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Cordula Pflaum, Lufthansa-Kapitänin

«Früher konnte man fliegerisch toll sein, aber menschlich furchtbar»

Cordula Pflaum ist seit über 30 Jahren Pilotin. Im Gespräch mit aeroTELEGAPH spricht sie über ihre Faszination für die Luftfahrt, darüber, was sich für das Personal verändert hat - und erklärt, warum sie für neue Rollenbilder kämpft.

aeroTELEGRAPH: Sie sind Kapitänin auf der Langstrecke, Ausbilderin und geben Vorträge. Seit kurzem sind Sie auch Autorin. Was hat Sie angetrieben, ein Buch zu schreiben?
Cordula Pflaum*: Ich bin seit über 30 Jahren in der Luftfahrt und habe mir immer gewünscht, den Menschen mitzugeben, wie sich das Leben als Pilot oder Pilotin anfühlt und ich möchte jungen Frauen Mut machen, diesen Beruf zu ergreifen. Das ist wohl mein Hauptgrund.

Warum jetzt?
Die Idee oder den Wunsch hatte ich schon lange. Vor zwei Jahren hat sich die Gelegenheit ergeben, als ich mit einem Bekannten darüber sprach, dass er eine Co-Autorin hat und da dachte ich, dass ich mir das auch gut vorstellen könnte. Wir haben im Januar 2023 angefangen zu schreiben, waren im Juni fertig und dann ging es in die Lektorate und am 20. März 2024 wurde es veröffentlicht.

Nun zurück zu den Anfängen: Wie war ihr Weg in die Luftfahrt?
Ich habe 1990 an der Verkehrsfliegerschule in Bremen angefangen. Über Stationen bei Lufthansa, Condor Berlin, Lufthansa Cargo, bin ich inzwischen bei Lufthansa Airlines in München als Ausbildungspilotin angestellt. Im Moment noch auf dem Airbus A330, 340 und 350, ab Mai kommt dann der A380 dazu und der A340 fällt weg und ich bin zusätzlich noch Human Factors Trainerin sowie Evidence based Training Ausbilderin und Typerating Instructor.

Im regulären Flugverkehr haben sich viele Dinge verbessert. Allein die Kommunikation mit den Lotsen ist heute viel leichter.

Von ihren Anfängen bis jetzt hat sich die Luftfahrt stark gewandelt. Es gab noch keinen Billigflug. Es war nicht dereguliert. Wie haben Sie die Veränderungen erlebt?
In der Flugschule habe ich noch gedacht, ich stecke den Leatherman in die Tasche und wenn eine Schraube locker ist, dann ziehe ich die noch selbst fest. Ich bin Pilotin aus Leidenschaft. Das bin ich überall die Jahre geblieben. Ich kann heute noch auf der Besucherterrasse stehen und begeistert Flugzeuge anschauen, ohne dass es mir langweilig wird. Aber es hat sich natürlich viel verändert. Es ist so ungeheuer viel dazugekommen. Die Arbeitsbelastung ist deutlich gestiegen. Wir wurden mal spaßeshalber als Manager an Bord bezeichnet, das trifft es eigentlich gut. Wir sind Ansprechpartner für deutlich mehr Schnittstellen geworden, übrigens inklusive Diensthandy. Im regulären Flugverkehr haben sich viele Dinge verbessert. Allein die Kommunikation mit den Air Traffic Controllern ist heute viel leichter.

Ich würde gerne nochmal auf Ihren Werdegang zurückkommen. Sie schreiben, dass sie die zwanzigste Frau waren, die bei Lufthansa überhaupt die Ausbildung zur Pilotin gemacht hat. Knapp 35 Jahre später liegt der Frauenanteil im Cockpit weiterhin im einstelligen Prozentbereich. Warum ist das so?
Das stimmt und ich war die erste Langstreckenausbildungskapitänin bei Lufthansa. Wenn wir unter Kolleginnen sind, unterhalten wir uns natürlich über das Thema. Was ich sagen kann, ist, dass allein die Bewerbungen nicht ausgeglichen sind. Es bewerben sich deutlich mehr Männer als Frauen. Es kann nicht an den Konditionen liegen. In der Luftfahrt haben wir Equal Pay. Wir bieten Konditionen, die uns ermöglichen, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen. Ich habe selbst zwei Töchter und konnte an derselben Stelle wieder weitermachen mit meiner Seniorität. Die Rahmenbedingungen stimmen also.

Aber woran liegt es dann? Es gibt Statistiken, dass heute das Kinderspielzeug noch separierter ist als vor 15 Jahren. Ist es ein gesellschaftliches Problem?
Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben: Es braucht neue Role Models. Dafür stehe ich. Als ich mit der Ausbildung angefangen habe, gab es Bücher von ein paar Piloten. Das waren alles sonore Männer mit Kapitänsmütze. Damit will ich brechen.

Wäre eine Quoten-Regelung aus Ihrer Sicht eine Lösung?
Während ich mir das in anderen Bereichen gut vorstellen kann, so kann ich es nicht für das Cockpit. Mir war es auch immer wichtig, als Pilotin oder als Pilot meinen Job zu machen. Es ging mir nie ums Geschlecht. Es ging mir immer um die Menschen, die ich treffe. Und da bin ich offen. Das Geschlecht spielt für mich da keine Rolle. Auch wenn ich gefragt werde, wie es für mich ist, unter all den vielen Männern immer als einzige Frau zu sein, kann ich sagen, dass es für mich keine Rolle spielt. Ich konzentriere mich auf meinen Job.

Ich möchte raus aus dieser Kleingruppe.

Hoffentlich hat sich auch in den letzten 30 Jahren die Einstellung männlicher Kollegen Frauen gegenüber geändert. Sie schreiben im Buch von Vorbehalten.
Das hat sich verändert. Ich kann ja nur aus meiner Warte sprechen. Ich höre dann eher mal so Sätze: «Mensch, Cordula, wenn ich mit dir fliege, besuchen uns die Kollegen aus der Kabine häufiger als sonst, weil sie vielleicht mehr Nähe zu dir haben oder eher mit dir sprechen wollen». Aber ich möchte raus aus dieser Kleingruppe. In meinem Buch gibt es ein Kapitel «Exoten – Guten Tag, hier spricht ihre Kapitänin». Es hat gedauert, bis ich die Endung hingekommen habe. Aber Veränderung beginnt durch Sprache.

Wie sind Ihnen denn ihre männlichen Kollegen am Anfang begegnet? Wurden Sie akzeptiert oder waren die Vorbehalte groß?
Vorbehalte waren da, aber ich habe sie alle geknackt. Ich hatte ziemlich am Anfang meiner Karriere, damals war ich noch Co-Pilotin einen älteren Kollegen, der mir sagte, Mensch Cordula, das muss ja für die Kollegen auch komisch sein, mit dir zu fliegen als Frau. Ich dachte so im Stillen, eigentlich redete er über sich. Ich war dann einfach nicht spontan und schlagfertig genug, um adäquat darauf zu reagieren. Was ich heute noch merke, ist, dass, wenn ich durch die First Class gehe, unsere Gäste begrüße, schnell ein Gespräch zustande kommt, weil viele das erste Mal mit einer Pilotin fliegen.

Das kommt 2024 tatsächlich noch vor?
Ja, nahezu immer. Mir hat kürzlich eine Kollegin, die auch Kapitänin ist und bei uns auf der Kurzstrecke fliegt, erzählt, dass auch ihre Crews das mindestens einmal pro Flug thematisieren.

Die A350 bietet einfach einen angenehmen Arbeitsplatz. Vielleicht ändert sich das aber auch im Alter und man wird bequemer.

Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die Pilotin werden wollen?
Es ist ein Beruf, wie jeder andere. Wenn ihr Lust auf den Job habt, die Faszination fürs Fliegen teilt, an Technik interessiert seid, ein mathematisches Grundverständnis habt, dann bewerbt euch und macht den Eignungstest. Der Test zeigt Dinge, die man so im Alltag nicht erkennen kann. Er beinhaltet unter anderem Rechts-Links-Koordination und räumliches Denkvermögen. Und ganz wichtig: Habt keine Hemmungen und versucht es einfach mal. Wenn ihr dann zum Gespräch eingeladen seid, nutzt von Anfang an die Macht eurer Stimme. Sagt klar und deutlich, wer ihr seid, wofür ihr steht und was ihr wollt. Denn ich erlebe oft bei unseren Kolleginnen, dass sie viel zurückhaltender sind und nicht diese Hoppla-hier-komm-ich-Mentalität an den Tag legen. Viele sagen nur etwas, wenn sie zu 100 Prozent sicher sind. Entscheidungen treffen ist aber eine Grundvoraussetzung als Pilot oder Pilotin.

Kommen wir zu ganz praktischen Dingen, welches ist Ihr Lieblingsflugzeug?
Es ist wohl der Airbus A350. Ich kann gar nichts anderes sagen. Die A350 bietet einfach einen angenehmen Arbeitsplatz. Vielleicht ändert sich das aber auch im Alter und man wird bequemer. Das Cockpit ist leise, die Temperatur angenehm und das Raumgefühl gigantisch. Herausfordernd war die MD-11, einfach durch die drei Triebwerke.

Was waren die schönsten und was waren die schrecklichsten Situationen in Ihrer Karriere?
Dann beginne ich mit den schrecklichen Dingen an. Das sind meistens Situationen am Boden, die gar nicht direkt mit dem Fliegen in Zusammenhang stehen. Mich besorgt die Busfahrt in Lagos vom Flughafen ins Hotel mehr als alles, was mir an Bord passiert. Wir wurden von bewaffneten Männern eskortiert und wussten nicht, ob wir sicher im Hotel ankommen würden. Das war alles geprüft, aber das Gefühl war unangenehm. Lagos war jetzt nur ein Beispiel, es gibt viele Orte auf der Welt, wo man das Hotel einfach besser nicht verlässt – auch wenn es weh tut, denn ich bin neugierig. Im Flugzeug selber sind es wirklich nur kleine technische Fehler gewesen, die wir immer wieder beheben konnten. Das ist Normalität, die wir ständig trainieren. Was Schrecklicheres kriegen Sie nicht.

Wir sind in 14 Tagen mit einem festen Pool an Leuten einmal um die ganze Welt geflogen.

Und was ist das Schönste?
Das Fliegen generell. Es gibt so viele tolle Flughäfen. Ich fand es zum Beispiel super aufregend, Kathmandu anzufliegen. Das habe ich gemacht, als ich noch Pilotin auf dem A310 war. Wir hatten den Umlauf Frankfurt-Karachi-Kathmandu-Karachi und wieder zurück nach Frankfurt. In Karachi waren wir im Hotel. Am nächsten Morgen ging es los nach Kathmandu. Es war hell und wir konnten alles sehen. Rein fliegerisch war das natürlich super anspruchsvoll, sich in diesen High Level Airport reinzuschrauben. Es war toll.

Dann haben Sie die ganze Welt gesehen. Oder gab es irgendwas, wo sie nicht waren?
Meine Zeit bei Lufthansa Cargo hat mich diesbezüglich super bereichert. Wir haben Orte gesehen, die von der Lufthansa Passage nicht angeflogen werden. Von Fairbanks über Penang, Manila, Tahiti, Honolulu, Auckland bis Melbourne. Das war die Zeit der Weltumrunder. Wir sind in 14 Tagen mit einem festen Pool an Leuten einmal um die ganze Welt geflogen.

Haben Sie einen Lieblingsflughafen? Jetzt sagen Sie nicht München.
München ist mir sehr vertraut, einfach weil ich so oft da bin. Wahrscheinlich ist es New York-JFK, aber ich kann das nicht richtig sagen. Es gibt einfach so tolle Anflüge. Ich finde Osaka sehr schön, auch Haneda ist toll. Das sind meine Lieblingsecken. Ich bin sehr gerne in Japan, aber ich bin auch sehr gerne in Vancouver.

Es geht im Vergleich zu früher mehr um interpersonelle Kompetenzen, wie Teamarbeit und Führung, Umgang mit Arbeitsbelastung, Situationsbewusstsein, Problemlösung, Entscheidungsfindung.

Neben Ihrem Job als Pilotin sind Sie auch Ausbilderin auf der Langstrecke und Human Factors Trainerin. Können Sie das kurz skizzieren?
Die Luftfahrtbranche hat die höchsten Sicherheitsstandards weltweit. Wieso ist das so? Nach der Flugzeugkatastrophe von Teneriffa 1977 hat die Nasa die Entwicklung Cockpit Resource Management angestoßen. Man hatte festgestellt, dass der Mensch einen Einfluss darauf hat, ob Flugzeuge einen Zwischenfall oder Unfall haben. Daraus ist bei der Lufthansa nach vielen Schritten im Crew Resource Management und Threat and Error Management ein kompetenzbasiertes Training entstanden. Das machen wir seit gut fünf Jahren. Es geht im Vergleich zu früher mehr um interpersonelle Kompetenzen, wie Teamarbeit und Führung, Umgang mit Arbeitsbelastung, Situationsbewusstsein, Problemlösung, Entscheidungsfindung.

Und wenn man da durchfällt, ist die Karriere gefährdet?
Nicht direkt, die Unternehmenskultur im Cockpit hat sich verändert. Der Fokus ist anders. Früher konnte man fliegerisch toll sein, aber menschlich furchtbar. Heute zählen die Social-Skills mehr. Der Slogan heißt «Less checking, more training». Wenn ich zu meinen Kollegen ins Briefing komme, sage ich ihnen immer, ich bin heute hier, um euch zu sagen, was ihr gut macht. Ich suche nicht das Haar in der Suppe. Es geht um positives Lernen. Das vermittle ich nicht nur den Kollegen, die trainieren, sondern auch den Kollegen und Kolleginnen, die ausbilden. Eure Kollegen sind keine Trainees, sondern vollwertige Kollegen, die das genauso gut können. Eure Aufgabe ist es, diese positiv zu fördern. Ihr müsst sie stärken, damit sie aus dem Simulator gehen und sagen: Ja, ich kann das richtig gut, ich bin gut.

Wie viele Kollegen bilden auch aus?
Das Evidence Based Training zur Lizenzverlängerung dürfen derzeit bei uns nur Kapitäne abhalten und noch keine First Officer. Im Moment sind wir fünf Kollegen, die das Grundseminar zum Evidence Based Training geben. Wir sind im Prinzip Multiplikatoren, die weitere Kollegen und Kolleginnen ausbilden, damit diese wiederum ausbilden können.

*Cordula Pflaum: geboren 1969, ist Ausbildungskapitänin für den Airbus A330/A340/A350. Seit über 30 Jahren arbeitet sie als passionierte Pilotin, seit 13 Jahren als Prüferin und Ausbilderin auf Langstrecke bei Lufthansa. Über ihre Karriere schrieb sie das Buch «Guten Tag, hier spricht Ihre Kapitänin», erschienen im Goldmann-Verlag.