Vom Tragschrauber zum Heliplane
Wie die Großtante der Flugtaxis startete – und scheiterte
Die Idee, direkt von Hochhausdächern in Innenstädten zu fliegen, ist nicht neu. In den 1950er-Jahren träumte man von senkrecht startenden Verkehrsflugzeugen. Wie Flugschrauber abhoben und scheiterten.
Der Prototyp der Rotodyne von 1959.
De la Cieras erster fliegender Tragschrauber: Der Autogiro C4.
Eine Animation der Rotodyne über einer Großstadt.
Skizzen der Rotodyne: Eine größere Version hätte Platz für 70 Personen geboten.
Das sowjetische Pendant: Die Kamov KA-22.
Der Prototyp einer McDonnell XV-1-
Eine Visualisierung des Heliplanes GBA Darpa. Gebaut wurde das Fluggerät nie.
Der Prototyp der Rotodyne von 1959.
De la Cieras erster fliegender Tragschrauber: Der Autogiro C4.
Eine Animation der Rotodyne über einer Großstadt.
Skizzen der Rotodyne: Eine größere Version hätte Platz für 70 Personen geboten.
Das sowjetische Pendant: Die Kamov KA-22.
Der Prototyp einer McDonnell XV-1-
Eine Visualisierung des Heliplanes GBA Darpa. Gebaut wurde das Fluggerät nie.
In München will die Politik vorbereitet sein, wenn sich in naher Zukunft die Urban Air Mobility durchsetzen wird. Deshalb stellte die CSU schon 2018 den Antrag, auf dem Neubau des Münchner Hauptbahnhofs eine Dachfläche so zu gestalten, dass darauf Flugtaxis starten und landen können.
Der Markt der sogenannten Evtols (Vertikal Vertical Take-Off and Landing Aircraft), also Fluggeräte, die in der Lage sind, senkrecht starten und landen zu können, ist groß. Weltweit buhlen Unternehmen um Förderungen und entwickeln erste Prototypen. Was immer als Neuheit angepriesen wird, ist indes nicht so neu. Nur träumte man in den 1950er-Jahren nicht von Fluggeräten für 12 Personen, sondern deutlich größer.
Idee aus den 1920er-Jahren
Den Wunsch nach Fluggeräten, die senkrecht starten und landen können, und dafür nur minimale Flächen benötigen, gibt es schon seit den 1920er Jahren. Der aus Murcia stammende Luftfahrtpionier Juan de la Cierva entwickelte 1920 den ersten Tragschrauber. Der Autogiro wurde am 20. Juni 1920 ins spanische Patent- und Markenregister eingetragen.
De la Cierva wollte sichere Flugzeuge entwickeln und installierte dafür einen frei drehenden Rotor in der Flugzeugmitte. Für den Vortrieb sorgte ein Sternmotor. Dank des Rotors verkürzten sich die benötigten Start- und Landewege, da die sich drehenden Rotorblätter für Auftrieb sorgten. Zudem gleitete das Flugzeug bei einem Motorausfall langsamer zur Erde als mit einem Fallschirm.
Lizenzen weltweit
Die ersten drei Modelle des Spaniers scheiterten. Erst in der vierten Version installierte er ein Schwenkgelenk unterhalb der Rotorblätter, wodurch der Anstellwinkel verändert werden konnte. Der erste kontrollierte Tragschrauberflug der Welt erfolgte am 17. Januar 1923. Zwei Jahre später wanderte er nach England aus und gründete die Cierva Autogiro Company of Great Britain Ltd.
De la Cieras erster fliegender Tragschrauber: Der Autogiro C4. Bild: Screenshot Youtube/Bomberguy
Wie viele Entwicklungen in der Luftfahrt weckte der Autogiro schnell das Interesse des Militärs. Die C.6-Version hatte dank eines 110 PS-Motors bei einer Traglast von 780 Kilogramm eine Reichweite von 530 Kilometern. Die Geschwindigkeit lag bei 230 Kilometern pro Stunde. 1926 erhielt die C.6. in England die zivile Zulassung und auch die Royal Air Force kaufte erste Exemplare. Gezeigt wurde der Tragschrauber auch in Berlin bei Flügen auf dem Tempelhofer Feld.
Passagiere und Post
Cierva gründete Firmen in den USA und auch in Deutschland. Die deutsche Firma Focke-Wulf baute bis 1938 unter der Lizenz der Cierva Autogiro GmbH insgesamt 43 Tragschrauber des Typs C30, auch als Heuschrecke bekannt. Allerdings hatte die C30 keine Tragflügel mehr, sondern war ein reiner Gyrocopter.
Die Tragschrauber wurden konstant weiterentwickelt und mit stärkeren Motoren ausgestattet. Neben dem Passagiertransport war ein beliebtes Einsatzgebiet auch der Transport von Postsendungen.
Vom Autogiro zur Gyrodyne
Gleichzeitig kam es in England in den 1930er-Jahren zu Modifizierungen am Autogiro. James Allan Jamieson Bennett, ein Ingenieur bei de la Ciervas Firma in England, modifizierte den Tragschrauber, in dem er statt eines frei drehenden Rotors einen angetriebenen Rotor verbaute. Bennett nannte die Weiterentwicklung Gyrodyne. Die Helikopter wurden in den 1940er-Jahren so stark verbessert, dass Tragschrauber vorerst von der Bildfläche verschwanden.
Wiederentdeckt wurde das Konzept Anfang der 1950er-Jahre vom britischen Flugzeughersteller Fairey Aviation. Auf Basis der Gyrodyne entwickelten die Briten die Rotodyne. Die Neuheit lag im Antrieb der Rotorblätter. Statt zentral über eine Welle wurden die Rotorblätter einzeln per Blattspitzenantrieb in Bewegung versetzt.
Revolution der Luftfahrt
Schon rein äußerlich war nicht ganz klar, was die Rotodyne sein wollte: Flugzeug oder Hubschrauber? Letztlich war sie beides und sollte beide Vorteile miteinander verbinden: Starten können wie ein Hubschrauber und schnell und effizient sein, wie ein Flugzeug. Letztlich war sie ein senkrecht startendes Verkehrsflugzeug, das sich nur zum Starten und Landen in einen Hubschrauber verwandelt.
Denn schon Mitte der 1950er Jahren standen viele Großstädte vor dem Verkehrsinfarkt. In New York gab es zu der Zeit zahlreiche Unternehmen, die Reisende von Manhattan mit dem Hubschrauber zum Flughafen JFK shuttelten. Das Ganze war nur sehr unrentabel und wurde schnell wieder eingestellt.
Hubschrauber und Verkehrsflugzeug in einem
Fairey Aviation wollte den Luftverkehr mit der Rotodyne revolutionieren. Genutzt werden sollten Hubschrauberlandeplätze auf Hochhäusern in den Innenstädten. Nach dem Start als Hubschrauber wurde die Rotodyne zum Verkehrsflugzeug, bevor sie zur Landung wieder zum Hubschrauber wurde. In den USA stellte man sich vor New York Downtown in nur einer Stunde mit Boston Downtown verbinden zu können.
Die britische Regierung subventionierte das Projekt mit hohen Millionenbeträgen. 1959 wurde ein erster Prototyp vorgestellt, der Platz für 40 Personen bot, 700 Kilometer weit fliegen konnte, mit einer maximalen Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde.
Airlines bestellten Rotodyne
Das weckte das Interesse zahlreicher Fluggesellschaften. American Airlines orderte fünf Exemplare des Hybrids – ausgeliefert wurden die Maschinen allerdings nie. Das größte Problem war die Lautstärke des Blattspitzenantriebs. In einer Entfernung von 180 Metern lag der Lärmpegel bei 112 Dezibel, was dem Geräusch eines Presslufthammers entspricht. Das war völlig ungeeignet für Starts- und Landungen auf Dächern mitten in New York.
Das zweite Problem war die Finanzierung. Um die Serienproduktion zu starten, hätte Fairey Aviation weitere 10 Millionen Dollar von der britischen Regierung benötigt. Allerdings gab es Anfang 1960er-Jahre über 14 verschiedene Flugzeughersteller in Großbritannien. Um dem Problem Herr zu werden, fasste die Regierung die Unternehmer in vier Unternehmensgruppen zusammen. Im Ergebnis blieb die staatliche Förderung für das senkrecht startende Verkehrsflugzeug auf der Strecke. Das Projekt scheiterte.
Sowjetunion zieht nach
Angeregt durch die Rotodyne kam es auch in der Sowjetunion Ende der 1950er Jahre zu ähnlichen Konzepten. 1959 wurde der Transportflugschrauber Kamov KA-22 vorgestellt. Analog zur britischen Entwicklung wurde auch die KA-22 zum Start und Landung mit Rotoren angetrieben und für den Vorwärtsflug dann der Schub der Propeller genutzt. Anders als die Rotodyne war die KA-22 mit zwei Roten am Ende Tragflächen ausgestattet.
Der Öffentlichkeit wurde der Experimentalhubschrauber allerdings nur einmal gezeigt. 1961 bei einer Luftfahrtausstellung in Moskau. Die Entwicklung wurde 1964 nach zwei Unfällen eingestellt. Insgesamt wurden in der Sowjetunion vier Exemplare hergestellt. Rekorde hält sie allerdings bis heute, etwa als Drehflügler mit der höchsten Nutzlast von 16 Tonnen bei einer Geschwindigkeit von 356 Kilometern pro Stunde.
Zahlreiche Versuche von den USA bis Japan
In den USA wurde 1954 die McDonnell XV-1 entwickelt. Das Besondere waren die Spitzendüsen an den Rotorblättern. Das Flugzeug hatte Tragflächen und einen Propeller, der an der Rückseite des Rumpfes zwischen zwei Heckauslegern angebracht war. Es wurden nur zwei Exemplare gebaut und 1957 wurde das Projekt wieder eingestampft.
Entwicklungen auf diesem Gebiet gab es auch in Japan. 1954 baute die Firma KYB ein Flugzeug mit dem Namen Heliplane. Grundlage war eine Cessna 170, bei der die Flügel verkleinert wurden und ähnlich wie schon bei Cierva ein Rotor in der Flugzeugmitte installiert wurde. Die Rotoren wurden bei den Japanern von Spitzenstaustrahltriebwerken angetrieben. Gedacht war das sogenannte Heliplane als Artillerieaufklärung und U-Boot-Abwehr. Es wurde nur ein Exemplar gebaut, das beim Transport allerdings beschädigt wurde.
Als Gyrocopter erfolgreich
In den 1980er-Jahren wurde die Idee in den USA nochmal aus der Mottenkiste geholt. Hersteller war die Groen Brothers Aviation, die für das Projekt mit Georgia Tech mit ins Boot holte. Die Vision war ein Heliplane mit frei drehendem Rotor, der mit integrierten Spitzendüsen ausgestattet ist und mit Bypassluft von zwei Gasturbinenantriebsmotoren angetrieben wird. Umgesetzt wurde das Projekt nie, obwohl über 40 Millionen Dollar in die Planungen eingegangen sind.
Ein moder Gyrocopter im Flug. Bild: Depositphotos
Im Freizeitbereich ist eine Abwandlung des Tragschraubers sehr beliebt, der Gyrocopter. Offenes Cockpit, ein Roter und ein Propeller, der das Gerät anschiebt.