Letzte Aktualisierung: um 10:11 Uhr

Interview mit Heinz-Dieter Kallbach

Er landete mit der Ilyushin Il-62 im Gras

Kein Deutscher flog länger als Linienpilot als Heinz-Dieter Kallbach. In seiner 59-jährigen Karriere hat er einiges erlebt und schaffte es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde. Im Interview erzählt er seine Erlebnisse.

Wie kamen Sie zum Fliegen?
Heinz-Dieter Kallbach*: Ich bin in der DDR aufgewachsen und habe nie geglaubt, dass ich eine Chance hätte, zur Fliegerei zu kommen. Ich habe nach der Schule eine Lehre als Dreher begonnen und bewarb mich bei der Nationalen Volksarmee. Die Offiziere, die mich anwarben, versprachen mir, dass ich auch bei der NVA studieren könne. In der folgenden Zeit tat sich nichts und ich habe mich voller Wut beim zuständigen Wehrkreiskommando beschwert.

Das hat gewirkt?
Ja. Es hatte tatsächlich Erfolg: Ich durfte bei der Armee anfangen, musste aber vorher für die Offiziersschule eine Aufnahmeprüfung machen. Sie bestand ich mit Bravour, sodass ich zum Militärflieger ausgebildet werden durfte. Für mich ging ein Traum in Erfüllung.

Wie lief das an?
Zuerst folgte der nächste Rückschlag: In Bautzen sollte ich zunächst als Jagdflieger ausgebildet werden. Allerdings besaß ich zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Flugerfahrung und ich wurde zu den Transportfliegern versetzt. Damit brach für mich zunächst eine Welt zusammen: Von den schnittigen Silberpfeilen Mig 15 auf die An-2. Sie war zwar der größte Doppeldecker der Welt, aber wurde doch als Nähmaschine, als lahme Ente bezeichnet. Das war aber eigentlich ein Glücksfall: Hätte ich als Jagdflieger begonnen, hätte ich bei Weitem nicht so lange – mittlerweile 59 Jahre – in der Fliegerei zubringen können. Mit achtzehneinhalb Jahren war ich dann der jüngste in der NVA ausgebildete Flugzeugführer. Drei Jahre später kam ich zur Zivilfliegerei zur damals noch Deutschen Lufthansa, der späteren Interflug, und 1964 wurde ich mit 24 Jahren Kommandant.

Was macht das Fliegen für Sie so besonders?
Für mich ist das Bewegen im dreidimensionalen Raum einfach einzigartig. Die einmaligen Wolkenbilder, die man zu sehen bekommt, oder wenn man beim Start bei schlechtem regnerischem Wetter die Wolken durchstößt, die Sonne zu sehen bekommt und die Wolken dann wie ein Federbett unter sich liegen hat, da schlägt mein Herz vor Freude zwangsläufig höher. Und wenn ich trotz Triebwerksbrand nach dem Start, verschiedenen Triebwerksausfällen oder anderen technischen Problemen die Maschine und die anvertrauten Passagiere immer wieder heil zur Erde gebracht habe, dann verbindet das schon ungemein mit der Fliegerei. Mich macht es auch immer wieder stolz, wenn ich in den 60er- und 70er-Jahren trotz deutlich primitiverer navigatorischer und technischer Ausrüstung meine Maschinen auch bei schlechten Wetterbedingungen bis zu einer Wolkenuntergrenze von 50 Meter und einer Sicht von 500 Meter sauber gelandet habe.

An welches Ereignis in Ihrer Fliegerkarriere denken Sie am liebsten?
Unerreicht ist das Gefühl, das ich bei meinem allerersten Alleinflug hatte. Als ich nach dem Freiflug ohne Fluglehrer in Brandenburg gestartet bin und meine ersten Platzrunden allein fliegen durfte, war das ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Aber auch meinen ersten Flug überhaupt mit Fluglehrer. Ich sollte bei der ersten Platzrunde mitfühlen, mitfliegen. Ich war aber, nachdem die Maschine abgehoben war und über die Havel flog, so fasziniert, dass ich alles, das Mitfühlen und Mitfliegen, vergessen habe und nur noch hinausgeschaut habe. Es war Wahnsinn! Später hat mich jeder Wechsel zum nächsthöheren Flugzeugtyp, wenn ich ihn dann das erste Mal als Kapitän fliegen durfte, begeistert.

Nicht Ihr Rekord?
Natürlich meine Rekordlandung auch, die es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat.

Wie kam es dazu?
Im Gedenken an den Flugpionier Otto Lilienthal, der im brandenburgischen Stölln bei einem Flugversuch tödlich verunglückt war, haben wir einen Rekordversuch gewagt. Gemeinsam mit meiner Crew landete ich am 23. Oktober 1989 mit einem Langstreckenjet des Typs Ilyushin II-62 auf einer nur 900 Meter langen Grasbahn des Landeplatzes Stölln. Normalerweise benötigt die Il-62 mit Passagieren und Gepäck eine Piste von 2.500 Metern Länge. Die Landung war eine in der Fliegerei einmalige Sache und wurde auch vom Guinness-Verlag als großartige fliegerische Leistung gewertet.

Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Sehr sorgfältig! Wir benötigten verschiedene Berechnungen, eine veränderte Landetechnologie, viele Sondergenehmigungen und bestehende Vorschriften und Regularien im Luftfahrtgesetz mussten ausgesetzt werden. Beim endgültigen Landeanflug haben wir dann zwei Triebwerke abgestellt und sind nur mit zwei Triebwerken angeflogen. In 50 Metern Höhe mussten wir den Umkehrschub einsetzen, was in der Fliegerei generell verboten ist und bei heutigen Flugzeugen vom technischen Standard nicht möglich ist. Ein Durchstarten war nicht mehr möglich und die Landung musste auf Gedeih und Verderb gelingen. Was ja auch zum Glück so passierte!

Sie haben in Ihrer über 50-jährigen Karriere einiges erlebt, darunter zehn Triebwerksaufälle. Hatten Sie im Cockpit schon einmal Angst?
Angst hatte ich im Cockpit noch nicht, aber doch einige Male großen Respekt. Besonders wenn das Wetterradar noch ausreichend große Löcher in Gewitterfronten zeigte, die dann aber ganz schnell zuzogen und man die Wetterfronten queren musste. So etwas ließ sich ja nicht immer vermeiden.

Was war aber das heikelste Ereignis?
In echter Sorge war ich, als auf einem Flug von Teneriffa nach Berlin ein Selbstmordattentäter ins Cockpit eindrang. Er wollte mich töten und die Maschine mit 148 Menschen zum Absturz bringen. Das war am 28. März 2000. Er nahm mich in den Würgegriff, doch ich konnte mich befreien und den Mann überwältigen. Das war wirklich ein Kampf auf Leben und Tod. Er dauerte nur fünf Minuten, fühlte sich aber an wie eine Ewigkeit. Ich habe dafür die Lebensrettungsmedaille erhalten. Hätte ich in diesem Moment Angst gehabt und wäre vor Angst gelähmt gewesen, hätte der Attentäter sein Ziel erreicht und 148 Menschen hätten ihr Leben verloren.

Fliegen Sie noch heute?
In 59 Jahren habe ich mehr als 33‘300 Flugstunden absolviert, und eine Entfernung zurückgelegt, die 535 Mal am Äquator um den Erdball oder 35 Mal zum Mond und zurück reicht. Im Sommer 2016 habe ich meine Lizenzen auslaufen lassen und nur noch die Privatpilotenlizenz aufrechterhalten, sodass ich dann und wann eine Maschine chartern und privat fliegen kann. Ich arbeite aber weiterhin als Instrukteur MCC-Ausbildung am Simulator für Kingair 200 an einer Flugschule in Strausberg und für Boeing 737 in Berlin-Schönefeld.

Wenn Sie nicht Pilot geworden wären, welcher Beruf hätten Sie ansonsten gereizt?
Als Kind hat mich die Matrosenuniform fasziniert, ich wäre vermutlich Seemann geworden. Kapitän zur See ist für mich bis heute ein erstrebenswerter Beruf. Aber auch ein Medizinstudium oder die Ausbildung zum Schauspieler hätten gute Alternativen sein können. Aber glücklicherweise hat ja mein erster Wunsch, die Fliegerei, geklappt. Ich hatte das Glück von den 60er- bis 80er-Jahren zu fliegen und so die schönsten Jahre der Fliegerei erleben zu dürfen. Damals gab es noch ausreichend Zeit, um weltweit Land und Leute kennen zu lernen. Das gibt es heute ja nicht mehr wirklich.

* Heinz-Dieter Kallbach wurde 1940 in Essen geboren. Er begann die fliegerische Laufbahn 1957 als Armeetransportflieger bei der Nationalen Volksarmee der DDR. Ab 1961 war er in der zivilen Luftfahrt tätig, er flog als Kapitän auf den Flugzeugtypen Antonov An-2, Ilyushin Il-14, An-24, Il-18, Il-62, Airbus A310, Boeing 737-300 und -700, Dacota DC-3, Seaplane C 206, Beach Bonanza,TB-10, TB-20, C-172, Piper-Cheyenne 31, 42 und 400 LS. Am 5. Juni 2008 feierte er das 50-jährige Cockpitjubiläum auf als Verkehrsflugzeuge zugelassenen Flugzeugen. Biographie: Mayday über Saragossa. Heinz-Dieter Kallbach – Das spektakuläre Leben einer Fliegerlegende