Wer wusste was
Boeing-Chef wehrt sich gegen 737-Max-Vorwürfe
Der Flugzeugbauer soll Piloten die Existenz eines Systems an Bord der 737 Max verschwiegen haben. Diesen Vorwurf kontert Boeings Chef nun - zumindest intern.
737 Max von American Airlines: Fragen an Boeing.
737 Max von American Airlines: Fragen an Boeing.
Boeing-Chef Dennis Muilenburg äußert sich in einem Schreiben an seine Mitarbeiter zu Vorwürfen rund um das umstrittene Anti-Strömungsabriss-Systems der Boeing 737 Max. «Ihr habt womöglich Medienberichte gesehen, die behaupten, dass wir unseren Kunden Informationen über die Funktionalität des Flugzeuges bewusst vorenthalten hätten», zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg aus dem Schreiben. «Das ist einfach nicht wahr», so Muilenburg. «Die entsprechende Funktion ist im Flight Crew Operations Manual beschrieben.»
Bei der Funktion geht es um das sogenannte Maneuvering Characteristics Augmentation System MCAS, das bei der 737 Max installiert ist. Es sorgt dafür, dass die Maschine unter gewissen Umständen bei der Gefahr eines Strömungsabrisses die Nase automatisch nach unten neigt. Im Zusammenhang mit dem Absturz einer 737 Max 8 von Lion Air Ende Oktober stehen die Fragen im Raum, ob das verunglückte Flugzeug aufgrund falscher Sensordaten das System irrtümlicherweise aktivierte und wie die Piloten reagierten.
Piloten wussten nichts von MCAS
Nachdem Boeing und die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA nach dem Unglück Sicherheitshinweise veröffentlicht hatten, meldeten sich Piloten von American Airlines und Southwest Airlines zu Wort. Sie erklärten, das System überhaupt nicht zu kennen. Auch American Airlines selber zeigte sich überrascht von der Existenz von MCAS.
Das Portal The Air Current zitierte zudem aus einem Southwest-Schreiben an die Piloten. Darin hieß es, Boeing habe das MCAS nicht ins Flight Crew Operations Manual aufgenommen. Der Grund: «Da es in Situationen tätig wird, in denen das Flugzeug unter relativ hoher G-Kraft und nahe am Strömungsabriss ist, sollte ein Pilot nie den Betrieb des MCAS sehen.»
Vorgehen bei «Runaway Stabilizer» bekannt
Das Wall Street Journal berichtete ebenfalls, Boeing habe die Informationen bewusst nicht aufgenommen. Unter Berufung auf einen ranghohen Insider schrieb die Zeitung, der Flugzeughersteller habe so entschieden, um die Piloten nicht mit zu vielen Informationen zu überfordern. All dem widerspricht Boeing-Chef Muilenburg nun.
Eine Erklärung, die beiden Seiten in gewisser Weise Recht geben könnte, hat Boeing-Experte Dominic Gates. Er schreibt, die notwendige Reaktion auf ein aktiviertes MCAS sei durchaus von Boeing in den wichtigen Unterlagen erwähnt. «Es ist die Runaway-Stabilizer-Checkliste», so Gates. «Die Piloten haben es womöglich nicht realisiert, dass sie es damit zu tun haben, aber die Checkliste ist da.» Folgt man dieser Argumentation, könnte Boeing das MCAS zwar namentlich nicht erwähnt haben, aber dennoch erklärt haben, wie sich Piloten verhalten sollen, wenn das System Probleme macht.
Bericht über Telefonkonferenzen zu 737 Max
Tatsächlich hatte auch die Luftfahrtbehörde der USA in ihrer Sicherheitsanweisung darauf hingewiesen, wie Piloten in einer Runaway-Stabilizer-Situation vorgehen sollen. Dabei handelt es sich um eine Situation, in der das Höhenleitwerk automatisch so getrimmt wird, dass das Flugzeug die Nase nach unten oder oben neigt. Die Behörde gab nach dem Absturz Anweisungen heraus, die für den Fall gelten, dass es zu einer Runaway-Stabilizer-Situation kommt, gekoppelt mit einem oder mehreren Hinweisen auf falsche Sensor-Daten.
Gemäß Bloomberg soll Boeing in Telefonkonferenzen zurzeit jeweils mehreren 737-Max-Kunden Fragen rund um das Flugzeug beantworten. Ein weiterer solcher Termin soll demnach auch für diesen Dienstag geplant gewesen, dann aber verschoben worden sein. Boeing selber wollte sich nicht dazu äußern.