Letzte Aktualisierung: um 14:09 Uhr

Absturz einer Douglas C-53 in den Alpen

Das Drama am Gauligletscher

Kürzlich gab ein Gletscher in den Alpen das Wrack einer 1946 abgestürzten Douglas C-53 der US Air Force frei. Das ausführliche Protokoll des Absturzes und der Rettung vor 72 Jahren.

Der vorliegende Beitrag berichtet von der Bruchlandung einer amerikanischen Dakota C-53 auf dem Gauligletscher im November 1946. Zur Rettung der Passagiere und der Besatzung, davon acht Prominente der amerikanischen Besatzungstruppen in Österreich, wurde die bis dahin grösste Rettungsaktion in den Alpen ausgelöst. Diese Aktion bildete auch die Geburtsstunde der fliegerischen Gebirgsrettung und war eine Sensation in der internationalen Presse.

Die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten waren in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf einen historischen Tiefpunkt gesunken; die geglückte Rettung der Amerikaner aus Eis und Schnee des Gauligletschers war ein Wendepunkt. Die englischen und amerikanischen Medien hoben mit Erstaunen die uneigennützige Aufopferung der Schweizer zur Bergung von zwölf Amerikanern hervor. Dies führte zu einem Maß an weltweiter Achtung und Sympathie für das Land.

Auf Schweizer Seite standen die Dimension des Unternehmens, das nichtkalkulierbare Risiko des Unbekannten, die Last der Verantwortung für die Bergführer, Ärzte und Piloten und nicht zuletzt die selbstlose Einsatzbereitschaft der Retter im Vordergrund. Außerdem blieb das fast amüsant anmutende Bild einer verzweifelten Großmacht USA haften, dass mit einer US-Rettungsinvasion im Hochgebirge alles machbar sei. Wie es dazu kam, schildert dieser Beitrag.

Der Flug startet

Das abgestürzte Flugzeug war eine Douglas DC-3 Dakota, eine Militärversion der zivilen DC-3, für die Amerikaner eine Dakota C-53. Sie trug die Immatrikulationsnummer Z68846. Die Fluggesellschaft European Air Transport Service betrieb die Maschine mit der Aufgabe, den Zubringerdienst von amerikanischem Militärpersonal zu den verschiedenen europäischen Hauptquartieren sicherzustellen.

Die Maschine startete am Montag, 18. November 1946, in Tulln bei Wien (Niederösterreich), dem Hauptquartier der amerikanischen Besatzungstruppen Süd-Ost. An Bord befanden sich sieben Passagiere und vier Besatzungsmitglieder. Wegen schlechten Wetters wählte man eine Route um die Alpen herum: Die eingereichte und vorgeschriebene Route sah eine Zwischenlandung in München, am folgenden Tag einen Flug via Straßburg nach Dijon, südwärts entlang dem Rhonetal via Lyon und die Landung in Marseille-Istres vor. In Istres befand sich eine britische Luftwaffenbasis, die noch eine bedeutende Rolle spielen sollte. Am Mittwoch, 20. November 1946, sollte der Flug in Pisa (Italien) enden. Der aus Iron Mountain, Michigan USA, stammende George Harvey verpasste am Dienstag, 19. November, in München seinen Flug nach Pisa. Er erfuhr vom bevorstehenden Flug nach Marseille. Im letzten Moment konnte er als achter Passagier in der Dakota C-53 zusteigen.

Eigentlich hätte die Dakota längst weg sein sollen, doch Harvey hatte Glück: Nach dem Start bei strömendem Regen und schlechter Sicht entschloss sich der Pilot zur Rückkehr nach München, um Enteisungsvorrichtungen zu installieren. Endlich, um 13.05 Uhr, startete die Dakota erneut Richtung Marseille. An Bord befanden sich die vier Mitglieder der Besatzung, Captain Ralph H. Tate junior, Pilot, Irving Matthews, Kopilot, Sergeant Lewis Hill, Bordfunker, Sergeant Wayne G. Folsom, Bordmechaniker, und acht Passagiere: Brigadegeneral Loyal M. Haynes mit seiner Frau Lona. Haynes war beruflich nach Pisa beordert worden. Colonel William C. McMahon mit seiner Frau Alice und der 11-jährigen Tochter Alice-Mary. McMahon hatte seine vierjährige Amtszeit als Oberstabschef der amerikanischen Besatzungstruppen in Österreich beendet und wollte nach Pisa fliegen, von wo er mit einem amerikanischen Transport in die Vereinigten Staaten zurückkehren sollte. Alberta Snavely, die Gattin des kommandierenden Generals der amerikanischen Luftstreitkräfte in Wien, und Marguerite Gaylord Tate, Gattin eines amerikanischen Generals und Mutter des Diensttuenden Piloten. Die beiden Damen wollten nach Rom, um etwas Wärme für den bevorstehenden Winter zu tanken. George Harvey, Petrolexperte, ausgebildeter Fallschirmjäger und Angehöriger des amerikanischen Nachrichtendienstes, verpasste seinen regulären Flug und durfte den letzten noch freien Platz des Militärflugzeugs ab München besetzen. Es war üblich, dass bei offiziellen Flügen die freien Plätze an Interessierte vergeben wurden.

Die Unfallursache blieb lange Zeit im Dunkeln. Zunächst stellte sich die Frage, warum der Kommandant den Weg über die Alpen wählte. Offensichtlich wollte er die Flugzeit nach Marseille verkürzen. Der Flugplan sah folgende Route über eine Distanz von 950 Kilometern vor: München – Straßburg–Lyon–Orange–Marseille. Die Ankunft in Marseille war um 16.30 bis 17.00 Uhr vorgesehen. Als Alternative wäre ein 875 Kilometer langer Flug von München über Innsbruck – Brenner – Genua nach Marseille möglich gewesen. Der effektive Flug führte über eine Distanz von 358 Kilometern von München über Innsbruck – Chur zur Unfallstelle Rosenegg. Nach dem Start in München, bei schlechtem Wetter und Windgeschwindigkeiten aus Nordwesten von bis zu 120 Stundenkilometern, entschloss sich Captain Tate, via Innsbruck, Brenner und Genua nach Marseille zu fliegen. Über Innsbruck änderte er erneut seinen Kurs, zog in Richtung Chur, wo er sich aber nach einem Sichtkontakt über seinen Standort im Unklaren war, und vollführte einen Orientierungskreis im Raum Chur – Arosa, wo das Flugzeug von der Bevölkerung gehört wurde. Wieder über Chur, das er nun identifiziert hatte, stieg er auf 3350 Meter über Meer, nahm Kurs auf das Funkfeuer Lyon und steuerte seine Maschine im Instrumentenflug (Blindflug) auf der Linie Chur – Wassen – Berner Oberland volle 25 Minuten lang mitten durch die Alpen.

Auf seinem Blindflug flog ein ganzes Heer von Schutzengeln mit: Die Dakota C-53 passierte Gebirgszüge, deren Spitzen bis 300 Meter höher sind als die gewählte Flughöhe! Das Reusstal wurde bei Wassen gekreuzt. Das Flugzeug geriet in Fallwindzonen, wurde arg geschüttelt, Turbulenzen hoben es 300 Meter bolzengerade hoch, um es im nächsten Augenblick ebenso plötzlich nach unten zu drücken.  Die angeschnallten Passagiere waren verängstigt und begannen sich zu beschweren, vermutlich immer dann, wenn sie unsichtbare Berggrate nur knapp überflogen.  Um 14.25 Uhr kollidierte die Maschine auf einer Höhe von 3350 Metern über Meer und mit einer Reisegeschwindigkeit von 280 Kilometern pro Stunde am steilen Südosthang des Berglistocks mit dem Gletscher und rutschte über Schnee und Eis bergauf. Ein Schneestau vor der rechten Flügelspitze drehte den Koloss nach rechts, und nur dank dieser Wende schlitterte das Flugzeug an zwei riesigen Gletscherspalten vorbei. Die Bremsspur war nur 80 Meter lang. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, flog durch die Kabine. Einzelne Sitze wurden aus der Befestigung gerissen. Sergeant Folsom wurde mit seinem Sitz durch die ganze Kabine nach vorne geschleudert. Er erlitt einen komplizierten Beinbruch über dem rechten Knie. George Harvey und Alberta Snavely blieben als einzige unverletzt.

Captain Tate schlug beim Aufprall mit seinem Kopf auf die Armaturen und trug eine blutende Kopfwunde davon. Im Weiteren gab es ein gebrochenes Nasenbein und Handverletzungen zu beklagen. Der ausgebildete Fallschirmjäger George Harvey deutete die nun plötzlich eingetretene, unheimliche Stille als Geschwindigkeitsverlust und Notfall, klinkte der Frau auf dem Nebensitz geistesgegenwärtig den Fallschirm ein und bugsierte sie aus dem Notausstieg – nur fiel die zum zweiten Mal geschockte Frau nicht ins Leere, sondern in den 150 Zentimeter hohen Tiefschnee. Erst jetzt realisierten die Besatzung im Cockpit und die Passagiere in der Kabine, dass das Flugzeug eine Bodenhavarie erlitten hatte.

Es verging eine gute Stunde, bis sich die arg durcheinander gewirbelten Leute zurechtfanden und ihre Verletzungen notdürftig versorgt waren. Um 15.30 Uhr setzte das Flugzeug mit dem intakt gebliebenen Funkgerät den ersten Notruf ab, welcher von den Flugplätzen Paris-Orly und Marseille-Istres empfangen wurde: «Mayday, Mayday, Mayday, US Z68846 crashed, Position unbekannt, Höhe 10.800 Fuss (3300 Meter über Meer), im Tiefschnee und Nebel. Wir sind vier Besatzungsmitglieder und acht Passagiere, darunter General Haynes und Oberst McMahon. Verletzte an Bord; inform United States Headquarters in Vienna. Mayday, Mayday, Mayday!» Istres fragte nochmals nach der Position, doch da war guter Rat teuer; nach den Instrumenten, der Flugdauer und der Windgeschwindigkeit glau te die Besatzung, dass sie sich in den französischen Alpen befinde, ungefähr 15 Meilen von Grenoble entfernt.

Istres versprach, dass innerhalb einer Stunde eine britische Lancaster starten und für den nächsten Morgen eine Rettungskolonne organisiert werde. Radiogoniometrische Messungen (Peilungen) von Orly und Istres ergaben als Standort der vermissten Dakota das Gebiet von Hochsavoyen und dem Montblanc (Courmayeur, Miage-Gletscher). Auch das Gebiet südlich vom Monte-Rosa-Massiv wurde genannt. Leider herrschte an Falschmeldungen kein Mangel: Vom italienischen Dorf Bardonecchia an der französisch-italienischen Grenze machten sich bereits Rettungspatrouillenauf den Weg. Man wollte sogar Rauchsignale und das gesuchte Flugzeuggesehen haben. In der Nacht vom 19. auf den 20. November setzten die US-Behörden über den Alpen einen ganzen Pulk von Flugzeugen auf die Suche an. Fliegende Festungen (B-17) und Superfestungen (B-29) standen von Wien bis Marseille rund um die Uhr im Einsatz. Die Erfolgsaussichten waren aber äußerst gering; aus einer Höhe von 5000 Metern war es für die Besatzungen sehr schwierig, etwas zu entdecken.

Gegen fünf Uhr begann es einzudunkeln. Wolldecken waren Mangelware. Die Insaßen wickelten sich zur Not in die Fallschirme ein. Im Flugzeugrumpf waren sie vor den eisigen Winden auf dieser Höhe geschützt (die gesprungenen Fensterscheiben wurden mit Segeltuch verschlossen), doch gegen die Kälte waren sie schlecht gerüstet. Das Thermometer zeigte minus 15 Grad Kälte, und lange 14 Stunden dauerte diese erste Nacht.

Kampf ums Überleben

In der Nacht hatte es aufgehört zu schneien, es war klar, und die Sonne schien. Die Besatzung inspizierte die unmittelbare Umgebung der Dakota und stellte die Schleifspuren der glücklichen Landung zwischen den zwei Gletscherspalten fest. Das Flugzeug war ziemlich intakt, beide Flügel unbeschädigt. Die Tanks waren teilweise in den Schnee ausgelaufen, im Rumpfinnern machten sich Benzindämpfe unangenehm bemerkbar. Tate verbot deshalb die Verwendung von Zündhölzern. Die mitgeführten elf Liter Wasser wurden rationiert.Um 8.00 Uhr gelang der Funkkontakt: Man informierte Istres, dass acht Insassen Tragbahrenkandidaten seien. Istres bat, die Flügel vom Schnee zu säubern, ein Signalfeuer anzuzünden, und sicherte sofortige Hilfe per Luft und zu Lande zu. Um 12.00 und 18.00 Uhr bestanden nochmals Kontakte. Nun organisierte man sich, so gut es eben ging.

In einiger Entfernung wurden auf einem Schneehaufen zwei Aluminiumpfannen mit Öl und Flugbenzin gefüllt, das sich noch im rechten Flügel befand, zwei rote Morgenröcke der Damen wurden geopfert und auf die silbernen Flügel gelegt, und es wurde Schnee geschmolzen. Mittags nahm man den Funkkontakt wieder auf: Eine Lancaster werde in zehn Minuten über ihnen kreisen; das Signalfeuer loderte und alle suchten mit gespannter Erwartung den Himmel ab. Nach einer gewissen Zeit begannen sie sich zu wundern, dass weit und breit keine Lancaster über ihnen kreiste; sie spürten zum ersten Mal, dass etwas schief lief und sie falschen Hoffnungen erlegen waren .

Als Radio und Presse am 20. November 1946 die Überfälligkeit der amerikanischen Dakota C-53 meldeten, fand diese erste Vermisstmeldung auch das Interesse von Victor Hug (1907–2001), Chef des Schweizer Militärflugplatzes Meiringen-Unterbach.  Auf dem Flugplatz Meiringen wurden die Dakota-Funksprüche registriert. Die Signale des relativ schwachen Bordfunksenders waren außerordentlich klar und deutlich, was auf die Nähe der Unfallstelle hinwies. Dies machte Hug hellhörig. Er meldete diese wichtige Erkenntnis dem Kommando der Flieger- und Flabtruppen und machte den Vorschlag, für eine Suchaktion könnte die in Meiringen und Interlaken im Taktischen Kurs stehende Fliegerstaffel mit C-36-Flugzeugen eingesetzt werden. Bis am Abend erhielt er keine Antwort. Am nächsten Morgen wiederholte er diese Meldung nochmals. Das Kommando Flugwesen und Fliegerabwehr verwies auf die Auskunft der amerikanischen Leitstelle, wonach die Unfallstelle außerhalb der Schweiz liege und deshalb keine Suchaktion zu unternehmen sei.

Captain Tate vermeinte kurz vor der Bruchlandung auf dem Gauligletscher ein Licht gesehen zu haben. Erfahrene Alpinisten kennen dieses seltsame, aber erklärbare Naturphänomen. Je nach Sichtwinkel spiegelt sich in einer kleinen Gletscherpfütze ein Lichteinfall und erzeugt ein Irrlicht. Tate diskutierte mit Harvey und Matthews seine Beobachtung und Vermutung über eine möglicherweise in der Nähe liegende menschliche Siedlung. Die weiblichen Passagiere machten sich nun ans Werk, aus Fallschirmtauwerk ein starkes Seil zu flechten. Um 14.00 Uhr verliessen Harvey und Matthews den Absturzort Richtung Wetterlimmi-Wetterkessel mit der Angabe, sie nicht zurückzuerwarten, wenn sie bis 17.00 Uhr nicht wieder da sein sollten. Ihr Abstieg war beschwerlich, erfolgte jedoch ohne Zwischenfall bis zu den Schrunden des oberen Rosenlauigletschers. Sie entschieden, diese links zu umgehen, sahen aber bald, dass sie da nicht hinunterkommen würden. Als Matthews dann noch in eine Gletscherspalte einbrach, einigten sie sich darauf, die Aktion abzubrechen. In ihrer Abstiegsspur kehrten die beiden bei Einbruch der Dunkelheit völlig erschöpft und mit gefühllosen Füßen zum Flugzeug zurück.

Um 17.00 Uhr funkte die Dakota: «Kein Flugzeug, keine Rettungsmannschaft, nichts.» Captain Tate fasste nun einen entscheidenden Entschluss; der Bordfunker sollte Kontakt mit Istres aufnehmen und eine trianguläre Standortbestimmung verlangen. Punkt 18.00 Uhr drückte Sergeant Hill während zwei Minuten den Knopf, damit die drei Stationen anpeilen konnten. Diese Peilung ergab den neuen Standort im Dreieck Airolo – Sion – Jungfrau. Die Batterien der Funkanlage waren mit diesem technischen Manöver eschöpft, die übliche Leistungsdauer betrug lediglich 24 Stunden. In Paris-Orly wurde der letzte Funkspruch am Donnerstag, 21. November 1946, um 18.30 Uhr aufgefangen: «Wir halten noch maximal 24 Stunden durch. Verletzte an Bord.»

Ab 19.30 Uhr nahm die Zentralfunkstelle Dübendorf im Auftrag des Eidgenössischen Luftamtes die durchgehende Überwachung der Frequenz 4575 auf. Auf dieser Frequenz sendete die Dakota C-53.Das Kommando der Flieger- und Flabtruppen nahm für Freitag eine Suchaktion mit Flugzeugen in Aussicht. Für einige amerikanische Flugzeuge, die sich aufgrund der Neupeilung im Gebiet der Schweizer Alpen an der Suchaktion beteiligen wollten, wurde in der Nacht die Erlaubnis zum Landen in Dübendorf erteilt. In der Nacht auf Freitag verschlechterte sich das Wetter massiv; ein Schneesturm fegte über den Gauligletscher. Das ganze Flugzeug war wieder schneebedeckt und aus der Luft nicht mehr sichtbar. Auch der Chef des Militärflugplatzes Meiringen erfuhr am frühen Frei-tagmorgen, 22. November, per Telefon vom Flugsicherungsdienst Dübendorf die letzte Peilung. Erneut stellte er den Antrag, die Suche mit der vorhandenen Fliegerstaffel 10 mit C-36-Flugzeugen aufzunehmen.  Er wurde vom Vizedirektor der Militärflugplätze orientiert, dass das Eidgenössische Luftamt und die Abteilung Flugwesen und Fliegerabwehr über die Angelegenheit im Bild seien und alles Notwendige zur Rettung der Verunfallten in die Wege geleitet sei. Die Dienststelle Meiringen habe nichts zu unternehmen.

Die Rettung beginnt

Die amerikanischen Behörden wollten die Suche jetzt auch auf der Alpensüdseite unterstützen. Sie stellten das Gesuch, einen Sonderzug aus Tarvisio (Udine) mit 150 Gebirgsjägern der amerikanischen 88. Division, ausgerüstet mit Ambulanzwagen, Jeeps und Weasels, durch den Simplontunnel in die Schweiz einreisen zu lassen. Ab zehn Uhr herrschte in 5000 Meter Höhe reger Flugverkehr; die Wolkendecke über dem Haslital war aber zu beinahe 85 Prozent geschlossen, und es schneite weiter. Nach der dritten Nacht bei Minustemperaturen von 15 Grad war die Stimmung im Flugzeug auf den Nullpunkt gesunken. Die wenigen Wasserrationen, die fehlende Nahrung und die vorherrschende Kälte ließen die Kräfte schwinden. General Ralph Snavely, dessen Gattin sich an Bord der vermissten Dakota C-53 befand, pilotierte eine B-29/1679 Superfestung auf einem Suchflug in den französischen Alpen und musste erfolglos nach München heimkehren. General Ralph Tate begleitete ihn; seine Frau und sein Sohn (als Pilot) steckten ebenfalls in der auf dem Gletscher liegenden Unglücksmaschine. Gegen122 14.30 Uhr hörten die Insassen der Dakota plötzlich ein Flugzeug. George Harvey stand im Freien Wache und hörte den Motorenlärm ebenfalls, darauf schoß er eine rote Signalrakete ab. Die B-29 sah durch ein sich plötzlich öffnendes Wolkenloch die verunglückte Maschine und antwortete miteiner grünen Rakete. Endlich war die Dakota gefunden!

Captain Tate junior rannte sofort zum Funkgerät, das er für Sekunden reaktivieren konnte. Im Aufruf der B-29 erkannte er die Stimme seines Vaters und rief «Hello Dad»; General Tate antwortete mit «Hello Ralph, how…», dann stieg die Batterie endgültig aus. Die B-29 begann sofort nach der Sichtung des Wracks zu kreisen, um oberhalb der wieder geschlossenen Wolkendecke zu bleiben, und verlangte von Orly, Frankfurt und München Peilungen des inzwischen auf 7000 Meter Höhe gestiegenen Flugzeugs. Daraus ergab sich ein Standort mit der Begrenzung Interlaken – Raron – Gotthard – Meiringen.  Jetzt wurden andere Flugzeuge per Funk herbeigerufen; wenig später erschienen am Himmel eine weitere B-29 und eine Lancaster, welche Pakete abwarfen, die jedoch in allzu großer und gefährlicher Entfernung im tiefen Schnee versanken.E

ine Suchaktion in diesem Gebiet war von Meiringen-Unterbach aus zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da die Wolkendecke im oberen Aaretal von 1500 bis 2000 Metern über Meer geschlossen auflag. Daher wurde ein C-36-Beobachterflugzeug vom Militärflugplatz Sitten eingesetzt. Dem Piloten gelang es, über die Grimsel bis in das Gebiet des unteren Gauligletschers vorzudringen. Er meldete über Funk, dass er ein flugzeugähnliches Gebilde gesichtet habe. Es könne aber auch ein aus dem Schnee ragendes Felsstück gewesen sein, sagte er. In der Folge, es war bereits gegen 16.30 Uhr, startete auch Hauptmann Victor Hug von Meiringen aus mit einer wendigen C-35. Hug gelangte in das Urbachtal und konnte schräg oben die Dakota auf dem Gauligletscher ausmachen und die Koordinaten durchgeben. Um 16.00 Uhr traf der amerikanische Hilfszug aus Italien mit 150 Mann in Brig ein und sorgte dort für Verwirrung. Kaum hielt der Zug an, stiegen die amerikanischen Truppen aus und umstellten und sicherten den Zug mit Maschinenpistolen. Sie verhielten sich wie im Feindesland! Das passte dem Bahnhofvorstand von Brig ganz und gar nicht. Er alarmierte Major Fritz Rothen von der Festungswachtkompanie 11, der Englisch sprach und die wilde Sache in Ordnung bringen konnte. Um 16.25 Uhr wurde der Schweizer Bundespräsident und Vorsteher des Militärdepartementes, Bundesrat Karl Kobelt, orientiert. Gegen 17.00 Uhr verfügte er über die genaueren Positionsangaben der Dakota und ordnete die unverzügliche Aufnahme der Rettungsarbeiten unter der Leitung von Oberstleutnant Hans Bracher, stellvertretender Direktor der eidgenössischen Militärverwaltung, an.

Seit der Entdeckung des Flugzeugwracks waren bereits zweieinhalb 24 Stunden vergangen. Auf dem Militärflugplatz Meiringen ging bis um 17.15 Uhr kein Auftrag für eine Rettungsaktion ein. Mit dem Hinweis auf eine mögliche Alarmierung wurde die Belegschaft nach Hause entlassen Kurz vor 17.30 Uhr alarmierte das EMD Joseph Oberli, den Rettungschef der SAC-Sektion Oberhasli und Zahnarzt in Meiringen, dass ein amerikanisches Militärflugzeug mit Generälen an Bord, total zwölf Insaßen, im Wetterkessel liege.  Der Rettungschef rief sofort seinen Bergführerobmann und um 17.50 Uhr den Militärflugplatz Meiringen-Unterbach an. Zugleich wurde auch die Festungswachtkompanie 16 in Thun alarmiert und ein Detachement von zwölf Funkern angefordert. Oberleutnant Herbert Wanner von der Festungswachtkompanie 16 erhielt den relativ vage formulierten Auftrag, mit sechs Funkpatrouillen nach Rosenlaui zu fahren, um dort eine Relaisstation für die Verbindung zum abgestürzten Flugzeug aufzubauen. Von einer Winterausrüstung und Skis war nicht die Rede. Um 19.30 Uhr besammelten sich auf dem Flugplatz Meiringen-Unter- bach 24 Männer der DMP-Rettungskolonne zur Befehlsausgabe. Hauptmann Victor Hug orientierte über den Auftrag zur Bergung einer elf- bis zwölfköpfigen Besatzung eines im Gebiet Wetterhorn–Wetterkessel abgestürzten Flugzeugs. Er rechne mit einer zwei- bis dreitägigen Aktion und zweimaligem Übernachten in Iglus. Winterausrüstung und Biwakmaterial sowie Skis und Proviant für vier Tage seien mitzunehmen.

Die Medien interessieren sich

Im Weiteren orientierte er, dass er nach Möglichkeit Verpflegung, Sanitätsmaterial, alles schwere Rettungsmaterial sowie Brennmaterial bei der Dakota abwerfen werde. Es erging der Auftrag, in der Nähe der verunglückten Maschine eine Landemöglichkeit für Flugzeuge zu rekognoszieren, damit der Abtransport der Verletzten per Flugzeug erfolgen könne. Gegen 20.45 Uhr standen 24 Mann im Zeughaus Meiringen an, um die Gebirgs- und Rettungsausrüstung zu fassen. Alle, die in dieser Zeit Militärdienst geleistet haben, wissen, was nun folgte: Jeder Haken, jede Wolldecke, jede Taschenlampe, jedes Steigfell wollte kontrolliert, registriert und abgehakt werden. Endlich, um 23.30 Uhr, hatte die umständliche Fasserei ein Ende. Zusammen mit dem SAC-Rettungschef und acht Bergführern fuhren sie in zwei Lastwagen ins Rosenlaui. Man ging davon aus, dass die abgestürzte Dakota zwischen Rosenhorn und Wetterhorn im so genannten Wetterkessel lag. Als einzige Aufstiegsmöglichkeit kam der Winteraufstieg über den Rosenlauigletscher in Frage. Da der Abtransport der zwölf zu bergenden Verunfallten in der Hauptsache über gefährliche Gletscherspalten und sehr steile, verschneite Felswege erolgen musste, rief nach Mitternacht der vom EMD bestimmte Leiter der Rettungsaktion, Oberstleutnant Hans Bracher, den Kommandoposten der Festungswachtkompanie 16 in Thun an und befahl, noch zirka 30 Leute ausgerüstet ins Rosenlaui zu schicken. Der Verbindungsmann zum Eidgenössischen Zeughaus in Meiringen telefonierte in Achtungstellung mit seinem Vorgesetzten und orderte zusätzliche Schneeanzüge ins Rosenlaui.

Kaum war die Dakota auf dem Gauligletscher geortet, verbreiteten Rundfunksender in den USA, England, Italien und Frankreich in stündlichen Sondermeldungen diese sensationelle Neuigkeit. Die Freitagabendnachrichten von Radio Beromünster berichteten: «Das Eidgenössische Luftamt teilt mit: Das seit Dienstag vermisste amerikanische Militärflugzeug vom Typ Dakota C-53 ist heute gegen 16.00 Uhr durch amerikanische und schweizerische Militärflugzeuge aufgefunden worden. Es liegt im Wetterkessel, zirka neun Kilometer östlich Grindelwald am Osthang des Wetterhorns auf 3000 Metern über Meer. Es wurden Lebensmittel abgeworfen. Die Bergung der Besatzung wird durch die Rettungsstation von Meiringen mit Unterstützung des Eidgenössischen Militärdepartementes organisiert.» Diese offizielle Meldung war nun die Initialzündung für die Presse; der Strom der Journalisten, Radio- und Fotoreporter schwoll in den nächsten Stunden mächtig an. Bis an die 150 Medienvertreter aus aller Welt gaben sich in Meiringen ein Stelldichein und warteten ungeduldig auf die nächste Pressekonferenz.

Nach der Schließung der Passstrassen lag das Bergdorf wie immer still und ausgestorben im Winterschlaf. Doch an diesem Freitagabend rückte man plötzlich und unvorbereitet in das Interesse der Weltöffentlichkeit. In den Hotels, die in der toten Saison nicht geschlossen waren, waren die wenigen Zimmer bald ausgebucht. Die Benützung der örtlichen Infrastruktur belebte für kurze Zeit das Geschäft, als Zahlungsmittel wurde der amerikanische Dollar jedenfalls gerne akzeptiert. Der Schlussbericht und Antrag der DMP-Dienststelle Meiringen an die vogesetzte Stelle vom 30. November 1946 hielt fest: «die Anordnungen [im Kommandoposten Rosenlaui] zeugten von wenig Fachkenntnis und Erfahrung und hatten eher eine Desorganisation zur Folge.»  Was waren dieGründe für diese negative Beurteilung? Erstens: Die Kommandostelle unterließ die Ernennung eines Chefs der Rettungskolonne und dessen Vorstellung vor der gesamten Mannschaft. Es lag keine Regelung der Befehlsverhältnisse vor. Dieses Versäumnis sollte sich im späteren Verlauf des Tages rächen. Zweitens: Das Hotel Rosenlaui war, wie alle Jahre, seit Mitte Oktober geschlossen. Lediglich die Stube des Winterknechts, im Nebentrakt des Hotels, wurde als Kommandoposten geöffnet. In der Küche gab es ein Tele- fon, welches laufend von Journalisten und Reportern belagert wurde. Für die bereitstehende Fussmannschaft existierten keine Schlafmöglichkeiten, sie erhielt weder eine warme Suppe noch Tee.  Bracher ließ die Stube, in der sich die Wehrmänner auf dem Boden ausruhten, räumen. Es war unter diesen Umständen nur verständlich, dass sich die Leute aus ihrem Rucksack, mit der gefassten Notportion und dem Tee aus der Feldflasche, bedienten. Drittens war es eine lange Novembernacht und es schneite weiter. Bracher wollte, dass die Rettungskolonne sofort abmarschiere. Der Führer-Obmann erklärte ihm, dass es zu gefährlich sei, nachts den Gletscher unter der Dossenwand zu queren. Der Abmarsch wurde auf 4.00 Uhr fixiert. Viertens lag die vermutete Absturzstelle der Dakota im Wetterkessel. Die Aufstiegsroute, der so genannte Winteraufstieg, war nur über den Abbruch des Rosenlauigletschers möglich. Eine Begehung der Dossenwand wäre wegen akuter Lawinengefahr ein zu großes Risiko gewesen. Im Spätherbst sind die Schneebrücken über die Gletscherspalten in der Regel kaum tragfähig, aber trügerisch frisch verschneit. Deshalb wurde auf die Mitnahme der Skis verzichtet. Auf persönliche Intervention von Feldweibel Hans Hutter, Chef der Rettungskolonne DMP, bei Oberstleutnant Bracher durften sein Stellvertreter Ernst Reiss und dessen Patrouillenkamerad Wilhelm Jost zusätzlich zum Rettungsschlitten (Kanadier), entgegen den Anordnungen, auch noch die Skis mitnehmen. Dieser Entscheid sollte sich später als Glücksfall erweisen. Fünftens befahl Christian Körber, einer der drei aufgebotenen Ärzte, 18 Kanadierschlitten auf die Rettungskolonne aufzuteilen. Zu dem bereits bezogenen Rettungs- und Sanitätsmaterial von mindestens 30 Kilogramm pro Mann kam nun zusätzlich pro Patrouille noch je ein Rettungsschlitten. Diese unrealistisch hohe Anzahl wiederum schien Feldweibel Hutter zu belastend für das Marschtempo. Nach langem Hin und Her und mit dem notwendigen Stichentscheid von Bracher einigte man sich auf zwölf Kanadier; das entsprach der Anzahl der zu rettenden Flugzeuginsaßen.

Endlich hatte das unbequeme Warten ein Ende; am Samstag, 23. No vember, um 4.15 Uhr marschierte die 50 Mann starke Kolonne im Rosenlaui ab. Es schneite immer noch, und der Nebel hing tief ins Tal hinunter. Die neun Bergführer bildeten die Spurequipe. Eine lange Lichterkette zog den verschneiten, kurvigen Fußweg hinauf unter tief verschneiten Tannen hindurch. Gegen 5.30 Uhr machte sich die Skipatrouille der beiden DMP- Leute Reiss und Jost auf den Weg. Die nachträglich aufgebotenen 30 Festungswächter trafen gegen 6.30 Uhr, nach einer nächtlichen Fassungsaktion im Zeughaus Meiringen, im Rosenlaui ein. Die Leute verspürten bereits Hunger. Sofort wurden Patrouillen gebildet. Die drei zurückbehaltenen einheimischen SAC-Alpinisten schauten die alles andere als hochgebirgstüchtigen Festungswächter, ausgerüstet mit einem Skistock, skeptisch an. Einer brachte es auf den Punkt, indem er zum Kollegen aus Innertkirchen meinte: «Wenn das nur gut geht. Die meisten waren sicher noch nie angeseilt, geschweige denn auf einem Gletscher.»

Die Amerikaner kommen

Punkt 7.00 Uhr folgten 33 Mann Nachhut der vorgetretenen Spur. In welchem Maß die amerikanische Armee die Schweizer Alpen und ihre Gefahren unterschätzte, zeigen die folgenden Episoden: Am Samstagmorgen früh traf der aus 18 Wagen bestehende amerikanische Extrazug, von Brig über Interlaken kommend, in Meiringen ein. Die Jeeps, Ambulanzwagen und vor allem die mit einem weißen Tarnanstrich versehenen Raupenfahrzeuge wurden von der Bevölkerung bewundert. 150 hervorragend ausgerüstete Gebirgsjäger begleiteten den Transport; Rückfragen ergaben aber, dass keiner über die notwendige Gletschererfahrung verfügte. Ihr Auftrag lautete, durchs Urbachtal direkt auf den Gauligletscher zu fahren! Nach einem missglückten Versuch, bei dem das eingesetzte Raupenfahrzeug stcken blieb, bliesen die Amerikaner zum Rückzug. Der Kommandant, Leutnant Ronald E. Hicks, wollte aber nicht klein beigeben, gab es doch anhanddes Kartenmaterials noch eine andere «Angriffsmöglichkeit»; eine Anfrage bei den Kraftwerken Oberhasli  in Innertkirchen verschaffte ihm aber die nötige Einsicht.

Die Kraftwerke betrieben auf dem Grimsel-Stausee ein Motorboot, um an den beiden Staumauern oder an der vordersten Gletscherzunge des Unteraargletschers Kontrollarbeiten ausführen zukönnen. Gleichzeitig konnte der lange und beschwerliche Bergweg auf dem Wasserweg umgangen werden. Kurz, die Idee der Amerikaner war, mit Raupenfahrzeug und Jeep beim Gletschertor zu landen, um über den Unteraargletscher via die obere Bächlilücke ins Gauligebiet vorzustoßen! Diese Rettungsaktion im bereits eingewinterten Grimselgebiet überstieg nun ganzklar das einheimische Vorstellungsvermögen. Die Kraftwerke winkten aus verständlichen Gründen ab Ebenfalls negativ war die Reaktion der Schwezer auf den amerikanischen Vorschlag, mit der Jungfraubahn auf das Jungfraujoch hochzufahren, um die Unglücksstelle vom Aletschgebiet her zu erreichen. Das Erstaunen war groß, als man ihnen bedeutete, weder mit dem Jeep noch mit dem Weasel könne über den mit Spalten gespickten Gletscher gefahren werden. Grundsätzlich gebe es nur eines, und das sei zu marschieren, wenn nicht sogar zu klettern. Davon waren die amerikanischen Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten schon weit weniger entzückt.

Von England kommend, landete auf dem Flugplatz Paris-Orly eine Lancaster. Sie schleppte einen Lastensegler der Royal Air Force mit versierter Landungsmannschaft über den Ärmelkanal. Diese Lastensegler hatten anläßlich der ersten Welle der Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 ihre Berühmtheit erlangt. Ziel der Briten war es, den Lastensegler mit einem Bomber bis ins Zielgebiet zu schleppen und ihn über der Unfallstelle auszuklinken, um in der Nähe der verunglückten Dakota zu landen. Die Besatzung blieb in Orly auf Abruf der Amerikaner bereit, sie ließ den Plan wegen des hohen Risikos beim Landemanöver im Bereich von Gletscherspalten fallen. Am Samstagnachmittag landete um 14.00 Uhr ein Dakota-Sanitätsflugzeug aus Turin auf dem Flugplatz Interlaken. Der Pilot stellte sich dem Flugplatzkommandanten vor mit der Frage: «Können Sie mir bitte sagen, warum ich hier bin?» Er hatte gewissenhaft den Befehl ausgeführt, nach Interlaken zu fliegen. 70 amerikanische und fünf italienische Luftlandesoldaten meldeten sich freiwillig bei den amerikanischen Behörden, um über der gestrandeten Dakota abzuspringen. Diese zum Einsatz bereiten Fallschirmjäger sollen ob der Reaktion ziemlich beleidigt gewesen sein, denn die Schweizer gaben klar zu verstehen, sie hätten keine Lust, noch zusätzlich eine Kompanie Versprengte auf dem Gletscher einzusammeln.

Der Fieseler Storch kommt

Bei Tagesanbruch startete auf dem Flugplatz Meiringen-Unterbach Major Pista Hitz (1885–1948) mit dem Fieseler Storch. Der Kommandoposten Rosenlaui meldete, dass auf den Höhen noch Nebel lag. Um 8.10 Uhr warf Hitz bei der Dakota einen 60 Kilogramm schweren Überlebenscontainer mit frischem Brot, einer Zehn-Liter-Wärmeflasche mit angereichertem heißem Tee, Käse, Speck, Kondensmilch, Schokolade und vier Kochapparaten ab. Um 8.20 Uhr warf der zweite Fieseler Storch, pilotiert von Hauptmann Victor Hug, eine Funkstation, die Nachricht, dass die Rettungskolonne unterwegs sei und ungefähr um 14.00 Uhr eintreffen werde, sowie Signaltücher und den entsprechenden Code ab, damit die Dakota-Passagiere mitteilen konnten, was sie benötigten. Das funktionierte. Sie wünschten warme Kleider, Wolldecken, Verbandsmaterial und Medikamente. Auch sei ein Schwerverletzter zu versorgen. Jede Meldung wurde vom Piloten abgelesen, beim Vorbeiflug mit einem Wippen der Flügel quittiert und das Gewünschte per Funk nach Meiringen-Unterbach zur Bereitstellung übermittelt. Inzwischen befand sich die Spitze der Rettungskolonne beim Standort Balm, das heißt beim Einstieg in den Abbruch des Rosenlauigletschers.

Hier seilten sich die Patrouillen an. Die erste Funkverbindung um 7.50 Uhr klappte bestens, es schneite nicht mehr, der Nebel hatte sich inzwischen aufgelöst, und bereits sah man größere Wolkenlücken am Himmel. Die Spurequipe der Bergführer pfadete sich den Weg im 80 Zentimeter tiefen Neuschnee. Schneeverwehungen sorgten dafür, dass man oft bis zur Brust im Schnee versank. Alle fünf Minuten wechselten sich die Führer im Spuren ab. Unter der winterlich verschneiten Dossenwand bestand akute Lawinengefahr. Haushoch türmten sich die Eisblöcke vor den Männern auf. Die Bergführer schlugen mit ihren Pickeln Stufen ins Eis. Ohne die ortskundigen Führer gab es kein Durchkommen, sie allein fanden den richtigen Weg im Gletscherabbruch. Beim ersten Erkundungsflug und Abwurf des Rettungspaketes merkten die Piloten, dass mit dem angegebenen Standort der Unglücksmaschine etwas nicht stimmen konnte. Die Dakota C-53 lag nicht im Wetterkessel, sondern auf dem oberen Teil des Gauligletschers, am südöstlichen Fuß des Berglistocks, auf einer Höhe von rund 3350 Metern über Meer. Um 8.25 Uhr funkte Pilot Hug folgende Meldung an den Militärflugplatz Meiringen: «Die neuen Koordinaten lauten 163 700/657 100, falsch sind 163 700/654 100.»

Diese überraschende Feststellung wurde um 8.38 Uhr der Rettungskolonne übermittelt, doch die Seilschaft des Funkers lag zurück, die einzelnen Abstände zur Spurequipe waren groß geworden. Endlich, um 10.11 Uhr, vernahm auch die Spitze den wahren Absturzort des Flugzeugs. Die Ersten hatten den Ausstieg aus dem Gletscherabbruch hinter sich und standen oben auf dem Plateau des Rosenlauigletschers. Die Bergführer legten die neue Aufstiegsroute vom Wetterkessel, vorbei am Renfenjoch, über die Wetterlimmi, Richtung Rosenegg fest. Das bedeutete, dass die Rettungsmannschaft noch einen Aufstieg von sieben Stunden vor sich hatte. Um 11.00 Uhr wurde nochmals versucht, eine Funkverbindung mit dem Kommandoposten Rosenlaui aufzunehmen, was jedoch infolge der topografischen Verhältnisse nicht mehr gelang. Den jungen Bergführer Franz von Bergen beschäftigte während des Aufstiegs eigentlich nur eines: Wie können wir das Flugzeugwrack auf dem riesigen Gletscherplateau des Wetterkessels finden, wenn es tief verschneit ist, sich eventuell in einem Gletscherspalt verkeilt hat und sich die Passagiere infolge Erschöpfung oder Verletzung nicht mehr bemerkbar machen können? Jetzt, nach Bekanntgabe der neuen Absturzstelle der Dakota, war das für ihn bis auf weiteres kein Thema mehr; nun hatten sich plötzlich die eigenen Bedingungen geändert, und schlagartig wurde er sich der folgenschweren Konsequenzen bewusst: Mit der körperlichen Kondition und dazu auf dieser ungewohnten Höhe stand es bei einem grossen Teil der Rettungsleute nicht zum Besten. Kriegen diese einen mentalen Knacks, wenn man ihnen die Wahrheit sagt und, anstelle der budgetierten neun, dreizehn Stunden in Aussicht stellt? Vorgesehen war die Rückkehr am gleichen Tag. Jetzt war ihm klar, dass ein Biwak auf dem Gletscher unausweichlich würde, doch dafür war man schlicht nicht vorbereitet! Ihm war nicht entgangen, dass die Mannschaft offiziell für einen Tag Verpflegung gefasst hatte und ohne Frühstück auf den körperlich anspruchsvollen Weg geschickt wurde. Nach jeder Geländekammer erschien in Richtung Renfenjoch–Wetterlimmi eine neue Bodenwelle. Der Gletscher nimmt hier kein Ende, und die Strecke schien unendlich lang zu sein. Er verwünschte den Entscheid, aufgrund des heiklen Abstiegs über den Gletscherabbruch gleichentags die Skis nicht mitgenommen zu haben. Der neue Standort wurde vom Kommandoposten Rosenlaui am südöstlichen Fuss des Berglistocks, auf dem oberen Teil des Gauligletschers, angegeben. Wenn man das von Beginn an gewusst hätte, wäre man von der Gaulihütte aus in drei bis vier Stunden vor Ort gewesen. Das gute Wetter schien zu halten. Aber falls in der kommenden Nacht im Notbiwak das Wetter umschlägt, was machen wir Bergführer dann mit den erschöpften Leuten?

Die «Luftinvasion»

Um 9.00 Uhr begann eine «Luftinvasion» durch amerikanische, englische und französische Militärflugzeuge, die aus Höhen bis 4500 Metern über Meer wahllos Material mit und ohne Fallschirm abwarfen. Das Material landete im Umkreis von zwei Kilometern teilweise direkt in den Gletscherspalten und konnte von den Verunfallten gar nicht erreicht werden. Gleichzeitig operierten im darunter liegenden Luftkorridor die Kleinflugzeuge der Schweizer. Mit ihrem «Reihenbombardement» gefährdeten die Alliierten nicht nur ihre eigenen Leute, sondern auch den darunter liegenden Flugverkehr. Als dann ein 60 Kilogramm schwerer Kohlensack direkt auf einem Flügel der Dakota aufschlug, erkannte George Harvey die Gefahr und stampfte die Buchstaben FINI in den Schnee. Um 10.35 Uhr meldete Hauptmann Victor Hug während eines erneuten Versorgungsfluges über der Unfallstelle diese störenden, gefährlichen und uneffektiven Abwürfe per Funk: «Fragen Sie Bracher, ob das Fliegertreffen abgestellt werden kann!» Nach Rücksprache mit dem Kommando der Flieger- und Flabtruppen und mit Kenntnisnahme eines amerikanischen Generals ging die notwendige Funkmeldung gegen Mittag, als faktisches Flugverbot, an die sich im Luftraum Gauligebiet-Wetterhorn aufhaltenden alliierten Flugzeuge.

Ernst Reiss und Wilhelm Jost, die beiden jungen, alpinerprobten Flugplatzangestellten, welche nebst einem Rettungsschlitten als Einzige auch noch die Skis mitgetragen hatten, wurden nun von Feldweibel Hans Hutter, Chef der DMP-Rettungskolonne, als Pfadfinderpatrouille auf ihren Skis in Richtung Wetterlimmi losgeschickt. In forciertem Tempo entschwanden die beiden in der welligen Gletscherlandschaft bald einmal den Blicken der nach- folgenden Fussmannschaft. Die ihnen folgenden Patrouilleure wussten die vorgelegte Skiorientierungsspur zu schätzen; sie waren froh, dass nun ihre Spurarbeit im Neuschnee weniger Kraft kostete. Einige Male wurde die Pfadfinderpatrouille Reiss-Jost von Flugzeugen der Fliegerstaffel 10 in Richtung Zieldestination überflogen. Auch ihr Vorgesetzter vom Militärflugplatz Meiringen-Unterbach, Hauptmann Hug, flog mit dem Fieseler Storch nach vorne, um den beiden den Weg zu weisen. Die beiden Skifahrer erreichten den Grat bei der Rosenegg unterhalb des Rosenhorns. Plötzlich sahen sie die Dakota, welche etwa 150 Meter unter ihnen lag. Reiss ließ erleichtert einen freudigen Jauchzer ertönen, welcher den Flugzeuginsassen die baldige Rettung signalisierte. Mit hochgeworfenen Armen und Hurrarufen stürzten vier Besatzungsmitglieder aus dem Flugzeug. Nach Überquerung eines schneebrettgefährdeten Hangs erreichten Reiss und Jost um 14.21 Uhr die Dakota. Endlich, nach vier schlimmen, ungewissen Tagen in Schnee und Eis, war die Rettung in Sicht! Es folgte eine stürmische Begrüßung, eine Whiskeyflasche machte die Runde, und gefütterte Pelzjacken wurden über ihre Schultern gelegt. Man verständigte sich auf Französisch. General Haynes fragte nach der Nationalität von Reiss und brauchte einige Zeit, bis er begriff, dass das Flugzeug auf einem Gletscher im Berner Oberland lag. Nur eine gute Stunde später traf auch die Spurpatrouille der Bergführer mit den drei Ärzten bei der Dakota ein. Die stundenlange Führungsarbeit für die nachfolgende erste Rettungskolonne zu Fuß hatte ihren Tribut gefordert, und manch einer stieß an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit.

Sofort kümmerten sich die Ärzte um die verletzten Flugzeuginsassen. Die Erleichterung war groß, als nach der medizinischen Erstversorgung keine weiteren Massnahmen bei den Verunglückten notwendig waren. Aber es galt, den schwer verletzten Bordmechaniker Sergeant Wayne G. Folsom, der eine Hirnerschütterung und schwerste Knie- und Oberschenkelbrüche mit beginnendem Wundfieber aufwies, zu behandeln. Die um 7.00 Uhr im Rosenlaui gestartete zweite Rettungskolonne mit den Männern der Festungswachtkompanie 16 befand sich um 13.30 Uhr im Wetterkessel, auf einer Höhe von 2800 Metern über Meer. Einige waren bereits von den Strapazen des Aufstiegs durch den Gletscherabbruch gezeichnet. Sie schwitzten und froren zugleich. Die Schuhe waren bereits durchnässt, ebenso die Socken und Kleider. Ach, hätte man doch nur Reservewäsche mitgenommen! Mit Militärbiskuits stillte man den Hunger. Der verschwitzte Körper verlangte aber Flüssiges, doch die Feldflasche war schon lange leer oder der Inhalt gefroren. Als Ersatz musste eiskalter Schnee herhalten. Um 16.00 Uhr waren die Festungswächter unterhalb des Renfenhorns, in Sichtweite der Wetterlimmi. Es eilte, doch der Leiter des Detachements, Leutnant Walter Roduner, befahl einen Halt. Die Männer waren erschöpft, hatten Hunger und einen unheimlichen Durst. Er befürchtete, dass man die Absturzstelle nicht mehr bei Tageslicht erreichen werde und ein Notbiwak auf dem Gletscher errichten müsse. Zusammen mit einem Korporal stieg Roduner zur Wetterlimmi auf und sah von dort die Dakota.

Noch eine Nacht

Langsam setzte sich die Kolonne wieder in Marsch. Einzelne Patrouilleure waren völlig am Ende und brachten die restliche Strecke auf ihren Knien rutschend hinter sich. Nach 18.00 Uhr trafen die letzten Seilschaften bei der Dakota ein. Es waren kurze Tage und lange, kalte Nächte im November. Die Rettungsleute drängten gegen das Flugzeug. Mit unterschiedlichen Bedingungen bezüglich Last und Kondition, Verpflegungsmöglichkeit, Marschhalt, Weggang im Rosenlaui und mentaler Verfassung hatten die Männer einen Gewaltsmarsch von bis zu 13,5 Stunden, eine Höhendifferenz von 2500 Metern und eine Distanz von zirka neun Kilometern hinter sich gebracht! Die warme Büchsenmahlzeit, welche die Flugzeugbesatzung aus abgeworfenen Konserven gekocht hatte, reichte nur für 30 Personen. Immerhin gab es Tee und unzählige Flaschen mit Cognac und Whiskey, welche wenigstens von innen heraus wärmten. Ein Bergführer hatte die zündende Idee, mit einigen hungrigen Seilschaften die von den Flugzeugen abgeworfenen Pakete nach Essbarem zu durchsuchen, um dieses dann zum Flugzeugwrack zu bringen. Beim Flugzeug erfolgte eine Lagebesprechung zwischen dem Passagier General Haynes, den drei Ärzten, Bergführerobmann Hans Kohler, Oberleutnant Herbert Wanner und dem Chef der DMP-Rettungskolonne, Feldweibel Hans Hutter. Der General und die drei Ärzte drängten, sofort zur nächsten Hütte aufzubrechen; die anderen waren dagegen und verwiesen auf den Erschöpfungsgrad der Retter und die bald einbrechende Nacht. Es wäre unverantwortlich, in mondloser Nacht über den Gauligletscher mit seinen Spalten abzusteigen, meinte der Führerobmann. Widerwillig gab General Haynes sein Einverständnis zu einem nochmaligen Übernachten und zog sich darauf enttäuscht ins Innere des Flugzeugs zurück.

Die Retter hatten noch nie eine solch große Maschine gesehen; sie schien ihnen ideal, um darin zu übernachten. Die Amerikaner wehrten sich dagegen, weil die Gefahr bestand, dass die sich in leichter Schräglage am Hang befindende Maschine abrutschte. So entschieden die Ärzte, dass nur die amerikanischen Insassen, darunter vier Verwundete, im Flugzeug übernachten durften. Die Rettungsmannschaft habe im Biwak zu nächtigen. Nicht alle waren glücklich mit diesem Entscheid. Wenn schon nicht offiziell widersprochen werden durfte, rebellierte umso mehr der geschundene Körper: Vor lauter Durst aßen die Retter unterwegs Schnee, beim Flugzeug angekommen, floss dagegen der Alkohol in Strömen und all das auf einen leeren Magen! Beim Biwakbau und während der ganzen Nacht plagte die Betroffenen starker Durchfall und die Schneelöcher wurden gesuchte Orte. Die Bergführer erkannten die Gefahr und markierten deshalb eine Schneefläche, damit noch genügend sauberer Schnee zum Wasserkochen vorhanden war. Zwischen 16.50 Uhr und 17.10 Uhr überflogen zwei Fieseler Störche die Unglücksstelle und warfen je 60 Wolldecken ab. Bei minus 15 Grad und bissigem Gletscherwind wurde mit Lawinenschaufeln unter dem linken Flügel der Dakota ein Hohlraum für ein Biwak heraus geschaufelt. Auch unter dem Flugzeugheck entstand eine Höhle. Zum Schutz gegen den Schnee wurden Rettungsschlitten davor gestellt und mit Schnee vermauert. Alle waren erschöpft und hatten teilweise so stark den Durst mit Cognac und Whiskey gelöscht, dass es im Kampf um diese 42 Schlafplätze zu verbalen Aggressionen und Handgreiflichkeiten kam. Die beteiligten Leute äußerten das Bedürfnis nach einem einheitlichen Kommando, das heißt einem Chef der Rettungskolonne, der mit Befehlsgewalt für Ordnung sorgte.  Doch jetzt war es zu spät, um dieses Versäumnis zu korrigieren. Der Verantwortliche befand sich zu diesem Zeitpunkt an der abendlichen Pressekonferenz in Meiringen und stand sensationsgierigen Journalisten Rede und Antwort. Damit nicht noch mehr Schaden entstand, ließen die Bergführer die vielen Flaschen im Schnee und in den Gletscherspalten verschwinden. Max Wyss, ein Zeughausarbeiter, wurde höhenkrank und war in ganz schlechter Verfassung. Festungswächter Marcel Etter hatte deutliche Erfrierungserscheinungen an seinen Füßen. Auf Entscheid der Ärzte und nach langem Hin und Her konnten die beiden ebenfalls im Flugzeuginnern schlafen. Vier weitere Leute schliefen im Materialraum der Dakota und zwei nächtigten im Flugzeug-WC. Einige machten im freien Feld Schneelöcher und deckten diese mit Wolldecken zu, so dass beispielsweise vier Männer, Rücken an Rücken stehend, Schutz vor dem Gletscherwind fanden.

In einem Faß brannte die ganze Nacht ein Feuer, und der Mannschaft wurde eingeschärft, wach zu bleiben, um der Erfrierungsgefahr zu entgehen. Die Offiziere der Festungswächter, Feldweibel Hans Hutter und andere Leute der Rettungskolonne kontrollierten im Verlauf der Nacht mehrmals, ob keiner ihrer Kameraden schlief und jeder seine Glieder noch spürte. Hin und wieder stapfte einer zum Feuer und taute seine Schuhe auf.In dieser Nacht wurde in der Montagehalle des Militärflugplatzes Meiringen-Unterbach am Fieseler Storch A-97 der Motor ausgewechselt und der zweite Storch für eine Gletscherlandung umgerüstet. Die Rettung erfolgt in zwei PhasenDer Abmarsch der Rettungsmannschaft wurde auf Sonntag, 24. Novem- ber 1946, um 8.00 Uhr festgelegt. Die gut ausgerüsteten Kollegen vom Zeughaus und vom Flugplatz Meiringen bereiteten auf Kochern warmen Tee. Bereits um 6.50 Uhr machte sich die Skipatrouille Reiss-Jost Richtung Gaulihütte–Urbachtal auf den Weg. Da immer noch keine Funkverbindung zur Rettungskolonne bestand, startete Hauptmann Hug um 6.45 Uhr auf dem Flugplatz Meiringen zu einem Erkundungsflug über die Unfallstelle. Um 7.10 Uhr warf er eine Meldetasche mit folgender Depesche ab: «Beabsichtige Landung auf dem obersten Gletscherplateau zwecks Abtransport der Verunfallten mit Flugzeug.» Hans Hutter, Chef der DMP-Rettungskolonne, signalisierte dem Fieseler Storch: «Keine Funkstation abwerfen; Kolonne marschbereit zum Abtransport über Gauligletscher ins Urbachtal. Keine Toten, alle Verletzten transportfähig; Landung mit Fieseler Storch unmöglich.» Das Wetter war klar, die Wetteraussichten weniger: Auf 3000 Metern 138 über Meer wehte an diesem Sonntag ein starker Südwestwind. Im Haslital pflegt man bei dieser Föhnlage zu sagen, der älteste Hasler sorge für schönes Wetter, aber auch für Kopfweh.

Befehl: Dakota muss zerstört werden!

Die Ärzte versorgten die Verwundeten noch einmal und machten dem Piloten Tate einen neuen Kopfverband für den Transport. Sieben Amerikaner, darunter die drei Frauen, und der Festungswächter Marcel Etter, welcher erfrorene Füße hatte, wurden auf Kanadiern festgebunden. Acht angeseilte Schweizer begleiteten jeden einzelnen Schlitten. Franz von Bergen, Alpinist Emil Barben und zwei Dreierpatrouillen gingen voraus und legten die Spur für die nachfolgende Kolonne mit den Rettungsschlitten. Andreas Abplanalp, Arzt in Meiringen, sprach ausgezeichnet Englisch. Bei Meinungsverschiedenheiten über die weiteren Massnahmen auf der Unfallstelle schätzten die Parteien seine Dienste als Dolmetscher. Plötzlich hörte er General Haynes der Flugzeugbesatzung befehlen, die Dakota in Brand zu setzen, die Selbstzerstörungsfackeln zu aktivieren sowie die Instrumente zu zerstören. Schon schlugen im Cockpit der Pilot und der Bordfunker mit einem Beil auf die Anlagen ein. Leutnant Roduner und Feldweibel Hutter machten diesem Tun ein rasches Ende. Der Arzt erklärte dem erstaunten General Haynes, dass dieses Flugzeug von der Schweizer Armee konfisziert sei und er den Zerstörungsbefehl korrekt widerrufen solle. Er gehorchte und ließ sich ebenfalls auf dem Rettungsschlitten festschnallen. Der rabiate Bordfunker wurde zwischen zwei kräftigen Festungswächtern angeseilt. Dann begann der Abmarsch unter der Leitung der Hasli-Bergführer. Um 8.20 Uhr verließ die letzte Patrouille das Wrack und schloss sich dem langen Tross an. Die Kanadierschlitten sanken tief im Schnee ein und mussten auch hangabwärts mit grossem Kraftaufwand gezogen werden. Nach zwei Stunden Marsch Richtung Gaulihütte befand sich die Kolonne auf dem flachen Gletscherplateau.

Die beiden Piloten Pista Hitz und Victor Hug trafen sich um 8.00 Uhr, nach der Rückkehr des Letzteren vom Erkundungsflug von Sonntagmorgen früh, auf dem Militärflugplatz Meiringen-Unterbach. Zweck dieser Besprechung war eine Lagebeurteilung, Beschlussfassung und das Briefing zum Ablauf der Rettungsflüge. Eine realistische Beurteilung der Lage war trotz fehlender Funkverbindung durchaus möglich. Dank ständiger Luftüberwachung und Beobachtung wussten die Piloten, wie es um die Moral und den Leistungszustand der Rettungsmannschaft stand. Mindestens weitere 36 Stunden würde der Abtransport der verunfallten Amerikaner auf Kanadierschlitten im Tiefschnee über den langgestreckten Gauligletscher und lawinengefährdete Hänge ins Urbachtal hinunter dauern. Die Fieseler-Piloten waren ebenfalls in der Lage, die physische und psychische Verfassung der Verunfallten nach fünf Tagen und Nächten richtig einzuschätzen. Hinzu kam die Wettervoraussage, die eine unstabile Situation mit eventuell erneuten Schneefällen im Gebirge prognostizierte. Mit dem Erfahrungsschatz und dem technischen Rüstzeug von bisher über 200 Gebirgslandungen und unter Berücksichtigung der Lagebeurteilung entschlossen sich beide Piloten, die Bergung der Verunfallten auf dem Luftweg, möglichst nah bei der Unfallstelle, durchzuführen. Hauptmann Hug hatte auf seinem Frühflug den möglichen Landeplatz auf dem flachen Gletscherplateau auf 2800 Metern über Meer bereits rekognosziert; somit war der eigentliche Landeablauf gegeben: Als Erster würde Hauptmann Hug landen, mit Verzögerung und unter Beobachtung des ersten Landemanövers würde Major Hitz nachfolgen. Sie sprachen ihr Verhalten bei eventuellen besonderen Vorkommnissen vertraulich miteinander ab.

Die gute Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauen zwischen den Fieseler-Piloten und dem Chef der Rettungskolonne DMP, Feldweibel Hans Hutter, kam nicht von ungefähr: Hutter war zu jener Zeit Leiter des Schießplatz-Detachements Ebenfluh-Axalp. Victor Hug stellte 1986 fest: «Das technische Rüstzeug und die Erfahrungen von über 200 Gebirgslandungen bildeten die Basis, als ich mich zum Einsatz der Flugzeuge auf dem Gauligletscher entschloss. Es war kein tollkühnes Husarenstück, sondern ein gut fundiertes und wohl überlegtes Unternehmen.»57Das Gros der Rettungsmannschaft befand sich bereits auf der obersten Stufe der Gletscherzunge, als plötzlich zwei Fieseler Störche auftauchten und erneut eine Meldetasche bei den hintersten Leuten der Kolonne abwarfen. Feldweibel Hutter, welcher am Schluss ging, fand darin die Nachricht, dass die Flugzeuge landen würden. Er hegte grösste Bedenken, doch er kannte seinen Chef allzu gut; nachdem die DMP-Leute mit Pickeln und Skistöcken das Gelände grob auf Gletscherspalten sondiert hatten, stellten sie den Piloten mit einem Skistock und einem gelben Tuch eine Signalfahne, mit welcher sie die Windrichtung anzeigten und gleichzeitig das Zeichen zur Landung gaben.Um 10.25 Uhr landete Hauptmann Victor Hug mit seinem Fieseler Storch auf einer Höhe von 2850 Metern über Meer, 500 Meter unterhalb der Dakota-Unfallstelle, 30 Meter neben der bis dorthin abgestiegenen Rettungskolonne. Drei Minuten später, nach Beobachtung des Landeablaufes, folgte Major Pista Hitz mit seiner Maschine und landete zehn Meter neben dem ersten Flugzeug. An Bord befand sich ein Passagier: der amerikanische General Ralph Snavely, Kommandant der US Air-Force Südost in Wien, dessen Frau sich unter den Passagieren des verunfallten Flugzeugs befand. Vor dem Start in Unterbach wandte sich der General mit folgenden Worten an den Piloten: «Ich komme nur mit, wenn nicht gelandet wird!» Major Hitz schwieg und General Snavely stieg ein. Die Männer der Rettungskolonne und die Amerikaner trauten ihren Augen nicht und staunten über das Wunder dieser perfekten Landung.

Das hatten sie nicht erwartet. Die Begeisterung der Amerikaner über die Rettungsideen der Schweizer hielt sich in Grenzen. Nach einer kurzen Begrüßung der Verletzten bestimmte Victor Hug, als Chef des Militärflugplatzes Meiringen, Feldweibel Hans Hutter zum verantwortlichen Platzkommandanten. Die sich bereits im unteren Teil der Gletscherzunge befindenden Patrouillen wurden mit den Rettungsschlitten zum improvisierten Landeplatz zurückgerufen. Zwar wurde auf dem etwa 90 Minuten dauernden Rückweg heftig geflucht, doch die Aussicht, bald vom kräftezehrenden Transport der Verunfallten entbunden zu sein, bildete einen Lichtblick für die ganze Rettungskolonne. Zwei Seilschaften rekognoszierten die vorgesehene Startlinie auf Schneeverwehungen und Gletscherspalten. Die beiden Flugzeuge wurden in die Startrichtung gedreht und der zuerst startende Fieseler Storch mit Hilfsskis ausgerüstet. General Haynes und Festungswächter Etter mit erfrorenen Füßen befanden sich auf ihren Kanadiern bereits in der Nähe des Flugzeugsund wurden an Bord gebracht. Um 11.25 Uhr startete Pilot Hug mit den zwei Passagieren. Trotz Tiefschnee gewann der Fieseler Storch schnell an Fahrt und hob bereits nach ungefähr 120 Metern ab. Noch in Bodennähe klinkte der Pilot die montierten Hilfsskis aus, damit diese auf den Gletscher fielen. Der Fieseler Storch landete zwölf Minuten später auf seiner Basis Meiringen-Unterbach. Sofort montierte das DMP-Fachpersonal die Hilfsskis unter die Kufen des zweiten Flugzeugs.

Start vom improvisierten Gletscherflugplatz

Der schwer verletzte Sergeant Folsom, mit diversen notdürftig geschienten Frakturen, beanspruchte den engen Passagierraum für sich allein. Bereits um 11.56 Uhr erfolgte der zweite Start vom improvisierten Gletscherflugplatz zurück in die Zivilisation.Beim nächsten Flug wurden nebst Tee auch frisches Brot und Käse mit- gebracht; es herrschte sonniges Wetter und auf dem improvisierten Gletscherflugplatz besserte sich die Stimmung. Der Weg zurück war den Passagieren nach fünf Tagen gesichert. Während der Wartezeiten zwischen den Flügen sangen und jodelten sogar die Retter. Die auf den Bergungsflug wartenden Amerikaner waren von den Schweizer Rettungsleuten begeistert und verteilten Kaugummi, Schokolade und Zigaretten.60Um die Mittagszeit fuhr auf dem Bahnhof Interlaken-Ost ein vollständig ausgerüsteter amerikanischer Lazarettzug ein, der vom amerikanischen Hauptquartier in Wien über Innsbruck – München – Stuttgart – Basel angereist war. Die Zugskomposition bestand aus einer Lokomotive und zwei mit dem Zeichen des Roten Kreuzes versehenen Wagen. Die Schmalspur der Brüniglinie erlaubte keine Weiterfahrt nach Meiringen, somit verblieb dieser Sanitätszug bis Sonntagabend in Interlaken-Ost. Mit acht Bergungsflügen holten die Piloten Hug und Hitz die Amerikaner am Sonntagnachmittag vom Gauligletscher. Für einige der geretteten Passagiere und der Besatzung wurde es höchste Zeit, sich in ärztliche Obhut zu begeben. Die amerikanischen Ärzte attestierten bei ihrer Rückkehr eine beginnende und eine fortgeschrittene Lungenentzündung mit hohem Fieber, diverse Frakturen mit Wundfieber und Herzinsuffizienz mit kollapsähnlichen Anfällen. Mit dem neunten und letzten Flug um 17.05 Uhr holte Major Hitz auch noch das persönliche Gepäck der verunglückten Amerikaner ab, das sich auf einem Rettungsschlitten auf dem inzwischen menschenleeren Gletscherplateau befand. Als Dank für seine geleisteten wertvollen Dienste durfte bei einbrechender Dunkelheit Feldweibel Hutter im Fond des Fieseler Storchs Platz nehmen. Im Verlauf des Vormittags war man sich auch auf dem Kommandoposten Rosenlaui im Klaren, dass sich die Aktivitäten der Rettungskolonne in Richtung Gaulihütte – Urbachtal verlagerten. Um 11.30 Uhr, kurz vor der Abfahrt des Camions in Meiringen, erlangte Hauptmann Robert Schiess die Gewissheit, dass die Flugzeuginsassen der Dakota wenn immer möglich mit dem Fieseler Storch nach Unterbach überführt werden sollten, dass aber die Rettungsmannschaft in Richtung Gaulihütte unterwegs war.

Um 12.00 Uhr fand auf dem Militärflugplatz Meiringen-Unterbach eine Befehls- ausgabe an alle eingesetzten Kommandostellen durch den Leiter der Ret- tungsaktion, Oberstleutnant Hans Bracher, statt. Da es zu diesem Zeitpunkt unsicher war, wie viele der Dakota-Insassen mit dem Storch überführt werden konnten, verlegte man den Kommandoposten in die Rohrmatte im Urbachtal. Seit dem Samstagabend befand sich die von der Festungswachtkompanie 16 und dem Eidgenössischen Zeughaus zusätzlich mobilisierte zweite Rettungskolonne in Pikettstellung. Die Equipe von 30 Mann setzte sich aus einer Hilfsmannschaft mit Tragbahren, einer Funkerequipe, einem Bergführer und einem Wildhüter aus Innertkirchen zusammen. Robert Schiess bot um 9.15 Uhr diese Pikettmannschaft auf und führte die Leute um 12.40 Uhr mit Camions ins Urbachtal. Kaum angekommen, erschien um 13.40 Uhr die Pfadfinderpatrouille Reiss-Jost auf dem Kommandoposten. Sie hatten, nach einer kurzen Rast in der menschenleeren Gaulihütte, sogleich den Abstieg ins Urbachtal in Angriff genommen. Dort kamen ihnen Journalisten entgegen, welche schon von weitem mit blauen Scheinen winkten und ihnen die exklusiven Fotos abkaufen wollten.Nach einer kurzen Orientierung setzte Schiess die zwei ersten der Rettungskolonne, die das Tal erreichten, in einen Jeep und liess sie unverzüglich nach Unterbach führen. Schiess erliess aufgrund dieser aktuellen Information folgenden Befehl: «Die bereitstehende Kolonne steigt den absteigenden Seilschaften der Rettungsmannschaft zwecks Hilfeleistung für den Abtransport entgegen.»64 Kurz nach 16.00 Uhr trafen oberhalb der Schrättern die ersten Detachemente der erschöpften Rettungskräfte auf die ausgeruhten Kameraden.Die in Meiringen bisher zur Untätigkeit verurteilten 150 amerikanischen Gebirgsjäger wurden am Mittag ebenfalls informiert; mit ihren Fahrzeugen dislozierten sie ins Urbachtal.

Am Lagerfeuer wurden heiße Getränke und warme Mahlzeiten für den Empfang vorbereitet. Selbstverständlich erklärten sich die US-Transporttruppen bereit, die Schweizer Retter mit amerikanischen Lastwagen und Snow-Cats vom Urbachtal nach Meiringen zu fahren. Endlich gab man den Amerikanern eine Chance, auch etwas zur Rettungsaktion beitragen zu dürfen. Die augenfällige Verlagerung der Truppen entging den wartenden Fotografen und Journalisten nicht. Zahlreiche Medienvertreter wählten als neuen Ort des Geschehens das Urbachtal, die Glücklicheren setzten auf den Militärflugplatz Unterbach, wo sie an diesem Sonntagnachmittag die sensationellen Bilder der ersten fliegerischen Hochgebirgsrettung schießen, kommentieren und weltweit übermitteln konnten. Der Andrang der Zeitungsleute war so groß, dass es auf dem Flugplatz eine Absperrung brauchte. Fragen waren keine erlaubt und die Verwundeten wie auch die unversehrten Passagiere der Dakota wurden in amerikanischen Sanitätsfahrzeugen unverzüglich zum wartenden US-Spitalzug nach Interlaken-Ost gefahren.B undespräsident Karl Kobelt überflog am Nachmittag die Unglücksstelle und begrüßte anschließend die Insassen der verunglückten Dakota C-53. Zum Empfang hatten sich nebst General Tate auch General Barnwell R. Legge, Militärattaché der amerikanischen Botschaft in Bern, sowie weitere hohe Offiziere der USA eingefunden. Nach seinem Rückflug vom Gauligletscher war General Snavely des Lobes voll: «Wir Amerikaner haben von den Schweizern viel gesehen und gelernt; solche Leistungen vollbringen nur Schweizer.» Die beiden Piloten Pista Hitz und Victor Hug wurden von der internationalen Presse und den verschiedenen Filmwochenschauen als Helden gefeiert.  Dass sie immer wieder auf die 80 Mann der Rettungskolonne hinwiesen, welche mit ihrem Einsatz diese Rettung erst ermöglichten, wurde meist überhört.

Feuchtfröhlicher Abschluss und Bergungsarbeiten

Bereits am Abend verliess der amerikanische Sanitätszug mit den Geretteten die Schweiz in Basel Richtung München – Stuttgart – Wien.  Der Leiter der Rettungsaktion, Oberstleutnant Hans Bracher, stoppte die US-Transporttruppe in Meiringen und lud sie zum Essen und Trinken ins Hotel Kreuz ein. Amerikanische Gebirgsjäger, Schweizer Festungswächter, Zeughauspersonal, Alpinisten, Bergführer und Journalisten feierten gemeinsam und feuchtfröhlich den Abschluss einer denkwürdigen und überaus glücklich verlaufenen Rettungsaktion. An diesem Schlussakt konnten nicht alle Retter teilnehmen. Über die in der Gaulihütte neu erstellte Funkverbindung wurde am Nachmittag ein Befehl übermittelt, die restlichen 20 Mann der DMP-Rettungskolonne, drei Mann des Zeughauses Meiringen und die zwei jüngsten Führer müssten in der Gaulihütte übernachten, um die Bergung des auf dem Gletscher zurückgelassenen schweren Rettungsmaterials am folgenden Tag sicherzustellen.Das Bergungsdetachement stieg am Montag, 25. November, nochmals auf den Gauligletscher hoch. Offiziell besorgte es den Abtransport des beim Wrack der Dakota C-53 und auf dem Gletscherlandeplatz zurückgelassenen schweren Rettungsmaterials, inoffiziell aber vermutete die Militärbehörde Brisanteres: Nach dem unerwarteten Zerstörungsangriff der Amerikaner auf das Cockpit der Dakota zu schließen, war diese möglicherweise mit einem hochgeheimen Instrument, zum Beispiel Radar, ausgerüstet.

Die Flugzeugmechaniker wurden bei ihrer Suche jedoch enttäuscht. Die Hilfsmannschaft machte das Flugzeug nun wintersicher. Die beiden jungen Bergführer nutzten diese Zeit, um rund um das Flugzeug in einer wahren Fundgrube von abgeworfenen Gegenständen zu wühlen. So packten sie Werkzeuge, Fliegerkombijacken und Konserven in einen grossen Weidenkorb, den sie auf einem Rettungsschlitten zu Tal schleppten. Lediglich drei Transportflüge schaffte anschließend Hauptmann Victor Hug mit dem Fieseler Storch. Mit dem schon am Vortag erwarteten Föhnzusammenbruch kündigte sich nun ein definitiver Wetterumsturz an. Das Hilfsdetachement deponierte die verbleibenden Gerätschaften sturm- und wintersicher und stieg nach einer weiteren Nacht in der Gaulihütte am Dienstag, 26. November, vollständig durchnässt und mit mehrstündiger Verspätung ins Urbachtal ab. 16 Stunden nach der Bergung des letzten Besatzungsmitglieds der Daota begann ein ausgiebiger, drei Tage dauernder Schneefall. Eine Flugaufnahme vier Tage nach der Rettung bestätigte den Wintereinbruch; vom Flugzeug war weit und breit nichts mehr zu sehen. Man kann sich etwa vorstellen, was diese Wetterverhältnisse für die Passagiere und die Rettungsmannschaft bedeutet hätten.

Die Bildreportagen über die geglückte Rettungsaktion fanden ein weltweites Echo. In einem Leserbrief in der amerikanischen Ausgabe der Zeitschrift Life vom Dezember 1946 erregte sich ein Linien- und ehemaliger Bomberpilot über die Verletzung des schweizerischen Luftraumes durch die amerikanische Dakota, indem er an sein Überflugverbot für fliegende Festungen während des Krieges erinnerte. Ausserdem kritisierte er die verschwenderische Vergnügungsreise der Generalsgattinnen nach Italien Am 10. Dezember 1946 überwies der US-Generalkonsul in Zürich 500 Franken an das EMD mit der Bitte, diese Spende als Dank der amerikanischen Kolonie in Zürich an die beteiligten Mannschaften weiterzuleiten. An seiner Sitzung vom 26. November 1946 hatte der Bundesrat nicht nur beschlossen, den Rettungskräften seinen Dank für ihre Aufopferung auszusprechen, sondern auch für die Kosten der Rettungsaktion in der Höhe von 23.377 Franken aufzukommen. Die Amerikaner übernahmen alle Kosten für die Aufwendungen, die ihnen selbst zu Lasten fielen, wie Transport, Verpflegung und Unterkunft ihrer Truppenteile, sowie die Kosten für alles auf dem Gletscher abgeworfene und dabei verlorene Material.

Einladung nach Wien

In der zweiten Dezemberhälfte 1946 verfügte das EMD, dass das Flugzeug und sämtliches abgeworfenes Material in Gewahrsam genommen wurde. Damit wollte man einem winterlichen Plünderungsmarsch auf den Gauligletscher zuvorkommen. Auf Einladung von General Mark W. Clark flogen die beiden Schweizer Piloten Hug und Hitz am 2. Dezember 1946 für eine Woche nach Wien. Diese hohe Ehrung und Anerkennung nahmen sie jedoch nur als Vertreter aller an der Rettungsaktion Beteiligten entgegen. Nach dem Flug mit einer amerikanischen Beechcraft über München nach Wien wurden die beiden im Hotel Bristol von den aufgrund von Pressemitteilungen herbeigeströmten Schaulustigen und Journalisten überrannt. Im Rundfunkhaus mussten sie nochmals detailliert über die ganze Rettungsaktion berichten. Abends waren sie bei Brigadegeneral Ralph Tate zu Gast, wo sie mit den beinahe vollzählig erschienenen Geretteten nochmals zusammentrafen. Abwesend waren Oberst McMahon, der seine schwere Lungenentzündung auskurieren musste, sowie Sergeant Folsom, der sich bereits in einer Spezialklinik für Beinamputationen in den USA befand. Am 3. Dezember 1946 fand der Empfang der Piloten im Arbeitszimmer von General Mark W. Clark statt. Dieser betonte, die Schweiz habe durch diese mustergültig durchgeführte Aktion einmal mehr den Beweis ihrer ständigen Einsatzbereitschaft erbracht. Die Schweizer Regierung habe in großzügiger und unkomplizierter Weise die Einreise von amerikanischen Truppen und Flugzeugen bewilligt. Das Schweizervolk sei mit seiner Gesinnung und Leistung erneut Gegenstand der Hochachtung, Bewunderung und des Vertrauens der ganzen Welt und im Besonderen der Vereinigten Staaten von Amerika geworden.71Während des Empfangs der Schweizer im amerikanischen Hauptquartier in Wien äußerte sich Marguerite Gaylord Tate zu den von ihr in vorbildlicher Weise überstandenen Strapazen auf dem Gauligletscher. Nie habe sie daran gezweifelt, von den tapferen Schweizern gerettet zu werden, schließlich kenne sie ja die Geschichte vom Mönch und dem Bernhardiner mit dem Schnapsfässchen, der die Erfrierenden gerettet habe!

In einem persönlichen Schreiben an Bundespräsident Kobelt vom 11. März 1947 ging Clark in die diplomatische Offensive: «Ich habe die Ehre, der Schweiz. Eidgenossenschaft im Auftrage der Regierung der Vereinigten Staaten das Flugzeug Dakota C-53, welches am 19. November 1946 auf dem Gauligletscher in der Schweiz notlandete, als Geschenk anzubieten.» Vom 29. Mai bis 3. Juni 1947, nach einer längeren Schönwetterperiode, begann die Aktion zur Entsorgung des Flugzeugwracks, zur Bergung von noch verwendbaren Flugzeugbestandteilen wie Triebwerken, automatischer Steuerung (Autopilot), Funk- und Navigationsgeräten, Bordinstrumenten, Hydraulik sowie zum Entleeren der Treibstofftanks. Wiederum erwies sich der Fieseler Storch in total 23 Einsätzen als wertvolles Transportmittel. Im Lauf der Jahre verschwand das Flugzeugwrack im Gletscher, der es aber sicher eines Tages beim Gletschertor wieder freigeben wird. Der Pilot der Dakota C-53, Ralph H. Tate, wurde in der Folge wegen Verletzung der Flugdienstvorschriften von einem amerikanischen Militärgericht zu einer Strafe verurteilt. Navigatorisch verflogen im eigentlichen Sinne hatte er sich zwar nicht, aber er machte sich schuldig, den vorgeschriebenen und eingereichten Flugweg nicht eingehalten und die mehrfarbige Höhenkarte falsch interpretiert zu haben. Zum Überfliegen der Alpen wären mindestens 5000 Meter über Meer nötig gewesen, 3300 Meter hatte er in Tat und Wahrheit gewählt. Tate wurde nicht General wie sein Vater, aber doch noch Major des US Military Air Transport Staff.

Geburtsstunde der schweizerischen Alpinrettung aus der Luft

Der reibungslose Betrieb der Bergungsflüge Meiringen–Gauligletscher und zurück zeigte die Möglichkeit auf, geeignete und richtig ausgerüstete Flugzeuge im alpinen Rettungsdienst einzusetzen. 1947 reichte Hauptmann Victor Hug nebst seinem Schlussbericht über die Bergungsaktion auch einen «Antrag auf Realisierung einer Flieger-Einsatzstelle für den alpinen Rettungsdienst» ein. Er verwies auf die Infrastruktur der Schweizer Flugwaffe, die zu dieser Zeit als einzige über die erforderlichen Organe, Mittel und hohe Einsatzbereitschaft verfügte. Im Gegensatz zum Ausland schenkten die schweizerischen zivilen Bergrettungsorgane den eröffneten Perspektiven keine Beachtung. Die Schweizer Elektrizitäts- und Bauunternehmen erkannten jedoch die Möglichkeit, auf dem Luftweg die medizinische Versorgung des Personals sicherzustellen, das auf Baustellen im Hochgebirge tätig war, die im Winter zeitweise unzugänglich waren. Für diese militärischen Flugdienste brauchte es eine Bewilligung des EMD. Verschiedene Firmen schloßen mit dem Militärdepartement entsprechende Verträge ab: die Kraftwerke Oberhasli im Winter 1948/49 für die Baustellen Handeck II und Staumauer Gauli-Mattenalp, die Schweizerischen Bundesbahnen im Winter 1949/50 für ihr Kraftwerk Barberin sowie die Baufirma Losinger in Sion in den Wintern 1950–1952 für die Baustellen Grande Dixence, Arolla und Chaillon. Die Ressourcen für solche Dienstleistungen mit militärischen Mitteln waren allerdings beschränkt. Deshalb standen die Flugzeuge den kommerziellen Unternehmungen wie Wintersportzentren vorerst nicht zur Verfügung.

Als die Verwendung von Militärflugzeugen zunehmend kommerziellen Charakter annahm, übergab das EMD 1949/50 diese Aufträge und die gemachten fliegerischen und technischen Erfahrungen dem schweizerischen Aero-Club, der geeignete Flächenflugzeuge wie Piper Supercup und Porter beschaffte und bald intensiv einsetzte. Helikopter mit genügender Stabilität und Leistung, um auf diesen Höhen zu operieren, gab es noch nicht. In den Monaten Mai und Juni 1951 führte Major Victor Hug, im Auftrag des Eidgenössischen Luftamtes, die Piloten des schweizerischen Aero- Club, Sektion Sion, in die Kunst des Landens und Startens auf Gletschern und Schneefeldern im Hochgebirge ein. Bereits am 23. Februar 1950 verblüffte der bekannte Hotelier und Sportflieger Fredy Wissel (1905–1994) aus St. Moritz mit seiner Landung auf Corviglia (2500 Meter über Meer). Aus dem ständig wachsenden Aufgabenkreis, dem die Sektionen des Aero-Club bald nicht mehr gewachsen waren, entwickelte sich alsdann die Schweizerische Rettungsflugwacht, die heute praktisch allen Anforderungen des Rettungseinsatzes im Hochgebirge gewachsen ist und einen weltweit führenden Namen besitzt.

Epilog: Schatzsuche auf dem Gauligletscher

Im Sommer 1947 gab es für zahlreiche Alpinisten nur ein Ziel: das Wrack der Dakota auf dem Gauligletscher. Das war jedoch nur die halbe Wahrheit; glaubte man den kursierenden Gerüchten, ließ sich in der Umgebung auf dem Gletscher reiche Beute machen. Die Abwürfe der amerikanischen und englischen Bomber enthielten Überlebensmaterial für den Dschungel, die Wüste, das Wasser und das Gebirge. Sehr begehrt waren auch Nylonstrümpfe, Lederstiefel und gefütterte Jacken. Ein Alpinist aus Thun, der nicht englisch sprach, wurde nach seiner Rückkehr auf dem Bahnhof Meiringen nach dem Inhalt seines prall gefüllten Rucksacks gefragt. Nachdem er ein Dutzend Konservenbüchsen mit der Aufschrift «drinking-water» zum Vorschein brachte, war ihm die Schadenfreude sicher. Zu jener Zeit wurden die wartenden Berggänger auf dem Bahnhof nicht mehr, wie früher üblich, gefragt, auf welcher Gipfeltour sie waren, vielmehr lautete die Frage nun: «Was hast du gefunden?» Die Jugendorganisation der SAC-Sektion Oberhasli unternahm im Sommer 1947 eine geführte Tour auf das Rosenhorn. Natürlich war die Marschpause im Schatten der Dakota im Programm inbegriffen. Eine Teilnehmerin fand im Passagierraum ein Paar rote Pumps, die sie nach gelungener Anprobe im Rucksack verschwinden ließ. Auf gezielte Fragen ihrer neidischen Freundinnen nach der Herkunft dieser eleganten und teuer aussehenden Schuhe blieb sie die Antwort nicht schuldig: Sie stammen vom reichen Onkel aus Amerika! (was ja nicht gelogen war).

Der Autor Roger Cornioley (*1943, †2017) wuchs in Meiringen in der Schweiz auf. Er arbeitete als Treuhänder und Historiker. Sein Spezialgebiet war die schweizerische Militäraviatik ab 1939.

Mit freundlicher Erlaubnis der Berner Zeitschrift für Geschichte. Das Abkürzungsverzeichnis und die Quellennachweise finden Sie im Original hier.