Letzte Aktualisierung: um 7:33 Uhr

Insolvente Fluglinien

Brauchen Airlines eine Kundengeldabsicherung?

Reisebüros und -veranstalter sind wütend wegen der vielen Airline-Pleiten. Sie fordern eine Insolvenzabsicherung für Fluggesellschaften. Die halten dagegen.

Es war ein Sommer der Verspätungen und Flugstreichungen in Europas Luftfahrtsektor. Und ehe der Herbst begonnen hatte, begann eine Zeit der Pleiten. Den Anfang machte Skywork. Am 29. August erklärte die Schweizer Fluglinie, sie stelle ihren Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen ein. Zwei Tage später gab die belgische VLM Airlines auf.

Im September stellte Small Planet Airlines Deutschland einen Antrag auf Insolvenzverfahren, behält den Flugbetrieb allerdings aufrecht. Azur Air Deutschland dagegen gab wenig später ganz auf. Seit dem Abend des 1. Oktober bleiben auch die Flugzeuge der dänischen Primera Air Scandinavia und ihrer lettischen Tochter Primera Air Nordic am Boden. All diese Pleiten sind schwere Schläge für die Airline-Mitarbeiter, die ihre Arbeitsplätze verlieren. Doch auch die Passagiere leiden.

Reisebüros sehen sich geschädigt

Die Betriebseinstellungen treffen die Reisenden meist überraschend und stürzen deren Urlaubspläne um. Finanziell ist es für sie ebenfalls meistens belastend – sei es, weil sie selbst einen Heimflug bezahlen oder gar eine ganz neue Reise buchen müssen. Auch Entschädigungsforderungen für frühere Annullierungen und Verspätungen werden nicht mehr oder nur teilweise und erst später beglichen.

Als etwa Air Berlin 2017 ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragte, erklärte der Insolvenzexperte Hubertus Bartelheimer im Gespräch mit aeroTELEGRAPH: «Sollten die Kunden nicht abgesichert sein über Sonderkonstruktionen oder Dritte, wie etwa Reisebüros, droht ihnen, dass ihre Forderungen lediglich quotal befriedigt werden, sie also zumindest deutlich weniger Geld erhalten, als sie fordern.» Und bis dahin könne es auch noch zwei oder drei Jahre dauern, so der Experte.

Verbände fordern Kundengeldabsicherung

Das nervt Reisebüros und -veranstalter. Sie fühlen sich gegenüber den Fluglinien benachteiligt, da sie teure Versicherungen abschließen müssen. Denn Pauschalreisen sind gegen Insolvenzen zwingend versichert. So wollen es die Regeln der Europäischen Union. Bei Fluglinien gibt es keine solche Absicherung.

So kritisierte Anfang 2018 der Schweizer Reise-Verband SVR in Bezug auf die Pleiten von Air Berlin, Niki und Monarch: «Nicht nur Mitarbeiter und Passagiere kamen durch die Groundings zu Schaden, sondern auch Reisebüros und Reiseveranstalter, die Flüge der betroffenen Airlines innerhalb eines Pauschalarrangements verkauft hatten und deshalb gegenüber ihren Kunden in der Haftung stehen.»

Einspruch in Brüssel

Man wolle nicht mehr für die Airline-Risiken geradestehen, so der Verband. Zusammen mit den anderen 29 Ländesverbänden der europäischen Branchenorganisation ECTAA forderten die Schweizer das Europäische Ministerium für Mobilität und Verkehr auf, von den Fluggesellschaften eine Kundengeldabsicherung einzufordern. Bisher allerdings ohne Erfolg, wie Geschäftsführer Walter Kunz vom Schweizer Reise-Verband  kürzlich eingestehen musste. «Die Airlines haben eine starke Lobby in Brüssel.» Ihm schwebt zur Kundengeldabsicherung eine Art Sperrkonto beim Airline-Dachverband Iata vor. Von Dort sollen die Fluggesellschaften das Geld erst erhalten, wenn der gebuchte Flug abhebt.

Anlässlich der Insolvenz von Small Planet Airlines in Deutschland griff auch die Allianz Selbstständiger Reiseunternehmen ASR zu drastischen Worten: «Ein auf Kante genähter Flugplan, der nur so ungefähr abgeflogen wird und nach den ertragsreichen Sommerferien schnell Insolvenz anmelden, um keine Entschädigungen für Ausfälle und Verspätungen zahlen zu müssen – und dann unter neuer Firmierung so weitermachen?», sagte Präsident Jochen Szech. «Das darf man dem Management nicht durchgehen lassen.» Er forderte die deutsche Regierung zum Handeln auf und fordert ebenfalls eine Insolvenzabsicherung für Airlines.

Warnung vor Wettbewerbsnachteilen

Auf Seiten der Fluglinien sieht man die Sache naturgemäß anders. Die europäische Vereinigung der Regionalairlines ERA hatte bereits Anfang des Jahres erklärt, man sei mit der Iata einer Meinung, dass es keiner weitere Maßnahmen bedürfe. «Es gibt heute genügend Mechanismen, die sicherstellen, dass die Fluggäste betreut werden und im seltenen Fall, dass eine Airline den Betrieb einstellt, nach Hause gebracht werden», so die Organisation. «Die Einrichtung eines Fonds würde die Wettbewerbsfähigkeit der Fluggesellschaften verringern und die Kosten für die europäischen Konsumenten erhöhen.»

Auf Anfrage von aeroTELEGRAPH spricht sich nun auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft BDL gegen eine Regulierung aus. «Anders als alle anderen Wirtschaftsunternehmen stehen die Luftfahrtunternehmen schon heute unter permanenter staatlicher Kontrolle hinsichtlich ihrer Finanzkraft», sagt eine Sprecherin. Auch die Rechte der Reisenden seien bereits umfassend geregelt. Zudem würden Vorschriften auf nationaler oder europäischer Ebene zu Wettbewerbsnachteilen im weltweiten Vergleich führen.

«Finanzielle Planungssicherheit»

Auch Vorauszahlungen beim Ticketkauf verteidigt der BDL. «Für die Flugvorbereitungen und das Erstellen von Flugplänen muss eine Airline lange im Voraus in Vorleistungen gehen, für die sie eine finanzielle Planungssicherheit braucht», so die Sprecherin.