Austro Control Vorständin Valerie Hackl
«Eine Gebührensenkung müsste die Politik bezahlen»
In normalen Zeiten ist Austro Control unter Anderem verantwortlich für bis zu 4.000 kontrollierte Luftfahrzeuge täglich und über eine Million Flugbewegungen im Jahr. Michael Csoklich hat mit Austro Control Vorständin Valerie Hackl über die Luftraumüberwachung in der Krise und in der Zukunft gesprochen.
Valerie Hackl mit dem Autor Michael Csoklich.
Valerie Hackl mit dem Autor Michael Csoklich.
250 statt 3.000 Überflüge pro Tag, und 30 statt 800 Starts und Landungen in Wien. Wie fühlt es sich an, dem Mangel vorzustehen?
Das ist zweifelsohne eine ganz außergewöhnliche Situation, in der wir uns hier befinden. Die Corona-Krise hat uns kalt erwischt, von heute auf morgen war das eine andere Welt. Wir stehen vor einer Reihe von Herausforderungen. Wir mussten operativ auf einen Notfall- oder Mindestbetrieb umstellen, den wir aufrechterhalten müssen, selbst wenn nur ein Flugzeug fliegt. Und wir müssen wirtschaftlich überlegen, wie wir mit der Krise umgehen und uns aufstellen.
Alle 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Bedeutet das, Ihnen ist eigentlich «fad»?
Genau das Gegenteil ist der Fall! Es gibt Unternehmensbereiche, in denen die Arbeit deutlich reduziert ist, es gibt aber auch Bereiche, wie im Management selbst, wo mehr Arbeit anfällt. Wir müssen ja als Unternehmen gesund bleiben und überlegen, wie wir die Zukunft gestalten können und die Luftfahrtbranche weiterhin verlässlich, flexibel und zweckmäßig bedienen können.
Was ist denn das Wichtigste, das es jetzt zu tun gilt?
Das Wichtigste war es zu Beginn, einen operativen Betrieb aufzustellen, bei dem der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vorrang hat und die kritische Infrastruktur, die wir ja sind, auf sichere Beine zu stellen. Jetzt, wo die Maßnahmen gelockert sind, verlagert sich der Fokus. Wie können wir das Jahr 2020 trotz der Umsatzverluste wirtschaftlich stabilisieren, und wie gehen wir in Zukunft damit um? Denn die Vermutung liegt nahe, dass die Krise nicht Wochen, sondern Monate oder vielleicht gar Jahre dauern wird.
Kurzarbeit gilt für drei Monate – sie kann um drei Monate verlängert werden. Werden Sie das in Anspruch nehmen oder glauben Sie, dass Sie da schon wieder in die Startphase kommen?
Die Kurzarbeit ist ein gutes Tool, wir werden nach den drei Monaten mit den Sozialpartnern evaluieren, wo wir stehen. Wenn Sie mich heute fragen, würde ich tippen, dass die Arbeit im Lotsenbereich nicht wieder vollständig zurück sein wird, so dass es möglicherweise notwendig sein wird, hier in eine Verlängerung zu gehen.
Der Umsatz ist im März und April auf fünf Prozent zurückgegangen, Austro Control verliert jede Woche fünf Millionen Euro an Umsatz. Was bedeutet das für das Jahresergebnis?
Wie Sie sich vorstellen können, nichts Gutes. Wir rechnen mit einem jedenfalls höheren zweistelligen Umsatzverlust, vielleicht sogar deutlich über 100 Millionen Euro. Weil wir an den Flughäfen und für den Überflugbereich einen Mindestbetrieb aufrechterhalten müssen, können wir unsere Fixkosten nicht im selben Umfang reduzieren wie wir an Umsatz verlieren. Deswegen schlägt sich der Umsatzverlust – würde es keine Kompensationsmaßnahmen geben – fast 1:1 im Ergebnis nieder.
Was könnten denn diese Kompensationsmaßnahmen sein?
Das Spektrum reicht da von bis. Ich bitte um Geduld, dass ich hier nicht aus dem Nähkästchen plaudern kann, wir evaluieren das alles gerade mit dem Betriebsrat, der Gewerkschaft, aber auch mit unserem Aufsichtsrat.
Stimmt es, dass Sie eigentlich weder Gewinn noch Verlust machen dürfen, sondern die Kosten dementsprechend auf die Gebühren umlegen müssen? Was bedeutet das für die jetzige Situation?
Wir sind in der Tat nicht auf die Maximierung eines Gewinns ausgerichtet, die Gebühren, die wir an die Fluglinien verrechnen, sind ja von der EU stark reguliert. Laut Regulativ sollen wir kostendeckend wirtschaften plus einem kleinen erlaubten Gewinn. Um für Krisen gewappnet zu sein und um das Eigenkapital zu stärken. Das Regulativ kennt aber keine Vorkehrungen, wenn der Umsatz in einem Ausmaß wegbricht, wie jetzt.
Was heißt das jetzt konkret: dass Austro Control die Gebühren erhöhen muss wegen des drohenden Verlusts, oder dass Sie ihre Reserven anzapfen müssen oder muss im Extremfall auch der Staat etwas zuschießen?
Alles, was Sie genannt haben, ist im Optionenpaket enthalten. Die Frage ist also, wie wir in den kommenden Jahren wirtschaften können und gleichzeitig den Fortbestand der Systempartner gewährleisten können.
In einer misslichen Lage sind auch die Fluglinien, ihr Systempartner AUA möchte von Austro Control eine Reduktion der Gebühren um 20 Prozent. Was sagen Sie dazu?
Wir haben jetzt mit dem Mengenverlust zu kämpfen, der in einen Umsatzverlust und potentiell in einen Ergebnisverlust für 2020 und eventuell die kommenden Jahre mündet. Wenn jetzt eine Gebührenreduktion beschlossen würde, verschärft das unser Problem noch. Die Entscheidung, ob so eine Gebührenreduktion stattfinden kann, ist Sache des Eigentümers. Unsere Position muss sein, hier einen Interessensausgleich vorzubereiten. Wir haben natürlich unsere Eigeninteressen. Wenn uns eine Gebührenreduktion weiter schadet, muss man gleichzeitig darüber sprechen, wie auch die Flugsicherung entlastet werden kann. Sei es durch den Staat oder auf EU-Ebene.
Wenn ich das kurz zusammenfasse. Sie wünschen sich keine Gebührenreduzierung, wenn aber die Politik eine solche will, dann muss sie diese auch bezahlen.
Das ist eine sehr verknappte Zusammenfassung, die wahrscheinlich treffend ist.
Sie ganz persönlich gefragt: Braucht Österreich die Fluglinie AUA?
Ich bin überzeugt, es braucht in Österreich eine Fluglinie, die den Hub bedient und Langstreckenverkehr anbietet. Das ist wichtig für den Standort. Das kann eine AUA sein, sie war es bis dato, und das war eine gute Sache. Wer dieses Angebot künftig bereit stellt, das muss die Politik und vor allem das Unternehmen entscheiden.
Von diesem Exkurs zurück zur Austro Control: Werden Sie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten können?
Das ist ganz klar unser Ziel. Wir sind ein Unternehmen, in dem Arbeitsplatzsicherheit groß geschrieben wurde und wird. Deswegen ist das Kurzarbeitszeitmodell eine sehr gute Entlastung, jeder bekommt etwas weniger, dafür können Arbeitsplätze gehalten werden. Was die Zukunft ergibt, kann ich jetzt in dieser absolut neuen Situation aber schwer sagen.
Vor wenigen Jahren wurde Austro Control massiv kritisiert, weil es zu wenige Lotsen gab, um den massiv gestiegenen Flugverkehr bewältigen zu können. Die vergangenen zwei Jahre bilden sie verstärkt aus, werden sie bald wieder zu viele Lotsen haben?
Ich bin erst seit eineinhalb Jahren im Unternehmen und habe dieses Thema „geerbt“. Auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Jahre haben wir uns entschlossen, die Lotsenausbildungen trotz der Krise zu forcieren. Ich gehe davon aus, dass die jetzige Krise eine Ausnahme ist. Sollte sich das Verkehrsvolumen wieder auf 70, 80, 90 Prozent einpendeln, werden wir wieder dringend Lotsen brauchen.
Die Dauer der Ausbildung der Lotsen ist ein laufender Kritikpunkt. Sie dauert vier Jahre – muss das so lange sein?
Die Ungeduld teile ich natürlich, aber wir reden von einem Beruf, in dem es um Menschenleben geht. Eine solche Tätigkeit braucht eine sehr gute Vorbereitung und vor allem sehr viel Übung. Das ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, und deshalb hat diese Ausbildungsdauer ihre Berechtigung.
Von den Lotsen zu deren Arbeitsgebiet, der Luftraumüberwachung. Diese ist in Europa entgegen allen Absichtserklärungen nach wie vor völlig zersplittert. Mit 37 nationalen Zonen und Sonderregeln. Über den einheitlichen europäischen Luftraum wird seit 20 Jahren gesprochen – woran scheitert denn der Single European Sky?
Die Kritik muss ich ein Stück weit zurückweisen. Denn es ist schon sehr viel passiert, auch wenn es nach außen hin nicht immer sichtbar ist. Es sind Lufträume vereinheitlicht worden, Grenzen, die in der Luft keine Bedeutung haben, werden nach und nach aufgeweicht. Es gibt mittlerweile die Instanz des Netzwerkmanagers, der zentral für den europäischen Luftraum versucht, für die Flugzeuge die besten Routen zu finden, um Streckenlängen zu reduzieren, um Emissionen und letztlich auch Gebühren zu reduzieren. Es gibt den „Free Route Airspace“, in diesem Luftraum muss der Pilot nicht mehr einer künstlich vorgegebenen Luftstraße folgen, sondern kann seine eigene direkte Route fliegen. Auch damit wird Zeit und Kerosin gespart und CO2 gespart. Geht das rasch genug und weit genug? Nein, aber es gibt gute Gründe, warum manche Schritte einfach öfter diskutiert werden müssen oder ein zaghafter Schritt probiert wird, bevor ein großer Wurf entstehen kann.
Luftraumüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe. Ist es nicht so, dass die Politik zwar den einheitlichen europäischen Luftraum möchte, diese hoheitliche Aufgabe aber nicht abgeben will?
Das ist in der Tat ein Spannungsfeld. Da gibt es emotionale und auch juristische Barrieren, da gibt es weitgehend ungeklärte Haftungsfragen. Dieses Spannungsfeld gilt es aufzulösen, und ich bin neugierig und gespannt, was uns da in den nächsten Jahren gelingen wird.
Hätten Sie ein Problem, wenn Austro Control nicht mehr wie bisher für Österreich zuständig wäre?
In meiner Funktion natürlich schon, weil das Haus exzellente Arbeit leistet, weil unser Personal hochqualifiziert ist und den komplexen Luftraum über Österreich bestens managt. In österreichischem und auch europäischem Interesse. Wenn ich als europäische Bürgerin darauf schaue, würde ich sagen, wenn diese Ressource weiter genützt wird, spricht nichts dagegen. Aber es braucht noch viel Vorbereitungsarbeit, bis dieses Werk am Laufen wäre.
20 Jahre sind aber genug an Vorbereitung, oder?
Na ja, die Entwicklungen nehmen ja ihren Lauf, die Welt ist ja nicht mehr wie vor 20 Jahren, es hat sich viel bewegt, bis hin zu den Drohnen, die als neue Luftfahrtteilnehmer in die Lufträume drängen. So eindimensional ist es also nicht, deswegen ist es auch verständlich, dass es noch etwas dauern und reifen darf.
Ein Antriebsmotor, damit es ja doch schneller geht, könnte das Umweltthema sein. Ein einheitlicher Luftraum, so die Berechnung der Experten, könnte durch kürzere Wege und weniger Warteschleifen den CO2 Ausstoß um 10 Prozent verringern. Ist das nicht ein Grund, ihn endlich umzusetzen?
Wie gesagt, wir sind dabei, ihn umzusetzen. Ich habe Free Route Airspace genannt, alle haben einen Vorteil daraus. Wir als Austro Control haben das als erste Flugsicherung in Europa so umgesetzt und bereits um den südosteuropäischen Luftraum erweitert. Damit sparen wir jährlich so viel CO2 ein, wie es 18 Fußballfeldern an neugepflanzten Bäumen entspricht. Das geht mit Eigeninitiative, wir müssen nicht bei allem auf politische Entscheidungen warten.
Was kann denn eine neue Form der Luftraumüberwachung noch zur CO2 Reduktion beitragen? Ich denke an den Anflug, Abflugpfade, Flughöhe nach Wetterlage etc.
Genau das sind die Hebel, die wir auch nützten. Die Flughöhe ist ein ganz wesentlicher Treiber, oder die Anflugverfahren, wo die Flugzeuge möglichst spritschonend zum Flughafen quasi gleiten können. Bis hin zu satellitenbasierter Steuerung, damit die Anflugrouten zum Flughafen kürzer werden können. Wir nutzen alle technischen Möglichkeiten,
Was wird, wenn Sie in die Zukunft blicken, der größte Unterschied zu heute sein? In 20 Jahren? Wird es den ferngesteuerten Tower geben?
Es wird den Remote Control Tower geben, das heißt, die Lotsen sitzen nicht mehr immer im gut erkennbaren Tower am Flughafen, es wird nicht mehr die Präsenz am Flughafen geben müssen. Es wird einen zentralen Tower geben, der dann über Screens dem Lotsen ein Landschaftsbild und Luftlagebild gibt und wo dieser dementsprechend mittels Radar den Flugverkehr leiten kann. Das wird unsere Lotsenstruktur stark verändern und in 20 Jahren State of the Art sein.
Was ist die größte Herausforderung, wenn Sie 20 Jahre in die Zukunft blicken?
Vor zwei Monaten hätte ich Ihnen noch das Verkehrsaufkommen genannt. Das ist jetzt sehr gebremst, wird aber wieder eine Herausforderung werden. Das Umweltthema wird uns immer mehr beschäftigen. Weiters die Frage, was wir beitragen können, um die Luftfahrt effizient zu halten. Und um als Flugsicherung wirtschaftlich agieren zu können, müssen wir die Technologien und Digitalisierung nützen, um mit Automatisierung die Stückkosten senken zu können.
Schlussfrage: Sie waren ja ganz kurz in im ersten Übergangskabinett Ministerin. Sind Sie aus heutiger Sicht froh, nicht mehr Ministerin zu sein?
Ich bin dankbar über den Job in der Geschäftsführung von Austro Control. Der ist hochspannend, und ich schaue nicht nach links und rechts, sondern denke daran, was ich heute mache. Und darüber bin ich sehr froh.