Letzte Aktualisierung: um 9:42 Uhr

Kritik an Notam-System

Flut an Informationen für Piloten wird zur Gefahr

Vor dem Start erhalten Piloten oft Dutzende Seiten Infos, viele davon veraltet. Das kann dazu führen, dass die Cockpit-Crews wichtige Hinweise übersehen.

Es hätte die größte Flugzeugkatastrophe in der Geschichte der USA werden können. Am 7. Juli 2017 steuerte Flug AC 759 von Air Canada im Landeanflug auf San Francisco die Roll- statt die Landebahn an – und dort standen mehrere vollgetankte Jets. Erst im letzten Moment zogen die Piloten ihren Airbus A320 wieder hoch und verhinderten das Desaster.

Einer der Gründe für die Verwechslung: Die parallel zur Rollbahn verlaufende Piste war knapp eine Stunde zuvor wie geplant geschlossen worden. Diese wichtige Information hatten die Piloten in den Vorabinformationen zum Flug erhalten, den sogenannten Notice to Airmen Notam. Der Kopilot des Air-Canada-Flugzeugs konnte sich später aber nicht erinnern, diesen Passus gelesen zu haben, der Kapitän konnte das Gelesene nicht abrufen.

Die Nadel im Heuhaufen finden

Im Abschlussbericht der Untersuchungsbehörde National Transportation Safety Board NTSB hieß es zum Notam-System, Piloten und Flugdienstberater müssten sich «durch buchstäblich Dutzende von irrelevanten Einträgen wühlen, um die kritischen oder nur wichtigen zu finden.» Es sei, wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen.

Die Informationen der Notam stammen von den Luftfahrtbehörden und behandeln zum Beispiel Änderungen an Start-, Ziel, und Ausweichflughäfen und auf der Flugroute. Eigentlich sollen sie nicht älter als drei Monate sein. Die Realität sieht anders aus.

35.000 Notam, davon 7000 veraltet

Rund 35.000 aktive Notam gibt es laut der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation Icao weltweit – rund 7000 davon älter als drei Monate. «Mit anderen Worten: Zwanzig Prozent der Notam in den Informationspaketen zur Flugvorbereitung der Piloten sind veraltet», so die Icao. Die Ops Group, eine Vereinigung von Piloten, Fluglotsen und weiteren Luftraum-Experten, hält fest: «Wir ertrinken in den Daten, verpassen aber die Botschaft.» Oft könne das «Paket von der Größe eines Kurzromans» vor dem Flug gar nicht vollständig gelesen und verstanden werden. «Das Ergebnis: Kritische Informationen werden übersehen.»

Die Icao teilt die Notam ein in «aktuell» (drei Monate oder jünger), «alt» (älter als drei Monate, aber jünger als ein Jahr), «sehr alt» (ein Jahr oder älter). Am 1. April 2021 gab es weltweit rund 30.330 aktuelle Notam, 3260 alte und 2720 sehr alte. In Deutschland waren es insgesamt 1598 Notam, davon 77 alte und 100 sehr alte. Die Schweiz steht besser da mit 142 Notam, einer alten, keiner sehr alten. Österreich kommt auf 160, vier alte, acht sehr alte.

«Haufen Müll, dem niemand Beachtung schenkt»

Kritik gibt es nicht nur an der Menge, sondern auch an der Aufbereitung der Neuigkeiten. «Die wichtigsten Informationen über den Flug werden im Stil eines Telegramms aus den frühen 1900er-Jahren an die Piloten weitergegeben», so die Ops Group. «Verschlüsselte, abgekürzte, oft unentzifferbare, komplett in Großbuchstaben geschriebene Textbrocken: das am wenigsten menschenfreundliche Format, das man sich vorstellen kann.»

Nach dem knapp verhinderten Unglück von Flug AC 759 in San Francisco sagte NTSB-Chef Sumwalt drastisch: «Es ist in einer Sprache geschrieben, die nur ein Computer-Programmierer verstehen kann – nur ein Haufen Müll, dem niemand Beachtung schenkt.»

Initiative will Notam-System verbessern

Die Ops Groups kritisiert auch, dass es viele Notams über Dinge gebe, auf welche Piloten eh keinen Einfluss hätten – etwa über Füchse oder andere Tiere am Flughafen. Zudem wünscht sie sich, dass die Informationen nicht nur aus staatlichen Quellen stammen.

Eine Initiative von Icao, Ops Group und anderen Organisationen hat sich nun zum Ziel gesetzt, das System zu verbessern. Los geht es mit einer digitalen Konferenz am 8. April. Phase eins sieht vor, die alten und sehr alten Notams aus dem System zu entfernen. Auch Vorschläge für eine besser verständliche und lesbare Darstellung stehen auf dem Programm.

Zwei Vorfälle am Flughafen Hamburg

Um zu verdeutlichen, wie verwirrende Notam heute aussehen, verweist die Ops Group auch auf zwei Vorfälle aus dem Mai 2018 am Flughafen Hamburg. Dort verließen Jets von SAS und Ryanair nach der Landung die Piste, die aufgrund von Bauarbeiten verkürzt war. Wie auf die Verkürzung in den Notam hingewiesen wurde, sehen Sie in der Bildergalerie oben.