Letzte Aktualisierung: um 17:51 Uhr

Tobias Pogorevc, Helvetic Airways

«Swiss war unter anderem so erfolgreich, weil es Helvetic gab»

Der Chef von Helvetic Airways erzählt, warum er trotz Krise optimistisch ist. Tobias Pogorevc kritisiert zudem Staatshilfen für kranke Airlines und verrät, was die Embraer E2 der Airline alles leisten könnten.

Als Airline-Chef ist man gewöhnt, viel zu fliegen. Wann saßen Sie zuletzt in einem Flugzeug?
Tobias Pogorevc: Aktuell fliege ich gar nicht. Zuletzt war ich im vergangenen Herbst nach Hamburg in einem Flugzeug unterwegs.

Und fehlt es Ihnen, oder tut es auch ganz gut, nicht mehr so viel unterwegs zu sein?
Natürlich fehlt es mir. Genauso wie der Austausch mit den Mitarbeitern an Bord. Heute sprechen wir regelmässig via Teams mit den Leuten an der Front, die meisten Sitzungen finden digital statt. Aber das ist nicht dasselbe.

Teams, Zoom oder Skype sind Konkurrenten für die Luftfahrt geworden. Viele Airlines rechnen nicht mehr damit, dass Geschäftskunden künftig noch so oft fliegen werden wie vor der Krise. Sehen Sie das auch so?
Der Geschäftsreiseverkehr wird in den nächsten paar Jahren signifikant abnehmen, sowohl auf der Langstrecke, als auch im europäischen Regionalverkehr. Da sind sich alle einig. Ich weiß von Unternehmen, deren Mitarbeiter früher einen Tag pro Woche ihre Tochterfirma in Osteuropa besuchten. Jetzt konzentrieren sie das auf drei aufeinanderfolgende Tage im Monat. Statt viermal fliegen sie nur noch einmal. Gleichzeitig gibt es aber auch dezentral organisierte Unternehmen, bei denen zum Beispiel die Ingenieure vor Ort sein müssen. Auch im Verkauf ist die physische Präsenz sehr wichtig, gerade in Asien. Kaum ein asiatischer Businessmann wird ein Geschäft abschließen, ohne dass es irgendeine Form von persönlichem Austausch gab.

Wir fliegen immer wieder kleinere Reisegruppen aus der Industrie – zum Beispiel 20 Personen, die nicht auf einen Linienflug wollen.

Spürt Helvetic das auch? Sie fliegen ja auch für Firmen.
Aktuell sieht es etwas anders aus: Wir fliegen immer wieder kleinere Reisegruppen aus der Industrie – zum Beispiel 20 Personen, die nicht auf einen Linienflug wollen, aber dennoch die Tochtergesellschaft besuchen wollen. Die Anforderungen sind auf solchen Spezialcharterflügen auch höher: Vorsichtsmaßnahmen, Sitzplatzpräferenzen, Vorweisen von aktuellen Covid-Testergebnissen. Solche Spezialflüge wurden in letzter Zeit mehr nachgefragt. Und wir waren da auch sehr flexibel, weil die Flotte nicht ausgelastet ist.

Charter sind nur eine von drei Säulen des Geschäftsmodells von Helvetic. Die anderen sind Linienflüge und die wichtigste Wet-Leasing. Ändert die aktuelle Krise etwas an der Gewichtung der Geschäftssegmente?
Wir hatten immer ein sehr konservatives Geschäftsmodell und es wird auch konservativ bleiben. Das hat sich ausgezahlt. Wir sehen auch weiterhin europaweit die größten Wachstumsmöglichkeiten im Wet-Leasing.

Tendenziell haben aber doch viele Airlines, und damit Ihre potenziellen Wet-Lease-Kunden, momentan selbst zu viele Flieger und zu viel Personal.
Wir haben für die nächsten Jahre das richtige Flugzeug. Viele Destinationen werden bedient werden müssen, aber die Nachfrage wird abnehmen. Wenn ich eine Marktanalyse mache und sehe, dass ich maximal 80 Passagiere pro Flug habe, dann rechnet sich ein kleines Flugzeug immer. Rein ökonomisch fallen die Kosten pro Flug ins Gewicht und nicht mehr die Kosten pro Sitz. Mit unserem Produkt haben wir gute Voraussetzungen, dass wir uns nach der Krise weiterentwickeln können.

Ich weiß von großen Airlines in Europa, die vermehrt auf Wet-Lease-Partner setzen werden.

Aber die Airlines haben ja selbst Personal und Flugzeuge…
So gut wie jede Airline hat Staatshilfen erhalten, und das führt zu einer gigantischen Wettbewerbsverzerrung für die nächsten Jahre. Aber irgendwann einmal werden die Schulden zurückbezahlt werden müssen. Und erst nachher kann man Umflottungsprojekte angehen. Ich weiß von großen Airlines in Europa, die vermehrt auf Wet-Lease-Partner setzen werden. Sie wollen modernstes Fluggerät, können oder wollen aber nicht selbst die großen Investitionen tätigen. Die USA haben das in den letzten 10 Jahren vorgemacht.

Sie glauben also, dass ein Modell ähnlich wie das der Regionalflieger in den USA auch in Europa kommt? Dort setzen die großen Airlines fast komplett auf Wet-Lease-Anbieter.
Im Moment spielen viele Airlines verschiedenste Zukunftsszenarien durch. Man schaut, wo man effizienter und rentabler werden kann. Da wurden wir auch schon zu Workshops eingeladen: Man vertraut unserer finanziellen Stabilität, unserer Qualität und unserem modernen Fluggerät.

Auch aktuell fliegt Helvetic für Swiss. Wie haben Sie es geschafft, dass die Lufthansa-Gruppe den Vertrag nicht gekündigt hat, anders als bei allen anderen Wet-Lease-Partnern?
Da gibt es kein Schaffen oder nicht Schaffen. Es handelt sich um eine ganz langfristige Partnerschaft. Begonnen hat sie mit Christoph Franz, ausgebaut wurde sie unter Harry Hohmeister und unter Thomas Klühr kamen die neuen Flieger. Es ist eine gute Partnerschaft und wir decken ein Segment ab, welches die Swiss mit ihren Flugzeugen nicht bedient.

Die Nachfrage wird kommen. Vielleicht nicht 2021, aber spätestens 2022.

Bekommen Sie denn per Vertrag auch Geld, wenn Ihre Flieger nicht im Einsatz sind? So intensiv wie früher fliegen sie ja nicht mehr für die Lufthansa-Gruppe.
Ich glaube wir haben noch nie über vertragliche Einzelheiten oder Zahlen geredet, oder? Nur soviel: Es ist wirklich eine gegenseitige Partnerschaft, die über Jahre gewachsen ist. Swiss war unter anderem auch so erfolgreich in den letzten zwei, drei Jahren, weil es Helvetic gab. Das hat uns das Management immer wieder bestätigt.

Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie sich mitten in der Krise in einer Flottenerneuerung befinden. Warum soll das gutes Timing sein?
2018 haben wir unsere Strategie definiert und in Angriff genommen: Und Mitte 2021 werden wir die modernste und umweltfreundlichste Regionalairline Europas sein.
Wir haben zusammen mit unserem Eigentümer noch vor der Klimadiskussion und Covid diesen Schritt gewagt. Dass Covid dazwischen kam, ist natürlich unglücklich. Wir sind aber dank Frau und Herrn Ebner in der glücklichen Lage, dass wir den Umflottungsprozess weiterführen können. Die modernen Flugzeuge gehören der Helvetic Aircraft AG. Wir sind also nicht von anderen Banken oder Leasinggebern abhängig. War es nun der richtige Moment? Ich denke es war der beste Moment: Viele Airlines tragen einen Rucksack von Staatsschulden mit sich herum. Neue Flieger einflotten, das kostet viel Geld. Sie müssen aber zuerst ihre Schulden begleichen. Wir haben die Modernisierung bald hinter uns. Und die Nachfrage wird kommen. Vielleicht nicht 2021, aber spätestens 2022. Und dann wird auch die Umweltdiskussion europaweit wieder intensiver werden. Da sind wir mit neuen, treibstoffarmen Fliegern klar im Vorteil.

Nehmen Sie alle zwölf bestellten E2-Jets also weiterhin ab?
Ja. Nummer sechs kam im November. Nummer sieben und acht kommen im ersten Quartal, im Juni und Juli kommen dann die größeren Embraer E195-E2. Dann haben wir alle festen Bestellungen übernommen.

Sie haben auch noch Optionen für 12 weitere Jets…
Darüber jetzt zu reden, macht keinen Sinn.

Wir haben ganz neue Charteranfragen.

Die E2-Jets verfügen über eine größere Reichweite als ihre Vorgänger. Das eröffnet Ihnen auch neue mögliche Ziele.
Mit 5’278 Km ist die Reichweite viel größer, das eröffnet neues Marktpotenzial. Der Nahe Osten und Afrika könnten spannend sein, aber auch nach Norden gibt es Potenzial. Wir sind im Rahmen der Repatriierungsflüge mit einer Embraer E190-E2 an die Elfenbeinküste geflogen. Man kommt mit 110 Passagieren wirklich weit und wir haben deshalb ganz neue Charteranfragen.

Was für neue Anfragen?
Unternehmen, die mitbekommen haben, dass wir an die Elfenbeinküste geflogen sind, fragen zum Beispiel, ob andere Ziele mit einer ähnlichen Entfernung auch möglich sind. Es geht um Firmencharter und um Flüge im Urlaubsbereich. Es wird nicht diesen Sommer soweit sein, aber mit unseren neuen Jets ist das möglich.

Viele Airlines führen derzeit reine Frachtflüge durch, weil die Nachfrage dort weiter hoch ist. Ist das für Sie auch eine Möglichkeit?
Das Frachtgeschäft ist keine Option für Helvetic. Am Anfang der Pandemie hatten wir viele Anfragen und haben abgeklärt, was es bedeuten würde, wenn wir aus den E1-Jets temporäre Frachter machen. Wir kamen zum Schluss, dass es sich nicht lohnt: Schuster, bleib bei deinen Leisten..

Wie viele Ihrer Flieger sind aktuell im Einsatz, wie viele geparkt?
Die Situation ist sehr dynamisch. Im Moment retournieren wir vier E1-190, welche kurzfristig geleast wurden. Drei E1 sind in Spanien im Storage und mit den anderen Elugzeugen decken wir unsere Operation ab. In den letzten Monaten waren wir mit etwa 30 Prozent der Kapazitäten unterwegs.

Sie haben als Reaktion auf die sich verändernde Nachfrage Pop-up-Flüge angeboten, bei denen eine Destination nur einmalig auf dem Plan steht. Kommt noch mehr in die Richtung?
Das Konzept hat sich auf jeden Fall bewährt, und wir werden es weiterführen. Wir sind aber auch permanent daran, neue Konzepte auszuarbeiten – zum Beispiel auch mit kleinen Reiseveranstaltern.

Auch für Personal ist es hart, wenn die Flieger nicht oder kaum abheben. Die Vorsitzende der Schweizer Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers äußerte kürzlich in einem Interview Kritik an Helvetic Airways. Es herrsche eine Angstkultur und schlechte Stimmung.
Jeder, der das Interview mit einem neutralen Blick auf die Dinge gelesen hat, hat sicher die richtigen Schlüsse gezogen. Ich will mich daher gar nicht dazu äußern. Aber so viel kann ich sagen: Wir haben vom Personal – insbesondere von der Kabine – eine extreme Solidarität erfahren, vor allem gegenüber der Führungsebene und unserem Eigentümer Martin Ebner, der ja persönlich angegriffen wurde. Das hat uns gezeigt: Unsere Unternehmenskultur ist toll und man kann mit uns direkt sprechen.

Für mich ist Kapers die Gewerkschaft von Swiss.

Warum wollen Sie Kapers nicht als Sozialpartner anerkennen?
Für mich ist Kapers die Gewerkschaft von Swiss. Wir sind aber eine eigenständige Fluggesellschaft und ebenso eine tragende Säule der Schweizer Luftfahrt. Wir machen gewisse Dinge einfach anders als alle anderen und das hat uns weit gebracht. Wir waren vor dem Ausbruch der Pandemie in einem Wachstumsmodus und haben eine Unternehmensphilosophie, die über vieles hinausgeht, was Gewerkschaften uns vorschreiben möchten. So ist etwa der Frauenanteil im Cockpit bei uns 16 Prozent. In der Kabine arbeiten fast 40 Prozent Teilzeit, wir haben moderne Fly&Study-Verträge. Das ist nicht so, weil wir das so machen müssen, sondern weil wir das richtige Umfeld schaffen. Aus diesem Grund arbeiten bei uns auch viele Quereinsteiger mit Flugerfahrung, die zum Beispiel nach der Mutterschaft ihrer Passion, dem Fliegen, nachgehen möchten. Auch die Fluktuation ist nicht höher als bei den anderen Airlines. Bei uns herrscht eine gute und familiäre Atmosphäre – besonders in dieser Krise.

Anders als andere Airlines hat Helvetic keine Staatshilfe in Anspruch genommen. Wie beurteilen Sie die Milliardenhilfen, die die Branche erhielt?
Ich war immer der Meinung, dass Gesellschaften, die eine staatstragende Funktion haben und vor der Krise rentabel waren, unterstützt werden müssen. Die Swiss gehört auch dazu. Diese Gesellschaften sind so stark, dass sie die Staatshilfen zurückzahlen werden. Was mich aber wundert: Heute sprechen wir fast romantisch von der Vor-Corona-Situation. Die wirtschaftliche Situation der Luftfahrt in Europa war aber eigentlich eine Katastrophe. Es gab ein Grounding nach dem anderen. Und laut der Iata war die Rentabilität der europäischen Airlines weit unter dem weltweiten Schnitt. Man hat nicht einmal die Kapitalkosten verdient. Es gibt Airlines, die würden ohne Corona und den großzügigen Staatshilfen gar nicht mehr existieren. Nehmen wir nur mal Norwegian oder Condor. Da hat es doch schon vorher gehapert und das Geschäftsmodell war nicht tragfähig. Jetzt wurden die finanziell kranken und halbtoten Fluggesellschaften in ganz Europa von den Staaten saniert und der Konsolidierungsprozess wurde unterbrochen. Die Branche wird sich aber gesundschrumpfen müssen, allein schon aus ökologischen Gründen.

Die Maskenpflicht wird uns noch lange begleiten.

Auf der ganzen Welt wurde inzwischen mit Impfungen begonnen. Airline-Mitarbeiter sind durch ihren Job natürlich besonders viel im Kontakt mit anderen Menschen. Überlegen Sie sich, für Ihr Personal irgendwann eine Impfpflicht einzuführen?
Aus einer globalen Perspektive wird die Covid-Impfung in naher Zukunft ganz bestimmt eine zentrale Rolle für die gesamte Luftfahrtbranche spielen. Sie wird sehr wahrscheinlich erforderlich sein, um künftig in einige Länder einreisen zu dürfen. Was eine mögliche Impfpflicht für unser fliegendes Personal betrifft, ist deutlich mehr Vorsicht geboten. Zum jetzigen Zeitpunkt fehlen uns wichtige Informationen wie etwa das Vorgehen der Zivilluftfahrtbehörden betreffend der fliegerischen Vorschriften oder die Auflagen einzelner Länder betreffend den Einreisebestimmungen für Crews einer Airline. Die richtige Vorgehensweise bei diesem Thema ist also in erster Linie, faktenbasierte Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, um die beste Option zum Schutz unserer Besatzungen zu definieren.

Impfung, Schnelltest, Quarantäne – gibt es Ihrer Meinung nach eine Maßnahme, die der Branche helfen wird, wieder Vor-Corona-Niveau zu erreichen?
Vermutlich werden gewisse Länder die Impfpflicht und ein aktuelles, negatives Testergebnis vorschreiben. Die Einreiserestriktionen dürfen aber nicht wie heute ständig ändern, sonst bucht niemand und die Erholung verzögert sich weiter. Das Vor-Corona-Niveau werden wir jedoch meiner Meinung nicht vor 2024 erreichen und die Wachstumsraten und Passagierströme werden nachher viel kleiner sein als vor Covid vorgesehen. Darauf muss man sich heute einstellen und die richtigen Massnahmen einleiten.

Meinen Sie, es wird einige Maßnahmen auch über die Pandemie hinaus geben?
So wie der 11. September für einen Wandel gesorgt hat, wird das auch Corona tun. Masken, Thermoscanner, Impfungen, und so weiter werden zum Reisen gehören.

Und die Maskenpflicht?
Die Pflicht wird uns noch lange begleiten… trotz Impfung.