Letzte Aktualisierung: um 20:02 Uhr

Vertiefter Untersuchungsbericht

Flugzeuge im Scheinwerferlicht – eine unterschätze Gefahr

Ein Airbus A321 Neo verlor letzten Herbst im Flug Fensterscheiben. Grund waren verformte Scheiben durch Scheinwerfer. Jetzt zeigt sich: Das war kein Einzelfall.

In der HBO-Max-Serie The Flight Attendant spielt Kaley Cuoco eine Flugbegleiterin, die in einen Mordfall verwickelt wird. Es gibt darin zahlreiche Szenen, die in einem Flugzeug spielen. Die Produktionsfirma ließ extra in einem New Yorker Studio eine First-Class-Kabine nachbauen.

Die meisten Szenen aus Flugzeugkabinen spielen in Attrappen; in Hollywood gibt es mit Air Hollywood sogar ein spezialisiertes Filmstudio. Regisseure und Produktionsfirmen wollen aber immer wieder statt in Nachbauten in echten Flugzeugen drehen. Der erfolgreiche Regisseur Ruben Österlund soll kürzlich verschiedene Flugzeuge für seinen neuen Film gescoutet haben.

Hitze lässt Fenster schmelzen

Dreharbeiten in Kabinen sind nicht nur aus Platzmangel und hohen Kosten schwierig. Wenn es schlecht läuft, kann auch die Sicherheit des Flugzeugs gefährdet werden. Und zwar durch Licht, beziehungsweise die enorme Hitze, die von den Hochleistungscheinwerfern ausgeht.

Im vergangenen Oktober wurde bei Dreharbeiten ein Airbus A321 Neo von Titan Airways durch die starke Hitze der 12.000-Watt-Hochleistungslampen beschädigt. Er hob am Tag nach den Dreharbeiten ab, blieb aber nur 36 Minuten in der Luft, bevor er an den Abflugort London zurückkehrte. Die Bilanz: Vier Fenster waren durch die starke Hitze beschädigt worden, drei fehlten nach dem Flug ganz. Zudem wurde das Höhenleitwerk auf der linken Seite beschädigt.

Britische Flugunfallbehörde veröffentlicht vertieften Bericht

Strahler emittierten so viel Infrarot-Strahlung, dass Acrylfenster sich derart erhitzen, dass die Fenster aufweichen, was zu Verzerrungen und Schrumpfungen führt. Die verformten Fenster fallen aufgrund von Vibrationen oder des Druckunterschieds beim Steigen des Flugzeugs nach dem Start heraus.

Im Rahmen einer vertieften Untersuchung des Vorfalls hat die britische Flugunfalluntersuchungsbehörde nun mitgeteilt, dass es bereits vor dem Titan-Airways-Vorfall mindestens vier ähnliche Vorfälle gegeben hat, bei denen Kabinenfenster durch Film- und Fotoaufnahmen beschädigt wurden. «In diesen vier Fällen wurde der Schaden festgestellt und repariert, bevor das Flugzeug flog», heißt es vom Air Accidents Investigation Branch AAIB.

Geringes Problembewusstein

In drei Fällen handelte es sich um Boeing 787, im vierten Fall um einen anderen A321. In einem Fall wurde ein Dreamliner bei Dreharbeiten in einem Hangar über mehrere Stunden von drei 2000-Watt-Lampen beleuchtet. Sechs Fenster wiesen im Anschluss «erhebliche Verformungen» auf, so die Flugunfalluntersuchungsbehörde. Eines der Fenster hatte sogar ein Loch.


So stark hat die Hitze der zu nahen Strahler die Fenster verbogen. Bild: AAIB

Im Fall eines A321 wurden bei Außenaufnahmen mehrere Scheinwerfer in einem Abstand von 1,5 bis 1,8 Metern vor den Fenstern aufgestellt, was zur Folge hatte, dass sich zwei davon extrem verformten. «Als der Schaden damals an Airbus gemeldet wurde, waren dem Hersteller keine weiteren Vorkommnisse bekannt». Laut AAIB soll Airbus, abgesehen von der Reparatur, damals keine weiteren vorbeugenden Maßnahmen ergriffen haben.

Loch nach zwei Stunden

Ähnlich soll auch Boeing auf die Problematik reagiert haben. Die Amerikaner haben in einer Publikation zur Kundensicherheit auf beschädigte 787-Fenster hingewiesen und Fluggesellschaften empfohlen, während der Filmarbeiten auf intensive Lichtquellen zu verzichten. Und wenn welche benutzt werden, solle man einen möglichst hohen Abstand einhalten. Branchenweit sei das Gefahrenbewusstsein für diese Problematik noch nicht weit verbreitet, urteilt die AAIB.

Das zeigt auch eine Umfrage der Behörde. Die AAIB hat verschiedene Fluggesellschaften zu ihrem individuellen Sicherheitsmanagement bei Dreharbeiten befragt. Sechs haben geantwortet. Die meisten betonen, dass die technische Überwachung bei Film- und Fotoarbeiten wichtig sei, mehr aber auch nicht.

Schäden schon nach 16 Minuten

Eine Fluggesellschaft hat daraufhin einen Test durchgeführt. Bei einer Beleuchtung des Fensters aus einem Meter Entfernung lag die Temperatur des Acrylglases nach 35 Minuten stabil bei 44 Grad Celsius. Als der Abstand auf 30 Zentimeter verringert wurde, traten nach 16 Minuten erste sichtbare Schäden auf. Die Fenstertemperatur lag bei 127 Grad Celsius. 88 Minuten später hatte die Scheibe ein Loch.

Immerhin haben Easa als auch Airbus die Gefahr erkannt und auf den Vorfall von Titan Airways reagiert. Airbus weist nun in einem Dokument auf die Gefahr der Beschädigung von Acrylglasscheiben bei der Verwendung von Scheinwerfern mit hoher Lichtintensität hin.

Airbus und Easa haben reagiert

Außerdem veröffentlichte der Hersteller einen Artikel in seinem Online-Magazin Safety First. Die Easa hat ein Sicherheitsbulletin veröffentlicht, um auf die Gefahr von Schäden bei der Verwendung von Lichtern mit hoher Lichtintensität in der Nähe eines Flugzeugs hinzuweisen.

Den ganzen AAIB-Sonderbericht können Sie hier herunterladen.