Letzte Aktualisierung: um 17:59 Uhr

Schwere Turbulenzen

4,6 Sekunden machten SQ321 von Singapore Airlines zum Horror-Flug

Was genau geschah an Bord der Boeing 777 von Singapore Airlines, die in schwere Turbulenzen geriet? Der erste Bericht der Unfallermittlungsbehörde Singapurs zeigt das Geschehen detailliert auf.

Acht Tage nach dem Horror-Flug liegen noch immer 28 Passagiere im Krankenhaus. Einige von ihnen waren mit Gehirnverletzungen, andere mit Verletzungen der Wirbelsäule eingeliefert worden, nachdem am 21. Mai die Boeing 777 von Singapore Airlines in schwere Turbulenzen geraten war und außerplanmäßig in Bangkok landen musste.

Auch für die Fluggesellschaft war es ein schlimmes Ereignis. Es war für sie der erste Zwischenfall seit 24 Jahren, bei dem es ein Todesopfer gab. Ein 73-jähriger britischer Passagier war an Bord vermutlich an einem Herzinfarkt verstorben. Unversehrte Reisende hatten nach der Landung bereits berichtet, wie schlimm die Turbulenzen waren. Jetzt aber hat das Transport Safety Investigation Bureau TSIB, die Unfallermittlungsbehörde Singapurs, den ersten Zwischenbericht zu Flug SQ321 vorgelegt – und der unterlegt das Geschehen mit Daten.

Boeing 777 stieg unkontrolliert auf und wurde unkontrolliert schneller

Die am Vorabend in London-Heathrow gestartete Boeing 777-300 ER befand sich am Morgen des 21. Mai gerade südlich der Küste von Burma auf einer Höhe von 12.780 Metern (37.000 Fuß), als es erstmals für 19 Sekunden zu schütteln begann. Der Grund waren entstehende Gewitterwolken. Gleichzeitig begann das Flugzeug, um rund 362 Fuß oder 110 Meter zu steigen – ohne das Dazutun der Besatzung. «Als Reaktion auf diesen unkontrollierten Höhenanstieg neigte der Autopilot das Flugzeug nach unten, um auf die gewählte Höhe von 37.000 Fuß abzusinken», schreibt das Transport Safety Investigation Bureau.


Das Gebiet, in welchem die Turbulenzen auftraten. Bild: Radarbox

Neben dem unkontrollierten Aufstieg hätten die Piloten auch einen unkontrollierten Anstieg der Geschwindigkeit beobachtet, so die Behörde. Darauf hätten sie mit dem Ausfahren der Luftbremse reagiert. Ein Pilot sagte daraufhin, dass die Anschnallzeichen eingeschaltet worden seien. Der ungewollte Aufstieg und die ungewollte Beschleunigung seien  «höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass auf das Flugzeug ein Aufwind gewirkt» habe, so die Fachleute.

Von minus 1,5 G bis plus 1,5 G

Und wenige Sekunden später ging es weiter. Innerhalb von 0,6 Sekunden änderte sich die vertikale Beschleunigung rasant. Zuerst hätten Kräfte von plus 1,35 G und dann Kräfte von minus 1,5 G auf die Insassen der Boeing 777 gewirkt. Dies habe wahrscheinlich dazu geführt, dass nicht angeschnallte Personen in die Luft geflogen seien, schreibt das Transport Safety Investigation Bureau. Und gleich danach passierte das Gegenteil.

Jetzt wirkten während vier Sekunden umgekehrte Kräfte. Von minus 1,5 reduzierte sich die Beschleunigung auf plus 1,5 G. Dadurch fielen die zuvor angehobenen Passagiere und Besatzungsmitglieder wieder zu Boden. Dadurch seien wohl die Verletzungen entstanden, so die Fachleute aus Singapur.

«Druckgefühl in Kopf und Augen» und «schmerzhaft»

Doch auch für die, die nicht verletzt wurden waren diese 4,6 Sekunden unangenehm. Die positiven G-Kräfte, welche die Insassen von Flug SQ321 erlebten, entsprechen in etwa denen, die beim Start auf einen Formel-1-Fahrer wirken und dem für Passagierflugzeuge zugelassenen Maximalbereich. Negative Beschleunigungen sorgten jedoch zu einem «Blutfluss zum Kopf hin» und könnten «vom Menschen erheblich schlechter ertragen werden», schreibt Klaus Hannemann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR in einem Fachbeitrag. Schon kleine Überschreitungen der Marke von minus 1 G würden «als sehr unangenehm und unter Umständen durch ein Druckgefühl in Kopf und Augen sogar als schmerzhaft empfunden».

Auch wenn die Passagiere wohl das Gefühl hatten, ihr Flugzeug sei in der Zeit richtiggehend abgesackt – die raschen Änderungen der Beschleunigung in den 4,6 Sekunden führten nur zu einem Höhenverlust von 178 Fuß oder 54 Metern. Die Piloten übernahmen in der Turbulenzphase kurz manuell das Steuer, bevor sie in ruhigere Gefilde kamen und wieder den Autopiloten einschalteten. Nachdem die Kabinencrew sie informiert hatte, entschlossen sie sich zur Landung in Bangkok, wo Rettungskräfte bereitstanden.