Letzte Aktualisierung: um 19:46 Uhr

Alaska-Airlines-Pilot auf Pilzen

«Ich verstehe nicht, was real ist. Sie müssen mir die Hände fesseln»

Ein Pilot von Alaska Airlines, der im Cockpit mitreiste, versuchte vergangenes Jahr, die Triebwerke während des Fluges abzuschalten. Jetzt spricht er über das Erlebnis - und will helfen, weitere solche Vorfälle zu vermeiden.

Es klingt wie die Handlung eines Filmes. Ein Pilot, der auf dem Jumpseat im Cockpit eines Jets von Alaska Airlines mitreiste, versuchte, während des Fluges die Triebwerke mithilfe eines Feuerlöschsystems abzuschalten – und konnte zum Glück daran gehindert werden. Jetzt wartet er auf das Gerichtsurteil in dem Fall. Ihm wird versuchter Mord in 83 Fällen und die Gefährdung eines Flugzeuges vorgeworfen. Er hat auf unschuldig plädiert, denn: Ein Film spielte sich laut dem Mann auch in seinem Kopf ab.

Der 44-jährige Joseph Emerson gab jetzt dem Fernsehsender ABC gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Interview, in dem er seine Sicht des Ereignisses darstellt. Seine Handlungen seien für ihn selbst absolut unerklärlich, startet er. Er habe gedacht, er träume und habe nur noch aufwachen wollen. Das sei wohl eine Nachwirkung von psychedelischen Pilzen, die er zwei Tage zuvor eingenommen hatte – weil er gehofft hatte, sie könnten gegen seine Depressionen helfen.

Er habe angeboten, das Cockpit zu verlassen

Die beiden Griffe, mit denen man die Triebwerke abschalten kann, seien für ihn ein Weg gewesen, aus dem Traum zu erwachen. «Mir war bewusst, was das ist, was ich tue», sagte er. Aber ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er wach war. «Ich hatte das Gefühl, eingeschlossen zu sein und dass nichts real ist. Ich wollte nur noch aufwachen», erinnert sich Emerson.

Als die Piloten dann eingriffen, sei ihm klar geworden, dass etwas nicht stimmt. Er habe sofort angeboten, das Cockpit zu verlassen. Doch in der Kabine ging es weiter. «Ich habe dann den Griff des Notausgangs angefasst und eine Flugbegleiterin legte ihre Hand auf meine», erinnert er sich. «Ich habe ihr dann gesagt: Ich verstehe gerade nicht, was real ist. Sie müssen mir die Hände fesseln.»

«Ich habe einen großen Fehler gemacht»

Das Flugzeug, das sich auf dem Weg vom Paine Field in Everett im Staat Washington nach San Francisco befunden hatte, wurde nach Portland umgeleitet. Von dort schrieb Emerson seiner Frau. «Ich habe einen großen Fehler gemacht», so der Mann. Auf ihre Frage, ob es ihm gut gehe, antwortete er nur «Nein». Sie habe sich dann natürlich Sorgen gemacht, so die Ehefrau.

Bei einem Flugverfolgungsdienst habe sie gesehen, dass das Flugzeug umgeleitet wurde. «War das deinetwegen?», habe sie ihn dann gefragt. Die Antwort war ja. Das Flugzeug konnte sicher in Portland landen. Doch Emerson wird nie wieder fliegen dürfen. Während er auf das Urteil wartet, darf er auch den Bundesstaat nicht verlassen. So schlimm es im Falle einer Verurteilung für ihn ausgehen könne – der Vorfall habe ihm und seiner Familie schließlich geholfen, so Emerson.

Keine Hilfe gesucht, um die Lizenz zu behalten

Denn nur so konnte er das Thema Depressionen wirklich angehen. Er hatte damit laut eigenen Angaben seit dem Tod seines besten Freundes zu kämpfen. Nachdem er zunächst zu Alkohol gegriffen hatte, versuchte er es zwei Tage vor dem Zwischenfall mit Pilzen.

Zuvor habe er keine Hilfe gesucht, aus Angst, seine Pilotenlizenz zu verlieren. Er hofft auch, dass der Fall die Sicht auf mentale Gesundheit des fliegenden Personals ändert und das Stigma von Depressionen verschwinden lässt. Über den Fall  und das Thema hat die New York Times jetzt auch einen Dokumentarfilm gedreht, in dem Emerson ausführlich zu Wort kommt. «Lie to fly» ist allerdings aktuell nur in den USA erhältlich.

Geht es Ihnen mental nicht gut, befinden Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation? Versuchen Sie darüber zu sprechen. Mit Freunden, Verwandten oder jemandem, der anonym für Sie da ist – etwa die Telefonseelsorge in Deutschland, der Schweiz oder Österreich.