtete sich Air France im Gegenzug für Corona-Staatshilfen, keine Inlandsrouten mehr anzubieten, die in zweieinhalb Stunden auch mit dem Hochgeschwindigkeitszug zurückgelegt werden können. Die Regierung machte es der Fluggesellschaft zudem zur Auflage, den CO2-Ausstoß pro Passagierkilometer bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Air France plant daher, ihr Inlandsangebot bis 2021 um 40 Prozent zu verringern.

Österreichische Bahn führend in der Nacht

Österreich beschloss im Juni – ganz ohne Zusammenhang mit Corona – eine Erhöhung der Ticketabgabe für Kurzstreckenflüge bis 350 Kilometer. Im Interview mit aeroTELEGRAPH sagte Umweltministerin Leonore Gewessler, Ziel sei es, auf klimafreundliche Alternativen umzusteigen, wo dies möglich sei. «Diesen Umstieg wollen wir mit den Maßnahmen anstoßen, denn gerade auf der Kurzstrecke ist die Zukunft der Zug», so Gewessler.

Ein besonderes Kapitel sind die Nachtzüge. Die Deutsche Bahn zog sich Ende 2016 trotz Kritik aus dem Nachtzugverkehr zurück. Einen Teil des Angebotes und der Schlaf- und Liegewagen übernahmen die Österreichischen Bundesbahnen. Sie bedienen damit unter dem Namen Nightjet nicht nur ein Streckennetz ab Wien, sondern haben gerade zusammen mit den Schweizerischen Bundesbahnen einen Ausbau angekündigt. Dieses Netz soll 2024 von Hamburg im Norden bis Barcelona und Rom im Süden reichen, mit Zürich in der Mitte.

Bild: ÖBB/SBB

Designfirma gestaltet nach Jets jetzt Nachtzüge

Das österreichische Bahnunternehmen hat mit der Ausstattung neuer Nachtzüge die renommierte Designfirma Priestman Goode beauftragt – die auch große Airlines wie Lufthansa, Swiss, United Airlines oder Qatar Airways zu ihren Kunden zählt.

Auch in Frankreich debattiert man über einen Ausbau der Nachtzugverbindungen zu vielen europäischen Zielen. In Deutschland appellieren die Grünen an die Regierung, sich für schnelle Nachtzüge in Europa einzusetzen, koordiniert von einer europäische Bahnagentur.

Oft fehlt noch Schnellzug-Infrastruktur

In zu engem Zusammenhang mit Corona sind all diese Bestrebungen zum Nachtzug-Ausbau aber nicht zu sehen. Denn wer schon mal in einem Schlafwagen mit mehreren Reisende gefahren ist, weiß, dass es dabei an sozialer Distanz fehlt. So erklären die Schweizerischen Bundesbahnen derzeit um Beispiel auch: «Der Nachtzug auf der Strecke Zürich – Budapest verkehrt bis auf Weiteres ohne Schlaf- und Liegewagen» und  «Der Nachtzug auf der Strecke Zürich – Prag ist bis auf Weiteres eingestellt».

Doch auch abseits von Corona und Schlafwagen stehen dem Ersatz von Flügen durch Züge im großen Stil noch Hürden im Weg. So betonte KLM-Manager Boet Kreiken, es brauche in Europa noch große Investitionen in Infrastruktur für Hochgeschwindigkeitszüge.

Airlines sehen regional neue Chancen

Die Herausforderungen dabei sind nicht überall einfach zu meistern, wie der Manager deutlich machte: «Holland ist im Wesentlichen Sand und Matsch», erklärte Kreiken. Für schnelle Züge mit Geschwindigkeiten über 300 Kilometern pro Stunde sei das vor allem in den Kurven eine Herausforderung. Das zeige sich bereits auf der Strecke zwischen Amsterdam und Brüssel: «Erst nach Breda kann man richtig Gas geben.»

Tatsächlich sehen einige Fluglinien auch gerade in Inlandsflügen eine Chance – und lassen sich von Corona nicht abschrecken. So bereitet sich mit Green Airlines derzeit in Deutschland eine neue Fluglinie auf den Start vor, die zuerst zwischen Karlsruhe und Berlin fliegen wird.