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Die letzten Tage der MD-83 bei DAT

Herr Rungholms Abschied von der großen Schwester

58 Flugzeugmodelle kann Jesper Rungholm steuern. Doch zu einem hat der Chef von DAT eine besondere Bindung. Dennoch trennt er sich von der McDonnell Douglas MD-83.

Als Jesper Rungholm im Oktober 2007 mit SAS von Bergen nach Kopenhagen flog, hörte er etwas, das man normalerweise nicht hören sollte: Ein Ruckeln, das üblicherweise nicht so lang dauern sollte. «Ich sah dann aus dem Fenster und dachte, hoppla, das sieht aber nicht so gut aus», erinnert er sich. Er, der selbst auch Pilot ist, erkannte, dass seine Kollegen vorn im Cockpit vergeblich versuchten, das Fahrwerk auszufahren. Und er wusste: Probleme mit den Fahrwerken hatten in den Wochen zuvor bereits zu zwei Bruchlandungen mit Dash 8 von SAS geführt. Angst habe er aber keine verspürt. «Ich habe meinen Kollegen voll vertraut.»

Für ihn sei es sogar ein toller Tag gewesen, so Rungholm. «Das Wetter war toll, wir waren als Passagiere in guten Händen und ich wusste: Das wird das Ende der Dash 8 bei SAS sein. Und dann…», Rungholm grinst und sieht dabei mehr aus wie ein Lausbube, der etwas ausgeheckt hat, als wie ein erfahrener Pilot, «…und dann werden sie sicherlich Wet-Lease-Anbieter brauchen.»

Wet-Leasing, Linienflüge, Charterangebot

Rungholm ist Gründer und Chef von DAT, früher Danish Air Transport. Und eines der Geschäftsfelder der Firma ist das Wet-Leasing, also die Vermietung von Flugzeugen inklusive Crews an andere Airlines. Er behielt recht. Nur einen Tag nach dem Zwischenfall verkündete SAS, die Flotte der De Havilland Canada Dash 8 für immer stillzulegen. Und tatsächlich flog Rungholms Fluglinie später auch für die skandinavische Fluggesellschaft.

Neben Wet-Leasing bietet DAT auch Linienflüge an – nicht nur in und nach Skandinavien. In Deutschland etwa fliegt sie zwischen Saarbrücken und Berlin und Hamburg. Als Charter-Anbieterin führt die Airline immer wieder auch prestigeträchtige Aufträge durch. So war sie in diesem Sommer etwa für den Transport der dänischen Nationalmannschaft zu den Spielen der Fußball-Europameisterschaft zuständig.

Inzwischen fragen die Leute oft: Was ist das denn für ein Flieger?

Und das geschah nicht in irgendeinem Jet. Denn neben ATR 42 und 72 sowie Airbus A320 und A321 besitzt DAT auch noch eine McDonnell Douglas MD-83 – Baujahr 1990. Sie ist auch das Flugzeug, das Rungholm aktuell als Pilot selbst steuert. Die Nationalmannschaft habe er aber darin nur einmal geflogen. «Ich kann mir die tollsten Aufträge ja nicht immer selbst krallen», sagt er.

DAT hat ihren Sitz in Billund, dazu kommt noch eine Tochterfirma in Litauen. Der beschauliche Ort in der Mitte Dänemarks ist der breiten Öffentlichkeit wohl in erster Linie bekannt als Zuhause von Lego und vom dazu gehörenden Freizeitpark Legoland. Auch in Zeiten von Corona sind Hotels im Ort und Flüge nach Billund voll, freudiges Kindergeschrei und der Sound startender und landender Flugzeuge dominieren die Geräuschkulisse – der Flughafen liegt nah an der Stadt.

Der hintere Einstieg der MD-83: Bei moderneren Jets gibt es das nicht mehr.

Im Hangar am Airport steigt Rungholm die Treppe im Heck der MD herauf – einen Ein- und Ausstieg, wie man ihn heute bei kommerziellen Flugzeugen nicht mehr sieht. Mit dem Flugzeug verbindet den Piloten und Unternehmer mehr als nur die Tatsache, dass er es steuern kann. Während er durch die Kabine läuft, streicht er mit den Händen liebevoll über die Gepäckfächer – es ist eine unbewusste Bewegung, als würde er an einem treuen Haustier vorbei laufen und ihm dabei wie gewohnt kurz über den Kopf streicheln.

Über jede Ecke im Jet hat er eine Anekdote zu erzählen. Hier hinten im Heck etwa, habe es damals eine Lounge gegeben, als die MD im Auftrag der Fifa und von Sponsor Coca-Cola 2014 den Weltmeisterschaftspokal durch die Welt flog. Die bunte Bemalung trägt der Flieger noch heute.

Manche jubeln, andere kennen den Jet nicht

Auf der Tour kam der Jet auch in Atlanta vorbei. «Dem Zuhause der MD», so Rungholm. Was er damit meint: Erstkundin der McDonnell Douglas MD-80 war Delta Air Lines, und die hat ihren Sitz am Flughafen in der Metropople im Bundesstaat Georgia. Das Willkommen durch den Kontrollturm sei damals etwas Besonderes gewesen, die Lotsen hätten die MD gefeiert, man habe das Jubeln hören können – denn als Passagierflieger ist sie nur noch selten zu sehen. Meist falle die Begrüßung allerdings anders aus: «Inzwischen fragen die Leute oft: Was ist das denn für ein Flieger?», so Rungholm.

Das hier ist kein fliegender Computer, sondern eine richtige Maschine.

Vorne im Cockpit angekommen nimmt er auf dem Kapitänssessel Platz, seinem Arbeitsplatz, seit er 1979 mit dem Fliegen begann. Verglichen mit dem Cockpit von modernen Fliegern wie dem Airbus A350 oder der Boeing 787 sieht es in der MD-83 aus wie in einem Museum. Hebel sind hier wirklich Hebel. Um sie zu bedienen, nutzt man Muskelkraft. In neueren Fliegern von Airbus und inzwischen auch Boeing übersetzt die Hydraulik die Eingaben im Cockpit. «Das hier ist kein fliegender Computer, sondern eine richtige Maschine», so Rungholm.

Zum Beweis geht es noch einmal nach draußen, diesmal über die vordere Treppe hinterm Cockpit. Rungholm öffnet eine Klappe, wo unzählige Verkabelungen zu sehen sind. Er zeigt auf eine. Und dann auf die Landeklappe der rechten Tragfläche. «Dieses Kabel ist dafür zuständig», sagt er. Dank geschickter Aerodynamik brauche man aber gar nicht so viel Muskelkraft, um die Klappen zu bedienen – der Wind helfe dabei, sie zu bewegen. Zurück im Cockpit öffnet er das Fenster und zeigt den Hebel, der den Prozess in Gang setzt. «Das ist doch toll, oder?», sagt er, nach so vielen Jahren als Pilot immer noch stolz auf den Jet.

Weniger reparaturanfällig

Ein Grund für diesen Stolz ist, dass die McDonnell Douglas MD-83 deutlich weniger reparaturanfällig seien als modernere Flugzeuge. Allein diese bedingungslose Zuverlässigkeit sei ein wichtiger Grund, warum der 31 Jahre alte Flieger noch in der Flotte von DAT zu finden ist. «Sie ist wie eine große Schwester», so Rungholm. Ein weiterer Pluspunkt sei die Flexibilität. Denn ein Flieger mit nur einem Gang und mit einer Reichweite eines Langstreckenjets sei gerade bei Charteraufträgen oft gefragt. Zudem kann die MD-83 auch auf kürzeren Pisten landen als Flugzeuge mit zwei Gängen.

Doch Rungholm ist nicht nur leidenschaftlicher MD-83-Pilot, sondern auch Geschäftsmann. Und daher weiß er: Die Zeit, die große Schwester zu verabschieden, ist trotz all ihrer Vorteile gekommen. Ende Oktober verlässt sie die Flotte. Vorher wird der Chef noch einmal im Cockpit sitzen – auf einem Rundflug mit der MD-83 ab Kopenhagen. Wohin es geht, will man bei DAT nicht verraten. Auch wohin die MD-83 danach geht, ist offiziell nicht bekannt. Doch es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass der Jet dieselbe Destination ansteuert wie die MD-82, welche DAT bereits vor ein paar Monaten verkaufte: Sie ging in den Iran zu Taban Air.

Rungholm im Cockpit der MD-83.

Einfach wird der Abschied nicht, «aber es ist nötig», so Rungholm. Denn inzwischen gibt es auch viele Faktoren, die den Betrieb der MD teuer machen. Es fliegen immer weniger MD-83 in der Welt umher. Weltweit sind laut der Datenbank von CH Aviation nur noch 45 Exemplare aktiv. Und weniger MD-83, das heißt auch: weniger und daher teurere Ersatzteile.

Hinzu kommen starke Einschränkungen wegen Fluglärm. «Wenn eine MD-83 landet, dann merkt man das», so Rungholm. Und was für Fans Musik in den Ohren ist, stört viele Anwohner. In London Heathrow etwa muss man für die Landung mit dem Flieger mit dem T-Leitwerk eine Lärmgebühr von 10.000 Pfund zahlen. Und auch Personal, das in der Lage ist, das Flugzeug im Fall eines Defekts zu reparieren, gibt es nur noch an wenigen Standorten weltweit. Daher fliegt inzwischen immer auch ein Ingenieur mit, wenn die MD-83 von DAT unterwegs ist.

Sentimentalität können wir uns nicht leisten.

Einer von ihnen ist Mladen Cis. Bei einem Butterbrot in der Kantine, tatsächlich einfach eine kleine Küche im Hangar von DAT, erzählt der Kroate von seiner Arbeit. Seit neun Jahren ist er bei der dänischen Airline angestellt. Der Job ermöglicht es ihm, zwei Wochen am Stück in Billund zu wohnen. DAT hat ein Hotel etwas außerhalb der Stadt gekauft, wo Mitarbeitende, die ihren Wohnsitz anderswo haben, untergebracht sind. Danach ist er rund zwei Wochen in Kroatien bei seiner Familie.

«In der Zeit, in der ich hier bin, arbeite ich viel, aber ich liebe den Job auch», erzählt er. Auch für ihn ist die MD-83 mehr als nur ein Flugzeug. Immer mitfliegen, das ist doch eigentlich ein nettes Extra, oder? «Es geht so», sagt er. Denn: «Wirklich gebraucht werde ich selten, weil der Flieger so verlässlich ist.» Aber immerhin komme er auf diesen Reisen dazu, ein paar gute Serien auf Netflix zu schauen.

Bald keine Ingenieure mehr auf Reisen

Die Notwendigkeit, Ingenieure an Bord zu haben, sorgt aber auch für schöne Momente. Ein anderer Mitarbeiter, der aus Argentinien stammt, war bei der Coca-Cola-Tour dabei, als der Flieger in Buenos Aires landete. «Wir hatten ein großartiges Grillfest bei seiner Familie im Garten», erinnert sich Rungholm. Solche Anekdoten wird es künftig weniger geben bei DAT. Doch auch wenn die Herzen vieler Mitarbeitender und des Chefs am Jet hängen: «Sentimentalität können wir uns nicht leisten», so Rungholm. Gerade in heutigen Zeiten, ist er überzeugt, muss man sich als kleinere Airline anpassen können.

Und das kann DAT. Immerhin ist sie seit 32 Jahren krisenfrei in Betrieb. Das liegt zum einen daran, dass die Kosten wo immer möglich tief gehalten werden. «An den Mitarbeitenden und der Sicherheit sparen wir nicht. Aber überall sonst. Das ist eine unserer Stärken», so Jesper Rungholm. «Und das kann man auch sehen. Schauen Sie sich unsere Autos an! Die sind im besten Fall bescheiden.»

Wir sind eine Airline und kein Limousinenservice.

Bei DAT fährt man nicht mit Limousinen, sondern mit Kleinwagen. Das Auto, in dem der Chef heute zum Hangar kam, ist ein Renault Clio. Der Wagen hat bessere Zeiten gesehen; ein paar Kratzer gibt es hier und da, die Innenausstattung ist bestenfalls Standard. «Doch das ist uns egal, solange er gut funktioniert», so Rungholm. «Wir sind eine Airline und kein Limousinenservice.»

Mindestens genauso wichtig wie die Kostenkontrolle ist aber auch etwas anderes: Rungholm und seine Crew haben immer die Augen offen, um nach möglichen neuen Geschäftsfeldern zu suchen. Eines davon ist der Handel mit Ersatzteilen. Neben der MD-83 befinden sich im Hangar eine Handvoll Triebwerke und weitere Ersatzteile für Airbus A320. «Aktuell sind die Preise dafür niedrig, wegen der Pandemie. Aber ich bin überzeugt: sie werden wieder steigen, und dann sind wir im Business.» Jetzt spricht definitiv der Unternehmer Jesper Rungholm.

Ingenieur Mladen Cis bei der Arbeit an der MD-83.

Was auf die MD-83 folgen wird, darauf will Rungholm sich nicht festnageln lassen. Aber eigentlich scheint es sicher. «Es könnte schon ziemlich wahrscheinlich ein Airbus A321 sein.» Immerhin wäre das eine Ergänzung der bestehenden Flotte. Und die 737 Max? Der Boeing-Mittelstreckenjet ist aufgrund der Probleme der vergangenen Jahre immerhin einigermaßen günstig zu haben. «Wenn wir die MD mit einer Boeing ersetzen würden, dann mit der 757, so Rungholm.» Die 737 Max sei «genauso viel Computer» wie der Airbus A320.

Ihm sei bewusst, dass er nicht besonders liebevoll über die neueren Flugzeugtypen rede, sagt er. «Aber ich bin eigentlich schon ziemlich offen für Neues. Es kann gut sein, dass ich bald einen A320 steuern werde», sagt er. Aufhören, als Pilot Passagiere zu fliegen, das sei noch keine Option.

Auch als Pilot Zwischenfälle erlebt

Der Airbus A320 wäre Flugzeugtyp Nummer 59 für den Dänen. Von militärisch bis zivil, von Helikopter bis Jet – Rungholm kann so ziemlich alles steuern. Nach dem Treffen wird er heimfahren, um dann mit seinem eigenen kleinen Helikopter von seinem Landhaus nahe Billund, wo er mit seiner Familie lebt, in sein Ferienhaus zu fliegen. «In Dänemark ist das einfach so möglich», man braucht nicht einmal spezielle Start- und Landeplätze», sagt er.

Bei einer so langjährigen Luftfahrtkarriere ist es kein Wunder, dass Rungholm nicht nur als Passagier an Bord von SAS, sondern auch als Pilot im Cockpit Zwischenfälle erlebt hat. An sechs Triebwerksausfälle erinnert er sich – drei davon bei Flugzeugen mit nur einem Triebwerk.

Ohne Fahrwerk gelandet – aber selbst schuld

Doch wenn er einen Vorfall nennen muss, der ihn noch heute beschäftigt, ist das ein anderer: Bei einer Flugschau landete er eine Yakovlev Yak-50, ohne das Fahrwerk ausgefahren zu haben. «Das war unfassbar peinlich», erinnert er sich. Denn es gab nicht etwa technische Probleme. «Ich war mit den Gedanken einfach komplett woanders, weil ich mich gerade in einen dummen E-Mail-Streit mit einem Typen hatte hereinziehen lassen.»

Zu realisieren, dass man selbst einen Fehler gemacht habe, sei das schlimmste für Piloten. «Wenn man damit nicht klarkommen kann, dann kann es gut sein, dass man nicht so schnell ins Cockpit zurückkann.» Er selbst entschied sich für die Offensive. «Ich schrieb an alle meine Mitarbeitenden über den Zwischenfall, und was ich daraus gelernt habe», berichtet er. So habe er es geschafft, auch sich selbst nicht mehr zu geißeln.

Ich dachte, mit dem Wet-Leasing sei es jetzt dann vorbei.

Der DAT-Chef hat kein Problem damit, auch andere Fehler einzugestehen. Was ihn wirklich ärgert, ist zum Beispiel, dass er die Folgen der Corona-Krise falsch eingeschätzt hat. «Ich dachte, mit dem Wet-Leasing sei es jetzt dann vorbei», erzählt er. Doch das Gegenteil sei geschehen. Weil Fluggesellschaften Flexibilität und oft kleinere Flugzeuge brauchen, sei die Nachfrage groß. «Und wir können sie nicht stillen, weil uns das Personal fehlt, das wir wegen der Krise verloren haben.»

Jetzt sucht DAT in Litauen und Dänemark Kabinenbesatzungen. Das sei zwar nicht einfach, weil es vielen Airlines so gehe. Aber die Arbeitsbedingungen, so Rungholm, seien gut. Zumindest die Kollegen, die im Hangar an der MD arbeiten, scheinen das auch so zu sehen. Sie begegnen ihrem Chef wie einem alten Kumpel. Sie nehmen ihn auf liebevolle Art auch mal hoch, erzählen dann von ihrer Familie. «Er ist sehr bescheiden», beschreibt Mladen Cis seinen Chef – und meint es als Kompliment.

Rungholm in der Kabine der MD. Gerade werden die Sitze der dänischen Nationalmannschaft ausgebaut.

Diese Bescheidenheit zeigte Rungholm auch nach dem Zwischenfall mit der Dash 8 von SAS. Nachdem er sich dem Personal als Pilot zu erkennen gegeben hatte, half er bei der Evakuierung in Kopenhagen mit. Das bekamen auch Journalisten mit. «Ich habe ihnen gesagt: Auf keinen Fall dürft ihr mich dabei irgendwie erwähnen. Alles Lob gebührt der Besatzung», findet Rungholm.

Und dabei bleibt er auch. Sein Tag sei ja auch so schon gut genug gewesen. Denn neben den Aussichten auf SAS als neue Kundin habe er auch noch einer sehr charmanten Studentin mit Flugangst geholfen, die man neben ihn gesetzt hatte. «Das war am Ende für uns alle ein Gewinn.» Und da ist es wieder, das Grinsen.