Kadri Samsunlu, IGA Istanbul Airport
«Istanbul konkurriert nicht mit europäischen Flughäfen»
Kadri Samsunlu ist Chef des Istanbul Airport. Im Interview spricht er über die härtesten Konkurrenten, die Folgen der Pandemie, Turkish Airlines und lange Wege.
Kadri Samsunlu: «Turkish Airlines hat gerade in der aktuellen Krise einen besseren Flottenmix.»
Kadri Samsunlu: «Turkish Airlines hat gerade in der aktuellen Krise einen besseren Flottenmix.»
Flughäfen weltweit mussten 2020 wegen der Corona-Krise massive Einbrüche bei den Passagierzahlen hinnehmen. Wie groß war das Minus in Istanbul?
Kadri Samsunlu*: Die Luftfahrt ist Krisen gewohnt – Finanzkrisen, Terroranschläge oder Konjunktureinbrüche führten immer wieder zu einem Rückgang der Passagierzahlen um vielleicht zehn Prozent in einem Jahr. Die Erholung danach geschah aber schnell. Das, was wir jetzt erleben, übertrifft das alles. Der Verkehr ist global um mehr als die Hälfte eingebrochen und die Erholung dauert deutlich länger. Der Flughafen Istanbul musste einen Rückgang der Passagierzahlen um 65 Prozent auf 23,4 Millionen hinnehmen. Damit waren wir 2020 zwar der größte Flughafen Europas, aber glücklich macht das uns nicht. Denn wie alle leiden auch wir. Wir befinden uns in noch nie dagewesenen, herausfordernden und unsicheren Zeiten.
War es ein Vorteil, dass Istanbul erst rund zwölf Monate vor der Corona-Krise eröffnet worden war?
Finanziell war es sicher ein riesiger Nachteil. Wir haben für den Bau gigantische Investitionen getätigt. Um das dafür geliehene Geld zurückzahlen zu können, muss der Flughafen Gewinne machen. Das geht in der Krise nicht. Wir haben die Ausgaben gekürzt, um zu sparen. Aber dennoch sind wir wie alle anderen auch derzeit nicht profitabel. Betrieblich ist es sicher hilfreich. Ich glaube, dass wir als großes Drehkreuz aus der Krise gestärkt hervorgehen werden.
Warum glauben Sie das?
Wir haben mit Turkish Airlines einen großen und wachsenden Heimanbieter. Das ist ein riesiger Vorteil. Die Menschen machen derzeit vor allem im Inland Urlaub oder im nahen Ausland. Punkt-zu-Punkt-Verbindungen werden deshalb noch länger viel weniger gefragt sein. Das bringt viele kleinere und mittlere Flughäfen in existenzielle Probleme. Unser Drehkreuz wird dagegen von Verbindungen aus der ganzen Welt gefüttert. Zudem haben wir ein großes Frachtzentrum, das Flugzeuge aus der ganzen Welt abfertigen kann. Damit können wir das Minus bei den Passagieren abfedern. Kommt hinzu, dass Turkish Airlines die Fracht bisher immer noch am Flughafen Atatürk abfertigt. Im Juni 2021 wird auch sie zu uns wechseln – dadurch steigt unser Volumen auf einen Schlag um das Zweieinhalbfache. Daneben haben wir noch einen ganz anderen Vorteil.
Wir haben Platz auf Vorrat – im Terminal und auch auf dem ganzen Gelände.
Welchen?
Viele Flughäfen sind finanziell massiv geschwächt durch die Krise. Sie werden in den kommenden Jahren wenig Geld für große Investitionen etwa für einen Ausbau haben. Wir haben diese Investitionen bereits getätigt. Wir haben Platz auf Vorrat – im Terminal und auch auf dem ganzen Gelände.
Was war für Sie persönlich das Schwierigste in der ganzen Krise?
Neben den finanziellen Herausforderungen und den Gesprächen mit unseren Partnern war das vor allem der Umgang mit den Angestellten. Viele von ihnen waren verunsichert. Ich dachte nie, dass das so zentral werden könnte.
Der Weltluftverband Iata sieht die Erholung der Branche frühestens im Jahr 2024. Und Sie?
Ich glaube, das ist eher pessimistisch. Es gibt erstens nun eine Impfung. Das ist etwas, was hilft, einem großen Teil der Passagiere die Unsicherheit zu nehmen. Zweitens gibt es eine gigantische aufgestaute Nachfrage. Die Leute wollen wieder in den Urlaub fliegen, sobald das möglich ist. Drittens kann man sich das Beispiel besonders hart von der Pandemie betroffener Branchen in China anschauen. Da sieht man, dass die Erholung mitunter überraschend schnell war. Das alles stimmt mich zuversichtlich, dass es schneller gehen wird.
Ich rechne in Istanbul für 2021 mit 35 bis 40 Millionen Passagieren.
Werden wir das schon 2021 spüren?
Das laufende Jahr wird noch einmal schwierig. Es gibt in Bezug auf Corona weltweit schlicht viel zu viele unterschiedliche Regeln, die Länder sprechen sich nicht ausreichend untereinander ab. Das hält die Menschen vom Reisen ab. Das werden wir noch spüren. Ich rechne in Istanbul für 2021 mit 50 Prozent des Niveaus von 2019, also 35 bis 40 Millionen Passagieren. Zur Erholung braucht es eine globale Lösung. Kommt die, dann werden wir eine schnelle Erholung sehen, so ab Ende 2022.
Viele erwarten, dass es künftig weniger lukrative Businesspassagiere geben wird, da mehr Meetings online stattfinden. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Eines ist klar: Die Nachfrage nach Urlaubsreisen wird zuerst zurückkommen. Und es ist auch richtig, dass sich die Leute an Onlinetreffen gewöhnt haben. Aber es fehlt die menschliche Interaktion. Deshalb glaube ich nicht, dass man auf Geschäftsreisen verzichten wird. Wie wollen Sie als Manager die Tochterfirma in Brasilien beurteilen? Wie wollen Sie ihren Geschäftspartner einschätzen, wenn Sie ihn nie persönlich getroffen haben? Man kann ein Unternehmen nicht per Skype oder Zoom führen. Hinzu kommt, dass viele Menschen sich gerade wegen der Angst vor Krankheiten zukünftig mehr Platz leisten werden – einen Platz in der Business Class.
Was glauben Sie, sind Dinge, die im Flugverkehr nach Corona bleiben werden – analog zu 9/11 als Gabeln verschwanden, die Cockpittür verschlossen wurde?
Ich glaube, dass viele der zusätzlichen Reinigungsmaßnahmen bleiben werden. Ich vermute zudem, dass es eine Empfehlung bleiben wird, an Bord eine Maske zu tragen.
Nach der Krise folgen wir wieder dem ursprünglichen Plan..
Wird der Flughafen Istanbul wegen der Pandemiefolgen Projekte aufschieben? So ist ja als nächstes unter anderem der Bau einer vierten Piste für Inlandsflüge vorgesehen, die von Osten nach Westen verläuft.
Bevor wir diese Projekte anpacken, müssen wir das Vorkrisenniveau wieder erreichen. Danach folgen wir aber wieder dem ursprünglichen Plan.
Das heißt, es wird mindestens eine Verzögerung von drei Jahren geben?
Vermutlich, aber das können wir erst wissen, wenn wir genauer einschätzen können, wo wir am Ende von Covid-19 stehen.
Schauen wir in die fernere Zukunft: das zweite Terminal und die fünfte und sechste Piste, die ab 2026 und 2028 hätten gebaut werden sollen, werden Sie die noch brauchen?
Der Zeitplan der Umsetzung hängt wie gesagt davon ab, wann sich die Branche erholt hat und auch davon, wie stark das Wachstum danach sein wird. Ich erwarte ein langsameres Wachstum des weltweiten Flugverkehrs. Wir werden aber an den Punkt kommen, wo wir diese Erweiterungen benötigen werden, davon bin ich überzeugt.
Die U-Bahn-Station wird wie geplant im Juni 2021 eröffnet.
Und die U-Bahn-Anbindung?
Die wird wie geplant im Juni 2021 eröffnet.
Die Pandemie hat viele Fluggesellschaften geschwächt. Auch ihre wichtigste Kundin, Turkish Airlines, hat ihre Pläne angepasst und eine Verkleinerung der Flotte angekündigt. Was bedeutet das für Sie?
Wir sind natürlich sehr abhängig von Turkish Airlines. Sie haben hier ihr Drehkreuz und sind unser größter Kunde. Wir spüren daher, dass sie einen Großteil ihrer Flotte gegroundet haben. Wir arbeiten aber sehr eng zusammen und suchen gemeinsam Lösungen. Zudem haben sie bewiesen, dass sie in der Krise sehr agil waren. So haben sie ihr Frachtgeschäft schnell markant ausgebaut, um die Verluste zu verringern. Ich glaube, dass Turkish Airlines auf den Wachstumspfad zurückkehren wird.
Die Dominanz von Turkish Airlines ist aber auch ein Risiko.
Das ist so. Wir müssen deshalb neue Fluggesellschaften anziehen. Daran arbeiten wir. Am alten Flughafen war es chancenlos, da der an seiner Kapazitätsgrenze arbeitete. Wenn eine neue Airline kommen wollte, bekam sie vielleicht einen Slot um 24 Uhr. Das war unattraktiv. Genau deshalb ist ja der Flughafen Sabiha Gökçen so stark gewachsen, er profitierte vom Engpass am Atatürk Airport. Wir dagegen haben noch sehr viel Platz und können attraktive Angebote machen. Turkish Airlines fliegt zwar zu sehr vielen Zielen. Dennoch gibt es noch viele Destinationen, die nicht mit Istanbul verbunden sind. Gerade in China, im Iran, in Russland, in der Ukraine, in Nordafrika aber auch in Europa sehe ich noch Chancen. Auch bei den Billigairlines haben wir noch Potenzial.
Unsere Konkurrenz sind ganz klar die Flughäfen am Persischen Golf.
Welche Flughäfen sind eigentlich ihre größten Konkurrenten?
Wir konkurrieren nicht mit europäischen Flughäfen. Unsere Konkurrenz sind ganz klar die Flughäfen am Persischen Golf. Wir haben aber gewichtige Vorteile. So ist die Türkei selber mit 85 Millionen Einwohnern für sich ein starker Heimmarkt und zudem auch eine Feriendestination. Zudem sind die europäischen Städte von Istanbul aus schneller zu erreichen und unsere Heimairline Turkish Airlines hat gerade in der aktuellen Krise einen besseren Flottenmix mit Kurz- und Langstreckenflugzeugen.
Verändert sich durch die Pandemie die Wettbewerbslage?
Nicht wirklich. Es gibt zwar aktuell Verwerfungen, aber in der Zukunft wird der Wettbewerb wieder so hart sein wie vor der Corona-Krise
Was ist für Sie das Erfolgsrezept eines guten Flughafens?
Absolut zentral ist die Zusammenarbeit zwischen allen Systempartnern wie zum Beispiel Bodenabfertiger, Treibstofflieferanten oder Flugsicherung, alles muss perfekt zusammenspielen. Dann braucht es eine klare Vision und eine klare Investitionsplanung. Man muss wissen, wohin man will und wann man was tut. Und am allerwichtigsten ist der Service an den Passagieren. Der muss stimmen. Sie können ein noch so schönes Terminal haben, wenn die Passagiere enttäuscht werden, dann bringt ihnen das gar nichts. Die Zufriedenheit der Passagiere muss man immer im Fokus haben.
Nach der Eröffnung gab es Reklamationen.
Was machen Sie in Ihren Augen in Istanbul wirklich gut?
Wir sind ein junges Unternehmen, wir sind wie ein Start-up Unternehmen. Wir haben ein gigantisches Investitionsprojekt umgesetzt. Wir haben es auch geschafft, einen Flughafen zu schließen und den Betrieb innerhalb von 33 Stunden zu einem neuen zu verlegen. Und wir haben es als Neulinge in der Branche geschafft, einen Flughafen reibungslos zu betreiben. Das ist – ohne falschen Stolz – eine große Leistung.
Und was hätten Sie besser machen können?
Wir hätten mehr technologische Lösungen einführen sollen, um etwa kontaktlose Wege durch den Flughafen zu ermöglichen. Hier liegen wir gegenüber der Konkurrenz zurück. Die Umsetzung liegt aber nicht alleine beim Flughafen Istanbul, sondern auch beim Staat. Wir arbeiten da sehr gut zusammen.
Nach der Eröffnung kritisierten einige, dass es sehr lange Wege sind, die man als Passagier zurücklegen muss. Verstehen Sie die Kritik?
Wir haben das größte Terminalgebäude der Welt. Istanbul bietet ein Hotel im Terminal, eine gigantische Einkaufsmeile, Lounges, einen großen Bereich mit Restaurants, Ruhe- und Schlafzonen… das alles braucht Platz. Damit wir das alles anbieten konnten, mussten wir auf ein Einheitsterminal setzen. Und daher sind die Wege mitunter auch lang. Aber 35 Prozent der Wege kann man mit Fahrsteigen bewältigen. Zudem teilen wir die Flugzeuge immer den Gates zu, die so nah wie möglich am Zentrum des Terminals liegen. Wir bieten natürlich auch einen Buggy-Service. Nach der Eröffnung gab es Reklamationen, inzwischen haben sich die Leute daran gewöhnt.
* Kadri Samsunlu (52) wurde in der Kleinstadt Çorum geboren. Er schloss ein Studium in Volkswirtschaftslehre 1991 an der Boğaziçi Universität ab und machte danach einen Master an der Missouri University in den USA. Er begann seine Karriere als Finanzanalyst, arbeitet danach für diverse Investmentgesellschaften und arbeitete später stellvertretender Geschäftsführer des Infrastrukturkonzerns Akfen. Seit September 2017 ist er Chef der Betreibergesellschaft IGA – IGA Istanbul Grand Airport.