Letzte Aktualisierung: um 18:07 Uhr

Interview mit Chef Bernard Gustin

Warum sich Brussels Airlines auf Lufthansa-Integration freut

Vorstandsvorsitzender Bernard Gustin sagt im exklusiven Interview, wie die Anschläge Brussels Airlines verändert haben, warum die Integration in Lufthansa Sinn macht und wie er die Flotte verjüngen will.

Wo waren Sie am Morgen des 22. März, als sich die Anschläge am Flughafen Brüssel ereigneten?
Bernard Gustin: Ich kam an jenem Tag früher als sonst ins Büro. Ich musste noch eine Geschäftsleitungssitzung vorbereiten. Am Abend zuvor hatte ich das nicht mehr geschafft, weil wir da unser Flugzeug mit Magritte-Speziallackierung feierlich der Öffentlichkeit vorgestellt hatten. Ich war am Morgen darum sehr beschwingt. Zudem hatten wir fünf Tage zuvor brillante Resultate präsentiert. Dreißig Prozent mehr Passagiere, höhere Rendite, rekordhoher Gewinn. Doch kurz vor 8:30 Uhr kamen dann die ersten Meldungen über die Attacken. Sie können mir glauben, ich war noch nie so schnell vom Paradies in der Hölle.

Was geschah dann?
Ein Vorteil war, dass ich schon im Büro war. Viele andere Manager konnten nicht mehr so schnell zu unseren Büros gelangen, die in der Nähe des Flughafens liegen. Es war alles abgesperrt. Wir richteten umgehend das Krisenzentrum ein. In den ersten Minuten war alles sehr unübersichtlich. Wir mussten uns wie andere auch aufgrund von Medienberichten und ersten Twitter-Fotos ein Bild der Lage machen. Auf einem dieser Bilder sah man unser Ticketoffice am Flughafen. Da war ich schockiert. Ich hatte Angst, dass wir viele Kollegen verloren haben. Später ging ich zum Haupteingang hinunter und wartete dort auf alle Mitarbeiter, die vom Flughafen zu uns an den Hauptsitz zurückkehrten. Ich schüttelte allen die Hand, wir umarmten uns. Es war sehr emotional. Dann versuchten wir alle zu zählen und bemerkten, dass vier Kollegen fehlten. Ich schickte umgehend eine Kollegin los, welche die Krankenhäuser absuchte. So wussten wir, was mit unseren Leuten passiert war und zeigten ihnen, dass wir sie nicht vergessen hatten. Fast zeitgleich begann die übliche Krisenarbeit, bei der wir uns um unsere Passagiere kümmerten. Das Oster-Wochenende stand ja bevor. Noch war uns nicht klar, wie schlimm alles war. Doch dann sagte mir ein Experte, dass der Flughafen wohl für mehrere Tage geschlossen bleiben werde. Da wussten wir, wie groß unsere Herausforderung sein würde.

Überlegten Sie sich, ein paar Tage ganz zu schließen?
Nein. Der Krisenstab saß sofort zusammen. Und dabei kam schnell die Idee auf, dass wir den Europaverkehr nach Antwerpen und Lüttich verlegen könnten. Gleichzeitig planten wir den Langstreckenverkehr nach Frankfurt und Zürich zu bringen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte mich schon früh am Morgen als erster überhaupt angerufen und mich nach der Befindlichkeit befragt und da auch angeboten, zu helfen. Innerhalb von 24 Stunden bauten wir so einen Notfallbetrieb auf. Das war schon unglaublich – auch wenn wir unseren Fluggästen leider nicht den gewohnten Komfort anbieten konnten und sie oftmals mit einer chaotischen Situation konfrontiert waren. Aber wir haben etwas getan. Wir haben gekämpft, und deshalb haben sie uns verziehen.

Was passierte intern mit den Mitarbeitenden?
Das klingt jetzt irgendwie komisch. Aber das Ganze hat uns zusammengeschweißt. Der Wille, etwas gemeinsam zu erreichen, war extrem stark. Tagelang arbeiteten hier Hunderte von Leuten Tag und Nacht durch, um den Betrieb wieder in Schwung zu bringen und den Passagieren zu helfen. Es ist toll, solche Mitarbeiter zu haben.

Können Sie auch den finanziellen Schaden abschätzen?
Das ist wirklich nicht unsere erste Priorität. Wichtiger ist, dass wir wieder 100 Prozent unserer Flüge durchführen können. Noch funktioniert der Flughafen Brüssel nicht wie früher. Er wurde nicht gebaut, um jeden Passagier mehrmals zu kontrollieren, wie das jetzt geschieht. Das hält noch gewisse Leute von Reisen ab Brüssel ab. Daher müssen wir schauen, wie sich die Nachfrage entwickelt. Unser oberstes Ziel bleibt aber, die geplanten 8 Millionen Passagiere 2016 dennoch zu erreichen.

Und wie sieht es auf der Kostenseite aus?
Unsere Schätzung für die finanziellen Kosten der Anschläge liegt bei 70 bis 100 Millionen Euro. Das ist viel Geld. Wir hoffen hier einen Teil der Kosten durch Versicherer abdecken zu können.

Ein Effekt war, dass Lufthansa den Entscheid über eine Komplettübernahme von Brussels Airlines auf den Herbst verschob. Sind Sie enttäuscht?
Nein. Diese Entscheidung haben wir gemeinsam mit Lufthansa getroffen. Die vollständige Integration in Lufthansa wird sehr viele Ressourcen binden. Das ist ein riesiges Projekt. Ich muss mich mit meinen Kollegen jetzt zuerst um die Normalisierung des Betriebes kümmern. Zudem hätte das jetzt auch das falsche Signal ausgesendet: Sind die so verzweifelt, dass sie sich übernehmen lassen müssen? Denn das Gegenteil ist der Fall.

Das heißt, Sie sind für die Integration?
Ich bin überzeugt, dass es einer kleineren Fluggesellschaft wie wir es sind in einem großen Verbund besser geht. Der Alleingang ist keine Option. Der Verkauf von 45 Prozent der Anteile an Lufthansa 2009 war dementsprechend ein bewusster Entscheid. Wir hatten uns damals alle anderen möglichen Partner angeschaut und uns für Lufthansa entscheiden. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert. Ich bin absolut überzeugt, dass Brussels Airlines als Vollmitglied der Lufthansa-Gruppe noch stärker sein wird. Die Integration bringt aber nicht nur uns etwas, sondern auch Lufthansa.

Was bringen Sie denn Lufthansa?
Es sind drei Dinge und das sieht übrigens auch Carsten Spohr so. Erstens bringen wir den Markt Brüssel ein mit den vielen Businesskunden, die zu EU-Institutionen, Nato und internationalen Konzernhauptsitzen reisen. Dieser Markt ist übrigens größer als der Markt Frankfurt. Zweitens haben wir in Afrika ein riesiges Knowhow und dort ein sehr starkes Image. Und drittens haben wir ein Rezept gefunden, wie man trotz scharfer Konkurrenz durch die Billiganbieter bestehen kann. Ryanair und Vueling haben eine Basis in Brüssel, Easyjet ist ebenfalls sehr aktiv. Wir wissen inzwischen, wie man damit umgeht und wachsen trotzdem. Und dann gibt es noch einen halben Punkt, der manchmal etwas vergessen geht. Das Drehkreuz Brüssel wird das erste bei Lufthansa sein, das nicht in der deutschsprachigen Welt liegt. Wir bringen also auch Knowhow in einer anderen Kultur mit.

Gibt es auch Produkte, die andere Airlines von Brussels Airlines übernehmen könnten?
Wir haben vergangenen Herbst das Loyalitätsprogramm Loop gestartet. Jetblue war hier das Vorbild. Miles & More ist toll, aber vor allem für die Vielflieger. Für Passagiere, die ab und zu innerhalb von Europa reisen, ist Loop eine sehr interessante Alternative. Ihnen wollen wir etwas bieten auch wenn sie keine Vielflieger sind. Inzwischen haben wir 70.000 Mitglieder bei Loop. Es ist ein Treueprogramm, kein Vielfliegerprogramm. Es gibt keine Sperrzeiten, man kann gemeinsam sammeln, man kann sehr günstig Freiflüge bekommen. Es ist ein Programm, das den Verbraucher ins Zentrum stellt. Andere Airlines in der Lufthansa-Gruppe schauen sich das genau an. Vielleicht brauchen sie es nicht jetzt, aber wenn die Konkurrenz zunimmt.

 

Und was bringt Brussels Airlines die Integration?
Es gibt sicherlich Synergien, weil wir gewisse Kosten einsparen können. Zudem geniessen wir die Vorteile einer erhöhten Einkaufsmacht, nicht zuletzt auch bei Flugzeugen. Unsere Kosten können so weiter sinken. Viel wichtiger ist aber die Verkaufsmacht von Lufthansa. Wir könnten beispielsweise in den USA oder auch in Spanien nie selbst einen genügend starken Vertrieb aufbauen. Da hilft uns der Verbund.

Gibt es Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Eurowings?
Durchaus. Es gibt große Gemeinsamkeiten. Wir sind beide starker Konkurrenz durch Lowcost-Anbieter ausgesetzt, haben beide einen ungesättigten Heimmarkt und betreiben beide kein Drehkreuz mit Flügen in alle Regionen der Welt. Das ist bei Lufthansa, Swiss und Austrian Airlines anders. Dennoch gibt es auch Unterschiede: Wir haben anders als Eurowings ein Drehkreuz und Umsteigepassagiere.

Aber wünschen Sie sich, dass Brussels Airlines organisatorisch eher bei Eurowings oder eher bei Lufthansa angesiedelt wird?
Wir müssen eine Strategie innerhalb der Lufthansa-Gruppe finden, die diesen beiden Aspekten – Lowcost- und Drehkreuz-Anbieter – gerecht wird. Zudem muss sie uns außerhalb unserer Heimmärkte Belgien und Afrika stärken. Ob wir dann bei Eurowings angehängt sind oder beim Hub-Management um Lufthansa, ist eigentlich egal. Es gibt für beide Konzernbereiche gute Argumente. Ein Vorteil von Eurowings ist sicherlich, dass die sich erst im Aufbau befinden. Da können wir mit unserer kleinen Größe uns mehr einbringen. Der Vorteil des Hub-Management-Bereichs ist, dass er schon gut funktioniert.

Wäre es möglich, dass Eurowings einmal Strecken von Brussels Airlines ab Brüssel übernimmt?
Nein. Es macht keinen Sinn, zwei Marken in Brüssel zu haben. Das haben wir damals mit Virgin schon festgestellt. Man braucht eine starke Marke mit der richtigen Kostenstruktur.

Sie bauten in den letzten Monaten das Netz aus, vor allem auch auf der Langstrecke. Könnten die Anschläge diese Expansion in Frage stellen?
Ich glaube, es wäre ein Fehler, nun überhastet zu handeln. Wir haben sehr viel Effort da rein gesteckt. Darum geben wir nicht so schnell auf, auch wenn wir nun auch mal eine vorübergehende Delle bei den Buchungen spüren. Ein abrupter Stopp würde auch ein falsches Signal aussenden. Wir würden riskieren, die ganze Dynamik, die wir gerade verspüren, zunichte zu machen.

Wo sehen Sie denn noch Expansionsmöglichkeiten?
Wir haben in Belgien 30 Prozent Marktanteil. Hier liegt mehr drin. Wir haben uns inzwischen erfolgreich als Hybridanbieter etabliert – zwischen Billigairline und Vollservice-Airline. Jetblue und Aer Lingus waren hier für uns Vorbilder. Die Kosten bei Brussels Airlines sind inzwischen so tief, dass wir mit Ryanair und Co. mithalten können und gleichzeitig in der Lage sind, neben billigen Tickets auch Service anzubieten. Und dafür sind die Passagiere bereit, ein ganz klein wenig mehr zu bezahlen. Das ist unser Erfolgsmodell in Europa.

Und außerhalb des Heimmarktes?
Auch in Afrika gibt es noch immer Ausbaumöglichkeiten, obwohl wir schon heute 19 Ziele anfliegen. So schauen wir uns etwa Nigeria an. Zudem prüfen wir Frequenzerhöhungen und die Umstellung auf Nonstopflüge, wo wir heute noch mit einem Zwischenstopp hinfliegen. Nicht zuletzt sehen wir auch in Nordamerika noch Lücken. Unser Transatlantik-Geschäft is eng mit Afrika verbunden. Viele der Passagiere aus Montreal, New York und Washington haben Beziehungen zum schwarzen Kontinent und steigen in Brüssel um. Da sehen wir noch mehr Chancen. Und dann sehen wir auch Opportunitäten, die nichts mit unserem Drehkreuz zu tun haben. So prüfen wir derzeit Flüge nach Mumbai, das von Jet Airways aufgegeben worden ist. Da gibt es eine Nachfrage.

Dann müssten Sie auch die Flotte ausbauen…
Ich komme aus dem Konsumgüterbereich. Ich bin immer wieder etwas erstaunt, wie man in der Luftfahrt oftmals zuerst an die Flugzeuge denkt und erst dann an den Markt. Wenn wir bei Brussels Airlines einen spannenden Markt sehen und in dem eine interessante Destination, dann werden wir uns natürlich auch um die Frage der nötigen Flugzeuge kümmern. Dabei werden wir weiterhin vor allem auf Leasing setzen.

Die Flotte von Brussels Airlines ist mit durchschnittlich 14 Jahren relativ alt. Ist da eine Verjüngung geplant?
Wir wissen, dass wir hier etwas tun müssen. Das Projekt läuft und bis Ende des Jahres werden wir entscheiden. Wir schauen uns alle Optionen an. Dabei kann uns die Integration in die Lufthansa-Gruppe sicherlich helfen, weil wir mit deren Größe mehr Möglichkeiten haben. Alleine würden wir sicherlich beim Airbus A330 und der A320-Familie bleiben. Im Verbund könnten sich neue Möglichkeiten ergeben. Wichtig ist aber immer, dass wir eine möglichst einfache Flottenstruktur behalten können.

Wäre die C-Series CS100 von Bombardier für Sie eine Option, um die Airbus A319 zu ersetzen?
Um Ryanair, Vueling und Easyjet weiter zu bekämpfen, haben wir uns für eine Einheitsflotte entschieden. Das wäre mit der C-Series nicht mehr gegeben. Zudem werden wir tendenziell eher größere Flieger wählen, also A319 durch A320 ersetzen. So können wir die Stückkosten senken.

Das heißt, die A320-Neo-Familie ist ein heißer Kandidat?
Der Kerosinpreis wird wieder steigen. Daher brauchen wir die beste Technologie, die uns die höchste Effizienz bringt. Der A320 Neo ist daher ganz sicher ein Thema. Das heißt aber nicht, dass wir sicher A320 Neo kaufen werden. Vielleicht gibt es innerhalb der Gruppe eine andere, ebenso gute Lösung.

Einen A320 haben Sie für die Euro ganz in rot angemalt, den Farben der Fußball-Nationalmannschaft. Was ist ihre Prognose, wie lange bleiben die Red Devils im Spiel?
Ich mache keine Prognose, ich habe aber ein Ziel. Ich will, dass das Flugzeug am belgischen Nationalfeiertag am 21. Juli neben den Kampfjets der Luftwaffe fliegt. Das wäre eine Premiere. Und bei einem Sieg an der Fußball-EM gibt es keinen Grund, das nicht zu tun.

Bernard Gustin ist seit dem 1. Juni 2012 Vorstandsvorsitzender von Brussels Airlines. Seine Karriere begann er bei Procter & Gamble und danach bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Dort war Gustin Partner und Leiter des Bereichs Travel and Transport. In dieser Position entwickelte er den Businessplan von Sabena-Nachfolgerin SN Brussels Airlines und spielte eine Schlüsselrolle im Zusammenschluss von SN Brussels Airlines und Virgin Express. 2008 wurde Gustin zum Ko-Chef von Brussels Airlines ernannt. Im ersten Jahr im Job schloss er die Partnerschaft mit Lufthansa und trat Star Alliance bei.