Letzte Aktualisierung: um 21:55 Uhr

Matthias Suhr, Flughafen Basel/Mulhouse

«Ab Basel könnten tägliche Langstreckenflüge in die USA angeboten werden»

Im Interview spricht Matthias Suhr, Chef des Flughafens Basel/Mulhouse, über weitere Langstrecken, Bauprojekte, den geplanten Bahnanschluss und den Grund für die häufige Räumung des Terminals.

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Vergangenes Jahr nutzten 8,1 Millionen Passagiere den Flughafen Basel/Mulhouse/Freiburg. Bis zum Rekordwert von 2019 fehlt noch eine Million. Weshalb?
Matthias Suhr*: Einerseits fehlte es den Luftfahrt-Akteuren nach der Pandemie an Personal. Hinzu kamen die Probleme mit den Lieferketten bei den Triebwerkherstellern; es fehlten entsprechend Flugzeuge. Das bekamen wir wie auch andere Flughäfen zu spüren. Zudem haben nicht alle Airlines ihren Vor-Covid-Betrieb am Euro Airport wieder aufgenommen. Easyjet beispielsweise hat aktuell nach wie vor nur elf, nicht wie zuvor zwölf Flugzeuge hier stationiert. Und Brussels Airlines hat die Flüge nach Basel noch nicht wieder aufgenommen. Wizz Air hat weniger Frequenzen als früher im Angebot. Wir werden dieses Jahr die budgetierten 8,3 Millionen aber trotzdem deutlich übertreffen und uns den 9 Millionen annähern. Und im nächsten Jahr werden wir die Werte von 2019 voraussichtlich übertreffen.

Sie liegen im Dreiländereck mit der Schweiz, Frankreich und Deutschland. Woher kommen Ihre Passagiere?
Unsere Passagiere stammen knapp zur Hälfte aus der Schweiz, etwas mehr als 30 Prozent aus Frankreich und knapp 20 Prozent aus Deutschland. Ohne Frankreich und Deutschland wäre der Flughafen also nur halb so groß. Die wirtschaftliche Stärke kommt aus der Schweiz, aber ohne Frankreich und Deutschland würden wir die Zahlen, die wir hier präsentieren, nie erreichen, und umgekehrt. Sie müssen sehen: Für einen Flughafen mit einem relativ kleinen Einzugsgebiet von gut einer Million Menschen sind die acht beziehungsweise neun Millionen Passagiere relativ viel.

In welcher Region können Sie noch am meisten wachsen?
Das größte Potenzial haben wir in der Schweiz, weil in der Nordwestschweiz ein sehr kaufkräftiges Publikum vorhanden ist. Aber wir sehen natürlich auch im Elsass und in Baden-Württemberg ein Potenzial. Mit 100 Destinationen in Europa haben wir ein Portfolio, das durchaus attraktiv ist.

Easyjet ist mit rund 55 Prozent klar Marktführer in Basel. Das ist ein Glücksfall, aber auch ein Klumpenrisiko. Billigairlines können Flugzeuge schnell verlegen. Wie schützen Sie sich davor?
Jeder Flughafen einer gewissen Größe hat einen starken Hauptkunden. Und der macht sich dort natürlich breit und will den Markt bearbeiten. Das ist ein Klumpenrisiko, aber auch eine Klumpenchance. Ohne Hauptanbieter funktioniert ein Flughafen in dieser Größe nicht. Easyjet würde in Basel nicht wachsen wollen, wenn sie keine Flugzeuge am Euro Airport stationieren und im Schnitt nicht eine hohe Auslastung erreichen könnte. Wir haben daneben trotzdem viele andere klassische Airlines wie etwa Turkish Airlines, KLM, Lufthansa, Austrian Airlines, British Airways und Air France, die eine Verbindung zu ihren Drehkreuzen anbieten. Wir sind sehr gut mit Amsterdam, London-Heathrow, Frankfurt, München und Istanbul verbunden. Neu sind wir dank Flydubai auch mit dem Drehkreuz in Dubai verbunden.

Swiss hat den Markt verloren.

Auch Wizz Air ist in Basel aktiv, wächst aber nicht so stark wie anderswo. Warum?
Wizz Air bringt uns Verbindungen vor allem in den Osten und vor allem sogenannten VFR-Verkehr, also Reisen zu Freunden und Familie. Die ungarische Lowcost-Airline kommt auf einen Marktanteil von 12 Prozent. Im nächsten Jahr wird sie in Basel jedoch Frequenzen abbauen, weil ihr Flugzeuge fehlen.

Und glauben Sie, dass Wizz Air wieder zurückkommt?
Wizz Air ist in den vergangenen Jahren in Basel kontinuierlich gewachsen. Ihr Anteil wird 2025 sinken. Das ist nicht dramatisch. Wenn die Flugzeuge dann von Airbus in genügender Stückzahl geliefert werden, wird Wizz Air in Basel wieder stärker ausbauen können, sofern sie einen Markt bei uns sehen.

Ryanair fliegt nach Basel, aber bietet nur drei Destinationen an. Warum?
An sich müsste diese Frage Ryanair beantworten. Wir gehen davon aus, dass die Konditionen für Ryanair derzeit nicht derart sind, dass weitere Destinationen angeboten werden können. Immerhin bieten wir insgesamt rund 100 Destinationen an. Und bestehende Airlines zu konkurrieren, kostet Geld.

Was in Basel auch noch fehlt, ist die nationale Schweizer Airline. Sehen Sie Swiss wieder zurückkehren?
Bis im Mai 2015 war Swiss hier aktiv. Doch gegenüber Easyjet Switzerland, einer Schweizer Gesellschaft, war sie nicht konkurrenzfähig und zog sich zurück. Sie hat den Markt verloren. In Genf war die Ausgangslage ähnlich. Swiss hat dort lange gekämpft. Das sehe ich in Basel nicht passieren.

Blick auf den Flughafen Basel: Südlich des bestehenden Terminals kommt der Erweiterungsbau zu stehen, das Viadukt wird abgerissen. Bild: aeroTELEGRAPH

Sie haben sich zum Ziel gesetzt, das Destinations-Portfolio zu ergänzen. Was können Sie da bieten?
Unsere Mission ist es, die trinationale Region an die Welt anzuschließen und nicht per se zu wachsen. Hierfür sind einerseits touristische Destinationen wichtig, von denen haben wir genügend. Andererseits brauchen wir aber auch bedeutende Destinationen für den Businessverkehr. Da sind wir beispielsweise in Skandinavien noch zu schwach. Wir haben mit Easyjet und Norwegian nur Flüge nach Kopenhagen und Oslo. Wir haben aber weder Helsinki im Portfolio noch Stockholm. Ich finde es auch schade, dass wir Brüssel nicht mehr haben. Auch Dresden, Leipzig und Düsseldorf wurden nach der Pandemie nicht mehr aufgenommen.

Ab Basel/Mulhouse gibt es zwei Langstrecken – Montreal im Sommer und ganzjährig Dubai. Gibt es da noch Potenzial?
Das ist schwierig. Zürich liegt nah und von dort aus bieten Swiss und andere Airlines ein großes Langstreckenangebot an. Eine Konkurrenz am Euro Airport macht wenig Sinn. Es nutzen schließlich auch sehr gute Kundinnen und Kunden aus Basel und der Nordwestschweiz den Flughafen Zürich für Langstreckenflüge, die zudem Business oder First Class fliegen. Die Marketingzahlen zeigen, dass aus dem Einzugsbereich des Flughafens tägliche Langstreckenflüge an die Nord- und Westküste der USA angeboten werden könnten. Aber dazu müssten wir eine Airline finden, die nicht schon in Zürich aktiv ist und das richtige Flugzeug dafür besitzt. Airbus A350 oder Boeing 787 sind für unsere Region eindeutig zu groß.

Basel hat längere Betriebszeiten als Zürich. Können Sie damit im Frachtgeschäft noch mehr punkten?
Wir haben hier verschiedene Arten von Fracht. Einerseits wickeln wir Expressfracht ab, also Päckchen von hohem Wert, die mit dem Flugzeug transportiert werden. Da haben wir mit DHL, Fedex, TNT und UPS alle vier großen Anbieter hier am Flughafen. Sie sind vor allem auf die Randzeiten, in erster Linie frühmorgens, angewiesen. Bei uns können sie schon zwischen 5 und 6 Uhr landen. Da werden die Päckchen ausgeladen und danach in das Schweizer Mittelland, aber auch bis nach Freiburg im Breisgau und Straßburg verteilt. Da wirken sich die frühen Betriebszeiten positiv aus. Indessen stellen die späten Starts nach 23 Uhr ein Lärmproblem dar, welches wir in den Griff bekommen müssen.

Und was ist der andere Teil?
Andererseits haben wir die Vollfracht. Sie ist wichtig für die Pharmaindustrie, welche für 60 Prozent der Fracht verantwortlich ist. Diese Art Fracht ist nicht derart abhängig von langen Betriebszeiten wie die Expressfracht. Bei der Vollfracht überwiegt der Export. Um den Import zu fördern, haben wir in unsere Infrastruktur investiert und unter anderem ein neues Kühlhaus in Betrieb genommen. Durch das von Swissport finanzierte Crossdock wird die Kühlkette auch beim Umladen zu 100 Prozent garantiert werden können, was für einige medizinische Güter wie Impfstoffe von großer Wichtigkeit ist. Das eröffnet uns neue Chancen.

Der Terminal-Ausbau ist eine klare Qualitätssteigerung.

Gibt es auch Bellyfracht in Basel, also Fracht, die im Bauch von Passagierflugzeugen transportiert wird?
Nein, das gibt es kaum. Das macht bei Airlines, die so kurze Turnaroundzeiten wie die Lowcoster aufweisen, keinen Sinn.

In den kommenden Jahren stehen große Ausbauprojekte an. Das zentralste ist der Terminalneubau. Er soll 2028 beginnen. Steht der Termin noch?
Der landseitige Terminal-Ausbau ist ein Projekt zur Steigerung der heute ungenügenden Passagierqualität und wird voraussichtlich im Jahr 2031 fertig sein. Dafür investieren wir insgesamt rund 150 Millionen Franken. Aktuell läuft die Ausschreibung. Wir bauen neben dem bestehenden Gebäude ein zweites, das jetzige Viadukt verschwindet. Wir wollen damit den Komfort für die Passagiere erhöhen, indem beispielsweise die Sicherheitskontrolle zentralisiert und der Raum für die Passagiere bei der Ankunft vergrößert wird. Der Grund für diese Initiative liegt darin, dass der Flughafen nicht für acht bis neun Millionen Passagiere gebaut wurde. Als er geplant worden war, landeten hier Flugzeuge mit 50 bis 70 Passagieren, heute sind es solche mit 160 bis 225 Plätzen. Daher ist der Platz im Terminal viel zu klein. Der Ausbau dient dazu, dort mehr Platz zu schaffen. Die ganzen Bereiche Ankunft, Kommerz, Restauration, Sicherheitskontrolle und die Begrüßung von ankommenden Reisenden wird ins neue Gebäude kommen. Dadurch bekommen wir in den bestehenden Bereichen mehr Platz. Das ist eine klare Qualitätssteigerung.

Ein anderes Großprojekt ist der Bahnanschluss mit direktem Zugang zum Terminal. Da sollten die Bauarbeiten 2027 beginnen. Aber eigentlich ist noch wenig passiert …
Hinter den Kulissen ist schon einiges passiert. Die technischen Arbeiten sind auf gutem Weg. Nun fehlt noch die Finanzierung. Das ist ja ein nicht ganz billiges Projekt. Es geht um ein sechs Kilometer langes Bahnstück. Die Finanzierungspartner Frankreich, Schweiz, Deutschland und der Flughafen haben sich zwar geeinigt. Aber was noch fehlt, ist eine finanzielle Zusicherung der EU. Wir erwarten die Entscheidung im kommenden Sommer.

Ohne EU kein Bahnanschluss?
Ich habe Zweifel, dass die bestehenden Finanzierungspartner bereit sind, den EU-Anteil zusätzlich zu übernehmen. Immerhin geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag.

Vor 2035 wird die neue Bahnstrecke zum Flughafen sicher nicht in Betrieb gehen.

Und wenn die EU ja sagt, wird dann immer noch ab 2027 gebaut?
Nein, das klappt nicht mehr. Vor 2035 wird die Strecke sicher nicht in Betrieb gehen. Die französischen Staatsbahnen SNCF haben das Projekt auch noch etwas zurückgestellt.

Warum ist nur ein Anschluss an das Regional- und nicht an das Fernbahnnetz vorgesehen?
Es ist politisch nicht gewünscht, dass wir eine Fernverkehrsanbindung haben.

2026 soll zudem die Hauptpiste saniert werden. Dazu müssen Sie den Flugbetrieb rund einen Monat lang einstellen. Ist das nicht sehr teuer?
Das ist in der Tat ein großes und teures Projekt. Wir haben in der Vergangenheit schon die Enden der Start- und Landebahn saniert. Dabei konnten wir die Hauptpiste in Betrieb halten. Aber jetzt sanieren wir den mittleren Teil. Da müssen wir die Piste für rund einen Monat schließen. Wir haben zwar die kleine Piste 07/25, die wir in gewissem Maß als Ersatz nutzen können. Aber diese können nur Flugzeuge mit einem reduzierten Gewicht nutzen und nur bei guten Wetterbedingungen. Wir rechnen daher für diese Zeit nicht mit ähnlich viel Passagierverkehr wie heute.

Gibt es noch weitere Projekte im Horizont, wie man den Flughafen noch weiter ausbauen und modernisieren könnte?
Wir haben einen modularen Plan für die Qualitätsverbesserung des Flughafens. Dazu gehört unter anderem die bereits erwähnte Terminalerweiterung auf der Landseite, also dem öffentlich zugänglichen Bereich. Wir müssen aber auch die Passagierqualität im Bereich nach den Sicherheitskontrollen verbessern, also etwa bei den Gates. Was wir da machen werden, entscheiden wir in den nächsten Jahren.


Kontrollturm mit Plakat zum 75. Jubiläum des schweizerisch-französischen Staatsvertrages. Bild: Euro Airport

Sie haben eine Nachtflugsperre zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens. Wäre ein Nachtflugbetrieb für Sie wünschenswert?
Flüge können zwischen fünf und sechs Uhr morgens in Basel landen, ab sechs Uhr bis Mitternacht sind theoretisch auch Starts erlaubt. Anfang 2022 haben wir freiwillig eingeführt, dass keine geplanten Starts mehr nach 23 Uhr stattfinden dürfen. Mit diesen Betriebszeiten sind wir zufrieden. Ein Nachtflugbetrieb ist aus politischen Gründen nicht gangbar und betrieblich nicht nötig.

In den letzten Monaten mussten sie in Basel immer wieder das Terminal räumen. Das passierte öfter als bei anderen Flughäfen. Wie erklären Sie sich das?
In den letzten zwölf Monaten hatten wir zehn Bombenalarme, bei denen das gesamte Terminal evakuiert wurde. Es ging dabei nicht um ein Gepäckstück, das irgendwo herrenlos herumstand. Es gingen konkrete Bombendrohungen bei uns ein. Wir unterstehen als Flughafen auf französischem Boden auch französischem Recht. Die Entscheidung, welche Maßnahmen getroffen werden, fällt letztlich in den Zuständigkeitsbereich der französischen Behörden, das heißt der Präfektur des Departements Haut-Rhin. In Frankreich gingen auch an anderen Flughäfen und öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Museen Bombendrohungen ein. Flughäfen wurden entsprechend zeitweise geschossen. In der Schweiz ist die Bedrohungslage anders: meiner Kenntnis nach gab es an keinem Schweizer Flughafen Bombendrohungen, weshalb Terminalräumungen auch nie ein Thema waren.

Und was kostet so eine Räumung?
Das ist schwierig zu beziffern, weil hier sehr viele Akteure betroffen sind. Uns kosteten die Räumungen einen relativ hohen Millionenbetrag.

Sie haben eine ganz spezielle Situation mit dem Status als binationalem Flughafen. Das hat Vorteile, aber sicher manchmal auch Nachteile. Macht das die Führung schwieriger?
Aus Sicht der Schweiz sind wir einer der drei Landesflughäfen, aus Sicht von Frankreich einer der großen Regionalflughäfen. Zudem gilt grundsätzlich französisches Recht. Das führt natürlich manchmal zu unterschiedlichen Herausforderungen. Aber zugleich können wir von beiden Seiten profitieren. So haben wir direkten Anschluss an das französische Autobahnnetz, wo es kein Nachtfahrverbot für Lastwagen gibt wie in der Schweiz. Das ist ein Vorteil in der Frachtabfertigung. Im Tagesgeschäft gibt es erstaunlicherweise nur wenig Probleme. Da finden wir meist pragmatische Lösungen.

Danach kommen neue Leute mit neuen Ideen. Und das ist auch gut so.

Sie gehen im nächsten Frühjahr in Rente. Was war für Sie das Eindrücklichste, was Sie hier erlebt haben?
Das war sicher die Pandemie. So etwas hat der Flughafen in seinem 75-jährigen Bestehen noch nie erlebt. Eine derart tiefe Krise durchzustehen, das war für mich und den Flughafen die größte Herausforderung. Wir waren aber in der glücklichen Situation, dass wir keine Entlassungen vornehmen mussten. Dies war mir ein persönliches Anliegen, gerade in schwierigen Zeiten hat der Arbeitgeber eine erhöhte Verantwortung. Wir haben dafür gekämpft, dass wir das Personal behalten konnten, was uns dann auch geholfen hat beim Neustart.

Es kommt quasi zu einem Doppelrücktritt. Wenige Monate nach Ihnen geht auch ihr Stellvertreter in Rente. Ist das kein Problem?
Wir haben uns nicht ausgewählt, den gleichen Jahrgang zu haben. (lacht). Aber mit den paar Monaten, die mein Stellvertreter länger bleiben wird, wird sichergestellt, dass es einen sauberen Übergang geben kann. Danach kommen neue Leute mit neuen Ideen. Und das ist auch gut so.

* Matthias Suhr studierte Rechtswissenschaften und arbeitet danach als Anwalt. 1997 kam er als juristischer Mitarbeiter zum Bundesamt für Zivilluftfahrt Bazl. Nach vier Jahren wurde er dort zum Adjunkt des Leiters Luftverkehrsbetriebe ernannt. Ab 2004 leitete er den Direktionsstab und wurde Stellvertreter des Direktors. Seit August 2015 ist er Chef des Flughafens Basel/Mulhouse/Freiburg.