Letzte Aktualisierung: um 19:39 Uhr

Boeing unter Druck

Droht einem Dreamliner-Werk das Aus?

Boeing produziert die 787 an zwei Standorten. Aber wird die Auslastung künftig noch groß genug sein? Eine schwierige Entscheidung mit großem Konfliktpotenzial.

Eines liegt an der West-, eines an der Ostküste: Die Endmontage der Boeing 787 Dreamliner findet in zwei Werken statt. Eines steht in Everett im Bundesstaat Washington. Die Gegend hat für Boeing große Tradition, denn nur etwa 50 Kilometer weiter südlich, in Seattle, hatte Gründer William Edward Boeing 1915 mit der Arbeit an seinem ersten Flugzeug begonnen. Dort befand sich auch der Firmensitz, bis er im Jahr 2001 nach Chicago verlegt wurde.

Boeings zweites Dreamliner-Werk befindet sich fast 3900 Kilometer Luftlinie von Everett entfernt im Ort North Charleston im Bundesstaat South Carolina an der US-Ostküste. Das Werk sorgte schon vor der Eröffnung 2011 für Aufsehen. So wurde Boeing von Anfang an vorgehalten, den Standort nicht nur wegen Steuernachlässen gewählt zu haben, sondern auch, weil Gewerkschaften in South Carolina im Gegensatz zu Washington einen schweren Stand haben. Die Kritik hält bis heute an: Erst 2019 warfen ehemalige Mitarbeiter dem Flugzeugbauer vor, er habe sie entlassen, um den Aufbau einer Gewerkschaft zu verhindern.

Entscheidung über 787-Produktion

Doch damit nicht genug. 2014 berichtete der Sender Al Jazeera in einer investigativen Reportage über die Zustände im Werk in North Charleston. Unter anderem sagten Arbeiter in dem TV-Beitrag, sie würden selber nicht in die Jets steigen, da Sicherheitsstandards bei der Produktion nicht eingehalten würden. Boeing bestritt alle Vorwürfe. Doch im März 2019 kritisierten Angestellte erneut die Sicherheitskultur in der dortigen Produktion und im August wurden Rückmeldungen von Airlines an Boeing publik, die teils massive Vorwürfe enthielten.

Diese Hintergründe helfen, zu verstehen, welches Unruhepotenzial das hat, was nun das Magazin The Air Current berichtet. Ihm zufolge will Boeing in den kommenden Wochen eine Entscheidung über die Zukunft der Dreamliner-Produktion fällen. Laut etlichen Insidern und Experten könnte  die 787-Produktion in Everett in Gefahr geraten, sollte Boeing nochmals deutlich weniger der Langstreckenflieger bauen.

Etliche Orders werden wegfallen

Schon im Januar, als die Corona-Krise die USA noch nicht erreicht hatte, kündigte Boeing an, ab Anfang 2021 nur noch zehn Boeing 787 pro Monat zu bauen. Zuvor war man davon ausgegangen, mit einer Reduktion von aktuell 14 auf 12 auszukommen. Mittlerweile aber hat Covid-19 die Vereinigten Staaten erreicht und Boeing dazu gezwungen nach der Produktion im Bundesstaat Washington auch die Produktion in North Charleston anzuhalten.

Jetzt stellt sich die Frage, ob die 787-Produktion an beiden Standorten wieder hochfahren wird. Und falls ja, mit welchen Stückzahlen. Einerseits ist Boeing gerade dringend auf die 787-Auslieferungen angewiesen, um Einnahmen zu erzielen, während die 737 Max gegroundet ist. Andererseits versuchen viele Airlines, Flugzeuglieferungen zumindest nach hinten zu verschieben. Etliche Orders dürften auch ganz gestrichen werden, weil Fluglinien nach der Corona-Krise das Geld fehlen wird – oder sie sogar pleite gehen.

Zurzeit noch 541 Jets im Orderbuch

Derzeit hat Boeing noch offene Bestellungen für 541 Boeing 787. Diese Zahl teilt sich auf in 51 Boeing 787-8, 343 Boeing 787-9 und 147 Boeing 787-10. Die größte Version, die 787-10, wird ausschließlich in North Charleston endmontiert. Sollten diese Zahlen durch Stornierungen sinken und wenig neue Orders reinkommen, könnte Boeing aus Kostengründen eine Dreamliner-Produktion schließen. Das wäre in jedem Fall ein harter Schritt. Sollte er zulasten von Everett ausfallen, würde er zudem alte Narben aufreißen.

Allerdings hinge in Everett nicht die Existenz des ganzen Werkes an einer 787-Entscheidung. Denn dort wird auch die 777 gebaut, die Fracht- und Militär-Variante der 767 sowie die Cargoversion der 747-8. Das Werk in North Charleston in South Carolina produziert dagegen ausschließlich Dreamliner.