Avia Solutions Group
Der unbekannte Luftfahrt-Riese aus Litauen
Avia Solutions Group? Die litauische Luftfahrtgruppe ist wenig bekannt, wächst aber seit Jahren kräftig. Heute ist sie im Wet-Lease, im Frachtransport, in der Wartung, in der Ausbildung und vielem mehr tätig - und das weltweit und erfolgreich.
Flugzeuge am Hauptsitz von Avia Solutions in Vilnius: Große Ambitionen in der Luftfahrt.
Flugzeuge am Hauptsitz von Avia Solutions in Vilnius: Große Ambitionen in der Luftfahrt.
Am Anfang stand eine Pleite. Als die Regierung in Vilnius 2005 die Nationalairline privatisierte, schlug die Finanzfirma Lal zu. Sie kaufte Lithuanian Airlines und benannte sie in Fly Lal um. Doch lange ging das nicht gut. 2009 musste die Fluggesellschaft ihren Betrieb einstellen und Insolvenz anmelden. 29 Millionen Euro Schulden blieben zurück.
Was das Ende hätte sein können, stand am Anfang des Aufstiegs eines kleinen litauischen Unternehmens zu einer weltweit tätigen Luftfahrtgruppe mit mehr als 9000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Avia Solutions Group nennt sie sich und ist inzwischen längst über ihre Heimat hinaus gewachsen und auf fünf Kontinenten aktiv.
Ein Stier, größer als der in New York
Doch dabei soll es nicht bleiben. Wie groß die Ambitionen sind, zeigt eine Skulptur, die Gründer Gediminas Ziemelis extra in Deutschland hat anfertigen lassen. Sie steht vor dem Hauptsitz an der Darius-und-Girėnas-Straße und zeigt einen Stier in der gleichen Pose wie der berühmte Stier vor der New Yorker Börse. Nur ist der in Litauen größer als das Vorbild aus den USA.
Doch es bleibt nicht bei Symbolen. In nächster Nähe des Flughafens Vilnius baut Avia Solutions Group gerade Wohnungen für 8000 Mitarbeitende. Daneben steht bereits ein Viersterne-Hotel, ein Bürogebäude für die Verwaltung der Gruppe und die Airline-Töchter Avion Express und Klasjet. Dahinter stehen die Gebäude der Ausbildungstochter BAA Training mit ihren Flugsimulatoren. Gleich daneben soll bald ein Spa-Hotel mit eigenem See entstehen.
Eine Bombardier CRJ 200 als Konferenzraum
Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße eröffnete Avia Solutions vergangenes Jahr ein weiteres neues Gebäude. In dem sind die Technologie-Start-ups der Gruppe, aber auch das Innovationszentrum der Tochter Smart Lynx untergebracht. Damit es nicht einfach ein weiteres Bürogebäude wird, ließ man noch im Bau eine Bombardier CRJ 200 durch das Dach ins Innere hieven. Der Flieger soll künftig als Konferenzraum dienen.
Die Bombardier CRJ 200 im Bürogebäude von Avia Solutions. Bild: aeroTELEGRAPH
Die drei Wet-Lease- und Charterairlines Smart Lynx, Avion Express und Klasjet sind wohl die bekanntesten, aber nur drei von mehr als 150 Töchtern des lettischen Luftfahrt-Konglomerats. Inzwischen betreibt Avia Solutions mit BBN Airlines Nordic auch Frachtairlines in Großbritannien, Island und Indonesien (Magma Aviation, Bluebird Nordic, BBN Airlines Indonesia). Und sie besitzt den Luftfrachtbroker Chapman Freeborn. Mit BGS and Aviator ist Avia Solutions auf 27 Flughäfen in Europa als Bodenabfertiger aktiv.
Die Gruppe will weiter wachen – organisch und durch Übernahmen
Mit Avia AM Leasing tummelt sich die litauische Gruppe zudem auf dem Markt für Flugzeug-Leasing, mit Aeroclass in der Online-Ausbildung von Luftfahrtpersonal oder mit Aero Time in Bereich Luftfahrtkonferenzen und -medien. In den kommenden Jahren sollen weitere Firmen hinzukommen, neu gegründete und hinzugekaufte. «Dass wir so stark auf Luftfahrt setzen, hat einen einfachen Grund», sagt Vorstandsvorsitzender Jonas Janukenas im Gespräch mit aeroTELEGRAPH. «Die Branche wird in den kommenden Jahren weiterhin stetig wachsen. Dafür sorgt, dass in vielen Weltgegenden eine neue Mittelschicht entsteht, die ebenfalls fliegen will.»
Zwar gibt es durchaus Synergien zwischen den Töchtern. Das ist für Janukenas aber nicht das Wichtigste. «Wir lassen den Töchtern viel Freiheit», sagt er. Man wolle damit verhindern, dass sie sich nicht mehr dem harten Wettbewerb des Marktes stellen und ineffizient werden.
Dort hin, wo die Kunden sind
Wie groß die Veränderungen in den vergangenen Jahren waren, zeigt sich exemplarisch bei der Tochter BAA Training. Sie bildet Pilotinnen und Piloten, Flugbegleitende und weiteres Luftfahrtpersonal aus. «Wir begannen mit einem Simulator in Vilnius», sagt Chef Marijus Ravoitis. Heute ist das Unternehmen in drei Ländern in Europa und auch in Asien mit Schulungszentren präsent.
Simulator von BAA Training in Vilnius. Bild: aeroTELEGRAPH
Unter den unabhängigen Anbietern sei man heute die Nummer drei in Europa, sagt Ravoitis. BAA Training betreibt sieben Flugsimulatoren für Airbus A320 und Boeing 737 sowie weitere Ausbildungsgeräte in den hauseigenen Zentren in Vilnius und Barcelona, bald kommt Paris als neuer Standort mit Simulatoren hinzu. In Vietnam stehen zwei weitere Simulatoren und ein Trainingszentrum.
Flugschulen in Litauen und Spanien
Am litauischen Flughafen Kaunas und den spanischen Flughäfen Castellon und Lleida-Algauire hat BAA Training 200 Flugzeuge zur Grundausbildung von Pilotinnen und Piloten stationiert. «Wir müssen dort hin, wo unsere Kunden sind», so Ravoitis. Längst werden nicht mehr nur Interne ausgebildet, sondern vor allem Personal von anderen Fluggesellschaften. Asiana, Emirates, Etihad, Flydubai und Turkish Airlines stehen unter anderem auf der Kundenliste.
Die Internationalisierung zeigt sich auch bei FL Technics. Das Unternehmen für Reparatur-, Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten bestand am Anfang aus einem Hangar für vier Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge in Vilnius, später kam ein ebenso großer zweiter in dem rund eine Stunde von der litauischen Hauptstadt gelegenen Kaunas hinzu. Russland war damals der wichtigste Markt für die Litauer. «Wir verstehen aufgrund der Geschichte die Mentalität», sagt Chef Zilvinas Lapinskas. «Und wir können auch Wodka trinken», scherzt er weiter.
Hangars in Großbritannien und Indonesien
Russische Fluggesellschaften waren damals für 90 Prozent des Umsatzes verantwortlich. «Das hat sich 2014 schlagartig geändert», so Lapinskas. Damals annektierte Russland die Krim und der Westen führte erste Sanktionen ein. «Das war hart und wir mussten umdenken.»
Der Hangar von FL Technics in Kaunas. Bild: aeroTELEGRAPH
Inzwischen bringt FL Technics auch Flugzeuge in eigenen Hangars für je drei Jets in London-Stansted, dem schottischen Prestwick und dem indonesischen Jakarta auf Vordermann. Zu den Kunden gehören in der sogenannten Base Maintenance – der grundlegenden Überholung von Fliegern – inzwischen zahlreiche renommierte Fluggesellschaften, darunter auch die Lufthansa Group oder Luxair.
Base- und Line-Maintenance auf der ganzen Welt
Doch die Litauer sind längst auch in der Line Maintenance tätig, der Instandhaltung von Flotten im täglichen Betrieb. Dafür betreibt das Unternehmen mehr als 70 Stationen weltweit. In Bremen beispielsweise ist sie für die Bremsen und Fahrwerke der Flotte von Tuifly verantwortlich.
Die Luftfahrt wird auch weiterhin das Zentrum von Avia Solutions bleiben. Mehr und mehr versucht die Gruppe dabei, die starke Saisonalität des Geschäftes – sei es im Wet-Lease (Sommer) oder in der Wartung (Winter) – durch die geografische Expansion zu verkleinern. In Asien und Nordamerika gelten schließlich andere Saisons.
Höchster Umsatz
Bisher ist das erfolgreich. Vor einem Monat hat die Gruppe ihre Neunmonatsresultate veröffentlicht. Der Umsatz ist auf 1,3 Milliarden Euro gestiegen – und damit auf mehr als sie in den fünf Jahren zuvor in einem ganzen Jahr umgesetzt hatte. Und mehr als 15 Mal mehr als vor zehn Jahren. Und dabei resultierte fast in jedem Jahr ein Gewinn.