Letzte Aktualisierung: um 21:44 Uhr

Alexis von Hoensbroech

«Das Ziel ist ausgesprochen attraktiv»

Der CEO von Austrian Airlines im ausführlichen Interview.

Mit

Alexis von Hoensbroech hat mit seinem Dienstantritt vor genau zwei Jahren die Führung einer Airline übernommen, die sich in einem massiv schwierigen Marktumfeld und nicht zuletzt deshalb in einer wirtschaftlich (zumindest nicht ganz) befriedigenden Situation befunden hat. Diese war aber nichts im Vergleich zu den Folgen, die ein neu entdecktes Virus im Jahr 2020 für die globale Luftfahrt und auch für die AUA haben sollte – und die mit einem temporären Grounding von rund drei Monaten ihren Tiefpunkt erreichten.

Aus dieser turbulenten Situation heraus gibt es viele verschiedene aktuelle Themen zu besprechen – Michael Csoklich hat sich daher mit dem Austrian-Airlines-Chef zu einem ausführlichen Interview zusammengesetzt.

Herr Hoensbroech, was war denn für Sie die schwierigste Situation in den letzten Monaten? 

Ganz klar der 19. März. Der Tag, an dem wir den Flugbetrieb eingestellt haben. Der Tag, an dem ich mich vor die Mannschaft stellen musste und vor die Presse, um mitzuteilen, dass wir den Flugbetrieb vollständig eingestellt haben. Ich wusste nicht für wie lange. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch und wusste, dass eine sehr schwierige Zeit vor uns liegt.

Wie oft haben Sie sich gefragt, ob Sie das alles schaffen?

Ich war zumindest zu jedem Zeitpunkt sicher, dass es einen Weg gibt, der uns aus dieser Krise herausführen kann. Ich war aber auch zu jedem Zeitpunkt sorgenvoll, ob wir diesen Weg schaffen. Das Geld ist uns in den Händen zerronnen, es war schnell klar, dass wir Staatshilfe brauchen. Wir hatten eine sehr, sehr komplexe Verhandlungssituation, vieles hätte schiefgehen können. Aber die Zuversicht war immer da, und wir hatten ja ein Super-Team, das durch dick und dünn geht.

Gibt es eine besondere Erkenntnis aus den Monaten? 

Ich habe sehr viele Erkenntnisse gewonnen, über mich selbst, und über viele andere Beteiligte. Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt, in der Krise zeigen die Menschen ihren wahren Charakter. Das ist hier so gewesen, im Positiven wie im Negativen. Wobei die positiven Überraschungen überwogen haben.

Über die negativen Überraschungen schweigen Sie höflich.

Ich denke, die tun hier nichts zur Sache.

Auf einer Skala von 1 – 10, 1 ist optimal: in welchem Zustand befindet sich die AUA derzeit?

Auf unserer Reise in Richtung Normalität würde ich sagen 6 bis 7. Wir haben den ganz wesentlichen Schritt geschafft, mit dem Hilfspaket nicht in die Insolvenz zu rutschen. Aber wir wissen auch, dass uns die Coronapandemie noch eine lange Zeit begleiten wird und die Luftfahrt noch für einen langen Zeitraum sehr stark betroffen sein wird. Aber Reisen ist ein Grundbedürfnis der Menschen und die Menschen werden wieder anfangen zu reisen, sobald es die Rahmenbedingungen wieder erlauben. Deshalb ist es den Einsatz wert, das Unternehmen durch diese schwierige Phase zu führen und in einigen Jahren hoffentlich wieder ein gesundes und wachsendes Unternehmen zu sein.

Die Grundlage allen Übels ist die Unsicherheit, wie es weitergeht, wann es eine Impfung geben wird. Sehen Sie es als Problem an, dass sich weder Europa noch die Fluglinien auf eine gemeinsame Vorgehensweise geeinigt haben? Jetzt machen alle, was sie wollen.

Sie haben grundsätzlich recht mit ihrer Beobachtung, aber ich glaube, um fair zu sein, man darf in der aktuellen Phase nichts anderes erwarten. Die Coronakrise hat alle völlig unvorbereitet getroffen, dementsprechend haben im akuten Krisenmanagement alle getan, was aus ihrer Sicht notwendig war. Jetzt ist es aber unbedingt notwendig, in Reisefreiheit und Gesundheitsschutz nicht weiter einen Widerspruch zu sehen und wegzukommen von kurzfristigen und pauschalen Reiseverboten, Einreiseverboten und Landeverboten. Wir brauchen einen Modus, in dem Menschen, die gesund und nicht ansteckend sind, reisen können. Dazu gibt es derzeit nur einen Weg, nämlich flächendeckende Coronatests für Reisende aus Risikoländern.

Für Touristen, die einmal im Jahr fliegen, mag der Test ja in Ordnung sein. Aber Geschäftsreisende, die alle zwei Wochen fliegen, und die sie als Kunden zurückhaben möchten, wollen nicht alle zwei Wochen getestet werden. Wie lösen Sie das Problem?

Ich fürchte, wir müssen uns alle damit abfinden, dass das bequeme und barrierearme Reisen, wie wir es alle kannten, nicht so schnell zurückkommen wird. Der Preis dafür wird sein, dass Reisende Coronatests machen müssen. Und über kurz oder lang werden die Tests schneller und einfacher werden.

Mir selbst ist es passiert, dass Flugbegleiterinnen durch das Flugzeug gehen und niemanden ermahnen, der die Maske nicht oder falsch trägt. Sollten Sie in ihren Flugzeugen die Maskenpflicht nicht rigoroser kontrollieren?

Die Maskenpflicht sollte natürlich vom Kabinenpersonal durchgesetzt werden! Ich bin überzeugt, dass wir sehr, sehr streng sein müssen bei der Maskenpflicht, denn das ist ja die Voraussetzung, dass wir in den Flugzeugen weiter alle Sitze besetzen können.

Der Verlust von 235  Millionen Euro im 1. Halbjahr ist schmerzhaft. Nennen Sie mir bitte die drei wichtigsten Voraussetzungen, damit die AUA wieder positive Zahlen schreibt.

Wir haben ja einen detaillierten Businessplan, wie wir aus der Krise kommen. Er sieht vor, dass wir spätestens 2022 in den schwarzen Zahlen sind. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass Reisen wieder möglich ist und dass die Passagiere wieder Vertrauen haben. Die hohe Unsicherheit bei den Passagieren führt jetzt dazu, dass sie nur kurzfristig buchen. Und wir müssen die Einsparungen und Krisenbeiträge, die wir in unserem Businessplan unterstellt haben, konsequent umsetzen. Das werden wir auch tun.

So gesehen waren die vergangenen Wochen sehr kontraproduktiv mit täglich neuen Meldungen, was man darf und was nicht.

Absolut!

Sie haben einmal gesagt, es sei die Aufgabe von Managern, Veränderungsbedarf zu erkennen und darauf zu reagieren. Was ist der größte Veränderungsbedarf der AUA?

Wir stellen vieles auf den Prüfstand, denn wir wollen ja aus der Krise nicht so auftauchen wie wir hineingegangen sind. Wir müssen schlanker, schlagkräftiger, flexibler und auch kostengünstiger herauskommen, wir müssen ja einen hohen Kredit zurückzahlen. Durch Themen wie Home Office, die lange Kurzarbeit, die wir haben, und den Riesenschub in der Digitalisierung müssen wir künftig anders zusammenzuarbeiten. Wir wollen moderner und digitaler werden, damit wir in Zukunft flexibel und erfolgreich bestehen können.

Sie wollen, können und müssen jetzt also auch alte Zöpfe abschneiden?

Natürlich darf es in der Krise keine heiligen Kühe geben.

Man sagt Ihnen nach, Sie wollen vieles verändern. Sind Sie beliebt?

Diese Frage müssen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stellen, nicht mir. Beliebtheit ist für mich kein primäres Kriterium, ich glaube aber nicht, dass ich extrem unbeliebt bin im Unternehmen. Tatsache ist, dass das Unternehmen eine emotional schwierige Geschichte hinter sich hat, in vielen Jahren an oder unter der Nulllinie war und von einem Sparprogramm ins andere geschlittert ist. Aus dieser halbdepressiven Situation kommen wir nur heraus, wenn wir stabile positive Zahlen schreiben, wachsen und investieren können. Ich möchte, dass es diesem Unternehmen besser geht als früher und ich habe den großen Ehrgeiz, das hinzubekommen. Wohlwissend, dass viele andere, fähige Vorgänger von mir bisher diese Aufgabe nicht zu Ende bringen konnten. Da sehe ich in der Krise die Chance, dass wir vielleicht beschleunigt und schneller einen Wandel vollziehen können, als das ohne Krise möglich gewesen wäre.

Sie wollen also gemäß einem anderen Motto von Ihnen handeln: Je schwieriger die Situation, desto radikaler müssen die Maßnahmen sein.

Ja, das ist der Situation geschuldet, die wir sonst nicht bewerkstelligen können. Die Pakete, die wir geschnürt haben, mit dem Personal oder dem Flughafen, sind ja radikale Pakete. Das ist in der Lage normal und notwendig.

Das größte Problem der AUA vor der Krise war die Billigflugkonkurrenz, die Ihnen in Wien um die Ohren geflogen ist. Hat sich daran durch Corona irgendetwas geändert?

Sie haben recht, vor Corona war Wien das größte Schlachtfeld der Billigflieger in Europa. Es war in der Tat eine sehr herausfordernde Situation. Ob und wie sich das jetzt ändert, wird sich zeigen. Ich glaube, der Appetit für sinnlose Preiskämpfe und sinnlose Marktanteilsschlachten ist vielleicht dem einen oder anderen vergangen. Und die Lebenserfahrung zeigt, Krisen beschleunigen die Denkprozesse, und es ist in diesem Fall ganz gut, wenn der Denkprozess etwas beschleunigt wurde.

Die Gegenwart zeigt, Level ist weg, Lauda ist in Ryanair aufgegangen, und Wizzair verschleudert mit Rabatten Tickets. Das schaut nicht nach einem beschleunigten Denkprozess aus.

Ich erwarte nicht, dass sich der Wettbewerb verabschieden wird. Es wird natürlich weiter starken Wettbewerb geben. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei uns so aufstellen, dass wir in der Lage sind, einen Billigflugwettbewerb zu überleben. Ob es wieder so dramatisch werden wird wie vor Corona, weiß ich nicht. Jedenfalls müssen wir in der Lage sein, auch damit umzugehen.

Das Verbot der Dumpingpreise haben viele begrüßt, Sie auch. Verbunden mit der Hoffnung, dass es die Billigkonkurrenz trifft. Glauben Sie, dass das Verbot wirklich kommen und rechtlich halten wird?

Es wird herausfordernd, aber das Ministerium ist recht zuversichtlich, einen juristisch gangbaren Weg zu finden. Ist es gut oder schlecht und wie wirkt es sich auf den Wettbewerb aus? Ich weiß es nicht. Eines weiß ich aber: Diese ultrabilligen Tickets für 99 Cent nach Mallorca, für 9,99 Euro nach Paris, sind ökonomisch nicht sinnvoll, weil das Geld ist schon ausgegeben, sobald der Passagier durch die Sicherheitskontrolle gegangen ist, die auch der Billigflieger bezahlen muss. Sie sind aber auch ökologisch sehr fragwürdig, denn damit erzeugt man eine künstliche Nachfrage, und es heizt die Diskussion um das Klima und Fliegen noch einmal an, wenn Flugtickets zu Ramschpreisen verkauft werden. Es schadet nicht, wenn gerade im untersten Preissegment etwas Ruhe einkehrt.

Kann es sein, dass das am Ende nur die AUA einhalten muss und alle anderen darauf pfeifen, weil der Firmensitz im Ausland ist?

Das weiß ich nicht, warten wir einmal ab. Eines weiß ich schon: selbst wenn es angewendet und umgesetzt wird bedeutet das nicht, dass Flugtickets sehr teurer werden. Wir reden ja nur von Summen so um die 40 Euro, das wird nicht dazu führen, dass breite Bevölkerungsschichten vom Fliegen ausgegrenzt werden. Ich denke, der Demokratisierungsprozess in der Fliegerei wird bleiben und das ist gut so.

Bis es wieder besser läuft, wollen sie mit 60 Flugzeugen auskommen, 9 davon Langstreckenflugzeuge. Viele ihrer Flugzeuge sind relativ alt. Wäre nicht gerade jetzt die beste und billigste Gelegenheit, neue Flugzeuge anzuschaffen?

Der Begriff „relativ“ ist sehr wichtig. Nur drei unserer 12 Langstreckenflugzeuge sind 28, 29 Jahre alt.

Die gehen ja weg.

Die gehen weg. Die verbleibenden Flugzeuge sind dann aber relativ jung.

Die sind etwa 20, 21 Jahre alt. Sie haben eine Garantie für Langstrecke abgegeben, die müssen also während dieser Zeit ersetzt werden. Wann wenn nicht jetzt können Sie gebrauchte oder neue Flugzeuge so günstig kaufen?

Das ist richtig, wir waren aber noch nie so nahe an der Insolvenz wie jetzt. Das ist keine Situation, wo man mit vollen Händen auch günstige Flugzeuge kauft. Sollte sich überraschende Möglichkeiten ergeben, würden wir sicherlich darüber nachdenken, aber aktuell haben wir keine konkrete Planung, in ein neues Flugzeugmodell zu investieren.

Sie würden also gerne aber Sie können nicht.

Ja, wollen und können sind im Leben häufig nicht deckungsgleich und das ist auch hier so.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, sagen wir 2025, wie sieht die AUA neu dann aus? Wie viele Mitarbeiter, wie viele Flugzeuge, wie viel Langstrecke?

Unser Businessplan endet 2023, dann werden wir 60 Flugzeuge haben, eine deutlich harmonisierte, kostengünstigere Flotte ohne Propellerflugzeuge, ohne A319. Wir werden dann hoffentlich wieder rentabel sein. Wenn dieser Zustand dann so eingetreten sein sollte, wo ich sehr zuversichtlich bin, und sollte Corona uns keinen Strich durch die Rechnung machen, dann werden wir sehr intensiv darüber nachdenken, wie wir uns weiter erneuern und wieder ins Wachstum kommen. Eine der großen Baustellen ist natürlich die Erneuerung der Langstreckenflotte, und wir brauchen für die Mittelstreckenflotte die neue Generation von Flugzeugen, die weniger Treibstoff verbrauchen. Aber zuerst müssen wir unsere Hausaufgaben machen.

Soll die AUA ein Premiumcarrier bleiben?

Natürlich werden wir immer einen anderen Premiumanspruch haben als die Billigfluglinien. Unsere Flugzeuge haben 180 Sitze, die wir acht Mal am Tag füllen müssen. Das geht nicht nur mit Premiumpassagieren. Wir müssen den Mix ermöglichen und alle Passagierschichten ansprechen. Den Spagat leben Netzwerkfluggesellschaften seit vielen Jahren und den werden wir auch in Zukunft leben.

Sie arbeiten also jetzt daran, dass die AUA in ein paar Jahren nicht nur wieder komplett flügge sind, sondern dass sie auf neuen Beinen steht und wirtschaftlich in die Zukunft schauen kann.

Das muss ja das Ziel sein, alles andere wäre völlig idiotisch! Auch wenn der Weg schwierig sein wird, das Ziel ist ausgesprochen attraktiv. Corona erlaubt es, Dinge radikaler, schneller und effizienter umzusetzen und deswegen bin ich sehr hoffnungsvoll, dass wir das schaffen werden. Ein rentables Unternehmen, das wächst, das investieren kann, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellt, das ist das, was in Wahrheit Spaß macht. Auch als Chef eines Unternehmens macht es keinen Spaß, Sanierungsschritte zu setzen, Mitarbeiter abzubauen, Flugzeuge zu verkaufen. Genau das Gegenteil macht Spaß und dorthin möchte ich auch kommen.

Das war jetzt ein Plädoyer für eine zweite Amtszeit, damit Sie auch die positiven Seiten erleben können.

Ich arbeite sehr gerne bei Austrian Airlines und fühle mich zusammen mit meiner Familie sehr wohl in Wien.

Da spricht der Optimist aus Ihnen.

Optimisten leben länger und deswegen bin ich gerne Optimist.