Akrobatikflug mit Baltic Bees
Warum man im Kampfjet ein Reserve-T-Shirt braucht
Macht es Spaß, mit einem Kampfjet Loopings und Fassrollen zu fliegen? Wir haben es an Bord einer Aero L-39 Albatros getestet.
Die Kirmes ist nicht meine Welt. Wenn sich andere auf die wilden Achterbahnen stürzen und nach turbulenter Fahrt strahlend wieder aussteigen, bleibe ich beim Eingang zurück. Selbst auf dem Kettenkarussell wird mir übel. Und trotzdem wollte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Ein Mal im Leben mit einem Akrobatikpiloten mitfliegen, G-Kräfte spüren, die Wendigkeit des Flugzeuges in der Luft zu erleben, die Welt auf dem Kopf zu sehen.
Ich flog dafür nach Riga. Am Flughafen Jurmala, einem ehemaligen Fliegerhorst der Sowejetarmee rund 60 Kilometer westlich der lettischen Hauptstadt, sind die Baltic Bees beheimatet – eine private Akrobatikstaffel, die mit ihren gelb-blauen Aero L-39 Albatros an Flugschauen weltweit auftritt. Zehn der zweisitzigen, einstrahligen Schulungsjets besitzen sie. Die meisten stammen aus Restbeständen von Armeen ehemaliger Ostblockstaaten.
«Der Rest passiert automatisch»
Ein paar Tage vorher bereitet mich Philipp Schär auf meinen ersten Flug in einem Militärjet vor. «Frühstücke etwas, aber nicht zu viel. Und nimm vor dem Flug ein Medikament gegen Reisekrankheit ein», rät der Chef von Mig Flug, der für Privatpersonen Flüge in Kampfjets organisiert. «Und pack ein Reserve-T-Shirt ein. Du wirst schwitzen». Seine Tipps werden sich später als sehr wertvoll erweisen.
In Jurmala empfängt mich Pilot Alessandro Scorrano. Giovane, den Jungen, nennen sie den Italiener bei den Baltic Bees, weil er am wenigsten lang dabei ist. Er erzählt mir zuerst etwas über die Baltic Bees und führt mich dann zu einem ausrangierten Sitz einer L-39. «Hier, wenn sie begreifen, dass Raketen unter ihrem Sitz angebracht sind, wird es den meisten Passagieren das erste Mal etwas mulmig», sagt er. Er zeigt mir, wie man den Schleudersitz auslöst, falls er im Notfall das Kommando «Eject!» geben würde. «Drücken und ziehen», sagt er mit Blick auf die beiden roten Griffe an der Sitzkante. «Der Rest passiert automatisch.»
Langsam steigt die Nervosität
Rund 3000 Stück Aero L-39 Albatros wurden in der ehemaligen Tschechoslowakei gebaut. Viele der 12,3 Meter langen, einmotorigen Maschinen sind bis heute im Einsatz. Die Militärjets gelten als äußerst agil und robust. Besonders schnell sind sie mit einer maximalen Geschwindigkeit von 700 Kilometern pro Stunde in Bodennähe nicht. Das brauchten sie aber auch nicht zu sein. Meist wurden sie zur Ausbildung von Kampfjetpiloten verwendet, auch wenn sie als leichtes Kampfflugzeug in Bodennähe gebraucht werden können.
Die Baltic Bees bestehen aus sechs Piloten. Ihnen stehen zehn Flugzeuge zur Verfügung. Hinzu kommen eigene Techniker und eigenes Hilfspersonal am Flughafen von Jurmala, das die Aero L-39 Albatros wartet. Sie helfen mir an einem sonnigen Maimorgen, die in den Rumpf eingelassenen Stufen empor ins Cockpit zu klettern . Danach gurten sie mich fest. Der Schleudersitz wird angeschlossen und dann das Kommunikationssystem. Ein letzter Test der Systeme – alles funktioniert. Die Aero L-39 mit dem Kennzeichen YL-KSM ist startklar.
Gigantische Rundumsicht
Alessandro startet das Triebwerk. Schnell merke ich vom Sitz hinter dem Piloten aus, dass er mit irgendetwas nicht zufrieden ist. Gebannt blickt er auf die Temperaturanzeige und schaltet den Motor dann wieder aus. «Wir hatten einen Hot Start», erklärt er. Das ist ein Startvorgang, bei dem die Verbrennung gestartet wird, bevor genug Luft durch das Triebwerk läuft. Die Techniker kommen zum Flugzeug, sie geben Alessandro Anweisungen. Es kann wieder losgehen. Langsam steigt in mir die Nervosität.
Dieses Mal startet das Triebwerk vom Typ Ivchenko-Progress AI-25 ohne Probleme. Alessandro rollt zur Startbahn. Die Sonne blendet ins verglaste Cockpit und zum ersten Mal merke ich, wie wichtig es gewesen wäre, eine Sonnenbrille zu tragen. Dann gibt mein Pilot Schub. Der Wind zieht jetzt durch die Ritzen der Verkleidung. Extrem sanft rollt die Aero L-39 die alten Betonplatten der Piste entlang, wird immer schneller und steigt dann elegant in den lettischen Himmel.
4 g wirken auf meinen Körper
Ich blicke auf die bunten Felder unter mir, den Rigaischen Meerbusen, die kleinen Dörfer. Die Aussicht ist dank der Glaskuppel um mich herum gigantisch und nicht zu vergleichen mit der aus einem Passagierflugzeug. Schon das gibt mir das Gefühl, der ganze Aufwand habe sich gelohnt. Alessandro fliegt für ein paar Minuten ein paar Kurven über und um das Gelände.
Nach rund fünf Minuten Flugzeit gilt es dann Ernst. «Bist Du bereit», funkt Alessandro durch. Ich sage «Ja», ohne genau zu wissen, was mich in den nächsten Sekunden genau erwartet. Mein Pilot setzt zum Looping an. Plötzlich spüre ich, wie mein Gesicht eingedrückt wird. Ich habe das Gefühl, dass mir eine unsichtbare Hand die Haut nach hinten zieht. «Das sind 4 g», sagt Alessandro mit Bezug auf die Kraft, die jetzt wirkt.
Schrittweise um die eigene Achse
Ich brauche eine Weile, bis ich realisiere, dass wir jetzt Kopf stehen. Ich sehe nach oben und sehe das, was eigentlich unten ist. Es ist ein fantastisches Gefühl und mir geht es dabei viel besser als erwartet. Nach weniger als einer Minute ist alles vorbei, wir fliegen wieder so, wie ich es kannte – mit dem Himmel oben und der Erde unten.
Nun will mir Alessandro mehr von seinem Können zeigen. Ich bin bereit dazu, denn die Looping-Erfahrung hat mich geflasht. Es folgen Fassrollen in beide Richtungen. Noch einmal erlebe ich dieses tolle Gefühl, dass die Welt kopf steht. Dann setzt der Pilot zu Vier-Punkt-Rollen an. Dabei dreht er die L-39 jeweils schrittweise 90 Grad um die eigene Achse.
Der Körper rebelliert
Von außen muss das toll aussehen. Als Passagier empfinde ich das als weniger angenehm. Die ruckartigen Stop-and-Go-Bewegungen setzten mir zu. «Ich glaube, ich brauche eine Pause», sage ich übers Kommunikationssystem zu Alessandro. Er bremst sofort ab und fragt, ob ich zurück an die Basis wolle. Ich bejahe. Denn ich merke, wie mein Körper zu rebellieren beginnt. Der Brechreiz meldet sich.
Die Aero L-39 Albatros landet so sanft wieder in Jurmala wie sie abgehoben ist. Ich bin froh, aussteigen und frische Luft schnappen zu können. Mein T-Shirt ist durchgeschwitzt. 20 Minuten lang ist mir danach noch etwas übel, dann habe ich mich erholt. Und die Freude überwiegt, meine Kirmes-Angst überwunden zu haben. Die Wendigkeit des Jets, die Manöver, die gigantische Sicht – es sind Eindrücke, die bleibend sind.
«Weniger extreme Manöver»
«Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Kunden macht sich irgendwann der Magen bemerkbar», sagt Organisator Philipp von Mig Flug. Wichtig sei es, dass man das dem Piloten frühzeitig sage. Gerade Männer täten das oft nicht. Frauen seien da pragmatischer und würden Akrobatikflüge allgemein besser ertragen. Und Pilot Alessandro fügt an: «Das verliert man mit der Zeit». Im Staffelflug seien die Kräfte zudem geringer, die auf den Körper wirkten.
«Wir machen da weniger extreme Manöver», sagt er. Was zählt, ist vor allem die absolute Präzision. Das nächste Mal zeigt Alessandro mit den anderen Piloten der Baltic Bees sein Können Mitte August im schweizerischen Mollis bei einer Flugschau. Auch da können Passagiere mitfliegen. «Ich freue mich darauf. In den Bergen zu fliegen ist wunderschön. Das kennen wir hier in Lettland nicht.»
Im oben stehenden Video sehen Sie, was sich beim Flug alles abspielte.