Stefan Schulte, Fraport
«Keine Airline plant heute mit vier Jahren Vorlauf. Und wir auch nicht»
Fraport-Chef Stefan Schulte spricht über die Herausforderungen bei der Personalsuche, verrät, was an Ostern, Pfingsten und im Sommer auf Reisende zukommt - und, wie sich der Ukraine-Krieg auf den Bau von Terminal 3 auswirkt.
Stefan Schulte: «Man kann nicht einfach losstarten und von einem Land über das andere ins nächste fliegen.»
Stefan Schulte: «Man kann nicht einfach losstarten und von einem Land über das andere ins nächste fliegen.»
Seit mehr als zwei Jahren befindet sich die Luftfahrtbranche im Krisenmodus. Machen Sie Ihren Job gerade noch gern?
Stefan Schulte: Sehr. Die gesamte Luftfahrt steht vor großen Herausforderungen, und das auch weit über die Branche hinaus. Ich nehme diese Herausforderungen gerne an.
Der Flughafen Frankfurt hat die Maskenpflicht aufgehoben – in Einklang mit den geänderten Regeln in Hessen. Doch die Passagiere werden gebeten, weiterhin eine Maske zu tragen. Tun sie das?
Aktuell tragen fast alle Reisenden und Besucher noch überwiegend Masken. Doch das könnte sich vielleicht im Laufe der nächsten Monate ändern, wenn man sich zunehmend daran gewöhnt, in anderen Lebenslagen keine Masken zu tragen. Wir begrüßen es aber ausdrücklich, dass es aktuell noch getan wird.
Ist es auch eine Erleichterung für Fraport als Unternehmen, dass die Maßnahmen langsam aufgehoben werden?
Nicht unbedingt. Wenn wir zum Beispiel auf den Flugbetrieb schauen, sind viele Regeln noch in Kraft. Und das ist auch eine Schwierigkeit bei den Prozessen am Flughafen. Die digitalen Einreiseanmeldungen unterscheiden sich von Land zu Land, auch die weltweiten Reiserestriktionen. Das heißt, man kann nicht einfach losstarten und von einem Land über das andere ins nächste fliegen. Das verlangsamt die Prozesse beim Check-in, aber auch an anderen Bereichen. Wir befinden uns noch lange nicht im Normalzustand.
Es gibt immer noch genug Menschen, die das erste Mal seit langer Zeit wieder fliegen.
Sagen Sie das auch mit Blick auf die Osterferien?
Ja. Wir kommen aus einer schwierigen Situation. Wir befinden uns in der Hochlaufkurve, stellen auch seit Monaten Personal ein. In dieser Situation arbeiten viele Akteure wie Behörden, Dienstleister, Airlines und Flughafen, gemeinsam an einem Produkt. Wir werden in den nächsten Wochen, und auch Monaten, Wartezeiten oder Engpässe erleben, weil nicht überall genügend gut ausgebildetes Personal da ist. Stichwort Sicherheitskontrollen, Grenzen, Bodenverkehrsdienste. Hinzu kommt, dass es immer noch viele unsichere und entsprechend nicht vorbereitete Reisende gibt. Deshalb kommunizieren wir, gemeinsam mit unseren Partnern, auf allen Kanälen wichtige Tipps und Hinweise für eine gute Reisevorbereitung.
Immer noch? Die Leute fliegen doch wieder viel mehr.
Es gibt aber immer noch genug Menschen, die das erste Mal seit langer Zeit wieder fliegen. Die sind dann nicht so routiniert, und vor allem auch verunsichert. Im Ablauf ist man nach ein paar Jahren nicht mehr geübt, auch an Punkten wie der Sicherheitskontrolle. Wenn dann noch hinzu kommt, dass nicht jeder Dienstleister mit vollem Personalstand agiert, heißt das: An Ostern, Pfingsten und im Sommer wird uns das allen, aber vor allem unseren Fluggästen, noch einmal ein Stückweit Toleranz und gute Nerven abverlangen.
In welchen Bereichen denn?
Es ist mit längeren Wartezeiten an allen Stellen zu rechnen. Wir erwarten ein sehr hohes Passagieraufkommen. Es wird am Ende funktionieren, davon gehe ich fest aus. Aber es wird eine harte Belastungsprobe fürs System. Daher haben wir auch gebeten, früher am Flughafen zu sein als sonst und sich möglichst gut vorzubereiten, also sich sorgfältig über Reisebestimmungen der Airline sowie des Ziellands informieren, möglichst nur ein Handgepäck mitführen, Flüssigkeiten rechtzeitig aus dem Handgepäck nehmen und Online- oder den Vorabend Check-In-Angebote nutzen. Alle Tipps haben wir auf unserer Webseite zusammengefasst.
Bild: Lukas Wunderlich/aeroTELEGRAPH
Aber darauf kann man sich ja auch vorbereiten. Man konnte doch damit rechnen, dass es so kommt.
Das tun wir maximal. Wir stellen etwa 100 Mitarbeitende pro Monat ein. Aber der Arbeitsmarkt in Deutschland ist angespannt.
Das heißt, Sie finden nicht genug Leute? Die Gewerkschaft Verdi warnte kürzlich, dass zu viel Menschen die Branche infolge der Krise verlassen.
Es braucht einfach Zeit. Hier in der Region Rhein Main liegt die Beschäftigung über Vorkrisenniveau. Und wir sind in einer Branche aktiv, die sehr hohe Anforderungen an Qualifikation und Zuverlässigkeit der Mitarbeitenden stellt. Alleine die erforderliche Sicherheitsüberprüfung kann mehrere Wochen dauern, bis jemand bereit ist. Es ist eben schon ein Unterschied, ob ich morgen in einem Corona-Testcenter anfange oder am Flughafen. Ich glaube aber, dass sich an der grundsätzlichen Attraktivität der Luftfahrtbranche nichts geändert hat.
Aktuell haben wir erhöhte Beschaffungskosten und Materialengpässe.
Dennoch ist die Branche mehr als einige andere globalen Krisen ausgesetzt. Zum Beispiel den Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Spüren Sie das als Flughafenbetreiber auch?
Vorneweg möchte ich sagen: Was auch immer wir für Herausforderungen haben, ist nichts im Vergleich mit dem, was die Menschen in der Ukraine durchmachen. Die Bilder, die wir zu sehen bekommen, lösen bei mir und ich glaube uns allen einfach nur Traurigkeit und Fassungslosigkeit aus. Wirtschaftlich trifft uns die Krise auf mehreren Ebenen, aber nicht übermäßig. Schaut man den reinen Anteil der Passagiere an, die deshalb nicht kommen, dann geht es um ein Volumen von ein bis zwei Prozent. Das ist nicht entscheidend.
Und bei der Fracht?
Da ist es schwieriger. Die Lieferketten sind ohnehin schon gestört durch die Pandemie, jetzt ganz aktuell zum Beispiel durch die Null-Corona-Politik in China und die Situation in Shanghai. Das Thema Russland und das Flugverbot für russische Anbieter nach Europa zu fliegen, hat einen Effekt von etwa 4,5 Prozent. Mit den gestörten Lieferketten führt all das bei uns zu einem Minus von zehn Prozent gegenüber dem höchsten Wert letztes Jahr. Der lag aber wiederum 10 bis 15 Prozent über Vorkrisenniveau.
Auch Rohstoffe werden teurer oder schwieriger zu beschaffen. Spüren Sie das auch? Immerhin bauen Sie auch gerade.
Aktuell haben wir erhöhte Beschaffungskosten und Materialengpässe. Auch höhere Kosten für Rohstoffe, wenn Sie zum Beispiel Stahl oder andere Materialien wie Bleche nehmen.
Das könnte zu Friktionen führen, aber am Ende werden wir es hinkriegen.
Hat das Auswirkungen auf den Bau des Terminal 3?
Wir sehen, dass Preise für einzelne Materialgruppen nach oben gehen. Aber wir haben einen großen Vorteil und bereits 70 Prozent des Auftragsvolumens beauftragt. Das meiste liegt schon auf der Baustelle. Von den restlichen 30 Prozent betreffen etwa zehn Prozentpunkte die Materialien. Da wird es auch eine Frage der Verfügbarkeit. Das könnte zu Friktionen führen, aber am Ende werden wir es hinkriegen, das Terminal 2026 zu eröffnen.
Der Flugsteig G ist bereits fertiggestellt – aber eingemottet. Gebaut wurde er mit Blick auf einen Ausbau Ryanairs. Aber Ryanair hat sich wieder zurückgezogen. Was jetzt?
Der Flugsteig G ist so angelegt, dass wir alles dort machen können. Schengen- und nicht-Schengen-Flüge abfertigen, Europa- und Interkontinentalflüge. Was wir meinen ist: Es sind schlanke Prozesse. Es gibt keine Lounge, es ist alles voll auf den Passagierprozess ausgerichtet. Auf Reisende, die nicht hochwertig shoppen wollen, aber vielleicht eher einen Drink nehmen und dann das Reiseangebot nutzen. Das ist auch, aber nicht nur Lowcost. Auch touristische Destinationen haben dieses Profil und werden es sicher nutzen. Wir führen da gute Gespräche, es gibt Interessensbekundungen.
Von wem denn zum Beispiel?
Das würde ich erst sagen, wenn ein Vertrag unterschrieben ist. Und: Der Flugsteig G geht erst 2026 in Betrieb, mit dem Rest des Terminals. Keine Airline plant heute mit vier Jahren Vorlauf. Und wir auch nicht.
Wir sind immer im Wettbewerb mit anderen Flughäfen.
Hätten Sie denn gern mehr Billigairlines in Frankfurt?
Ich glaube, diese Differenzierung wird es in der Form künftig nicht mehr geben. Weil einerseits Fliegen in der Summe deutlich teurer wird durch die kommenden Herausforderungen bei Nachhaltigkeit wie zum Beispiel neuen Treibstoffen. Aber auch dadurch, dass die Netzwerkairlines ihr Modell zunehmend anpassen müssen. Die Geschäftsmodelle kommen da zusammen. Das sieht man ja auch bei einigen Legacy-Carriern, die mit neuen Marken entsprechende Angebote schaffen.
Wie ist Ihre Beziehung zu Lufthansa? Mir sagte mal ein Airlinechef, dass Flughäfen und Airlines natürliche Feinde sind, die aber leider aufeinander angewiesen sind. Sich aber nie verstehen werden.
Das würde ich so nicht unterschreiben. Aber natürlich gibt es ein gewisses Spannungsverhältnis. Wenn die Umstände Sie zwingen, die Entgelte zu erhöhen, reagieren die Fluglinien. Dass sie im gleichen Atemzug die Ticketpreise erhöhen, wird dann aber nicht erwähnt. Aber das gehört halt dazu. Wir haben mit Lufthansa ein gutes Verhältnis. Wir arbeiten sehr eng zusammen, durch die Krise sogar noch enger.
Vor der Pandemie spielte Lufthansa die Drehkreuze ihrer Airlines – vor allem Frankfurt und München – aktiv gegeneinander aus. Hat sich das jetzt geändert?
Aktuell ist das sicherlich nicht das Hauptthema. Aber wir sind immer im Wettbewerb mit anderen Flughäfen. In Deutschland, aber auch insbesondere auf internationaler Ebene.
Wer sind denn da Ihre Hauptkonkurrenten?
Amsterdam, Paris und London. Aber unsere schärfsten Wettbewerber sind Istanbul und die Drehkreuze in Nahost. Dort herrschen einfach andere Bedingungen und sie sind nicht an dieselben Regularien gebunden wie wir in der EU, was etwa Nachhaltigkeit betrifft.
Für Nachhaltigkeit und wettbewerbsneutrale Klimaziele brauchen wir Unterstützung auf europäischer Ebene
Sie sprechen Anforderungen bezüglich CO2-Neutralität an. Dort haben Sie ja aber bereits einiges an Unterstützung von der neuen Regierung, die eigentlich als luftfahrtfreundlich gilt.
Ich würde es anders ausdrücken. Es ist nicht unbedingt luftfahrtfreundlich, aber wir erhalten die richtige Wertschätzung. Wenn wir den Koalitionsvertrag anschauen, sind da sicher nicht nur Formulierungen, mit denen wir glücklich sind. Aber sie würdigen die Bedeutung des Luftverkehrs für Deutschland. Und man sieht die Herausforderungen der Branche. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass alles wettbewerbsneutral ausgestaltet wird. Auch beim Klima. Auch da ist es ja wichtig, dass wir aus Deutschland direkt in die Welt fliegen können und nicht über Drehkreuze im Nahen Osten.
Wenn man Ihnen jetzt einen Rotstift geben würde, welche Formulierungen würden Sie im Koalitionsvertrag streichen?
Das ist zum Glück nicht meine Verantwortung.
Okay, würden Sie aber vielleicht etwas reinschreiben?
Für Nachhaltigkeit und wettbewerbsneutrale Klimaziele brauchen wir Unterstützung auf europäischer Ebene. Der zweite Punkt betrifft die Frage, wie wir Intermodalität weiterentwickeln. Es ist schon richtig, die Bahn zu unterstützen. Aber vor allem muss man das Gesamtprodukt sehen: Airlines, Flughäfen, die Bahn – das muss in der Summe miteinander funktionieren. Wenn man zum Beispiel die Luftverkehrsabgabe erhöhen will, wie es im Vertrag als Absichtserklärung steht, muss das Geld wieder dahin zurückfließen, wo es die Branche weiterbringt. Zum Beispiel, um die Zusatzkosten synthetischer Kraftstoffe abzufedern.
Wo kriegen wir die gesamte grüne Energie her, die nötig ist, um das alles herzustellen – egal, ob Sie über Wasserstoff oder nachhaltige Treibstoffe reden.
Haben Sie das Gefühl, dass es bei den neuen Antrieben genug Unterstützung gibt?
Da ist die Frage gerade eher: Wo kriegen wir die gesamte grüne Energie her, die nötig ist, um das alles herzustellen – egal, ob Sie über Wasserstoff oder nachhaltige Treibstoffe reden. Und da braucht es eine entsprechende schnelle Regulierung. Denn bislang fehlt es bei der Gesetzgebung für Fit for 55 an konkreter Regulierung, die sagt, was unterstützt wird. Da wird es wenig Raffinerien geben, die sagen: Das ist mein Geschäft, ich steige ein in die Produktion von nachhaltigem Kraftstoff. Alle warten gerade auf den Regulierungsgrad. Wenn es verbindlich wird, wird sich etwas tun.
Und wie sieht es beim Wasserstoff aus?
Vor 2035 oder 2040 werden damit keine Flugzeuge fliegen. Daher haben die nachhaltigen Treibstoffe gerade Priorität. Aber die Infrastruktur, die anders als die Infrastruktur zur Produktion von nachhaltigen Treibstoffen nicht mit der bestehenden übereinstimmt, könnten wir bis dahin aufbauen. Da gibt auch heute schon erste Projekte, bei denen Pipelines verlagert werden sollen. Wir sind da kein zentraler Mitspieler, aber klar setzen wir uns dafür ein, wie der Flughafen Frankfurt eingebunden werden kann.
Auch wenn Sie in Frankfurt sitzen: Fraport ist weit mehr. Sie haben viele internationale Beteiligungen. Unter anderem in Russland mit dem Flughafen St. Petersburg. Gibt es keine Chance, dass Sie aus dem Vertrag herauskommen, angesichts des Krieges, der Sanktionen?
Es geht einfach um klassische Vertragsbedingungen, in denen wir uns verpflichten, die Beteiligung über eine bestimmte Zeit zu halten. Bis 2025 müssen wir mit mindestens den 25 Prozent, die wir jetzt halten, beteiligt sein. Wir haben kein Personal vor Ort, beachten natürlich die Sanktionen, haben die Aktivitäten vor Ort eingestellt.
Ändert sich durch die aktuellen globalen Krisen die Relevanz der Auslandsbeteiligungen für Ihr Geschäft? Aus China haben Sie sich ja auch zurückgezogen.
Das internationale Geschäft ist ein sehr wichtiges Standbein. Wir machen da über 50 Prozent des Ergebnisses. Zuletzt lag es sogar bei zwei Drittel. St. Petersburg oder China spielen da keine so wichtige Rolle. Der Erfolg kommt aus großen Beteiligungen in Brasilien, Peru, den USA, der Türkei, Griechenland. Das werden wir weiter ausbauen.
Ich bin immer wieder gerne in Frankfurt und finde, der Flughafen hat sich super entwickelt. Genauso wie die Stadt und die Region.
Wo denn? Welche Regionen sind interessant?
Wir wollen gutes Wachstumspotenzial im Luftverkehr sehen und andererseits aber auch einen Flughafenbetrieb und eine Infrastruktur, die nicht besonders effizient aufgestellt ist. Das sind dann Regionen wie Mittelamerika, Südamerika. Auch Osteuropa oder Indien könnten interessant sein.
In Brasilien stehen gerade einige Privatisierungen an. Etwa die des zweitgrößten Flughafens des Landes. Interesse?
Das ist eine berechtigte Frage, aber wir reden über solche Dinge natürlich nur, wenn es unterschriebene Verträge gibt.
Sie fliegen in Ihrem Job, der weit über Frankfurt hinaus geht, selbst sicher sehr viel. Gibt es einen Flughafen auf der Welt, den Sie so toll finden, dass Sie sagen: Der ist es?
Frankfurt.
Außer Frankfurt. Oder denken Sie nie: Das will ich gerne auch so haben?
Es gibt natürlich Flughäfen, die neu gebaut sind. Und ein anderes Flair haben, andere Höhen, andere Möglichkeiten. Unser Airport ist historisch gewachsen und damit auch die Gebäude. Aber ich bin immer wieder gerne in Frankfurt und finde, der Flughafen hat sich super entwickelt. Genauso wie die Stadt und die Region, übrigens.
Stefan Schulte arbeitet seit 2003 für Fraport. Zunächst als Finanzvorstand, der auch den Bereich der IT-Dienstleistungen und das Beteiligungsgeschäft verantwortete. Im April 2007 wurde er zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ernannt. Seit September 2009 ist er der Vorstandsvorsitzende.