Letzte Aktualisierung: um 20:18 Uhr

Annette Mann, Austrian Airlines

«Die Stimmung bei Austrian Airlines ist durchaus angespannt»

Annette Mann, die neue Chefin von Austrian Airlines, spricht im Interview über Flugausfälle, steigende Ticketpreise, Nachhaltigkeit und neue Langstreckenflugzeuge und die Stimmung beim Personal.

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Mit über hundert Stornierungen hat die Stornowelle jetzt auch Austrian Airlines erreicht. Hat Sie das überrascht?
Annette Mann: Ja, weil wir uns viel Mühe gegeben haben, den Sommer sehr gut zu planen und gut aufgestellt zu sein. Wir haben mehr als 200 Flugbegleiter:innen eingestellt, statt wie ursprünglich geplant 150. Die Stornierungen vom Wochenende sind 1:1 mit dem sehr sprunghaften Anstieg der Corona-Krankmeldungen entstanden. Die konnten wir in dieser Wucht nicht voraussehen. Ohne Corona hätten wir keine Flugausfälle in dem Ausmaß.

Haben sie die Zahl der Standby-Crews erhöht?
Da planen wir im Sommer immer mehr ein, extra erhöht haben wir sie nicht. Diese überraschenden Krankenstände hätten wir aber keinesfalls auffangen können.

Waren Sie vom Ansturm der Reisenden überrascht?
Nein. Es war klar, dass intensive Sommerwochen kommen, und wir freuen uns ja über Rekordbuchungen, auch wenn da Nachholeffekte dabei sind. Wir fliegen im Sommerpeak mit einer Kapazität von 87 Prozent, obwohl wir nur mehr 80 Prozent der Flugzeugkapazität haben, weil wir überproportional viele touristische Ziele anfliegen und da mehr Destinationen im Angebot haben. Bis März hatten wir noch zwei A320 in der sogenannten Deep Storage, die haben wir reaktiviert als wir gesehen haben, es gibt eine Chance auf einen guten Sommer.

Rundum häufen sich in der Branche Unmut und auch Streiks von Flugpersonal. Wie ist denn die Stimmung bei Austrian?
Die Stimmung bei Austrian ist, wie oft im Sommer, durchaus angespannt. Das ist auch nachvollziehbar bei voller Arbeitsbelastung in einem teilweise chaotischen System in Europa. Bei gleichzeitigem Gehaltsverzicht und hoher Inflationsrate belastet das die Kolleginnen und Kollegen. Dass da die Stimmung nicht super ist, ist verständlich. Aber wir hatten in der vergangenen Woche sehr positive Gespräche mit Betriebsräten und Sozialpartnern. Alle Mitarbeiter:innen werden viermal eine Einmalzahlung von je 500 Euro erhalten, um der Arbeitsbelastung und der wirtschaftlichen Situation Rechnung zu tragen. Wir gehen davon aus, dass es in nächster Zeit durch die konstruktive Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu keinen Betriebsversammlungen oder Streiks kommen wird.

Die Passagiere werden die Umwege auch bei den Ticketpreisen bemerken.

Ukraine-Krieg, Wirtschaftslage, Inflation, Gaslieferstopp – die Bedrohungsszenarien für die Luftfahrt sind vielfältig. Haben Sie in einer Schublade einen Krisenplan?
Krisenpläne sind unser Alltag, wir reden ja über Fluglinien! Es gibt aber nicht den einen Krisenplan, jede Situation erfordert andere Maßnahmen. Aber als Management denken wir ja immer voraus und sind als Industrie auch gut trainiert, individuell zu reagieren.

Das Überflugverbot über Russland wird ja wohl länger bestehen und der direkte Weg weiter verwehrt bleiben. Bleibt Asien als Destination für Austrian weiter wichtig und sind die Destinationen wirtschaftlich darstellbar?
Es trifft uns als Austrian auf zwei Strecken, Shanghai und Tokio. Beide Destinationen rechnen sich trotz des Umwegs wirtschaftlich, weil die Nachfrage groß ist und die Frachtpreise hoch sind. Aber ob das in einem oder zwei Jahren auch noch so ist, hieße die Glaskugel befragen. Jedenfalls aber werden die Passagiere die Umwege auch bei den Ticketpreisen bemerken.

Apropos Ticketpreise: Die Preise steigen ja seit längerem, dennoch haben Sie weitere Preiserhöhungen angekündigt. Interessanter für Sie ist ja der Yield, der Erlös pro Ticket. Ist der auch gestiegen?
Ja, ist er und das freut mich. Anders würde es auch nicht gelingen, Austrian in die schwarzen Zahlen zu bringen. Austrian Airlines ist kostenseitig im Vergleich zu anderen schon gut aufgestellt. Wenn also die Kerosinpreise steigen, kann ich das intern nicht mehr abfedern, indem ich die Kosten senke, und einen Gehaltsverzicht gibt es ja auch schon. Das geht also nur über die Preise. Das klappt jetzt im Sommer ganz gut, weil die Nachfrage hoch ist. Das Fit for 55-Programm der EU wird die Kosten noch einmal steigen lassen. Fliegen wird also nicht mehr so billig sein wie vor der Pandemie.

Rechnen Sie damit, dass wegen der höheren Preise weniger Menschen fliegen werden?
Jetzt im Sommer haben sich die nachweislich gestiegenen Preise nicht negativ auf die Nachfrage auswirkt. Wir könnten sogar noch mehr Kapazität absetzen. In der Wintersaison werden wir die erfolgreichen Warmwasserstrecken frühzeitiger wieder aufnehmen, weil die Nachfrage groß ist. Wird sich das abschwächen, wenn die Menschen im Herbst auf ihre Gasrechnung schauen? Ich weiß es nicht. Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, dass sich während der Coronazeit das Privatvermögen erhöht hat, dass der Arbeitsmarkt brummt und Fachkräfte knapp sind. Es kommen so viele Faktoren zusammen, dass die Zukunft schwer abschätzbar ist. Wir sehen momentan keinen Einbruch, bleiben aber wachsam, um rechtzeitig reagieren zu können.

Ich rechne nicht damit, bereits dieses Jahr in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Hohe Erträge freuen die Bilanz. Sie haben in einem Interview gesagt, sie müssen die Bilanz in Ordnung bringen. Welche Unordnung hat Ihnen denn Ihr Vorgänger hinterlassen?
Mein Vorgänger hat einen hervorragenden Job gemacht, er hat AUA gerettet gemeinsam mit dem Team. Was ich gemeint habe ist, dass wir aktuell negatives Eigenkapital haben und unsere Schulden an den Staat zurückzahlen. 90 Millionen des 300 Millionen Kredits sind schon erledigt. Wir müssen uns um die Bilanzstrukturen kümmern und das Eigenkapital wieder in Ordnung bringen. Ich rechne jedenfalls nicht damit, bereits dieses jahr in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Wird das gelingen?
Ich gehe davon aus, wenn es weiter gut läuft. Aber weiß ich, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt? Leider nein. Aber wir gehen jetzt einmal vom positiven Fall aus.

Sie haben gemeint, wie hoch der Verlust 2022 wird, hänge vom Kerosinpreis ab. Kerosin ist ja zum Großteil gehedgt, wo liegen da die Unsicherheiten für das Ergebnis?
Ja, der Großteil des Rohölpreises ist gehedgt, ein Teil aber nicht. Was nicht abgesichert ist, ist der Prozess vom Rohöl zum Kerosin. Der Raffineriepreis hat sich vervielfacht und schlägt voll durch. Hedging glättet den Preisanstieg ja nur, es kann ihn nicht verhindern. Deswegen werden in der gesamten Industrie die Preise steigen.

Sie sind ja eine Nachhaltigkeitsspezialistin. Wo wird man denn bei Austrian diesbezüglich Ihre Handschrift sehen?
Ich freue mich sehr, dass wir vier neue Airbus A320 Neo bekommen. Die sind gut für die CO2-Bilanz und machen 50 Prozent weniger Lärm. Es ist auch kein Geheimnis, dass wir irgendwann in diesem Jahrzehnt über neue Langstreckenflugzeuge reden müssen, auch das wird sich auf die CO2-Bilanz auswirken. Noch viel mehr müssen wir auf der Kundenseite machen. Die Konsumenten können heute viele Entscheidungen treffen und tun es auch. Verbrenner oder E-Auto? Normale Tomate oder Bio-Tomate? Das können sie auch beim Fliegen, vielen ist das aber noch nicht bewusst. Kaufe ich ein normales Ticket, also das Äquivalent zu einem Auto mit einem Verbrennermotor? Oder kaufe ich ein Ticket mit SAF, also nachhaltigem Treibstoff, also das Äquivalent zum E-Auto oder der Bio-Tomate? Auch Klimaprojekte haben wir im Angebot. Es gibt viele Entscheidungsmöglichkeiten, das müssen wir als Industrie besser erklären und neue Produkte anbieten. Alleine für die Jahre 2022 bis 2024 hat sich die Lufthansa-Gruppe übrigens SAF für 250 Millionen Euro gesichert.

Um Austrian bis 2050 CO2-neutral zu machen, setzen Sie auf neue Flugzeuge, alternative Treibstoffe, Single European Sky und Kompensation. Neue Flugzeuge und alternative Treibstoffe können sie sich schwer leisten, Single European Sky liegt nicht in ihrer Hand, und kompensieren ist kein Liebkind der Passagiere. Kann das eine erfolgreiche Strategie sein?
Wie gesagt, bei der Flotte wird etwas passieren, auch wenn ich ihnen noch keinen genauen Zeitplan nennen kann. Flugzeuge sind knapp, der Markt komplex und Auslieferungstermine unzuverlässig. Das wird kommen und das werden wir uns finanziell leisten müssen. Können wir uns SAF leisten? Da müssen wir, wie angedeutet, gemeinsame Sache mit unseren Kunden machen. Viele unserer Firmenkunden haben sich ja selbst ambitionierte Klimaziele gesetzt und wir haben immer mehr Firmenverträge, wo diese Ziele, das Fliegen mit nachhaltigen Kraftstoffen, enthalten sind. Da steigt die Nachfrage stark, auch bei Privatreisen. Die jüngst eingeführte Möglichkeit für Passagiere, bequem und einfach beim Buchungsprozess Nachhaltigkeit mit zu buchen, wird gut angenommen. Ohne viel Werbung dafür machen, ist die Zahl der Kunden, die das dazu buchen, seither von einem auf knapp 10 Prozent gestiegen.


Boeing 767 von AUA: Welches Modell löst die alten Flieger ab? Bild: Austrian Airlines

Sie haben bald die älteste Langstreckenflotte in Europa, und sie wird erneuert, sagen Sie. Wird Austrian also auch künftig Langstrecke fliegen?
Auf jeden Fall. Austrian bleibt die österreichische Netzwerkairline mit einem Langstreckennetz.

Wann die neuen Langstreckenflugzeuge kommen, können Sie nicht sagen. Wie aber wird die Lösung, das neue Modell, aussehen?
Wir streben natürlich ein einheitliches Modell an, und wir wollen eine langfristige Lösung.

Ist eine Übergangslösung in Form von Wet-Lease denkbar?
Ich hoffe, dass wir keine Übergangslösung brauchen. Die würde auch viel Geld kosten. Sollte die angestrebte langfristige Lösung schwierig werden, warum auch immer, denken wir vielleicht darüber nach.

Können junge, gebrauchte Flugzeuge eine langfristige Lösung sein?
Ich bin da für alles offen. Am Ende muss es für Austrian stimmen und wir müssen es finanziell stemmen können. Wir haben einen anderen Markt hier in Österreich als zum Beispiel in Zürich. Es geht um die Größe, die Konfiguration, die Kosten und so weiter.

Lufthansa beschafft sich möglicherweise als Übergangslösung Boeing 777-300 ER, weil sich die Auslieferung der 777X weiter verzögert. Könnte es ein Plan sein, dass diese, sobald die 777X kommen, zu Austrian gehen?
Das ist keine Lösung, die wir aktuell diskutieren. Wenn der Flugzeugmarkt aber so schwierig bleibt, kann ich nichts ausschließen.

Die Boeing 777 könnte auch zu groß, der 787 Dreamliner passender sein.
Das muss man sich alles anschauen.

Wir sind wohl eine der herzlichsten und gastfreundlichsten Fluglinien.

Der Lufthansa-Konzern sagt immer, Austrian muss genug verdienen, um sich neue Flugzeuge leisten zu können. Tun sie das?
Ich gehe davon aus, dass wir in absehbarer Zeit wieder in die schwarzen Zahlen kommen. Ich habe keine konkrete Zahl im Kopf, ab der wir neue Flugzeuge kaufen können.

Was ist denn die Spezialität, das Besondere, von Austrian innerhalb des Lufthansa-Konzerns?
Wir machen im Konzern operativ einen Superjob. Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind eine Stärke und gute Grundlage. Beim Thema Osteuropa schätzt der Konzern unsere Marktkompetenz, und wir sind wohl eine der herzlichsten und gastfreundlichsten Fluglinien. Und last not least besitzen wir hohe Expertise in der Touristik, die auch im Konzern geschätzt wird.

In den vergangenen Jahren wurde beim Service viel gespart, es gibt Stimmen im Konzern die sagen, das war ein Fehler. Wird Austrian das Service wieder verbessern?
Austrian Airlines hat sich über all die Jahre immer zum Catering bekannt und nicht so viele Abstriche gemacht. Do & Co ist ja ein toller Partner für die Melangerie mit bester Qualität und wir übertreffen da die Ergebnisse, die wir uns vorgenommen haben. Jedenfalls werden wir auf der Langstrecke das Restaurantservice und die fliegenden Köche wieder zurückbringen. Köche sind derzeit aber nicht leicht zu finden. Wir hoffen, wir schaffen das bis 2023. Und wir überarbeiten das Business-Class-Produkt auf der Kurzstrecke, das wird ab Juli sukzessive umgesetzt werden.

Lufthansa will ja ITA Airways kaufen, den Nachfolger von Alitalia. Befürchten Sie, dass Austrian dann weniger Aufmerksamkeit vom Konzern bekommt?
Das glaube ich nicht. Ich bin im guten Austausch mit den Kollegen der anderen Airlines, da hat jeder seinen Platz, seine Nische und seine Aufgabe im Konzern. Es ist ja nicht so, dass der ganze Italien-Verkehr aktuell über Wien abgewickelt wird und wir uns Sorgen machen müssen, wenn das Geschäft wegfällt.

Es hat sich die Dynamik der Konkurrenz verändert.

Hat sich das Thema Billigkonkurrenz in Wien eigentlich durch Corona von selbst erledigt?
Man kann wohl nicht behaupten, dass sich das Thema erledigt hat, wenn 19 Flugzeuge von Ryanair in Wien stationiert sind. Es hat sich die Dynamik der Konkurrenz verändert, weil wir statt sechs nur noch zwei Billigfluglinien in Wien haben. Auch die Billiglieger merken die steigenden Preise, Inflation und Personalmangel. Der Wettbewerb wird stark bleiben, da mache ich mir keine Illusionen. Aber er ist anders als vor drei, vier Jahren.

Nach jedem Sommer kommt der nächste Winter. Wie werden sie im Winter die Kapazitäten anpassen, womit rechnen Sie?
Wir geben keine Prognosen ab. Wir versuchen uns flexibel auf alles einzustellen was kommt. Auf einen guten Winter, aber auch auf einen schwierigen Winter.

Annette Mann (44) absolvierte ein betriebswirtschaftliches Studium in Ingolstadt und erlangte einen an der amerikanischen Kellogg School of Management. Danach stieg sie in diversen strategischen, konzeptionellen oder operativen Rollen bei der Lufthansa Gruppe ein. So war die Bayerin federführend für die Konzeption und Umsetzung des derzeitigen First-Class-Angebotes sowie der Premium Economy. Bis 2020 verantwortete sie unterschiedliche produktbezogene Bereiche innerhalb der Lufthansa-Gruppe, so auch bei Swiss. Zuletzt verantwortete sie den Bereich Corporate Responsibility von Lufthansa Seit 1. März 2022 ist Mann Vorstandsvorsitzende von Austrian Airlines.