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Luftfahrtforschung

Innovationen in der Flugzeugkabine

Mitte Juni ist es wieder soweit, eine der größten Fachmessen in der Luftfahrtindustrie kehrt nach drei Jahren Pause zurück an ihren Standort Hamburg: die Aircraft Interiors Expo.

Auf der als AIX bekannten Weltleitmesse tummeln sich alle Produkte, Konzepte und Diskussionen, die sich mit der Flugzeugkabine und dem Passagiererlebnis an Bord befassen. Die inhaltlichen Highlights der Messe lassen sich stets aus den Finalisten der Crystal Cabin Awards ablesen. Der Branchenpreis wurde vor über 15 Jahren im Cluster-Netzwerk Hamburg Aviation initiiert und ist mittlerweile zu einer internationalen Institution erwachsen, die weit über die Fachwelt hinaus (zum Beispiel von CNN) verfolgt und von manchen gar als «Oscar der Luftfahrt» bezeichnet wird.

Die Aircraft Interiors Expo hat den Standort Hamburg nicht zufällig gewählt. Die Region gilt als der globale Hotspot für den Flugzeugkabinenbereich. Airbus hat sein weltweites Kompetenzzentrum für dieses Segment an der Elbe, Lufthansa Technik ebenfalls einen Schwerpunkt in diesem Gebiet, aus dem beispielsweise vor einiger Zeit erst ein Joint Venture für OLED-Technologie mit dem koreanischen Elektronikkonzern LG, AERQ, hervorgegangen ist. Hinzu kommen zahlreiche Zulieferer wie Diehl Aviation, Mittelständler und Startups, Hochschulen mit Schwerpunktstudiengängen wie die HAW Hamburg und zunehmend auch Projekte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, dem DLR.

Datenmengen an Bord

Warum führe ich dies so aus? Nun, fast alle dieser Akteure sind auch im ZAL verankert und so ist die Flugzeugkabine seit jeher auch eines der Kernthemen unseres TechCenters sowie unseres Unternehmens. Im ZAL bekommen wir also zu Gesicht, was die Passagiere oft erst Jahre später sehen werden. Wobei man hier noch etwas relativieren sollte: einige Innovationen, die in die Flugzeugkabine Einzug halten, bekommen Passagiere nie zu Gesicht – denn sie passieren quasi hinter den Kulissen.

Wie etwa beim Meta-Thema der «Digitalen Kabine». Sie wird zunehmend Realität, bringt aber auch wieder neue Herausforderungen mit sich, mit denen sich dann wiederum die angewandte Forschung beschäftigt. Das sicherlich plakativste Beispiel stammt aus dem Bereich Konnektivität: Mittlerweile bringt nahezu jeder Passagier sein eigenes Endgerät mit an Bord – oft sogar gleich mehrere: Smartphone, Tablet und Laptop. Die meisten von ihnen haben dazu den Anspruch, diese Geräte auch im Flug zu benutzen. Sei es für das Online-Surfen über den Wolken oder für die Verbindung des eigenen Devices mit dem Bildschirm im Vordersitz. Auch das Inflight-Unterhaltungssystem rüstet stetig auf, die an Bord zu verarbeitenden Datenmengen steigen immer mehr an. Derweil haben sich die Kabelstränge in der Kabine natürlich nicht verdoppelt.

Effizientere Steuerung der Elektronik

Gleichzeitig sind Daten nicht gleich Daten. Einige von ihnen, wie die Durchsage der Piloten oder Eingaben der Flugbegleiter ins Kabinenmanagementsystem, benötigen in der Übertragung Priorität – ähnlich dem Rettungswagen mit Blaulicht, der diese im Straßenverkehr genießt. Diese Priorisierung von Daten in der Kabine, genannt Time Sensitive Networks (TSN), ist eines unserer aktuellen Entwicklungsprojekte im ZAL.

Ein anderes, ZAL Endpoint, befasst sich mit einer effizienteren Steuerung von Elektronik-Komponenten. Hier können künftig sämtliche Steuerungselemente in einer Hardware-Schnittstelle zusammenlaufen, was nicht nur Gewicht reduziert, sondern auch den Troubleshooting-Aufwand im Betrieb, wenn etwas nicht wie gewünscht funktioniert. Mit zunehmender Elektronik steigt nämlich auch in der Flugzeugkabine die Komplexität von Systemen und Wartung – Sie kennen dies vielleicht schon von Ihrem Auto.

Wellbeing dank neuer Lichtstimmung in der Kabine

Zunehmende Elektronik an Bord lässt sich bei weitem nicht nur auf Bordunterhaltung & Co zurückführen. Ein weiterer Grund ist beispielsweise die Lichtsteuerung. Wo es früher in der Kabine nur die Zustände an oder aus gab, können heute dank moderner LED-Technologie Millionen von Farben und Lichtstimmungen ausgespielt werden, die sich im Kabinenmanagementsystem entsprechend steuern lassen. Das sogenannte «Mood Lighting» ist eines der zentralen Neuerungen der letzten 10-15 Jahre, die auch den Passagieren gut ersichtlich sind. Das Segment zahlt auf den generellen gesellschaftlichen Trend des Wellbeing ein, wie man ihn auch in der Hotellerie oder in den eigenen vier Wänden (z.B. in den Beleuchtungskonzepten von Philips) häufig wiederfindet. Mittlerweile geht es in der Kabine aber nicht länger nur um stimmige Lichtszenarien, sondern um chronobiologisches Licht, das je nach Flugroute und -zeit den für die innere Uhr günstigsten Lichtwert erzeugt und damit Symptome wie Jetlag abmildert. Das Unternehmen jetlite mit Sitz im ZAL zählt in diesem Segment zur Weltspitze.

 


Bild: Airbus

Zum Wohlbefinden an Bord zählen noch weitere Sinnesbereiche, wie das Hören und Fühlen – beziehungsweise die Frage, wie sich Lärm und Vibrationen in der Kabine weiter minimieren lassen. Welche Materialien sich hierfür besonders gut eignen und wie sich akustische sowie vibratorische Emissionen an Bord verteilen, ist seit langer Zeit bedeutender Forschungsgegenstand und ebenfalls einer unserer Schwerpunkte im ZAL. Mit dem Acoustics Lab haben wir eine europaweit einmalige Schallkammer im Gebäude, die Rumpfdemonstratoren bis zur Größe eines Airbus A350 fasst und aufwendige Flugtests obsolet macht. Momentan forschen wir hier etwa zusammen mit Airbus und der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg zu der spannenden Frage, wie sich die neuartigen Triebwerksgenerationen mit hohem Nebenstromverhältnis auf den Passagierkomfort auswirken. Sie sind zwar deutlicher leiser als ihre Vorgänger, aber erzeugen durch den niedrigeren Frequenzbereich mehr spürbare Vibrationen – und damit neue Herausforderungen für die Kabine.

Privatsphäre über den Wolken

Ein weiteres zunehmend sichtbares Komfort-Element ist, insbesondere in den höheren Klassen, der Wunsch nach mehr Privatsphäre. Die (wenigen) Airlines, die in den vergangenen Jahren noch in eine echte First Class investiert haben, haben diese großenteils in geschlossene Suiten verwandelt. Auch in der Business Class ist der Trend sichtbar. So bieten die meisten Airlines auf der Langstrecke mittlerweile einen direkten Gangzugang für jeden Passagier und zunehmend auch einen Sichtschutz oder gar eine kleine Tür. Damit hebt sich das Produkt auch immer stärker von der Premium Economy Class – der Boom-Kategorie der letzten Jahre – ab, die von der «Hardware» und vom Platzumfang ungefähr dem Business-Produkt von vor 20 Jahren entspricht.

In der Economy Class hingegen geht es eher zentral um die effiziente Nutzung des vorhandenen Raums. So sind insbesondere auf den Single-Aisle-Flugzeugmustern die Gepäckfächer neugestaltet worden, um nun jedem Passagier Platz für das Verstauen eines Rollkoffers zu ermöglichen. Die Sitze selbst kommen deutlich schlanker und ergonomischer daher als noch vor einigen Jahren, was oftmals nicht nur den Einbau einer zusätzlichen Sitzreihe bei gleicher Beinfreiheit erlaubt, sondern gleichzeitig signifikant Gewicht spart.

Wie steht es mir der Nachhaltigkeit

Überhaupt ist Gewicht – neben der effizienten Nutzung des vorhandenen Platzes – eines der zentralen Themen, wenn es um Innovationen in der Flugzeugkabine geht. Immer häufiger auch in Verbindung mit dem Sustainability-Aspekt, der auch im Interiors-Bereich an Bedeutung gewinnt. So hat Airbus beispielsweise eine Kabinentrennwand aus bionischem Design entwickelt, deren additiv gefertigte Struktur sich an der Natur orientiert. Ein weiteres Konzept aus der Kategorie «Hinter den Kulissen» stammt von Diehl Aviation, das mitgeführte Wasser an Bord mehrfach zu verwenden – etwa erst für die Waschbecken, dann für die Toilette.

Solche Ansätze sind für den Flugzeugkabinenbereich als Impulsgeber wichtig, denn wenn es um Nachhaltigkeit geht, besteht hier noch Luft nach oben – gerade beim Thema «end of life» und Recycling. Während das Flugzeug selbst und damit auch seine Triebwerke oft 25 oder gar 30 Jahre im Einsatz stehen, wird die Kabine im Schnitt alle vier bis fünf Jahre generalüberholt. Nicht nur innovative Produkte, sondern auch Nachhaltigkeitslösungen können somit in der Kabine viel schneller flächendeckend implementiert werden als anderswo.

Hygienelösungen für die Zukunft

Fehlt noch ein Thema, das in den letzten 2 ½ Jahren sehr viel Aufmerksamkeit erhalten hat: Hygienelösungen an Bord. Auch wir im ZAL haben bereits 2020 mit mehreren Konzepten auf die Pandemie reagiert, etwa durch einen «Luftvorhang», der die Kabinenluft gezielt von den Passagieren wegleitet und so die Verbreitung von Aerosolen reduziert. Eine nachhaltige Umsetzung solcher Hardware-Lösungen ist allerdings fast nirgendwo auf der Welt erfolgt.

Denn nicht erst die aktuellen Buchungslagen zeigen: hauptsächlich ausschlaggebend für Reisende ist letztlich die aktuelle Situation in den Zielregionen. Sobald die quarantänefreie Ein- und Ausreise und ein vergleichsweise sicherer Aufenthalt am Zielort ermöglicht war, wurde gebucht – die gebotene Hardware in der Flugzeugkabine spielte letztlich keine Rolle.

Drei Szenarien für die Zukunft

Die Entwicklung der Kabine selbst wird hingegen weiterhin eine Rolle spielen und in ihrer Bedeutung, von den zwei Jahren Corona-Krise einmal abgesehen, noch weiter zunehmen. An drei Punkten lässt sich dies abschließend ganz gut unterstreichen:

  1. Die geringe Auswahl an verfügbaren Flugzeugmustern: Da letztlich alle Airlines mit den gleichen Flugzeugtypen operieren, findet eine Produktdifferenzierung zunehmend über die Kabine statt. Emirates beispielsweise hat dies mit der Einführung ihrer berühmten Dusche in der A380 First Class schon sehr früh verstanden.
  2. Der Airbus A321 XLR: Der Erstflug der neuen Langstrecken-A321 wird neben der AIX ein weiteres Highlight des Hamburger Luftfahrtsommers werden. Auch wenn das Flugzeugmuster von außen wenig ersichtlich Neues bieten wird: eine Langstreckenkabine in ein Single-Aisle-Muster zu integrieren wird viele Interiors-Hersteller und Designbüros sicherlich zu neuen Impulsen bringen. jetBlue gibt hier bereits einen ersten Einblick, was uns produktseitig in den nächsten Jahren erwarten wird.
  3. Project Sunrise: Erst vor wenigen Wochen hat Qantas sein so getauftes Prestigeprojekt offiziell gestartet. Ab 2025 möchte man die berühmte «Kangaroo Route» London-Sydney nonstop fliegen, zum Einsatz werden Airbus A350-1000 in der neuen Ultralangstreckenversion kommen. Die Route wird viele neue Herausforderungen für die Kabine, aber auch neue Produkte für die Crew und die Passagiere mit sich bringen.

Die «Kangaroo Route» nonstop zu bedienen ist einer der letzten großen Meilensteine, die es in der Luftfahrtwelt noch zu meistern gibt. Bei Projekten dieser Art stand in der Vergangenheit in der Regel die Technologie im Vordergrund. Hier jedoch wird erstmals wohl das Kabinenprodukt zum zentralen Element werden. Auch dies ein Stück weit eine Zeitenwende für die Luftfahrt.

Roland Gerhards ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Geschäftsführers des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung ZAL in Hamburg. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.