Letzte Aktualisierung: um 22:35 Uhr

Bodenabfertigung

Was es alles braucht, bis ein Flugzeug abfliegen kann

Das Abfertigen eines Flugzeugs ist komplex. Eine anspruchsvolle Aufgabe unter oft großem Zeitdruck, die viel Know-how, Flexibilität und auch Sozialkompetenz verlangt. Was ein Koordinator bei der Arbeit macht.

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Viele Faktoren spielen mit: Der Flugzeugtyp mit seinen spezifischen technischen Daten, die Anzahl der Passagiere, dazu Gepäck, Fracht, Post, Treibstoff und Bordverpflegung. Alles ist so zu laden, dass der Schwerpunkt des Flugzeugs optimal innerhalb definierter Limits liegt.  Wir haben Viktor Zumsteg, Coordinator bei Swissport, auf dem Flughafen Zürich auf einer Schicht zu begleiten. Das Unternehmen ist neben Dnata und AAS eine der Bodenabfertigungsfirmen am Flughafen Zürich. Mit durchschnittlich rund 300 abgefertigten Flügen pro Tag und somit 80 Prozent des gesamten Verkehrs auch die größte.

Die zentrale Rolle an der Front spielen bei der Abfertigung die sogenannten Coordinators, die als Schnittstelle zwischen den Supervisors – den Chefs der Beladungsteams – und des Cockpits wirken. Zumsteg, einer von aktuell rund 120 Swissport-Koordinatoren oder eben Coordinators, fasst seine Aufgaben zusammen: «Als Leiter der Abfertigung der Flüge sind wir für das Festlegen der Ladeverteilung zuhanden der Supervisors und das Erstellen des Loadsheets für den Kapitän verantwortlich.

Sie übernehmen überall dort das Ruder, wo Probleme auftauchen

«Wir sind Ansprechperson für das Kabinenpersonal und die Cockpitbesatzung, bedienen die Fluggastbrücken und kümmern uns um Unstimmigkeiten beim Gepäck oder um benötigte Serviceleistungen.» Kurz: die Koordinatoren regeln das Beladen am Flugzeug und übernehmen überall dort das Ruder, wo Probleme auftauchen, sich Engpässe ergeben oder Abweichungen auftreten. Immer mit dem Ziel, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, damit die Flugzeuge unter Einhaltung sämtlicher Sicherheitsaspekte pünktlich abfliegen können.

Das Loadsheet ist von größter Wichtigkeit für einen sicheren Betrieb am Boden und Flug. Ausgehend vom Leer- und maximalen Abfluggewicht des eingesetzten Flugzeugtyps, der Passagierzahl und -platzierung sowie dem Gewicht des für den Flug benötigten Treibstoffs und der Bordverpflegung gilt es, das Gepäck, die Fracht und die Post so auf die Frachträume zu verteilen, dass der Schwerpunkt des Flugzeuges im zulässigen Bereich liegt. Der Kapitän kann dann über die Trimmung justieren, sodass das Flugzeug optimal in der Luft liegt. Dadurch wird nicht zuletzt Treibstoff gespart.

Manchmal helfen Sandsäcke

Bei der Embraer E190 HB-JVQ von Helvetic Airways, der für den Swiss-Flug nach London-City vorbereitet wird, stellt Zumsteg fest, dass das Flugzeug bei der gegebenen Beladung stark hecklastig ist. Mehr noch: der Schwerpunkt liegt außerhalb der Limits. Möglichkeiten hat der Coordinator nicht viele: Das Flugzeug ist mit 19 Business- und 84 Eco-Passagieren praktisch ausgebucht, was ein Verschieben der Fluggäste nach vorn verunmöglicht. Da hilft auch die Funkmeldung nicht, die Zumsteg vom Gate erhält, dass ein Passagier kurzfristig auf den Flug verzichte.

Der hintere Frachtraum ist leer, im vorderen sind 1’008 kg Gepäck geladen. Dennoch ist der Schwerpunkt zu weit hinten. Viktor Zumsteg bestellt deshalb nach kurzer Diskussion mit dem Supervisor 12 Sandsäcke à 25 kg – und kurze Zeit später lädt Marcel Schwander, seit 32 Jahren als Supervisor tätig und Supervisor-Ausbildner – mit seinem Team die 300 kg Sand in den vorderen Frachtraum ein. Selbstverständlich bespricht der Coordinator vor dem Abflug die Zusatzladung noch mit dem Captain und lässt sich das Loadsheet von diesem signieren.

Wer die Koordinatoren koordiniert

Gesteuert werden die Koordinatoren von der Swissport-Dispositionszentrale, die sich um alle Belange an der Abfertigungsfront kümmert. Schichtleiter Silven Djaferi, seit 16 Jahren am Flughafen tätig, erklärt: «Von hier aus koordinieren wir die Supervisors mit ihren Teams, welche die Flugzeuge in den Terminals A und B beladen, steuern den Transport des Gepäcks von und zu den Flugzeugen, planen den Einsatz der Pushback-Fahrer und disponieren den Einsatz der Koordinatoren.

Arber Shehu ist in der laufenden Schicht der Disponent für die Koordinatoren. Er sitzt an einem großen Bildschirm, der anzeigt, welche Abfertigungen gerade am Laufen sind und welche anstehen. «Ich versuche immer, den Coordinators die Flüge, die sie abfertigen müssen, zwei bis drei Stunden im Voraus bekannt zu geben. So haben sie  Zeit, sich vorzubereiten. Denn die Wünsche und Prozesse unserer Kunden sind nicht immer gleich. Doch bei aller Planung – mit kurzfristigen Änderungen ist in unserem Geschäft immer zu rechnen.» Täglich sind bis zu 60 Koordinatoren im Einsatz, während der Morgen-, Mittags- und Abendwelle jeweils am meisten. Die Hauptschichten dauern von 04:45 bis 13:45 Uhr und von 13:30 bis 22:45 Uhr, in den Spitzenzeiten werden sie verstärkt.

Ohne Hightech geht (fast) nichts mehr…

Hauptarbeitsplatz des Koordinators ist sein Fahrzeug. Rund 35 Autos von Swissport mit der Aufschrift Coordinator finden sich auf dem Flughafen Zürich. 13 Elektro-Kias sind bestellt, einer ist bereits im Einsatz. Mit bislang sehr guten Erfahrungen sowohl bezüglich Zuverlässigkeit als auch Akku-Kapazität. Der Akku wird nicht nur vom Elektroantrieb des Autos belastet, sondern auch durch die elektronische Ausrüstung, welche dem Coordinator seinen Job erst ermöglicht und dauernd in Betrieb ist.

Auf dem Beifahrersitz ist ein großer Bildschirm auf einer beweglichen Halterung installiert. Hinzu kommt ein Printer, auf welchem das Loadsheet ausgedruckt wird. Langfristig ist geplant, die gesamte Flotte der Koordinatoren auf Elektrofahrzeuge umzurüsten, doch muss die Infrastruktur erst noch entsprechend aufgebaut werden.

Computer auf Beifahrersitz

Aus rund zehn Systemen saugen die Koordinatoren die Daten ab, die sie benötigen, insbesondere Buchungszahlen, Input zum Check-in sowie Informationen bezüglich Gepäck, Fracht und Post. Auch Xero – Zumsteg nennt es lachend Swissport Google – ist wichtig, liefert es doch alle Details zu den vielfältigen Abfertigungsbesonderheiten und -wünschen der Kunden. Das zentrale Programm zur Erstellung des Loadsheets ist das Amadeus Departure Control Flight Management System, das dem Coordinator auch ermöglicht, Loadsheet-Entwürfe direkt ins Cockpit zu senden.

Allerdings kann es auch trotz oder gerade wegen der elektronischen Systeme zu Verzögerungen kommen. Wie heute beim Flug BT642 von Air Baltic nach Riga. Der Airbus A220-300 YL-AAR ist nach Flugplan in Zürich eingetroffen und die Vorbereitungen für den Rückflug laufen planmäßig. Air Baltic betreibt ein Centralized Load Control Center am Hauptsitz in Riga, das für das gesamte Streckennetz der Airline die Steuerung der Loadsheets übernimmt.

Wenn die Technik zickt

Zumsteg, dem heute BT642 zur Abfertigung zugeteilt worden ist, muss deshalb das Loadsheet nicht selber anfertigen, sondern sendet die dafür benötigten Parameter nach Riga. Doch aufgrund eines Systemfehlers gelingt es lange Zeit nicht, die Daten wegzuschicken und das Loadsheet rechtzeitig zu erhalten. Schließlich kommt es zu einer Abgangsverspätung von 25 Minuten, die den zuständigen Coordinator nervt: «Wenn ein System, auf das wir keinen Einfluss haben, nicht funktioniert, sind uns die Hände gebunden. Wir sind ja sonst mit den Vorbereitungen absolut on time gewesen.»

Angesichts solcher Systempannen macht es Sinn, dass jeder Koordinator pro Monat ein Loadsheet ohne Systemhilfe machen muss, um das Handwerk nicht zu verlernen. Übrigens werden Loadsheets ein halbes Jahr aufbewahrt, um bei allfälligen Unstimmigkeiten einen Beleg zu haben. Danach werden sie vernichtet.

Fluggastbrücken bedienen ist heikel

Bei der Abfertigung des Fluges WK 16 von Edelweiss nach Denver läuft alles nach Plan. Als Zumsteg beim Gate B38 ankommt, ist der Airbus A330-300 HB-JHQ über zwei Fluggastbrücken mit dem Terminal verbunden. Sofort eilt der Coordinator die Treppe hoch und manövriert die vordere Brücke vom Flugzeug weg in ihre Parkposition. «Zwei Fluggastbrücken braucht es nur beim De-Boarding, für das Boarding genügt eine Brücke», erklärt er.

Wobei beim Wegstellen auffällt, dass das Manövrieren gar nicht so einfach ist, weil sich die Brücke nicht fein, sondern eher ruckartig bewegt. Zwei Wochen dauert die Ausbildung, bis Fluggastbrücken selbstständig bedient werden dürfen. Angesichts des Schadenpotenzials bei einer Fehlbedienung mehr als sinnvoll.

Und die Transferpassagiere?

Im Gegensatz zum vorhergehenden Flug bringt WK16 für Zumsteg keine besonderen Herausforderungen. Mit 26 Business- und 211 Eco-Passagieren sowie zwei Kleinkindern ist der Flug gut besetzt. Weil rund 70 Transitpassagiere gebucht sind, checkt der Koordinator zur Sicherheit im System, wie es um die Anschlusspassagiere steht. Zwar kommen sie aus Warschau, London, Mailand, Florenz, Amsterdam, Wien, Zagreb, Frankfurt und Madrid – aber alle sind sie pünktlich in Zürich eingetroffen.

Das Gepäck wird im hinteren Bereich verstaut: 3924 Kilogramm im Frachtraum 3, 3851 Kilogramm im Frachtraum 4 und 787 Kilogramm im Bulk-Raum ganz hinten. Da auf dem Flug keine Fracht mitgeführt wird, bleiben die Frachträume 1 und 2 leer. Bezüglich Schwerpunkt stellt sich im Gegensatz zum Flug des Embraer E190 nach London-City kein Problem: ein Airbus A330-300 kann bei leeren vorderen Frachträumen aufgrund seiner Konstruktion in den hinteren Frachträumen bis zu neun Tonnen Gewicht laden, ohne mit dem Schwerpunkt Probleme zu bekommen. Der Rest der Abfertigung ist Routine: Die Signierung des Loadsheets im Cockpit geht sehr schnell, kurz darauf fährt Viktor Zumsteg auch die verbliebene Fluggastbrücke zurück und WK16 verlässt Gate B38 pünktlich.

Verantwortung und Selbständigkeit

Was fasziniert Viktor Zumsteg an seiner Tätigkeit als Coordinator? «Es ist die große Verantwortung, aber auch die Freiheit und die Selbstständigkeit, die man in dieser Funktion hat. Mir gefällt es, nicht zu wissen, welche Fragen auf mich zukommen. Das macht den Job spannend und fordert meine Flexibilität. Zudem genieße ich den intensiven Kontakt zu einer Vielzahl von Menschen. Und nicht zuletzt kann ich auch meinen Aviatikvirus ausleben», meint er.

Natürlich sind vertiefte Kenntnisse aus der Luftfahrt von Vorteil. Und da kann Zumsteg aus dem Vollen schöpfen, ist er doch mit sehr vielen Aspekten des Airline-Business bestens vertraut. Nach einer Lehre als Polymechaniker bei SR Technics war er ein Jahr im Passagierdienst in Sydney tätig, bevor er über drei Jahre als Coordinator bei AAS und anschliessend im De-Icing auf dem Flughafen Zürich arbeitete. Danach heuerte er für sechs Jahre als Flight Attendant bei Emirates an.

Lecker Wassertank

Seit Oktober 2018 ist er nun als Coordinator bei Swissport. Und was vermisst Zumsteg hier im Vergleich zu seinen früheren Tätigkeiten? «Höchstens ab und zu die Arbeit mit meinen Händen», schmunzelt er. «Doch dies kompensiere ich in meiner Freizeit, indem ich sehr gerne bastle und Holzmöbel restauriere.» Wobei ihn auch da die Aviatik nicht loslässt: So stellt er auch Möbel aus alten Flugzeugteilen her, zum Beispiel einen Tisch aus der Motoraufhängung einer Dornier 328. Aktuell plant er den Bau eines Spiegels aus einem Triebwerkeinlass einer Boeing 737.

Dieser Text von Erwin Bachmann stammt von unserem Partner Jetstream, dem internationalen Luftfahrtmagazin.